„Die taz wendet sich gegen jede Form der Diskriminierung“ – im Redaktionsstatut

Journalisten sollten keine Haltung haben dürfen, ist eine unter einigen Kollegen verbreitete Meinung. Objektiv und neutral sollten sie sein (wenngleich das verschiedene Dinge sind) und sich „mit keiner Sache gemein machen“, womit der legendäre Tagesthemen-Moderator und Korrespondent Hanns-Joachim Friedrichs gerne verkürzt und damit sinnentstellend zitiert wird.

Ich halte das für falsch. Journalismus geht nicht ohne Haltung, wie ich hier schon mal ausführlicher beschrieben habe.

Zum Glück halten es viele Kollegen aber auch nicht so – und noch mehr Verlage und Sender und ihre Redaktionen auch. In einer kleinen losen Reihe will ich daher ein paar dieser Dokumente vorstellen, in denen sich Redaktionen auf Werte verständigt haben, nach denen sie arbeiten wollen.

Mit am berühmtesten ist vermutlich das Redaktionsstatut der Tageszeitung taz. Es „regelt die Beziehungen zwischen Redaktion, Redaktionsrat und Chefredaktion sowie zwischen Chefredaktion und taz-Gruppe“, wie es in Paragraph 1 heißt – und:

Das Statut ist in seiner jeweiligen Fassung Bestandteil der Arbeitsverträge der fest angestellten RedakteurInnen, fest angestellten KorrespondentInnen und fest angestellten AutorInnen (im folgenden: RedakteurInnen) einschließlich der Chefredaktion

Dass sich die taz-Mitarbeiter Werten verpflichtet fühlen, zeigt vor allem Paragraph 2, in dem es unter anderem heißt:

(2) Die taz engagiert sich für eine kritische Öffentlichkeit.

(3) Sie tritt ein für die Verteidigung und Entwicklung der Menschenrechte und artikuliert insbesondere die Stimmen, die gegenüber den Mächtigen kein Gehör finden.

Damit stellt sich die taz eindeutig auf die Seite bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, die in der öffentlichen Debatte sonst unterrepräsentiert sind, weil sie zum Beispiel zu klein sind oder keine Lobby haben. Man kann davon ausgehen, dass damit nicht (große) Parteien gemeint sind, Unternehmen, Unternehmensverbände und große Nichtregierungsorganisationen.

Würde man einer strengen Forderung nach Objektivität folgen, würde die taz damit verstoßen, schließlich haben auch und vielleicht sogar gerade die großen Organisationen genauso einen Anspruch darauf, in der öffentlichen Debatte angemessen dargestellt zu werden. Ich finde die Haltung der taz aber legitim, schließlich bekommen die großen Organisationen schon allein aufgrund ihrer Größe und der unterschiedlichen Schwerpunktsetzung anderer Redaktionen in der Regel genug Aufmerksamkeit. Außerdem verfügen sie wegen ihrer Größe oft auch über genug eigene publizistische Macht, um ihre Anliegen in die Öffentlichkeit zu bringen.

Ich erinnere mich an eine Äußerung der damaligen AfD-Chefin Frauke Petry, die einmal gefordert hatte, auch die Positionen ihrer Partei in der öffentlichen Debatte gleichberechtigt darzustellen – dazu gehörten auch rassistische Positionen, die den Menschenrechten und dem Grundgesetz widersprechen. Solche Positionen haben meiner Meinung nach aber keinen Anspruch darauf, als gleichberechtigt dargestellt zu werden.

(4) Die taz wendet sich gegen jede Form von Diskriminierung.

Entsprechend ist auch dieser Satz im taz-Redaktionsstatut zu sehen, in Verbindung mit den folgenden Absätzen:

(5) Für die Redaktion ist Freiheit die Freiheit der Andersdenkenden, entscheidet sich Demokratie an den demokratischen Rechten jedes einzelnen Menschen.

(6) Die Zeitung ist der wahrheitsgetreuen Berichterstattung verpflichtet; sie bekennt sich zur Tradition ihrer publizistischen Sprache, sie widersteht dem Druck der Stereotype und des sprachlichen und thematischen Konformismus, sie gibt den Beiträgen ihrer RedakteurInnen, KorrespondentInnen und AutorInnen besonderes Gewicht.

