Der CDU-Parteitag als Fernsehshow

Die Wahl von Armin Laschet zum CDU-Chef fand coronabedingt nicht vor großem Publikum und mit viel Applaus statt. Doch auch ein digitaler Parteitag bietet viele Möglichkeiten zur medialen Inszenierung – und erinnert manchmal sogar an eine Fernsehshow.

Ich habe mir das heute für @mediasres im Deutschlandfunk angeschaut – zusammen mit dem Berliner Politikwissenschaftler Thorsten Faas, der taz-Korrespondentin Sabine am Orde und dem Düsseldorfer Kommunikationswissenschaftler Marco Dohle.

Wie arbeiten Auslandsjournalisten in der Corona-Krise?

Viele Korrespondentinnen und Korrespondenten berichten derzeit nicht wie gewohnt aus dem Ausland – weil die Sender während der Coronakrise eine Abwägung treffen müssen zwischen der Pflicht zur Berichterstattung und der Sicherheit der Mitarbeiter. Wie kann Auslandsberichterstattung jetzt noch funktionieren?

Darüber habe ich in einer spannenden Runde geredet – mit

  • Thilo Kößler, USA-Korrespondentin des Deutschlandradios in Washington, im Moment aber im Homeoffice in Köln, weil er wegen familiärer Gründe ausreisen musste und nun wegen des Einreisestopps nicht zurück kann
  • Simone Schlindwein, Pauschalistin für die taz in der Region der Großen Seen in Afrika, unter anderem für Uganda, Ruanda und die Demokratische Republik Kongo, wegen Ausgangsbeschränkungen im Moment im Homeoffice in Kigali
  • Marc Dugge, ARD-Hörfunkkorrespondent in Madrid
  • Ulf Röller, ZDF-Korrespondent Ostasien in Peking

Ich habe unter anderem danach gefragt, wie in so einer Krise die Auslandsberichterstattung gesichert werden kann, wo es in vielen Ländern Ausgangsbeschränkungen gibt, die teilweise auch Journalistinnen und Journalisten betreffen, Berichterstattung also teilweise nicht möglich ist.

Eine meiner Fragen: Können gerade öffentlich-rechtliche Sender ihre Korrespondenten nicht abziehen, weil sie wegen des Rundfunkbeitrags einen besonderen Informationsauftrag haben? Darüber musste ZDF-Korrespondent Ulf Röller laut lachen – auch wenn das merkwürdig klinge, sagte er, es sei gerade die spannendste Zeit seines Journalistenlebens und er wolle gar nicht zurück.

Auch Thilo Kößler zieht es zurück in die USA; sobald es möglich wird, will er wieder zurück.

Eine interessante Runde von einer Kollegin und drei Kollegen, die für ihre Arbeit brennen und das Beste aus der Situation machen.

Kann man hier hören und noch ein paar Zusatzinfos dazu lesen, welche Medien ihre Berichterstattung teilweise einschränken mussten, weil die Korrespondent*innen nicht am Ort sein können.

Corona-Krise zwingt Medien zu mehr Transparenz

Lange hatten sich Medien gescheut, ihre eigene Arbeit transparent zu machen. Die Corona-Krise zwingt sie jetzt dazu, weil sie die Arbeitsbedingungen verändert, was auch Auswirkungen auf die Berichterstattung hat und in Radio und Fernsehen auch aufs Programm.

Im Deutschlandfunk hat Redakteur Mario Dobovisek schon vor Beginn der Ausgangsbeschränkungen erzählt, wie sich das Haus vorbereitet – in Kurzfassung bei @mediasres (Audiothek), in Langfassung im Podcast „Der Tag“ (Audiothek). Seit Montag sendet der Deutschlandfunk ein leicht verändertes Programm, um Ressourcen für bevorstehende Zeiten zu schonen.

Dass Journalist*innen mittlerweile anders arbeiten, lässt sich ja auch kaum noch verheimlichen. Immer öfter werden Interviews nicht persönlich geführt, sondern über Messenger und Video-Chats im Netz. Im Radio hört man das an anderer O-Ton-Qualität, im Fernsehen an schlechten Bildern bzw. daran, dass gleich eingeblendet wird, dass die O-Ton-Geber nur zugeschaltet sind, etwa indem auch der Bildschirm zu sehen ist, auf dem die Gesprächspartner sind.

