US-Medien und Trump: „Überforderung des Systems“

Wenn die US-Amerikaner nichts mehr schreiben oder lesen wollen über sexuelle Übergriffe des amerikanischen Präsidenten, so habe das mit einer kompletten Überforderung von Öffentlichkeit und Journalismus zu tun. Das sagte der Politikwissenschaftler und Philosoph Michael Werz im Dlf. Ich habe ihn für @mediasres interviewt.

Foulen im Kampf gegen grüne „Mainstream-Medien“

Der Publizist Wolfgang Bok wirft den deutschen Medien vor, die Grünen großgeschrieben zu haben und abweichende Meinungen zu unterdrücken. Um das zu belegen, hantiert er mit falschen Zahlen, irreführenden Zitaten und fehlenden Kontexten. Meinen kleinen Thread von gestern habe ich noch mal für Übermedien etwas ausführlicher aufgeschrieben.

Nachtrag, 26. Juni: Kollege René Martens weist per Twitter darauf hin, dass es über Wolfgang Bok schon einen Artikel gibt, der 2013 im „Neuen Deutschland“ erschienen ist.

Presserat: bild.de hat sich zum Werkzeug des Christchurch-Täters gemacht

Der Deutsche Presserat hat bild.de dafür gerügt, dass es Sequenzen aus dem Video des Christchurch-Attentäters veröffentlicht hat. Dieser hatte im März die Tötung von mehr als 50 Menschen live bei Facebook übertragen. bild.de hatte Video-Ausschnitte gewählt, die den Täter auf dem Weg zu den Moscheen und beim Laden einer Waffen zeigten. Von den eigentlichen Tötungen zeigte die Redaktion nur Standbilder.

Der Presserat kritisiert: „Mit der Veröffentlichung seiner Video-Ausschnitte bot die Redaktion dem Täter genau die öffentliche Bühne, die er haben wollte.“ Sie habe damit gegen Richtlinie 11.2 des Pressekodex verstoßen, in der es heißt:

Bei der Berichterstattung über Gewalttaten, auch angedrohte, wägt die Presse das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegen die Interessen der Opfer und Betroffenen sorgsam ab. Sie berichtet über diese Vorgänge unabhängig und authentisch, lässt sich aber dabei nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen. Sie unternimmt keine eigenmächtigen Vermittlungsversuche zwischen Verbrechern und Polizei.

Mit ihrer Berichterstattung habe die Redaktion aber genau das getan, sich nämlich zum Werkzeug von Verbrechern gemacht. Der Presserat kritisiert weiter:

Diese Bilder reichten jedoch, um Assoziationen zu erzeugen, die weit über das berechtigte öffentliche Interesse an dem Geschehen hinausgingen. Auch die detaillierte, dramatisierende Schilderung und drastische Bebilderung im  Begleittext zum Video bedienten nach Ansicht des Beschwerdeausschusses überwiegend Sensationsinteressen.

Ich hatte das im März im Deutschlandfunk entsprechend kommentiert:

Die Medien, die sich auf die Logik des Attentäters von Christchurch eingelassen haben, waren Komplizen bei seiner Tat. Denn sie haben das vollendet, was er begonnen hat. Der Täter hat die mediale Verbreitung seiner Tat einkalkuliert. Wer ihm hilft, macht sich mitschuldig – an diesem Verbrechen, aber auch an denen von Nachahmern.

Denn dem rechtsextremen Attentäter ging es nicht nur darum, viele Muslime zu töten. Er wollte auch, dass die Welt das erfährt.

Chefredakteur Julian Reichelt war das egal. Er hatte schon zur Veröffentlichung kommentiert:

Journalismus ist dazu da, Bilder der Propaganda und Selbstdarstellung zu entreißen und sie einzuordnen. Erst die Bilder verdeutlichen uns die erschütternde menschliche Dimension dieser Schreckenstat.

Genau das hatte bild.de aber nicht getan. Es hat die Bilder nicht der Propaganda entrissen, sondern die Propaganda fortgeführt. Das sieht auch der Presserat so. bild.de hat sich mit Anerkennung des Pressekodex dazu verpflichtet, Rügen zu veröffentlichen. Beim Presserat heißt es:

Die öffentliche Rüge ist die härteste Sanktion der Beschwerdeausschüsse. Sie muss von der Redaktion in einer ihrer nächsten Ausgaben veröffentlicht werden.

Mal sehen, ob das tatsächlich passiert.

Die 90er haben angerufen und wollen ihre Spam-Mail zurück…

Heute kommen die offenbar per Twitter-Direktnachricht. Von einem frisch angelegten Account, mit einem gefälschten Namen, einem Twitter-Handle mit vielen Zahlen dahinter (@JAMESED39981369) und einem geklauten Foto, das den CEO der Barclays Bank zeigt, James E. Staley.

