Warum die Talkshow-Kritik der EU-Politiker etwas irreführend ist

Anfang der Woche hat ein Brief deutscher EU-Abgeordneter für Aufmerksamkeit gesorgt. Sie kritisieren in einem Brief an ARD und ZDF, dass in der Woche nach der Europawahl nur ein einziger Abgeordneter in eine der acht Talksendungen eingeladen worden sei. Darin rechnen sie vor, dass insgesamt 43 Gäste eingeladen waren und Manfred Weber (CSU) der Einzige war, der bei der Wahl angetreten bzw. gewählt wurde.

In dem Brief, der mir vorliegt, schreiben Daniel Freund (Grüne), Daniel Caspary (CDU), René Repasi (SPD), Erik Marquardt (Grüne), Moritz Körner (FDP) und Angelika Niebler (CSU):

„Das ist erschreckend, unzureichend und wird ihrem Programmauftrag unserer Ansicht nach nicht gerecht. Politische Talkshows sind einer der zentralen Orte der öffentlichen politischen Auseinandersetzung und es ist äußerst bedauerlich, dass Europapolitikerinnen und Politikern der Zugang zu dieser Arena geradezu systematisch verwehrt bleibt. Europapolitik hat enorme Auswirkungen auf den Lebensalltag der Menschen. Und sie ist zu spannend, als dass sie permanent von der bundespolitischen Seitenlinie kommentiert werden muss.“

Das stimmt. Und mit ihrer Kritik, dass zu wenige EU-Abgeordnete eingeladen worden, haben Sie einen Punkt, finde ich. Aber die verwendeten Zahlen sind fragwürdig. Denn zu behaupten, von 43 Gästen sei nur einer Kandidat oder neuer Europaparlamentarier, verkürzt die Sache, wird damit doch suggeriert, es hätten 42 weitere EU-Abgeordnete eingeladen werden können. Das aber ist mitnichten der Fall. Ich erkläre gleich die Gründe dafür.

Nicht alle Talkshows beschäftigten sich mit der Wahl

Die Abgeordneten beziehen sich auf acht Ausgaben von insgesamt fünf verschiedenen Talkshows:

Fünf der acht Sendungen beschäftigten sich monothematisch mit der Wahl:

  • Caren Miosga: „Europa hat gewählt – wohin steuert Deutschland“?
  • hart aber fair: „Ampel-Desaster: Kommen jetzt Neuwahlen?“
  • Maybrit Illner: „Europa hat gewählt: Kiews Schicksal ungewiss“
  • Markus Lanz am 12.6.
  • Markus Lanz am 13.6.

Keine der Sendungen also schaute nur auf das Ergebnis der Wahl, sondern fragen auch nach den Konsequenzen – zum Beispiel für Deutschland oder für die Ukraine. Dass bei diesem Schwerpunkt nicht nur EU-Abgeordnete eingeladen werden, ist zwingend. Ob man das so machen muss oder nicht, natürlich eine andere Frage.

Die Talkshows von Sandra Maischberger und Markus Lanz beschäftigen sich immer mit mehreren Themen; wenn es dort also nicht nur um die EU geht, ist das Fehlen von EU-Abgeordneten auch nicht verwunderlich.

Nicht alle Gäste sind Politikerinnen oder Politiker

So war zwar der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff bei Maischberger zum Ergebnis der Europawahl eingeladen; Janine Wissler (Linke) und Boris Palmer (Tübinger Oberbürgermeister) diskutierten allerdings über das Thema Abschiebungen. In Maischbergers zweiter Sendung in der Woche nach der Europawahl wurde der ehemalige Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit zur Europawahl befragt; Sahra Wagenknecht (BSW) und Marina Weisband (Grüne) diskutierten wiederum über die Ukraine. Auch die Auswahl zweier ehemaliger Politiker, um die Wahl zu kommentieren, ist natürlich diskussionswürdig.

Bei Markus Lanz ging es auch um die Europawahl. Anton Hofreiter (Gründe) wurde unter anderem zum Abschneiden seiner Partei befragt. Allerdings wurde auch über die geplante Neuwahl in Frankreich gesprochen und über die Situation in der Ukraine.

Außerdem sind in keiner der acht Sendungen ausschließlich Politiker eingeladen worden – was die Regel ist. Dort saßen auch Journalistinnen und Journalisten, eine Schriftstellerin, ein Musiker, ein ehemaliger Oberst, zwei ehemalige Diplomaten, zwei Wissenschaftler und eine Wissenschaftlerin. Sie machen sogar die Mehrheit aus: Nur 16 der Gäste sind aktive Politiker oder Politikerinnen; Christian Wulff und Klaus Wowereit habe ich hier nicht eingerechnet.