Im NDR-Medienmagazin „Zapp“ macht Autorin Caroline Schmidt transparent, wie sie über einen „Spiegel“-Redakteur im Homeoffice zu berichten versucht, ohne dass sie selbst ins Haus darf.

Zapp berichtet in den kommenden Wochen über die Arbeitsbedingungen von Journalist*innen in der Corona-Krise. In der zweiten Folge darf Schmidt auch nicht ins ARD-Hauptstadtstudio, was sie ebenfalls transparent macht.

Dass Medienmagazine das machen, ist natürlich nicht neu. Aber auch andere Redaktionen tun das jetzt verstärkt – und informieren auch in eigenen Artikeln über ihre neuen Arbeitsbedingungen.

So schreibt ARD-Fernsehkorrespondentin Tamara Anthony über ihr Leben in der Quarantäne in Peking:

Arbeiten von unterschiedlichen Orten ist das geringste Problem. Wir machen Konferenzen per Video-Schalte und haben “remote” – ich in Quarantäne, Katrin im Schnitt – zwei Tagesschauen aus Agenturmaterial produziert. So zum Beispiel unseren Bericht aus Anlass des Abebbens der Krise und über den Versuch der chinesischen Regierung, Zweifel zu säen über den Ursprungsort des Virus.

Die „Süddeutsche Zeitung“ erlebt redaktionelle „Veränderungen im Zeitraffer“:

Eine Redaktion ist ein lebendiger Organismus. Die SZ-Redaktion, so würden Wohlmeinende vielleicht sagen, ist ein besonders lebendiger. Das Leben dieses Organismus musste sich nun sehr schnell neu sortieren, so schnell wie noch nie in der 75-jährigen Geschichte dieser Zeitung. Die Vorbereitungen darauf begannen vor Wochen, als die ersten Meldungen über abgesperrte Gebiete in Italien die Runde machten. Notfallpläne wurden geschrieben, zusätzliche Notebooks mit Lieferwagen aus Lagern in das Verlagsgebäude gebracht. Die IT-Abteilung stockte die Zugänge zu den gesicherten Leitungen und die Bandbreite auf.

Der „Stern“ gibt Einblicke, wo seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerade zu Hause arbeiten, weist aber auch auf ein Privileg von Journalist*innen hin:

Natürlich haben wir trotz allem Glück. Im Gegensatz zu vielen anderen Berufsgruppen lässt sich die Arbeit einer Redaktion leicht – und Dank einer Meisterleistung der technischen Abteilungen auch recht problemlos – ins Homeoffice verlagern.

„Die Zeit“ berichtet, wie groß der Bedarf an journalistischer Arbeit ist, während diese gleichzeitig schwieriger wird, was auch Auswirkungen aufs Schreiben hat:

Auch deshalb hat sich unsere meinungsfreudige Onlineredaktion in diesen Zeiten etwas Zurückhaltung verordnet und sucht weniger nach originellen Standpunkten als nach Erkenntnis und Evidenz. Alle Beiträge unseres Wissen-Ressorts etwa sind trotz des erheblich höheren Zeitdrucks, wie sonst auch, durch zahlreiche Gespräche mit den führenden Experten, durch wissenschaftliche Quellen (die wir stets nennen) und mehrfache interne Prüfungen abgesichert.

Die Tageszeitung „taz“ beklagt, dass persönliche Gespräche schwer zu ersetzen seien:

Wie geht das ohne persönliches Gespräch? Nur am Telefon? Schon jetzt arbeiten wir mit einer Teamsoftware, durch die man in virtuellen Räumen chatten kann, dort haben wir vergangene Woche der Raum „Corona-Themen“ eröffnet. Doch das persönliche Gespräch ist nicht so leicht zu ersetzen wie Händeschütteln. Corona bedeutet, dass wir uns einschränken, aber zugleich alternativ denken müssen.