Die Mail liest sich aber ganz lustig:

Liebe Pommes Ich bin James .E. Staley, Geschäftsführer der Barclays Bank in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ich schreibe Ihnen diesen Vorschlag in gutem Glauben in der Hoffnung, dass ich mich bei einer Geschäftstransaktion auf Sie verlassen kann, die absolute Vertraulichkeit erfordert und von großem Interesse ist und unseren beiden Familien zugute kommt Herr Husson Fries, ein Emiratsbürger, dessen Nachname mit Ihrem Namen identisch ist und dessen Herkunftsort Ihr Land ist, hat bei meiner Bank eine feste Einzahlung von 36 Monaten im Wert von 26.700.000 USD geleistet. Ich war sein Account Officer, bevor ich zum Geschäftsführer aufstieg. Der Fälligkeitstermin für diesen Einlagenvertrag war der 27. September 2010. Leider gehörte Husson Fries zu den Todesopfern des Erdbebens in Indonesien im September 2009, bei dem mehr als 1.200 Menschen auf Geschäftsreise ums Leben kamen. Seit dem letzten Quartal 2010 Bis heute hat die Geschäftsführung meiner Bank nach Möglichkeiten gesucht, ihn zu erreichen, um festzustellen, ob er die Einzahlung verlängern oder die Vertragssumme zurückziehen wird. Als ich herausfand, dass dies passieren wird, habe ich versucht, mir ein Verfahren auszudenken, um diese Mittel zu erhalten und den Erlös für geschäftliche Zwecke zu verwenden. Einige Direktoren hier haben versucht, die Informationen über dieses Konto und den Eigentümer von mir zu erfahren, aber ich habe sie geschlossen gehalten, weil ich weiß, dass sie, wenn sie feststellen, dass Herr Husson zu spät kommt, die Gelder für sich selbst umleiten werden. Bitten Sie daher um Ihre Mitarbeit, um Sie als denjenigen zu präsentieren, der bei seinem Tod von seinem Fonds profitiert, da Sie den gleichen Namen haben, damit mein Hauptsitz die Mittel an Sie auszahlt. Ich habe genug Insidebank-Vereinbarungen getroffen, und Sie müssen nur Ihre Daten in das Informationsnetz in den Bankcomputern eingeben und Sie als seine nächsten Verwandten angeben. Wenn Sie diesem Vorschlag zustimmen, beabsichtige ich, dass Sie 50% der Mittel behalten während 50% für mich sein sollen. Bitte leiten Sie Ihre Antwort an mich weiter. Email===barclaysjames11@gmail.com

Soweit von mir – schöne Grüße von Pommes!

Entlarven oder ignorieren – was müssen die Öffentlich-Rechtlichen gegen Fake News tun?

Haben die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland eine besondere Aufgabe, etwas gegen Desinformation und Propaganda im Netz zu tun? Eine Frage, die man kontrovers diskutieren kann. Schließlich sind Medien in erster Linie dazu da, zu berichten, was passiert ist, und nicht, was nicht passiert ist. Ich finde diese Frage pauschal schwierig zu beantworten. Man könnte vermutlich seine ganzen Ressourcen darauf verwenden, um angebliche Nachrichten richtigzustellen.

Aber macht man damit nicht auch auf Meldungen aufmerksam, die besser gar nicht erst verbreitet würden? Patrick Gensing nennt es kontraproduktiv, jede dieser Meldungen in der 20-Uhr-Tagesschau vorzustellen.

Über das Thema haben auf der Republica diskutiert:

  • Ina Ruck, ARD-Korrespondentin in Russland, ehemals in den USA
  • Jan Schulte-Kellinghaus, rbb-Programmdirektor
  • Stefan Niggemeier, Übermedien
  • Patrick Gensing, Leiter Faktenfinder tagesschau.de
  • Anna-Mareike Krause, Head of Social Media, rbb

Moderation: Teresa Sickert

 

Bild lässt Greta Thunberg die Schule schwänzen, obwohl sie gar nicht mehr hin muss

Dass Greta Thunberg und die Schüler, die seit Wochen und Monaten freitags nicht in die Schule gehen, von Politikern und Journalisten diffamiert werden, ist nichts Neues.

Statt über deren Anliegen, nämlich mehr Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe, zu diskutieren, sprechen sie lieber darüber, dass die Schüler ihrer Schulpflicht nicht nachkommen – also schwänzen. Das ist ganz praktisch, weil es vom eigentlichen Thema ablenkt – klassisches Derailing, wie es von Trollen im Netz praktiziert wird, aber auch Politikern und Journalisten nicht fremd ist.