Dass solche Grundsätze nun ausgerechnet bei der taz zu finden sind, ist vielleicht keine große Überraschung, tritt sie doch dezidiert links auf und wird von ihren Gegnern entsprechend abklassifiziert. Sie ist deswegen möglicherweise nicht das beste Beispiel, um zu zeigen, dass sich Redaktionen durchaus Werten verpflichtet fühlen. In den folgenden Wochen (oder vielleicht auch Monaten) werde ich jedoch ein paar weitere Redaktionen nennen, die sich wenn auch nicht so explizit und ausführlich, aber durchaus zu Werten bekennen.

Bernard Pörksen nimmt Abschied vom Netzpessimismus

Die Vorträge des Tübinger Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen auf der Republica sind immer sehens- und hörenswert. Man mag seine Thesen nicht teilen, aber an ihnen ist immer was dran, und wie er sie vorstellt, lässt man sich gerne mitnehmen in seiner klugen Argumentation. Zumal er fast völlig frei spricht, sich dabei nicht verzettelt und immer klar ist, worüber er gerade spricht.

In diesem Jahr hat er sich dessen angenommen, was er Netzpessismismus nennt. Er sieht darin die Tendenz, auf bestimmte Entwicklungen im Netz nur noch destruktiv zu reagieren, anstatt die Chancen zu nutzen, die in ihnen stecken, und statt sich den Phänomenen entgegenzustellen. Eine spannende halbe Stunde.

Ein Rücktritt ist nicht immer ein Rücktritt

Wann genau ist Heinz-Christian Strache eigentlich als österreichischer Vizekanzler zurückgetreten? Klar, das war am Samstag. Aber wann wurde sein Rücktritt wirksam?

Journalist*innen verheddern sich immer wieder, wenn es um Rücktritte geht. Denn nicht immer ist ein Rücktritt gleich vollzogen, wenn ihn jemand ankündigt. In der Realität gibt es da nämlich unterschiedliche Stufen, die ich mal so kategorisieren würde:

  • Politiker*in kündigt Rücktritt an, vollzieht ihn aber nicht sofort und nennt dafür auch kein Datum
  • Politiker*in kündigt Rücktritt mit Termin an
  • Politiker*in sagt, dass er/sie Rücktritt angeboten habe, dieser aber noch nicht angenommen wurde
  • Politiker*in tritt zurück

Journalisten scheren das allerdings oft über einen Kamm, auch am Samstag bei Strache. Denn er hatte am Mittag seinen Rücktritt nur angeboten.

Wörtlich sagte Strache:

Deshalb hab ich heute um 11 Uhr auch ein Gespräch mit Herrn Bundeskanzler Sebastian Kurz gehabt, wo ich meinen Rücktritt von der Funktion des Vizekanzlers der Republik Österreich angeboten habe und er diese Entscheidung annehmen wird.

Kurz wollte sich ursprünglich um 14 Uhr zu Wort melden, tat das aber stundenlang nicht. Erst um 19.45 Uhr trat er vor die Kameras und nahm den Rücktritt an. Bis dahin war dieser in der Schwebe.

Das hielt Medien aber nicht davon ab, schon am Mittag von Straches Rücktritt zu schreiben. Die Überschriften waren oft falsch, die Teaser aber zumindest meistens richtig.

 

Man mag das kleinlich finden, aber es spielt gerade in der Verlaufsberichterstattung etwa im Radio, Fernsehen oder online schon eine Rolle, wie gerade jeweils der Stand der Dinge ist. Zumal sich die Lage in Österreich am Wochenende auch eher langsam entwickelt hat. Hatte man schon für den Mittag erwartet, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz Straches Rücktritt annimmt, so geschah das tatsächlich erst am Abend.

Ähnlich am gestrigen Montag: Zwar hatte Kanzleramtsminister Gernot Blümel schon am Sonntag angekündigt, dass Kurz Innenminister Herbert Kickl entlassen würde und Kurz sich auch am Mittag geäußert hat, so geschah die eigentliche Entlassung tatsächlich erst am Abend. Und auch das ist genau genommen keine Entlassung, denn Kurz kann sie dem Bundespräsidenten nur vorschlagen.

Wahlwerbung: hilfreich oder überflüssig?