Das ist eine positive Entwicklung. Inwiefern sie von Nutzerinnen und Nutzern honoriert wird, ist natürlich schlecht zu sagen. Der Mainzer Journalismusprofessor Tanjev Schultz findet allerdings – unabhängig von der aktuellen Entwicklung – dass Transparenz ein Grund dafür sein, das Medienvertrauen zu stärken. Im Interview mit dem Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres (Audiolink) sagte er mir am 26. Februar, als er seine neue Studie zum Medienvertrauen vorstellte:

Ich habe den Eindruck und wir in unserer Forschungsgruppe, dass es damit zusammenhängt, dass die Medien sehr viel mehr jetzt auch über sich selber diskutieren, auch Dinge transparent machen. Und dass auch diese Angriffe seit den vergangenen drei, vier, fünf Jahren, die es gegen Medien gibt, gegen das öffentlich-rechtliche Fernsehen oder überhaupt gegen die Presse, dass das die Leute dazu eigentlich fast zwingt, Stellung zu beziehen. Was früher eher so latent im Kopf war, da hat man nicht unbedingt drüber nachgedacht so sehr, das ist jetzt doch sehr bewusst geworden. Und die Menschen müssen sich irgendwie dazu verhalten, und sie erleben ja auch, dass permanent irgendwelche Gerüchte und Falschnachrichten auch über Social-Media-Kanäle reinkommen, und vielen Menschen dadurch auch wiederum klar wird: Ach, es ist vielleicht doch nicht so ganz verkehrt, seriöse Journalisten zu haben.

Es wäre eine gute Entwicklung, würden Medien nicht nur in der Corona-Krise an ihrer neuen Transparenz festhalten, sondern auch danach. Das Vertrauen in Medien kann das nur stärken.

 

Nachtrag (29. März 2020, 14.15 Uhr): Auch der Bayerische Rundfunk legt offen, wie seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten – im Studio und zu Hause.

Nachtrag (4. April 2020, 13.00 Uhr): Wie es der Südwestrundfunk macht, erkärt er hier. Danke an Kollegin Sandra Müller für den Hinweis.

Auch die Freie Presse Chemnitz informiert seit knapp zwei Wochen immer wieder in Youtube-Interviews mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen über ihre Arbeit.

Ex-Gauland-Mitarbeiter klagt gegen taz

Die Berliner Tageszeitung hatte über einen ehemaligen Mitarbeiter von AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland berichtet.

Der Mann war in seiner Jugend von 1999 bis 2004 Mitglied der später verbotenen rechtsradikalen HDJ (Heimattreue Deutsche Jugend) und hatte dort eine Funktion übernommen, die für die Koordinierung der technischen Dienste in den von der HDJ ausgerichteten Jugendlagern zuständig war.​

So schreibt es taz-Anwalt Jony Eisenberg im taz-Hausblog. Nach dem Bericht klagte der Mann gegen alle Medien, die namentlich über ihn berichtet hatten. Jetzt hat das Oberlandesgericht Düsseldorf angekündigt, eine Klage abzuweisen. Über den Fall habe ich (schon am vergangenen Mittwoch) für @mediasres im Deutschlandfunk mit Jony Eisenberg gesprochen (Audio).

Welche Folgen haben journalistische Recherchen?

Journalismus wirkt. Das hat diesen Monat die Veröffentlichung des Videos mit dem österreichischen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gezeigt. Er ist als Vizekanzler und Parteichef zurückgetreten, die FPÖ-Minister haben die Regierung verlassen, im Herbst gibt es Neuwahlen. Selten hat journalistische Arbeit so schnell so deutliche Auswirkungen.

Aber auch die Panama und Paradise Papers, die Steuerbetrugsfälle von CumEx und Football Leaks haben teilweise Sensationelles zu Tage gefördert. Im Anschluss gibt es manchmal große Aufregung, aber oft verpufft ein aufgedeckter Skandal danach schnell wieder. Was können Journalisten mit investigativen Recherchen überhaupt noch ausrichten? Ich habe mich für @mediasres im Deutschlandfunk mit der Frage befasst.

Die Akte Hannibal – ein Werkstattbericht

Die Tageszeitung „taz“ hat herausgefunden, dass es rechtsextreme Netzwerke von Polizisten und Soldaten gibt. Stichwort: Hannibal. Ihre ersten Veröffentlichungen haben aber keine große Beachtung gefunden. Erst als auch das Nachrichtenmagazin „Focus“ und das ZDF-Magazin „Frontal 21“ einstiegen, bekamen sie eine größere mediale Öffentlichkeit.

Auf der Republica haben taz-Redakteurin Christina Schmidt und ihre Kollegen erzählt, was sie recherchiert haben und welche Folgen das hatte.

Nachher hat mir Christina Schmidt im Interview erzählt, dass sich vor allem Politiker für die Berichte interessiert hätten. Abgeordnete im Bundestag und in Landtagen hätten Anfragen an die zuständigen Behörden gestellt. Und auch personell habe es Konsequenzen gegeben.

