Im Verkehr sind wir alle kleine Sünderlein

Wenn Medien über Verstöße im Straßenverkehr berichten, werden sie oft spirituell. Wer bestimmte Dinge falsch macht, wird zum Sünder: Parkt er falsch, wird er zum Parksünder; fährt sie zu schnell, ist sie eine Temposünderin. Die Rede ist auch vom Handysünder – also jemand, der beim Fahren aufs Handy guckt. Mit dieser Metaphorik entlassen Medien die Täter ein wenig aus der Verantwortung, habe ich für den Sprach-Check „Sagen und Meinen“ im Deutschlandfunk aufgeschrieben.

Politik ist kein Spiel von Sieg und Niederlage

Ich habe neulich bei Übermedien über mein „Hasswort“ geschrieben – wenngleich ich den Begriff „Hass“ etwas zu stark finde für das Wort „Streit“, um das es ging (aber so heißt nun mal die Rubrik). Unter dem Artikel gibt es auch eine kleine Diskussion darüber.

Die größere allerdings findet bei LinkedIn statt. Dort schreibt SWR-Intendant und ARD-Vorsitzender Kai Gniffke:

Selten habe ich mich in einem Text so wiedergefunden wie im kurzen Artikel „Streit“ von Stefan Fries in Übermedien. (…) Genauso sehe ich es. Und Achtung: Ich nehme uns (SWR/ARD) dabei überhaupt nicht aus. Auch in unseren Nachrichten ist aus meiner Sicht oft von „Streit“ die Rede – warum nicht Begriffe wie Debatte, Diskussion und Diskurs? (…) Klar, mit griffigen O-Tönen garniert und einer gepfefferten „Streit“-Überschrift lässt sich Politikberichterstattung womöglich erfolgreicher verkaufen – und auch das ist ein Wert in einer Zeit, in der viele Menschen Nachrichten grundsätzlich vermeiden (…)

Gniffke spricht in seinem Post aber noch einen anderen Aspekt an, um den es in der Rubrik nicht geht, den ich aber auch für wichtig halte:

Mir erscheint es aber zu einfach, nur danach zu fragen, wer in einem „Streit“ gewonnen oder verloren hat. Klar, mit griffigen O-Tönen garniert und einer gepfefferten „Streit“-Überschrift lässt sich Politikberichterstattung womöglich erfolgreicher verkaufen…

Den Aspekt finde ich viel wichtiger. Denn oft fokussiert sich die Berichterstattung nicht nur auf den Streit an sich, sondern sie beschreibt Politik auch als Spiel von Sieg und Niederlage. Da geht es dann inhaltlich und auch bei der Wortwahl darum, wer sich durchgesetzt hat, wer eine Niederlage erlitten hat, wer zurückstecken musste.

Medien schauen zu viel auf Akteure und zu wenig auf Inhalte

Der Fokus liegt hier also auf den Akteuren, nicht auf den Inhalten. Medien schauen also nicht darauf, ob sich gute Ideen durchgesetzt haben, ob ein kluger Gesetzentwurf durchgekommen ist, ein schlechtes Konzeptpapier verworfen wurde oder ein toller Plan einem Kompromiss zum Opfer gefallen ist. Oder umgekehrt: ob ein schlechter Gesetzentwurf durchgekommen ist oder ein schlechter Plan verworfen wurde.

Sondern sie projizieren die Auseinandersetzung auf die dahinterstehenden Personen. Es geht also um die Frage, ob sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in der Verhandlung über den Bundeshaushalt 2025 durchgesetzt hat, ob die Bundesregierung vor Gericht eine Niederlage erlitten hat oder Bundeskanzler Olaf Scholz in der Auseinandersetzung siegen konnte.