Nur einer von 16 Gästen aus der Politik

Beklagen können die Absender des Briefes also höchstens, dass von den 16 Gästen nur einer ein kandidierender bzw. gewählter EU-Abgeordneter ist. Auch diese Quote ist natürlich verhältnismäßig schlecht, aber eben auch nicht so künstlich niedriggerechnet wie im Brief.

Hinzu kommt: Auch diese 16 waren nicht alle zu einem EU-Thema eingeladen; mindestens vier von ihnen sprachen (auch) zu anderen Themen. Sprich: Es ist wohl eher ein Verhältnis 1 zu 11, aber eben nicht 1 zu 42.

Natürlich kann man beklagen, dass die Europawahl überhaupt so wenig Thema war, und sicherlich hätten da auch mehr EU-Politiker sitzen können/müssen. Auch, dass einige Talkshows nach einer letzten Ausgabe nach der Wahl in die Sommerpause gegangen ist, beklagen die Unterzeichner des Briefes zurecht. Und sie loben auch die Berichterstattung insgesamt. Aber ihre Rechnung ist einfach zu platt.

Warum läuft auf öffentlich-rechtlichen Sendern Parteiwerbung?

Die Partei „Die Heimat“ (früher NPD) hetzt in einem animierten Clip gegen Migranten, die über das Mittelmeer flüchten. Die „Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung“ lässt in einem Schwarz-Weiß-Film den Sensenmann auftreten und behauptet, der „altersbedingte Tod“ sei technisch lösbar. All das lief in den vergangenen Wochen im Zuge des Europawahlkampfs auch auf öffentlich-rechtlichen Sendern.

Warum müssen die Sender den Parteien für so etwas kostenlose Sendeplätze bieten? Wo ist das geregelt? Können sie die Ausstrahlung bestimmter Inhalte verweigern? Und wie wird eigentlich festgelegt, welche Partei wie viele Sendeplätze bekommt? Das habe ich Holger Klein erzählt – für den Übermedien-Podcast „Holger ruft an“. Zu finden hier und auf allen gängigen Podcast-Plattformen.

Jahresbilanz: 708 Beschwerden über ARD, ZDF und Deutschlandradio

Die Rundfunkräte sollen das Programm der öffentlich-rechtlichen Sender kontrollieren und über Beschwerden entscheiden. Doch nur äußerst selten rügen sie die Anstalten für Verstöße. Meine Recherchen fürs Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres zeigen: Das hat System.

Bei den Rundfunkräten von ARD, ZDF und Deutschlandradio sind nach Recherchen des Deutschlandfunks im vergangenen Jahr insgesamt 708 förmliche Programmbeschwerden eingegangen.

Eine solche Beschwerde können Nutzer des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einreichen, wenn sie Programmgrundsätze verletzt sehen. Eine Entscheidung darüber treffen die Rundfunkräte. Sie gaben im vergangenen Jahr fünf Beschwerden zu zwei Sendungen statt. Drei davon betrafen als menschenverachtend eingestufte Formulierungen eines SWR-Korrespondenten, zwei eine satirische Darstellung im ZDF Magazin Royale.

Weil nicht alle Rundfunkräte und Sender über Programmbeschwerden Auskunft geben, ist die Datenlage lückenhaft. Soweit feststellbar, gab es die meisten Beschwerden im Jahr 2023 zu einer Folge des ZDF-Podcasts „Lanz & Precht“, in dem die beiden Gesprächspartner antisemitische Stereotype verbreitet hatten. Auf den Plätzen 2 und 3 folgten Angebote der Tagesschau-Redaktion und mehrere Ausgaben des ZDF-Magazin Royale.

93 Beschwerden lehnten die Rundfunkräte ab. Sie bekommen aber nur einen Teil aller Programmbeschwerden vorgelegt. Zunächst dürfen die Intendanten antworten und räumen dabei teils bereits Defizite ein. In wie vielen Fällen, ließ sich mangels Auskunft für die meisten Sender nicht ermitteln. Nur wenn die Beschwerdeführer teils mehrmals widersprechen, beraten auch die Rundfunkräte. Wird einer Programmbeschwerde stattgegeben, wird die Sendung korrigiert oder depubliziert. Doch auch abgelehnte Beschwerden führen oft zu kleineren Änderungen.

Die Ergebnisse meiner Recherche in voller Länge gibt es hier.

Verwirrung um Kandidatenliste für rbb-Intendanz

Als am Montagabend die Listen der Kandidatinnen für die Intendantinnenstelle beim rbb herauskam, ging man davon aus, dass die amtierende Interimsintendantin Katrin Vernau nicht wieder gewählt werden wollte. Zumal sie sich auch nicht beworben hatte.