Was wir aber sehen, sind eine Reihe von kleineren oder mittleren Veränderungen, beispielsweise gibt es einen Verfassungsschutzmitarbeiter in Baden-Württemberg, der hat in seiner Freizeit einen Verein ins Leben gerufen, der militärtaktische Trainings für Zivilisten anbietet. Als das Innenministerium das dann mitbekommen hat bzw. wir diese Personalie veröffentlicht haben, haben sie ihn dort abgezogen und versetzt.

Doch viel mehr passierte nicht. Auch öffentlich nicht. Und das, obwohl sich Journalisten nach dem Auffliegen der Terrorgruppe NSU geschworen hätten, in Sachen Rechtsextremismus genauer hinzuschauen, sagt Schmidt.

Irgendwie funktioniert es nicht, diese Informationen dazu zu bringen, dass auf der anderen Seite damit weitergearbeitet wird. Und einerseits ist natürlich die Frage: Berichten wir Journalisten falsch? Also finden wir die falschen Formate, hat keiner Lust, uns zuzuhören? Aber die andere Frage ist natürlich auch an den Rest der Gesellschaft: Warum hören die so wenig zu? Und darauf habe ich keine Antwort.

Mehr zu den Folgen journalistischer Recherchen demnächst hier.

„Die taz wendet sich gegen jede Form der Diskriminierung“ – im Redaktionsstatut

Journalisten sollten keine Haltung haben dürfen, ist eine unter einigen Kollegen verbreitete Meinung. Objektiv und neutral sollten sie sein (wenngleich das verschiedene Dinge sind) und sich „mit keiner Sache gemein machen“, womit der legendäre Tagesthemen-Moderator und Korrespondent Hanns-Joachim Friedrichs gerne verkürzt und damit sinnentstellend zitiert wird.

Ich halte das für falsch. Journalismus geht nicht ohne Haltung, wie ich hier schon mal ausführlicher beschrieben habe.

Zum Glück halten es viele Kollegen aber auch nicht so – und noch mehr Verlage und Sender und ihre Redaktionen auch. In einer kleinen losen Reihe will ich daher ein paar dieser Dokumente vorstellen, in denen sich Redaktionen auf Werte verständigt haben, nach denen sie arbeiten wollen.

Mit am berühmtesten ist vermutlich das Redaktionsstatut der Tageszeitung taz. Es „regelt die Beziehungen zwischen Redaktion, Redaktionsrat und Chefredaktion sowie zwischen Chefredaktion und taz-Gruppe“, wie es in Paragraph 1 heißt – und:

Das Statut ist in seiner jeweiligen Fassung Bestandteil der Arbeitsverträge der fest angestellten RedakteurInnen, fest angestellten KorrespondentInnen und fest angestellten AutorInnen (im folgenden: RedakteurInnen) einschließlich der Chefredaktion

Dass sich die taz-Mitarbeiter Werten verpflichtet fühlen, zeigt vor allem Paragraph 2, in dem es unter anderem heißt:

(2) Die taz engagiert sich für eine kritische Öffentlichkeit.

(3) Sie tritt ein für die Verteidigung und Entwicklung der Menschenrechte und artikuliert insbesondere die Stimmen, die gegenüber den Mächtigen kein Gehör finden.

Damit stellt sich die taz eindeutig auf die Seite bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, die in der öffentlichen Debatte sonst unterrepräsentiert sind, weil sie zum Beispiel zu klein sind oder keine Lobby haben. Man kann davon ausgehen, dass damit nicht (große) Parteien gemeint sind, Unternehmen, Unternehmensverbände und große Nichtregierungsorganisationen.

Würde man einer strengen Forderung nach Objektivität folgen, würde die taz damit verstoßen, schließlich haben auch und vielleicht sogar gerade die großen Organisationen genauso einen Anspruch darauf, in der öffentlichen Debatte angemessen dargestellt zu werden. Ich finde die Haltung der taz aber legitim, schließlich bekommen die großen Organisationen schon allein aufgrund ihrer Größe und der unterschiedlichen Schwerpunktsetzung anderer Redaktionen in der Regel genug Aufmerksamkeit. Außerdem verfügen sie wegen ihrer Größe oft auch über genug eigene publizistische Macht, um ihre Anliegen in die Öffentlichkeit zu bringen.