Diese Personalisierung in der Politik ist natürlich nicht neu. Sie ist deshalb aber auch nicht per se so gut, dass wir sie beibehalten sollten. Denn es ärgert mich jedes Mal, wenn ich Nachrichten so formuliert sehe. Wenn die Süddeutsche Zeitung zum Beispiel darüber schreibt, dass Boris Pistorius für sein Bundesverteidigungsministerium nicht so viele Mittel im Haushalt bekommt wie erwünscht, heißt es: „Seine erste Niederlage“. Dabei bekommt (gerade jetzt) fast kein Minister so viel wie er wünscht, weil natürlich alle Ministerien immer mehr anmelden, um das zu bekommen, was sie aus ihrer Sicht brauchen. Inwiefern das eine Niederlage ist, erschließt sich mir nicht. Hätte er besser nichts fordern sollen, um so eine „Niederlage“ zu vermeiden?

Die Debatte um den Haushalt ist dafür überhaupt ein gutes Beispiel, weil es damals viele Schlagzeilen gab, die die Sache in den Kategorien von Sieg und Niederlage dargestellt haben – etwa auch in Bezug auf Bundesfamilienministerin Lisa Paus, wie etwa ntv schrieb:

Oder auch der Merkur:

In Bezug auf die Mitgliederbefragung bei der FDP, die Koalition mit SPD und Grünen zu beenden, schrieb die Stuttgarter Zeitung:

Wenn politische Auseinandersetzungen darauf verkürzt werden, wer gewinnt oder verliert, leidet die Debatte. Denn letztlich geht es um die Frage, wessen Meinung (oder Gesetzentwurf oder politischer Plan) in konkretes politisches Handeln umgesetzt wird, aus welchem politischen Plan also reale Politik wird. Mit Sieg oder Niederlage hat das aber nichts zu tun.

Ereignisse lassen sich auch ohne diese Kategorie beschreiben

Ein banales Beispiel zum Vergleich: Wenn ich zu Hause mit meinem Partner darüber diskutiere, welches Bild wir an die Wand hängen, wir dazu aber verschiedene Meinungen haben, wie würden wir dann das Ergebnis beurteilen? Entweder wird das Bild aufgehängt, das er bevorzugt, jenes, das ich bevorzuge, es wird ein weiteres Bild gewählt oder gar kein Bild aufgehängt.

Wenn ich aber zum Beispiel nachgebe, weil mir die Frage nicht so wichtig ist oder mein Bild woanders Platz findet, heißt das dann, dass der andere gewonnen hat? Müsste man dann titeln: Niederlage für Stefan? Sieg für Stefans Partner? Würde man Freunden in dieser Art und Weise davon erzählen, wenn sie danach fragen, welches Bild jetzt an der Wand hängt? Geht es nicht oft ohnehin um Kompromisse?

Leider wird Journalismus aber oft so betrieben. Natürlich müssen wir darüber berichten, welches Bild es ist, und wir können auch sagen, wer sich dafür eingesetzt hat und aus welchen Gründen. Aber wir müssen auf den Inhalt schauen und die Situation danach bewerten, welcher Inhalt jetzt dort ist. Also ob das Bild dort sinnvoll hängt, wie es aussieht usw. Und nicht danach, wer es ausgewählt hat und ob das nun ein Sieg oder eine Niederlage für denjenigen ist.

Variante des Horse-Race-Journalismus

Dieser Journalismus, der in Sieg und Niederlage denkt, ist übrigens eine Variante des Horse-Race-Journalismus, über den Michael Borgers und ich zur vergangenen Bundestagswahl 2021 bereits eine längere Sendung im Deutschlandfunk gemacht haben. Im Horse-Race-Journalismus wird Berichterstattung allein an Umfragewerten ausgerichtet und über politische Akteure in Kategorien von Siegern und Verlierern, von Vorsprüngen und Aufholjagden berichtet – analog zu einem Pferderennen.

