Corona-Krise zwingt Medien zu mehr Transparenz

Lange hatten sich Medien gescheut, ihre eigene Arbeit transparent zu machen. Die Corona-Krise zwingt sie jetzt dazu, weil sie die Arbeitsbedingungen verändert, was auch Auswirkungen auf die Berichterstattung hat und in Radio und Fernsehen auch aufs Programm.

Im Deutschlandfunk hat Redakteur Mario Dobovisek schon vor Beginn der Ausgangsbeschränkungen erzählt, wie sich das Haus vorbereitet – in Kurzfassung bei @mediasres (Audiothek), in Langfassung im Podcast „Der Tag“ (Audiothek). Seit Montag sendet der Deutschlandfunk ein leicht verändertes Programm, um Ressourcen für bevorstehende Zeiten zu schonen.

Dass Journalist*innen mittlerweile anders arbeiten, lässt sich ja auch kaum noch verheimlichen. Immer öfter werden Interviews nicht persönlich geführt, sondern über Messenger und Video-Chats im Netz. Im Radio hört man das an anderer O-Ton-Qualität, im Fernsehen an schlechten Bildern bzw. daran, dass gleich eingeblendet wird, dass die O-Ton-Geber nur zugeschaltet sind, etwa indem auch der Bildschirm zu sehen ist, auf dem die Gesprächspartner sind.

Im NDR-Medienmagazin „Zapp“ macht Autorin Caroline Schmidt transparent, wie sie über einen „Spiegel“-Redakteur im Homeoffice zu berichten versucht, ohne dass sie selbst ins Haus darf.

Zapp berichtet in den kommenden Wochen über die Arbeitsbedingungen von Journalist*innen in der Corona-Krise. In der zweiten Folge darf Schmidt auch nicht ins ARD-Hauptstadtstudio, was sie ebenfalls transparent macht.

Dass Medienmagazine das machen, ist natürlich nicht neu. Aber auch andere Redaktionen tun das jetzt verstärkt – und informieren auch in eigenen Artikeln über ihre neuen Arbeitsbedingungen.

So schreibt ARD-Fernsehkorrespondentin Tamara Anthony über ihr Leben in der Quarantäne in Peking:

Arbeiten von unterschiedlichen Orten ist das geringste Problem. Wir machen Konferenzen per Video-Schalte und haben “remote” – ich in Quarantäne, Katrin im Schnitt – zwei Tagesschauen aus Agenturmaterial produziert. So zum Beispiel unseren Bericht aus Anlass des Abebbens der Krise und über den Versuch der chinesischen Regierung, Zweifel zu säen über den Ursprungsort des Virus.

Die „Süddeutsche Zeitung“ erlebt redaktionelle „Veränderungen im Zeitraffer“:

Eine Redaktion ist ein lebendiger Organismus. Die SZ-Redaktion, so würden Wohlmeinende vielleicht sagen, ist ein besonders lebendiger. Das Leben dieses Organismus musste sich nun sehr schnell neu sortieren, so schnell wie noch nie in der 75-jährigen Geschichte dieser Zeitung. Die Vorbereitungen darauf begannen vor Wochen, als die ersten Meldungen über abgesperrte Gebiete in Italien die Runde machten. Notfallpläne wurden geschrieben, zusätzliche Notebooks mit Lieferwagen aus Lagern in das Verlagsgebäude gebracht. Die IT-Abteilung stockte die Zugänge zu den gesicherten Leitungen und die Bandbreite auf.

Der „Stern“ gibt Einblicke, wo seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerade zu Hause arbeiten, weist aber auch auf ein Privileg von Journalist*innen hin:

Natürlich haben wir trotz allem Glück. Im Gegensatz zu vielen anderen Berufsgruppen lässt sich die Arbeit einer Redaktion leicht – und Dank einer Meisterleistung der technischen Abteilungen auch recht problemlos – ins Homeoffice verlagern.

„Die Zeit“ berichtet, wie groß der Bedarf an journalistischer Arbeit ist, während diese gleichzeitig schwieriger wird, was auch Auswirkungen aufs Schreiben hat:

Auch deshalb hat sich unsere meinungsfreudige Onlineredaktion in diesen Zeiten etwas Zurückhaltung verordnet und sucht weniger nach originellen Standpunkten als nach Erkenntnis und Evidenz. Alle Beiträge unseres Wissen-Ressorts etwa sind trotz des erheblich höheren Zeitdrucks, wie sonst auch, durch zahlreiche Gespräche mit den führenden Experten, durch wissenschaftliche Quellen (die wir stets nennen) und mehrfache interne Prüfungen abgesichert.

Die Tageszeitung „taz“ beklagt, dass persönliche Gespräche schwer zu ersetzen seien:

Wie geht das ohne persönliches Gespräch? Nur am Telefon? Schon jetzt arbeiten wir mit einer Teamsoftware, durch die man in virtuellen Räumen chatten kann, dort haben wir vergangene Woche der Raum „Corona-Themen“ eröffnet. Doch das persönliche Gespräch ist nicht so leicht zu ersetzen wie Händeschütteln. Corona bedeutet, dass wir uns einschränken, aber zugleich alternativ denken müssen.