Auch die Bild-Zeitung nutzt dieses Framing und schreibt jetzt zum Beispiel:

Greta Thunberg (16) wird das kommende Schuljahr ganz schwänzen – um sich dem Kampf gegen die Klima-Krise zu widmen!

In der Überschrift heißt es zwar noch relativ neutral:

Allerdings verrät die URL, dass der Artikel ursprünglich mit anderem Titel online gegangen ist oder gehen sollte:

https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/greta-thunberg-klimaaktivistin-wird-ein-jahr-lang-die-schule-schwaenzen-62336250.bild.html

Und auch die Vorschau im Tweet von Kevin Kühnert zeigt das:

Allerdings weist Kühnert zurecht darauf hin, dass das so nicht stimmt. Denn Greta schwänzt nicht die Schule. Das würde nur gelten, wenn sie so gegen die Schulpflicht verstoßen würde – was sie aber nicht tut, wie die Bild selbst später im Artikel schreibt:

Um ihre Schulzeit mache sie sich keine Sorgen, sagte Thunberg. Sie werde einfach ein Jahr später aufs Gymnasium wechseln. Normalerweise stünde für die junge Schwedin im August der Wechsel auf eine weiterführende Schule an. In den ersten neun Jahren gilt Schulpflicht.

Interessanterweise schreibt die Bild im selben zuerst zitierten Satz aber auch von der Klimakrise – und nutzt damit ein stärkeres Framing als mit dem sonst üblicherweise oft genutzten Begriff Klimawandel. Ein Wandel kann in die eine oder andere Richtung gehen, also auch einen positiven Wandel bringen. Beim Klima geht es allerdings für uns Menschen in eine negative Richtung, deswegen sind Begriff wie Klimakatastrophe und Klimakrise aus Sicht derjenigen, die diesen bekämpfen wollen, passender.

Welche Folgen haben journalistische Recherchen?

Journalismus wirkt. Das hat diesen Monat die Veröffentlichung des Videos mit dem österreichischen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gezeigt. Er ist als Vizekanzler und Parteichef zurückgetreten, die FPÖ-Minister haben die Regierung verlassen, im Herbst gibt es Neuwahlen. Selten hat journalistische Arbeit so schnell so deutliche Auswirkungen.

Aber auch die Panama und Paradise Papers, die Steuerbetrugsfälle von CumEx und Football Leaks haben teilweise Sensationelles zu Tage gefördert. Im Anschluss gibt es manchmal große Aufregung, aber oft verpufft ein aufgedeckter Skandal danach schnell wieder. Was können Journalisten mit investigativen Recherchen überhaupt noch ausrichten? Ich habe mich für @mediasres im Deutschlandfunk mit der Frage befasst.

Die Akte Hannibal – ein Werkstattbericht

Die Tageszeitung „taz“ hat herausgefunden, dass es rechtsextreme Netzwerke von Polizisten und Soldaten gibt. Stichwort: Hannibal. Ihre ersten Veröffentlichungen haben aber keine große Beachtung gefunden. Erst als auch das Nachrichtenmagazin „Focus“ und das ZDF-Magazin „Frontal 21“ einstiegen, bekamen sie eine größere mediale Öffentlichkeit.

Auf der Republica haben taz-Redakteurin Christina Schmidt und ihre Kollegen erzählt, was sie recherchiert haben und welche Folgen das hatte.

Nachher hat mir Christina Schmidt im Interview erzählt, dass sich vor allem Politiker für die Berichte interessiert hätten. Abgeordnete im Bundestag und in Landtagen hätten Anfragen an die zuständigen Behörden gestellt. Und auch personell habe es Konsequenzen gegeben.

Was wir aber sehen, sind eine Reihe von kleineren oder mittleren Veränderungen, beispielsweise gibt es einen Verfassungsschutzmitarbeiter in Baden-Württemberg, der hat in seiner Freizeit einen Verein ins Leben gerufen, der militärtaktische Trainings für Zivilisten anbietet. Als das Innenministerium das dann mitbekommen hat bzw. wir diese Personalie veröffentlicht haben, haben sie ihn dort abgezogen und versetzt.

Doch viel mehr passierte nicht. Auch öffentlich nicht. Und das, obwohl sich Journalisten nach dem Auffliegen der Terrorgruppe NSU geschworen hätten, in Sachen Rechtsextremismus genauer hinzuschauen, sagt Schmidt.

Irgendwie funktioniert es nicht, diese Informationen dazu zu bringen, dass auf der anderen Seite damit weitergearbeitet wird. Und einerseits ist natürlich die Frage: Berichten wir Journalisten falsch? Also finden wir die falschen Formate, hat keiner Lust, uns zuzuhören? Aber die andere Frage ist natürlich auch an den Rest der Gesellschaft: Warum hören die so wenig zu? Und darauf habe ich keine Antwort.