In diesem Fall dienen externe, scheinbar verlässliche Zahlen als Referenz. Beim Journalismus von Sieg und Niederlage ist der Maßstab, wie viele der politischen Vorstellungen jeder Seite ins Ergebnis eingeflossen sind. Weder im einen noch im anderen Fall wird aber auf die politischen Inhalte geschaut, sondern es werden die politischen Akteure bewertet. Das aber ist kein objektiver inhaltsgetriebener Journalismus, sondern Kommentierung.

Eine Ausnahme möchte ich übrigens machen: Wenn es um Wahlergebnisse geht, kann man natürlich durchaus von Sieg und Niederlage sprechen. Schließlich geht es dabei nicht um einen Wettstreit von Ideen, sondern um eine Verteilung von Macht, die sich eben auch in Prozenten und Mandaten ausdrückt. Wo eine Partei zulegt oder verliert, kann man dann auch aus guten Gründen von Sieg oder Niederlage sprechen.

Berichterstattung nicht an fiktiven Erwartungen ausrichten

Auch wenn Journalisten dabei vorsichtig sein müssen. Denn die Fixierung auf Umfragen führt mittlerweile dazu, dass Parteien nicht nach ihrem Wahlergebnis im Vergleich zur vorherigen Wahl beurteilt werden, sondern danach, wie sie im Vergleich zu den letzten Umfragen abgeschnitten haben. So wurde etwa von einigen Medien der Sieg des Rassemblement National in Frankreich zur Niederlage umgeschrieben, weil die rechtspopulistische Partei zwar zugelegt hatte, aber nicht in dem Maße wie erwartet – oder im zweiten Wahlgang schlechter als im ersten, aber immer noch besser als zuvor. Die ZEIT etwa schrieb von „Niederlage“ und der Spiegel von einem „Sieg gegen die Rechtsextremen“.

Auch bei Gerichtsentscheidungen wird natürlich davon geredet, wer gewonnen und wer verloren hat. Und in mancherlei Hinsicht kann man das sicher auch so berichten. Bei Gerichtsentscheidungen über politische Beschlüsse wird die Sache aber wieder schwieriger, vor allem, wenn es Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind, die ja nicht nur Schwarz und Weiß kennen.

Das Urteil zum Wahlrecht zum Beispiel ist in dieser Hinsicht schon auf den ersten Blick ambivalent, weil eben nicht das gesamte Gesetz verworfen wurde, sondern nur Teile davon. Was andererseits aber auch heißt, dass große Teile des Gesetzes, sogar der eigentliche Kern, vom Gericht ausdrücklich gebilligt worden sind.

Gerichtsurteile sind nicht schwarz und weiß

Die Fokussierung in der anfänglichen Berichterstattung darauf, dass die Entscheidung eine Niederlage für die Ampel-Koalition ist, erweckte dabei teilweise einen irreführenden Eindruck des Tenors des Urteils, wie etwa bei ntv:

So müsste man zumindest vom Sieg einzelner Akteure oder vom Sieg in bestimmten Punkten sprechen, aber so differenziert wird es ja vor allem in Überschriften nicht. Glücklicherweise gab es aber auch Medien wie etwa den Tagesspiegel, die die Sache differenzierter dargestellt haben (vor allem, nachdem sich die Aufregung über das Leak des Urteils gelegt hatte).

Ich plädiere dafür, Politik nicht in den Kategorien von Sieg und Niederlage zu beschreiben und sich weniger auf Akteure zu konzentrieren, sondern mehr auf Inhalte zu schauen.

Mein „Hasswort“: Streit

Wenn in der Ampel-Koalition diskutiert wird, tun wir in den Medien oft so, als ginge da Ungeheuerliches vor sich. Dabei gehören Debatten in der Demokratie dazu. Und längst nicht jede Diskussion ist ein Streit. Bei Übermedien durfte ich mich über eines der Wörter auslassen, die ich in Berichterstattung am wenigsten mag – auch deshalb, weil es selten zutrifft.