Ich erinnere mich an eine Äußerung der damaligen AfD-Chefin Frauke Petry, die einmal gefordert hatte, auch die Positionen ihrer Partei in der öffentlichen Debatte gleichberechtigt darzustellen – dazu gehörten auch rassistische Positionen, die den Menschenrechten und dem Grundgesetz widersprechen. Solche Positionen haben meiner Meinung nach aber keinen Anspruch darauf, als gleichberechtigt dargestellt zu werden.

(4) Die taz wendet sich gegen jede Form von Diskriminierung.

Entsprechend ist auch dieser Satz im taz-Redaktionsstatut zu sehen, in Verbindung mit den folgenden Absätzen:

(5) Für die Redaktion ist Freiheit die Freiheit der Andersdenkenden, entscheidet sich Demokratie an den demokratischen Rechten jedes einzelnen Menschen.

(6) Die Zeitung ist der wahrheitsgetreuen Berichterstattung verpflichtet; sie bekennt sich zur Tradition ihrer publizistischen Sprache, sie widersteht dem Druck der Stereotype und des sprachlichen und thematischen Konformismus, sie gibt den Beiträgen ihrer RedakteurInnen, KorrespondentInnen und AutorInnen besonderes Gewicht.

Dass solche Grundsätze nun ausgerechnet bei der taz zu finden sind, ist vielleicht keine große Überraschung, tritt sie doch dezidiert links auf und wird von ihren Gegnern entsprechend abklassifiziert. Sie ist deswegen möglicherweise nicht das beste Beispiel, um zu zeigen, dass sich Redaktionen durchaus Werten verpflichtet fühlen. In den folgenden Wochen (oder vielleicht auch Monaten) werde ich jedoch ein paar weitere Redaktionen nennen, die sich wenn auch nicht so explizit und ausführlich, aber durchaus zu Werten bekennen.

Wie sich Zeitungen in Berlin organisieren

Die meisten Tageszeitungen in Deutschland kämpfen seit Jahren mit den Folgen der Digitalisierung: Sie verlieren Abonnenten, Auflage und Anzeigen. Um dennoch Journalismus betreiben zu können, denken sich die Verlage neue Modelle aus. Eins davon: In Berlin betreiben mehrere Verlage Zentralredaktionen (auch Verbundredaktionen genannt), in denen eine Gruppe von Journalisten für gleich mehrere bis über 50 Tageszeitungen arbeitet.

Was sich dahinter verbirgt, darum ging es am Donnerstag bei der Tagung „Formate des Politischen“, die der Deutschlandfunk gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung und der Bundespressekonferenz durchgeführt hat. Zum Anfang hat die Medienjournalistin Ulrike Simon eine Einführung ins Thema gegeben.

Anschließend habe ich darüber mit drei Kollegen gesprochen, die von den Änderungen betroffen sind:

  • Gordon Repinski leitet das Hauptstadtbüro des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Seit dem 1. Oktober gehört es nicht nur zur Madsack-Verlagsgruppe aus Hannover, sondern zu 25 Prozent auch DuMont aus Köln.
  • Während die Tageszeitung taz früher eine Zeitung von vielen war, ist sie im Vergleich zu den neuen Zentralredaktionen heute weniger wichtig. Was das bedeutet, hat Parlamentsredakteurin Anja Maier erklärt.
  • Und Cornelia Haß konnte als Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalisten-Union in der Gewerkschaft Verdi über die Auswirkungen für die betroffenen Kollegen berichten.

Über die Diskussion hat gestern auch Philip Banse für das Medienmagazin @mediasres im Deutschlandfunk berichtet.

Keine gute Figur – über die taz zur Putsch-Nacht

20160718_191714Jürn Kruse (@taz_kruse) kritisiert in der taz die Berichterstattung von ARD und ZDF in der Nacht des Putschversuchs in der Türkei. Er mag dabei nicht Unrecht haben; ich habe die Berichterstattung nicht verfolgt. Und für ihn bin ich jetzt wahrscheinlich auch nur so einer wie die Moderatoren, die er erwähnt, die in den sozialen Netzwerken „die eigenen Sender loben und immer wieder das gleiche Argument abfeuern: Wir recherchieren erst, bevor wir senden!“ Diese Kritik irritiert mich doch ein wenig. Wie arbeitet Kruse denn als Journalist?