Mehr zu den Folgen journalistischer Recherchen demnächst hier.

„Klimakatastrophe“ statt „Klimawandel“: Guardian wählt künftig andere Worte für Berichte über das Klima

Klimawandel – ein Begriff, den wir schon so lange hören, dass wir gar nicht mehr realisieren, wie wenig aussagekräftig er eigentlich ist für das, was er uns sagen soll. Denn es geht ja nicht nur um einen Wandel in die eine oder andere Richtung, es geht nicht um einen natürlichen Prozess, sondern um eine dramatische Verschlechterung der klimatischen Bedingungen für uns Menschen. Trotzdem wird dieser Begriff in der öffentlichen Diskussion immer noch oft verwendet, auch von Journalisten.

Der britische Guardian will das jetzt ändern und in seiner Berichterstattung über das Klima deutlichere Worte wählen. Er hat deshalb seinen Style-Guide aktualisiert. Dort heißt es jetzt etwa zum Begriff „Klimawandel“ (Übersetzung von mir):

…wird nicht länger als akkurat angesehen, um die Ernsthaftigkeit der Lage zu beschreiben; besser benutzen: Klimanotstand, Klimakrise oder Klimazusammenbruch

War bisher die Rede von Klimaskeptiker, so will der Guardian künftig vom „Klimaleugner“ sprechen:

das OED (Oxford English Dictionary) definiert einen Skeptiker als „Sucher nach der Wahrheit; ein Fragender, der noch nicht zu definitiven Schlussfolgerungen gelangt ist. Die meisten „Klimaskeptiker“ leugnen trotz überwältigenden wissenschaftlichen Beweisen, dass Klimawandel stattfindet oder dass er vom Menschen verursacht sind, also ist Klimaleugner genauer.

Möglicherweise liegt es an meinen Übersetzungsfähigkeiten, aber ich würde den Begriff Klimaleugner im Deutschen so nicht verwenden, denn geleugnet wird ja nicht das Klima, sondern ein menschengemachter Klimawandel.

Und statt „globaler Erwärmung“ will der Guardian künftig von „globaler Erhitzung“ sprechen.

Chefredakteurin Katharine Viner wird in ihrer Zeitung wie folgt zitiert (Übersetzung wieder von mir):

Wir wollen sicherstellen, dass wir wissenschaftlich präzise sind und gleichzeitig diese sehr wichtige Thema klar gegenüber unseren Lesern kommunizieren. Der Begriff „Klimawandel“ zum Beispiel klingt eher passiv und sanft, obwohl das, worüber Wissenschaftler sprechen, eine Katastrophe für die Menschheit ist.

Es ist ein bemerkenswerter Wandel in der Berichterstattung, der das Framing für die Berichte deutlich ändern wird.

@mediasres zum Strache-Video

Ich habe am Montag bei Twitter darauf hingewiesen, was für eine tolle Sendung die Kolleg*innen von @mediasres im Deutschlandfunk zum Strache-Video abgeliefert haben. Abseits der politischen Umbrüche, die das Video mit sich gebracht hat, gab es viele Medienaspekte, die sie dort aufgearbeitet haben.

So hat Spiegel-Redakteur Martin Knobbe erzählt, wie man das Ibiza-Video ausgewertet habe. Das habe für Aufklärung gesorgt über eine Partei, „die nach außen hin gewisse Themen und Tugenden propagiert, hinter der Fassade aber ganz, ganz anders aussieht“.

In dem Video spricht der mittlerweile zurückgetretene FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache auch darüber, wie seine Partei mehr Einfluss bei der wichtigsten Zeitung des Landes bekommen könnte, der „Kronen-Zeitung“. Darin zeige sich ein für rechte Parteien typisches Muster im Umgang mit Medien, sagte Journalistin Malene Gürgen.

Der Chefredakteur der Zeitung, Klaus Herrmann, erzählt, dass diese oft in der Kritik gestanden habe, weil sie besonders freundlich über die FPÖ berichtet habe. Aber diese „objektive oder korrekte Berichterstattung wurde von den Freiheitlichen ganz offensichtlich ohnehin nicht geschätzt“.

Schon kurz nach der Veröffentlichung des Videos hatte der baden-württembergische Landesbeauftragte für Datenschutz, Stefan Brink, schon Zweifel angemeldet, dass diese rechtmäßig ist. Die Veröffentlichung sei datenschutzrechtlich hochproblematisch, sagte Brink im Dlf. Man hätte die Geschichte auch ohne das Video erzählen können.