Denn der Auftraggeber der Umfrage gibt leider keine Informationen darüber, wie sie zustande gekommen ist. Ich habe das in einem Thread bei BlueSky dargestellt.
Kategorie: Journalismuskritik
Gastbeitrag von Elon Musk: So kam er zustande
Wie und warum hat es ein Text von US-Tech-Milliardär Elon Musk in die „Welt am Sonntag“ geschafft? Bisher war der Hergang unklar.
Die Welt-Redaktion hatte zunächst den Eindruck erweckt, dass die Initiative für den Gastbeitrag von Elon Musk von der Welt-Redaktion ausging. Am Montag erklärte der bisherige Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt in der SZ, „eine Redakteurin“ habe bei Elon Musk angefragt. Gestern erklärte Poschardt-Nachfolger Jan Philipp Burgard, dass Gastautoren Anspruch auf Verschwiegenheit hätten.
Jetzt hat sich ein Mitglied des Aufsichtsrates von Axel Springer gemeldet – Martin Varsavsky – und bei X geschrieben, die Initiative dazu sei von ihm ausgegangen – und er habe dann nach Zustimmung von Welt-Chefredakteurin Jennifer Wilton den Gastbeitrag selbst bei Elon Musk bestellt.

Der Springer-Verlag weist darauf hin, dass er sich nicht dazu äußert, wie Beiträge zustande kommen. Aber wenn Beteiligte wie Martin Varsavsky das täten, sei das ihr gutes Recht.
Darüber hätten wir im Deutschlandfunk gerne mit dem neuen Welt-Chefredakteur Jan Philipp Burgard gesprochen, der aber nicht zugesagt hat – wie der Springer-Verlag insgesamt. Stattdessen hat sich der Journalismusprofessor Tanjev Schultz von der Universität Mainz bereit erklärt, mit uns über den Fall zu sprechen. Dabei ging es unter anderem um die Frage, wie weit es mit der Trennung von Redaktion und Verlag her ist, wenn ein Aufsichtsratsmitglied einen Beitrag vermittelt.
rbb-Intendantin weist zwölf Programmbeschwerden weitgehend zurück
Der Rundfunk Berlin-Brandenburg hat elf der zwölf förmlichen Programmbeschwerden zurückgewiesen, die ihn im ersten Halbjahr 2024 erreicht haben. Das steht im ersten Halbjahresbericht der Intendantin (PDF) , den der Sender Mitte November veröffentlicht hat.
Vier der Beschwerden richteten sich demnach gegen die rbb24-Sendung „Abendschau“. In einem Fall sei moniert worden, dass für einen Beitrag über eine Demonstration ein Kind zur AfD befragt worden sei, die Berichterstattung sei unsachlich und nicht unabhängig gewesen. Laut rbb wurde das Kind aber nicht zur AfD, sondern zu seinen Gefühlen zu den Plänen zur Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund befragt worden – mit Zustimmung der Eltern. In einem weiteren Beitrag ging es um die betrügerische Masche durch sogenannte „falsche Väter“ in der Abendschau sowie im rbb-Politmagazin „Kontraste“. Auch hier sah der rbb keinen Grund für die Programmbeschwerde und wies sie ab.
Kritisiert wurde laut dem Bericht auch eine Moderation in der Spätausgabe der Sendung „rbb24 aktuell“ vom März. Dort habe der Moderator gesagt, dass der Frauentag in Berlin ein gesetzlicher Feiertag sei, „in Brandenburg noch nicht“. Diese Formulierung sei eine parteipolitische Stellungnahme und eine indirekte Unterstützung der Position der Partei Bündnis 90/Die Grünen im Brandenburger Landtag. Über deren Forderung war in der Spätausgabe aber nicht berichtet worden, so dass der Begriff „noch“ nach einer eigenen Stellungnahme geklungen habe. Im Bericht heißt es:
„Der rbb räumte ein, dass es an dieser Stelle besser gewesen wäre, die Position der Grünen erneut zu erwähnen oder das Wort ‚noch‘ zu streichen. Dennoch stellt dies keine Verletzung der journalistischen Grundsätze dar, da die Berichterstattung insgesamt ausgewogen und neutral war.“
In einem Fall erkannte die Intendantin zwar einen Fehler, weil im rbb-Videotext fälschlich von der „Landtagsverwaltung“ die Rede war, obwohl es um die „Landkreisverwaltung“ ging. Sie wies die Beschwerde aber dennoch zurück – unter Berufung darauf, dass Medien Meldungen von Nachrichtenagenturen ungeprüft übernehmen dürften.