Bitte nicht mehr von „Kinderschändern“ sprechen!

Wenn Medien über sexuelle Gewalt gegen Kinder berichten, sprechen sie manchmal von „Kinderschändern“. Wie absurd ist das denn? Bringen die Täter etwa Schande über ihre Opfer? Ist es nicht vielmehr so, dass sie selbst die Schande sind? Eine klassische Täter-Opfer-Umkehr. Mehr dazu in meinem Sprachcheck „Sagen und Meinen“ im Deutschlandfunk.

Wie groß ist eine Fläche von 55.000 Fußballfeldern?

Wenn Medien einen Eindruck davon geben wollen, wie groß eine Fläche ist, geben sie oft eine Vergleichsgröße an. Am beliebtesten: das Saarland und Fußballfelder. Die Größe des Saarlands ist eindeutig, die eines Fußballfelds aber nicht. In @mediasres im Deutschlandfunk gebe ich Tipps, wie man Flächen besser veranschaulichen kann.

„Gastarbeiter“: Gäste arbeiten nicht

Arbeiterinnen und Arbeiter aus dem Ausland sollen in diesem Somme Personalengpässe an deutschen Flughäfen ausgleichen. Manche Medien schreiben von Gastarbeitern. Ein Begriff, der seit Jahrzehnten immer wieder benutzt wird, für Menschen, die nie wie Gäste behandelt wurden. Mein Beitrag für den @mediasres-Sprachcheck „Sagen und Meinen“ im Deutschlandfunk.

Gute Gründe für und gegen den Begriff „Flüchtling“

Wer auf der Flucht vor dem russischen Angriffskrieg die Ukraine verlässt, wird als Flüchtling bezeichnet. Ein Begriff, der immer wieder problematisiert wird – vor allem aus zwei Gründen. Mein Beitrag für die @mediasres-Reihe „Sagen und Meinen“.

„Gendern schafft Probleme, keine Lösungen“: Sprache im Deutschlandfunk

Sebastian Hupfer bezeichnet sich selbst als „leidenschaftlichen Dlf-Hörer“. Nur eines ärgert den Statistiker, der an der Uni Leipzig arbeitet: gendergerechte Sprache beim Deutschlandfunk. Er findet, damit würden keine Probleme gelöst, sondern im Gegenteil: Medien vergrößerten damit die Kluft zu ihren Nutzern. Schon der Begriff „gendergerecht“ sei ein Zeichen für Ideologie. „Damit wird geframed, dass ich ungerecht bin, wenn ich nicht gendere“, moniert Hupfer. Kritikern wie ihm werde ein reaktionäres Weltbild unterstellt.

Über Sinn und Unsinn gendersensibler Sprache diskutiert Sebastian Hupfer mit dem Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch und Brigitte Baetz sowie mir aus der Medienredaktion des Deutschlandfunks.

Diese Sendung gibt es in einer langen Fassung als Original-Podcast in unserer DLF Audiothek App, hier und in den gängigen Podcast-Apps.

Warum der Oppositionsführer nicht die Opposition führt

In dieser Legislaturperiode haben viele Medien und werden noch den Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag als „Oppositionsführer“ bezeichnet. Dabei macht er das gar nicht. Vermutlich ist die Bezeichnung falsch aus dem Westminster-Regierungssystem übernommen worden. Habe ich für den Sprach-Check „Sagen und Meinen“ im Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres aufgeschrieben.

Warum niemand „an den Rollstuhl gefesselt“ ist

Niemand ist an den Rollstuhl „gefesselt“, wie Medien gerne formulieren – im Gegenteil. Ein Rollstuhl bedeutet nämlich keine Einschränkung, sondern viel mehr Freiheit. Denn das Fortbewegungsmittel erhöht den Bewegungsradius von manchen Menschen mit Behinderung. Mein Sprachcheck „Sagen und Meinen“ in @mediasres im Deutschlandfunk.