Das ist eine positive Entwicklung. Inwiefern sie von Nutzerinnen und Nutzern honoriert wird, ist natürlich schlecht zu sagen. Der Mainzer Journalismusprofessor Tanjev Schultz findet allerdings – unabhängig von der aktuellen Entwicklung – dass Transparenz ein Grund dafür sein, das Medienvertrauen zu stärken. Im Interview mit dem Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres (Audiolink) sagte er mir am 26. Februar, als er seine neue Studie zum Medienvertrauen vorstellte:

Ich habe den Eindruck und wir in unserer Forschungsgruppe, dass es damit zusammenhängt, dass die Medien sehr viel mehr jetzt auch über sich selber diskutieren, auch Dinge transparent machen. Und dass auch diese Angriffe seit den vergangenen drei, vier, fünf Jahren, die es gegen Medien gibt, gegen das öffentlich-rechtliche Fernsehen oder überhaupt gegen die Presse, dass das die Leute dazu eigentlich fast zwingt, Stellung zu beziehen. Was früher eher so latent im Kopf war, da hat man nicht unbedingt drüber nachgedacht so sehr, das ist jetzt doch sehr bewusst geworden. Und die Menschen müssen sich irgendwie dazu verhalten, und sie erleben ja auch, dass permanent irgendwelche Gerüchte und Falschnachrichten auch über Social-Media-Kanäle reinkommen, und vielen Menschen dadurch auch wiederum klar wird: Ach, es ist vielleicht doch nicht so ganz verkehrt, seriöse Journalisten zu haben.

Es wäre eine gute Entwicklung, würden Medien nicht nur in der Corona-Krise an ihrer neuen Transparenz festhalten, sondern auch danach. Das Vertrauen in Medien kann das nur stärken.

 

Nachtrag (29. März 2020, 14.15 Uhr): Auch der Bayerische Rundfunk legt offen, wie seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten – im Studio und zu Hause.

Nachtrag (4. April 2020, 13.00 Uhr): Wie es der Südwestrundfunk macht, erkärt er hier. Danke an Kollegin Sandra Müller für den Hinweis.

Auch die Freie Presse Chemnitz informiert seit knapp zwei Wochen immer wieder in Youtube-Interviews mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen über ihre Arbeit.

Medienethikerin hält Bild-Zeitung für mitschuldig an Anschlägen von Christchurch

Die Debatte über die Berichterstattung über die Anschläge von Christchurch in Neuseeland geht weiter. Im Medienmagazin von B5 aktuell stellt die Medienethikerin Johanna Haberer, Professorin für christliche Publizistik an der Universität Erlangen-Nürnberg, fest, dass sich etwa die Bild-Zeitung zur Mittäterin der Anschläge gemacht hat, indem sie das Video des Attentäters verbreitet hat.

Haberer sagte, die mediale Verbreitung von Terroranschlägen könne dazu führenm, dass Menschen, die ohnehin eine Tendenz dazu haben, sich animiert fühlen könnten, eine ebensolche Tat zu begehen; das hätten Studien gezeigt.

Journalisten müssten den Reflex, sich nicht zum Mittäter zu machen, indem sie die Tat nicht weiterverbreiten, ganz neu einüben, sagte Haberer. Das müssten Journalisten auch als journalistische Ethik an junge Menschen weitergeben.

 

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Bedrohte Journalisten vermissen Solidarität gegen Hass und Hetze

Journalisten sind Ziel von Hetze und Drohungen – weil sie nicht so berichten, wie sich manche das wünschen. Eigentlich müssten sie zusammenstehen. Doch Betroffene fühlen sich teils von Kollegen und Chefs im Stich gelassen. Mein Beitrag für @mediasres im Deutschlandfunk.

Die FAZ macht jetzt auf hip und kritisiert ohne Argumente

Die Startseite des BR-Videotext-Angebots
Die Startseite des BR-Videotext-Angebots, die es auch im Netz gibt. (Screenshot: http://www.br.de/static/pda/bayerntext.html?vtxpage=100&%23.x=0&%23.y=0#)

Es gibt am öffentlich-rechtlichen System wahrlich einiges zu kritisieren. Deswegen verwundert es manchmal, welche vergleichweisen Nichtigkeiten sich Zeitungsjournalisten heraussuchen, die sie dann an den Pranger stellen.

Von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, namentlich ihrem Medienredakteur Michael Hanfeld, der gelegentlich durchblicken lässt, dass er von Arbeitsabläufen in Fernseh- und Radioredaktionen wenig versteht, ist man derartiges gewohnt. Diesmal argumentiert aber auch Ursula Scheer durchaus eigenartig. Sie beschäftigt sich mit dem neuen Namen für den Videotext des Bayerischen Rundfunks.

Warum der jetzt nicht mehr Bayern-Text, sondern BR-Text heißt, könnte man in der Pressemitteilung nachlesen. Dort heißt es:

Der neue Name folgt der veränderten Markenführung im Bayerischen Rundfunk. (BR Fernsehen, BR Sport, BR24). Aufgaben und Zuschnitt der Redaktion „BR Text“ ändern sich aber nicht.

Ursula Scheer dagegen unterstellt andere Gründe für den Namenswechsel:

Will einem partout nichts Neues einfallen, weder inhaltlich noch medial, obwohl man doch gerne frisch und jung und jugendlich, innovativ und lebenslang lernbereit erscheinen möchte, hilft nur die verbale Flucht nach vorn. (…) Und so sucht man, bleibt die Rezeptur immer die nämliche, sein Heil eben im kühnen Namenswechsel.

Wirkliche Argumente dagegen kann sie nicht vorweisen. Und in gewisser Weise kann man den Beitrag auch als launige Glosse lesen, zumal es im kleinsten Teil des Textes tatsächlich um den BR-Text geht, sondern Ausflüge in anderen Lebensbereiche gemacht werden, in denen es um Namenswechsel geht. Und auch das Fazit ist relativ versöhnlich. Der süffisante Ton allerdings, der einem schon aus Überschrift und Teaser entgegenspringt und der dem Bayerischen Rundfunk etwas unterstellt, was dieser nie angestrebt hat, passt ganz gut in die Reihe früherer Beiträge, in denen Autoren der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Medienteil ihre Verachtung für das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen breittreten.