Teilweise anerkannt wurde dagegen eine Beschwerde über eine Falschaussage eines Reporters. Er hatte gesagt, dass die Technische Universität in einem bestimmten Fall bis 17 Uhr kein öffentliches Statement abgegeben habe, dabei sei dieses um 16.58 Uhr gekommen. Der rbb sprach von einer missverständlichen Äußerung.
Wenig Transparenz über Programmbeschwerden
Im Detail nachzuprüfen sind die Vorwürfe von Nutzerinnen und Nutzern gegenüber dem Sender nicht, denn dieser veröffentlicht sie nicht im Wortlaut, sondern paraphrasiert sie nur. Ob sich die Beschwerdeführer also korrekt wiedergegeben fühlen, können wir nicht wissen. Allerdings steht ihnen die Möglichkeit offen, gegen einen Bescheid der Intendantin Beschwerde einzulegen, so dass sich der Rundfunkrat mit der Beschwerde befassen muss.
Der rbb hatte den Bericht wochenlang zurückgehalten, obwohl er dem neuen Staatsvertrag zufolge zur Veröffentlichung verpflichtet ist. Der nennt zwar keine genaue Frist, allerdings soll der Bericht veröffentlicht werden, nachdem er dem Rundfunkrat zugeleitet und dort von der Intendantin vorgestellt worden ist. Ulrike Demmer hatte den Bericht bereits am 10. Oktober vorgestellt, wenn auch nur in groben Zügen, die Veröffentlichung ließ aber auf sich warten, während es zwischenzeitlich eine weitere Sitzung des Rundfunkrats gegeben hatte.
Dass solch ein Bericht veröffentlicht wird, ist ein Fortschritt. Denn viele öffentlich-rechtliche Sender in Deutschland verschweigen, über welche Sendungen sich Nutzer bei ihnen beschwert haben. Nicht alle sind per Gesetz oder Staatsvertrag zur Transparenz verpflichtet – wie auch erst seit Anfang des Jahres der rbb.
Nur wenige Beschwerden landen im Rundfunkrat
Auch die Rundfunkräte der meisten Sender sind nicht transparenter. Sie sind der offizielle Adressat für offizielle Programmbeschwerden, die sie aber zunächst in allen Fällen an die Intendanz weiterleiten müssen. Erst wenn die Beschwerdeführer mit deren Antwort nicht zufrieden sind, entscheiden auch die Rundfunkräte inhaltlich über die Beschwerden. Das System führt dazu, dass im Jahr 2023 von den insgesamt 708 gezählten Programmbeschwerden nur 98 von den Mitgliedern der Rundfunkräte geprüft wurden; lediglich fünf wurde stattgegeben, die sich auf zwei Sendungen bezogen. Im rbb-Rundfunkrat wurde im vorigen Jahr nur eine einzige Beschwerde behandelt, die abgewiesen wurde.
Meine vollständige Recherche dazu ist hier zu finden.
„Spiegel“ verwechselt Opfer und Täter bei Fahrradunfall
Der Rennradfahrer Remco Evenepoel ist von einem Autofahrer verletzt worden. Evenepoel war im Training, als der Fahrer eines Postautos die Tür öffnete, gegen die er dann krachte.
Damit ist zumindest den vorliegenden Berichten zufolge klar, wer Täter und wer Opfer war. Der Spiegel beschreibt den Sachverhalt allerdings anders. Dort steht im Teaser des Beitrags:
Er konnte wohl der Schwingtür eines Postautos nicht mehr ausweichen und kam zu Fall: Rad-Superstar Remco Evenepoel liegt nach einem Trainingsunfall im Krankenhaus.
Das aber kehrt Täter und Opfer um. Evenepoel ist nicht gefallen, weil er nicht in der Lage, unfähig oder zu doof war, der Tür auszuweichen, sondern weil der Autofahrer diese erst geöffnet hat, als Ausweichen (oder Bremsen) unmöglich war.