Am Dienstag aber bekräftigte sie ohne Bewerbung und ohne Platz auf der Liste, dass der rbb-Rundfunkrat sie ja dennoch nominieren und wählen könne. Man gewann den Eindruck, sie wolle gefragt werden. Darüber habe ich am Dienstag für @mediasres im Deutschlandfunk berichtet – live von der Republica in Berlin, auf der Vernau zu Gast war.

Dokumentationen rücken Katar in den Blick

Vor allem ARD und ZDF haben in den letzten Wochen neue Dokumentationen zur Lage der Menschenrechte in Katar gezeigt. Schon seit der WM-Vergabe 2010 recherchieren die Sender investigativ. Sie sollten in den nächsten Jahren dran bleiben, wenn die Scheinwerfer sich anderen Schauplätzen zuwenden, habe ich für das WDR5-Meinungsmagazin „Politikum“ kommentiert.

Skandale im öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Warum die journalistische Aufarbeitung so schwierig ist

Seit Juni beschäftigen uns Skandale im öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Erst beim rbb in Berlin, wo gegen die mittlerweile entlassene Intendantin Patricia Schlesinger ermittelt wird. Dann auch beim NDR in Schleswig-Holstein und in Hamburg. Einige Aspekte dieser Fälle sind bereits untersucht worden, die Ergebnisse und die Berichterstattung dazu werfen aber Fragen auf. Welche, habe ich in den „Informationen am Morgen“ im Deutschlandfunk erzählt.

Medienstaatsvertrag auf den Weg gebracht

Die Ministerpräsident:innen haben den Medienstaatsvertrag unterschrieben, der den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks neu regelt. Was drin steht, wie die Aufsicht neu geregelt wird und ob der RBB-Skandal eine Rolle gespielt hat, habe ich im WDR5-Medienmagazin „Töne, Texte, Bilder“ berichtet.

Verlage gegen Sender: Der lange Streit um die Presseähnlichkeit

Zeitungen liefern Texte, Radiosender gesprochenes Wort und Fernsehsender bewegte Bilder. So war es in der Zeit vor dem Internet. Dort aber bieten heute alle Medienanbieter alle Gattungen an – zum Beispiel Zeitungen auch Podcasts und Sender auch Texte.

Dass auch Öffentlich-Rechtliche das machen, stört die Verlage schon lange, weil sie darin eine illegitime Konkurrenz sehen. Sie sprechen von „Presseähnlichkeit“. Denn im Netz sind Texte der Öffentlich-Rechtlichen nur einen Klick von Texten der Verlage entfernt. Während die einen durch den Rundfunkbeitrag schon finanziert und frei im Netz sind, müssen die anderen verkauft werden.

Drei Beschwerden stehen gerade im Raum. Die der „Magdeburger Volksstimme“ gegen den MDR und die des „Weser-Kuriers“ gegen Radio Bremen werden am 14. Oktober von einer Schlichtungsstelle behandelt. Zu einer Klage von 16 Medienhäusern im SÜdwesten gegen die SWR-App „Newszone“ fällt am 17. Oktober am Landgericht Stuttgart ein Urteil.

Was hinter Begriffen wie Presseähnlichkeit, Drei-Stufen-Test und Schlichtungsstelle steckt, habe ich für @mediasres im Deutschlandfunk erklärt. Meine Kollegin Anh Tran hat mit dem Chefredakteur der „Magdeburger Volksstimme“, Alois Kösters, über seine Beschwerde gesprochen.

Kritik an dreifacher Queen-Trauerfeier im Öffentlich-Rechtlichen

Wer gestern ferngesehen hat, kam nicht daran vorbei: an den Trauerfeierlichkeiten zum Tod von Queen Elizabeth II. in Großbritannien. Stundenlang live übertragen haben: RTL, Sat.1, n-tv, Welt – und die öffentlich-rechtlichen Sender Das Erste, ZDF und Phoenix.

Dass gleich drei Öffentlich-Rechtliche größtenteils dieselben Bilder gezeigt haben, sorgte für Kritik – unter anderem von Bundesfinanzminister Christian Lindner, der deswegen „erhebliches Einsparpotenzial“ bei den Sendern sieht, die ja ohnehin gerade in der Kritik stehen.

Für @mediasres im Deutschlandfunk habe ich versucht, herauszufinden, wie teuer die parallele Übertragung war – und wie teuer das reguläre Programm gewesen wäre. Spoiler: So richtig viel lassen sie nicht raus.