Er nennt das Argument „in vierfacher Hinsicht ärgerlich und frech“. Weil es impliziere, dass alle anderen nur ungeprüften Schwachsinn hinausposaunen würde. Wenn er das so sieht…

„Zweitens macht nicht erst die offizielle ARD-ZDF-Verifikation eine Nachricht zu einer Nachricht.“

Aber bitte: Was denn sonst? Berichtet die taz etwa über Dinge, die sie nicht selbst verifiziert hat? Und unter Verifikation verstehe ich auch die Prüfung von Meldungen verschiedener Agenturen, auf die ich mich dann beziehe. Sicherlich macht das auch die taz, und nicht anders arbeiten nach meiner eigenen Erfahrung ARD und ZDF. Es ist eben nicht so, dass sie immer auf die Bestätigung eines eigenen Reporters warten.

„Warum lasst ihr die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht teilhaben an diesem Prozess des Sortierens und Einordnens?“

fragt Kruse weiter – und landet damit einen Punkt. Das, finde ich, ließe sich durchaus machen. Obwohl ich dabei unterscheiden würde, über welches Sujet eigentlich berichtet wird. Geht es um einen Terroranschlag, habe ich meine Bedenken über die atemlose Vor-Ort-Berichterstattung schon gestern hier deutlich gemacht.

Ja, vielleicht haben ARD und ZDF Fehler gemacht in dieser Nacht. Aber nicht alle Argumente dagegen ziehen, bloß weil man sich selbst ärgert. Nein, lieber Jürn Kuse, das haben Sie nicht ganz so gut gemacht.

Schweigekartell und Nachrichtensperren: Die CSU übernimmt Pegida-Argumente

Dass Pegida-Anhänger und AfD-Vertreter einen Großteil der deutschen Medien als “Lügenpresse” beschimpfen, ist nicht neu. Dass mit der CSU jetzt auch eine Regierungspartei die gleichen Vorwürfe äußert (freilich ohne den Begriff zu verwenden), allerdings schon – und es ist sehr bedenklich.

Als erstes erhob Generalsekretär Andreas Scheuer diese Vorwürfe. Im Deutschlandfunk etwa sagte er unter Bezugnahme auf die Berichterstattung rund um #koelnhbf:

Die Menschen wollen, dass Klarheit und Wahrheit berichtet wird. Und wenn dort Hunderte von gewaltbereiten Männern sich eingefunden haben, vielleicht verabredet über soziale Netzwerke, dann haben wir eine neue Qualität der Gewalt, und da appelliere ich an alle, dass wir über Klarheit und Wahrheit berichten. Die Menschen, die in Sorge sind in unserer Gesellschaft, wie sich unsere Gesellschaft entwickelt, die kritisieren genau das, dass es eine veröffentlichte Meinung teilweise gibt, die nicht die Realität widerspiegelt, weil man meint, man muss hier eine falsch verstandene Vorsicht an den Tag legen.

Scheuer bedient sich hier einer immer wieder von Rechtspopulisten verwendeten Methode: Er unterstellt, dass “die Wahrheit“ bewusst verschwiegen wird, obwohl sie bekannt ist. Allerdings gab es in Köln zum Zeitpunkt des Interviews am Mittwochmorgen zum einen schon genug Informationen für eine umfassende Berichterstattung, wie sie auch erfolgt ist, allerdings mehr einzelne Erlebnisberichte als belastbare Fakten.

Erst im Laufe des Donnerstags wurden Einsatzberichte von Polizisten an die Medien durchgestochen, die Zahl der Strafanzeigen stieg weiter an, Beweismittel wurden gefunden, Videos ausgewertet. Scheuer verlangt, dass Journalisten mehr wissen als alle anderen zusammen – und auch mehr als die Polizei. Er verlangt, dass über Fakten berichtet werden, die keiner kennt.

Er stellt zudem die “veröffentlichte Meinung” der “Realität” gegenüber. Diese Formulierung mag der Interviewsituation geschuldet sein, ich möchte aber darauf hinweisen, dass sich die Realität über Ereignisse wie die am Kölner Hauptbahnhof nicht über Meinungen abbildet, sondern über Fakten. Ich will nicht hoffen, dass Scheuer meint, die Meinung vieler Menschen müsse die Berichterstattung über die “Realität” bestimmen.

Wieso wussten wir anfangs noch nicht so viel? Der Journalist Thomas Knüwer hat das bei “Eine Stunde Was mit Medien”* bei DRadio Wissen am Donnerstag so eingeordnet:

Ich glaube am Ende nicht und sehe das auch anders als viele andere. Am Tag danach hat die Polizei gesagt: Da war nix. So sehr wir die Medien mögen: Sie können nicht an jeder Ecke in einer Silvesternacht Journalisten stellen.