Leider beschreiben Medien ebenso wie Polizeidienststellen, von denen sie die Informationen oft auch im Wortlaut übernehmen, Unfälle mit Radfahrern – gleich ob Profis oder Pendlern – oft in dieser Art und Weise. Weil sie den Verkehr aus der Perspektive des Autofahrers betrachten. Man sieht das auch an weiteren Formulierungen wie etwa der Überschrift im Spiegel:
Doppelolympiasieger Evenepoel kollidiert auf Rennrad mit Postauto
Dort kollidiert ein Mensch mit einem Gegenstand – nicht das Fahrrad mit dem Auto, nicht der Radfahrer mit dem Autofahrer, sondern der Radfahrer mit dem Auto. Im gesamten Artikel wird der Autofahrer kein einziges Mal erwähnt – namentlich natürlich ohnehin nicht, aber nicht mal als Verursacher. Stattdessen findet man eine Formulierung wie
Der Radprofi habe der Schwingtür des Fahrzeugs nicht mehr ausweichen können…
Als habe die Schwingtür einen eigenen Willen und sich einfach so geöffnet.
Das hat leider Methode. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) kritisiert schon seit Jahren, dass nicht nur Medien, sondern auch die Polizei die Unfallverursacher unsichtbar mache.
ADFC-Pressesprecherin Stephanie Krone sagte:
„Unfallberichte der Polizei lesen sich häufig so, als ob auf den Straßen lauter unbemannte Kraftfahrzeuge unterwegs seien, die schicksalhaft Menschen auf Rädern gefährden. In Blaulicht-Meldungen heißt es dann, ein Auto habe eine Radfahrerin ‚erfasst‘. Ein Junge ‚geriet‘ unter einen Lkw. Oder: Ein Radfahrer wurde von einem Auto ‚aufgeladen‘ und zu Boden geschleudert. Dabei sitzt am Steuer eine Person, die laut Straßenverkehrsordnung ihr Fahrzeug so führen muss, dass niemand anderes gefährdet wird. Wer so schreibt, als wäre das Kraftfahrzeug das handelnde Subjekt, verschont die Person im Auto vor dem Blick des Lesers – und damit vor der Schuldfrage. Unser Appell: Benennen Sie nicht nur, was die Person auf dem Rad tut oder erleidet, sondern benennen Sie die Autofahrerin oder den Lastwagenfahrer – und beschreiben Sie in Aktivsätzen ihr Verhalten vor und während der Kollision!“
Auch das Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres, für das ich arbeite, hat darüber berichtet.
Gerade Medien, die sich einen umstrittenen Slogan wie „Sagen, was ist“ geben, müssen darauf achten, dass sie das dann auch tun. Hier aber wurde verschwiegen, was ist – zulasten des Opfers, zugunsten des Täters.
„Reise mit der Maus“: Über die unkritische Berichterstattung über eine Straftat
Die Maus ist wieder da. Eine Statue der Titelfigur der „Sendung mit der Maus“ war am vergangenen Dienstag vor einem WDR-Gebäude in Köln gestohlen worden. Am Mittwoch tauchte sie vor dem ZDF in Mainz wieder auf und wurde nach weiteren öffentlichkeitswirksamen Stationen in Erfurt und Magdeburg am Freitag nach Köln zurückgebracht. Vier Tage lang machten viele Medien diese PR-Aktion der Kampagnenorganisation Campact mit – und bejubelten damit eine Straftat. Das habe ich im Deutschlandfunk kommentiert.
Radio live vor Ort
Wenn ich die Nachrichten bei WDR2, WDR3, WDR4 und WDR5 präsentiere, dann normalerweise aus dem Funkhaus in Köln. In drei Tagen in dieser und der kommenden Woche ist das aber anders. Denn Teile des WDR-Programms kommen dann nicht aus Köln, sondern aus drei kleineren Städten in Nordrhein-Westfalen: aus Ennigerloh, Warburg und Hückeswagen.
WDR aktuell geht auf Tour: Wir berichten online, im Radio und Fernsehen direkt von vor Ort. Seid dabei, schaut uns über die Schulter und erzählt uns von euren Themen.
Ich bin in Ennigerloh für die WDR-Radionachrichten dabei. Im Gemeindebüro der Evangelischen Kirchengemeinde (Elmstraße 32) recherchieren, schreiben und präsentieren wir und lassen uns dabei zuschauen. Hörerinnen und Hörer können bei unseren Konferenzen zuhören und Fragen stellen.
Besonderes Bonbon: Die WDR-Tour in Ennigerloh findet am letzten Tag des diesjährigen Mettwurstmarktes statt – einer Kombination aus Volksfest, Flohmarkt und Kirmes. Ich freu mich drauf.
„Potsdamer Geheimtreffen“: Verdient die Correctiv-Recherche Preise oder Kritik?