Am 26.05. sind die Wahlen zum Europäischen Parlament. Zurzeit buhlen die Parteien via Wahlwerbung um die Wählergunst. Die Rundfunksender sind zur Ausstrahlung verpflichtet. Wir haben in „@mediasres im Dialog“ im Deutschlandfunk am Freitag gefragt, was die Leute von der Wahlwerbung halten, und ich hab noch mal ein paar Hintergründe beigesteuert.

Voss gegen Beckedahl: Wir müssen reden

Axel Voss ist ein interessanter Politiker. Der CDU-Europaabgeordnete hat die Urheberrechtsreform federführend erarbeitet und sich dabei nach Ansicht vieler Kritiker nicht mit Ruhm bekleckert. Nicht nur wegen des Ergebnisses, sondern auch weil sie ihn immer wieder überführen konnten, keine Ahnung von dem zu haben, worum es beim Urheberrecht geht. Am Ende war er dennoch erfolgreich, die Reform kommt. Auch wenn die nationalen Parlamente noch einen gewissen Spielraum haben, wie sie die EU-Richtlinie umsetzen.

Interessant finde ich Voss aber vor allem, weil er sich nicht scheut, mit seinen Kritikern in einen Dialog zu treten. Er hat vor der Reform Dutzende Interviews gegeben, in denen er immer wieder mit seinem Unwissen konfrontiert wurde. Und auch bei der Republica hat er sich mit einem seiner größten Kritiker getroffen. Er diskutierte mit Netzpolitik-Chefredakteur Markus Beckedahl über die Reform und ihre Auswirkungen. Dabei traf er nicht gerade auf ein wohlwollendes Publikum, und auch ZDFKultur-Moderator Jo Schück war anzumerken, was er von der Reform hält.

Ein sehenswerter Talk aus Berlin.

Drei Fragen an Oliver Schröm, Correctiv-Chefredakteur

In der vergangenen Woche hat das gemeinnützige Recherchebüro Correctiv ihre bisher größte Recherche veröffentlicht: „Grand Theft Europe“ – eine Geschichte über massenhaften Umsatzsteuerbetrug in Europa. Beteiligt waren 35 Redaktionen in 30 Ländern. In unserer @mediasres-Rubrik „Drei Fragen an“ (Audio) hat mir Oliver Schröm erzählt, wie ihn das beschäftigt hat.

„Diejenigen, die die Revolution gestalten wollen“

Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt ist seit Jahren mit seinem Berlin-Newsletter „Checkpoint“ erfolgreich (den es seit gestern nur noch kostenpflichtig gibt). Auf der Republica habe ich ihm unsere drei Fragen gestellt: Was läuft gut in den Medien? Was läuft schlecht? Und bei Ihnen? Seine Antworten hier zum Nachhören.

Breaking News in Delmenhorst

Wie weit darf man als Journalist gehen? Die NDR-Doku „Breaking News in Delmenhorst“ begleitet Reporter, die Unfälle filmen, Brände, Katastrophen überhaupt. Dabei filmen sie nicht nur verunglückte Lastwagen, sondern kommen auch den Verletzten und Toten nahe – und deren Angehörigen. Sie drehen Bilder, die dann später im Fernsehen laufen – in Boulevardmagazinen in privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern, aber auch in der Tagesschau. Kein Job für jedermann.

Der Reporter Julian Amershi arbeitet mit als Blaulichtfilmer und erlebt berührende, aber auch skurrile Momente in einer Welt, in der der Ausnahmezustand der Alltag ist. Eine interessante Reportage aus einer Welt, die auch viele Journalistenkollegen nicht kennen.

Sigi Maurer: „Es ist das Patriarchat“

In ihrem Republica-Talk erzählt die Österreicherin Sigi Maurer darüber, wie sie im vorigen Jahr sexualisiert beleidigt, vom mutmaßlichen Täter angezeigt und verurteilt worden. Mittlerweile wird der Fall neu aufgerollt. Auch eine große Geschichte in den österreichischen und deutschen Medien im Jahr 2018.

Bilanz der Republica 2019: Neue Ideen und alte Diskussionen

Drei Tage lang haben sich in Berlin auf der re:publica Netzaktivisten, Politiker und Journalisten getroffen. Urheberrechtsreform, Netzpessimismus, Netzregulierung – Europas größte Digitalkonferenz hat viele große Themen berührt. Für den Deutschlandfunk habe ich einen Überblick am dritten und letzten Tag der Konferenz gegeben.