Wenn schon die Polizei überfordert war, alle Strafanzeigen in dieser Nacht entgegenzunehmen und die Situation zu befrieden – wie sollen Journalisten dazu in der Lage sein, alle relevanten Informationen zu sammeln?

Andreas Scheuer bedient sich hier rechtspopulistischer Ressentiments. In die gleiche Kerbe schlägt sein Parteifreund Hans-Peter Friedrich. “Es ist ein Skandal, dass es Tage gedauert hat, bis die öffentlich-rechtlichen Medien die Berichte aufgegriffen haben”, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Er äußerte den Verdacht, “dass die gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Medien ihrem Informationsauftrag nur noch unzureichend nachkommen“. Friedrich sprach über ein „Schweigekartell“ und fabulierte über „Nachrichtensperren“, wenn es um Vorwürfe gegen Ausländer gehe. Zumal er wenig konkret wird, wie auch die taz bemerkt:

Von wem sollen die vermeintlichen „Nachrichtensperren“ ausgegangen sein? Wer ist Teil des „Schweigekartells“? Schon sind wir in der wunderbaren Welt der Verschwörungstheorien – powered by H.-P. Friedrich.

Friedrich urteilt a posteriori über eine Situation, die selbst die Kölner Polizei offenbar zunächst verschleiert hat. Erst nach und nach wurde das Ausmaß der sexuellen Übergriffe deutlich. Friedrich schneidet seine Kritik geschickt auf die öffentlich-rechtlichen Medien zu und lässt dabei zum einen private Lokalmedien in Köln außen vor. Denn die haben ja sehr schnell nach Bekanntwerden der ersten Vorwürfe berichtet. Zum anderen verkennt Friedrich, dass die öffentlich-rechtlichen Medien nur über Ereignisse von überlokaler Bedeutung berichten, denn sie sind als Landessender angelegt, nicht als Lokalsender. Erst das Ausmaß der Übergriffe hat das Thema aber überhaupt zu einem überregionalen gemacht, und dieses Ausmaß war erst nach Tagen bekannt. Daneben hat Friedrich unrecht: Der WDR hat bereits am 2. Januar um 16.44 Uhr mit einem Tweet berichtet.

 

Der verwies auf diese Meldung:

Die Kölner Polizei ermittelt in einer Reihe von Belästigungen von Frauen in der Silvesternacht. Viele der sexuellen Übergriffe sollten wohl von Diebstählen ablenken. Nachdem es am Sonntagmorgen (03.01.2016) schließlich ähnliche Vorfälle gegeben hat, hat die Polizei fünf Männer festgenommen. Derzeit wird geprüft, ob die Männer an den Taten in der Silvesternacht beteiligt gewesen sein könnten.

(Dass dort als Stand der 3.1.2016, 12.40 Uhr angegeben ist, liegt an der letzten Aktualisierung der Seite.)

Auch wenn man sich wünschen mag, dass es mehr und eine frühere Berichterstattung gegeben hätte: Zum einen geht die nicht ohne Recherche, zum anderen sind Redaktionen angesichts des Jahreswechsels und des Wochenendes nicht übermäßig besetzt, was angesichts der Lage im Nachhinein zu bedauern, aber nicht ungewöhnlich ist.

Die Vorwürfe von Hans-Peter Friedrich treffen also nicht zu – obwohl er es besser hätte wissen müssen. Ich finde: Es ist ein Skandal, dass Friedrich nicht gemerkt hat, dass die öffentlich-rechtlichen Medien die Berichte aufgegriffen haben. Ich habe den Verdacht, dass der steuernfinanzierte Politiker Friedrich seiner Informationspflicht nur noch unzureichend nachkommt.

Die CSU hat mit ihrer Medienkritik bereits Nachahmer im Ausland gefunden. Der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro schrieb in einem offenen Brief von „medialer Zensur der deutschen Medien“ im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Übergriffe in Köln und anderen Städten.

Das müsste man inhaltlich nicht weiter ernst nehmen, weil es Ziobro lediglich um die Verteidigung des polnischen Mediengesetzes geht. Es beschädigt aber den Journalismus, wenn sich weitere Politiker den hanebüchenen CSU-Vorwürfen anschließen.

 

* In der ersten Fassung hatte ich versehentlich „Eine Stunde Medien” geschrieben.