Seit einigen Tagen wird in der Medienbranche noch mal über die Correctiv-Berichterstattung über das sogenannte Potsdamer Geheimtreffen diskutiert. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier, der Rechtsjournalist Felix Zimmermann und der Journalistenausbilder Christoph Kucklick werfen dem Artikel erhebliche Mängel vor. Correctiv weist das im Kern zurück.
Bisher haben sich beide Seiten nur getrennt geäußert – in Artikeln und Interviews. Für den Dlf-Medienpodcast „Nach Redaktionsschluss“ haben wir sie zusammengebracht. In der neuen Folge, die wir schon heute veröffentlichen, diskutiert Felix Zimmermann mit Correctiv-Chefredakteur Justus von Daniels. Der Medienjournalist Steffen Grimberg kommentiert die Debatte, die von Sascha Wandhöfer geleitet wird. Ich war als Producer für die fertige Form verantwortlich.
Wer sich für unsere Debatte noch mal in alles einlesen will, dazu die wichtigsten Links:
Den Text, um den es geht, nämlich den Correctiv-Artikel „Geheimplan gegen Deutschland“, findet man hier. (10. Januar 2024)
Einen Überblick darüber gibt, mit Stand 06. August 2024, meine Kollegin Brigitte Baetz in den „Informationen am Morgen“ im Deutschlandfunk.
Auslöser der aktuellen Debatte ist dieser Artikel, veröffentlicht bei Übermedien: „Der Correctiv-Bericht verdient nicht Preise, sondern Kritik – und endlich eine echte Debatte“ von Christoph Kucklick, Stefan Niggemeier und Felix W. Zimmermann. (30. Juli 2024)
Ebenfalls bei Übermedien erschienen ist eine Replik von Andrej Reisin: „Die Kritik an Correctiv ignoriert, was wir über Rechtsextremismus wissen“. (02. August 2024)
Correctiv-Chefredakteur Justus von Daniels hat darauf unter anderem in einem Post bei LinkedIn reagiert: „Die drei Autoren finden unseren Text doof. Das ist ihr gutes Recht. Aber statt fundierter Kritik ist es eine Vermischung aus Stilkritik, Auseinandersetzung mit den juristischen Folgen und wie andere Medien die Recherche aufgenommen haben.“ (02. August 2024)
Ausführlich hat sich Correctiv als Redaktion am selben Tag auf der eigenen Seite in einer Erklärung geäußert: „Die Kritik der drei Autoren von Übermedien, die unseren Text als unzureichend empfinden, beruht überwiegend auf stilistischen Anmerkungen und der Wahrnehmung anderer Medienberichte über unsere Recherche.“
In Interviews geäußert haben sich Christoph Kucklick und Justus von Daniels (allerdings getrennt) im Medienmagazin von Radio Eins. Der Podcast ist hier zu finden (ggf. muss man etwas herunterscrollen). (03. August 2024)
Die Debatte ist von mehreren Kollegen öffentlich kommentiert worden:
Der Investigativjournalist Daniel Drepper, als Vorsitzender der Journalistenvereinigung „Netzwerk Recherche“ mitverantwortlich für den Leuchtturm-Preis für Correctiv, hat den o.g. Post von Justus von Daniels ebenfalls bei LinkedIn kommentiert.
Carolina Schwarz hält die Debatte in der taz für ein „peinliches Penisfechten“. (02. August 2024)
Hans-Jürgen Jakobs schreibt in der Süddeutschen Zeitung von einer „Recherche mit Peng“. (02. August 2024)
Politik ist kein Spiel von Sieg und Niederlage
Ich habe neulich bei Übermedien über mein „Hasswort“ geschrieben – wenngleich ich den Begriff „Hass“ etwas zu stark finde für das Wort „Streit“, um das es ging (aber so heißt nun mal die Rubrik). Unter dem Artikel gibt es auch eine kleine Diskussion darüber.
Die größere allerdings findet bei LinkedIn statt. Dort schreibt SWR-Intendant und ARD-Vorsitzender Kai Gniffke:
Selten habe ich mich in einem Text so wiedergefunden wie im kurzen Artikel „Streit“ von Stefan Fries in Übermedien. (…) Genauso sehe ich es. Und Achtung: Ich nehme uns (SWR/ARD) dabei überhaupt nicht aus. Auch in unseren Nachrichten ist aus meiner Sicht oft von „Streit“ die Rede – warum nicht Begriffe wie Debatte, Diskussion und Diskurs? (…) Klar, mit griffigen O-Tönen garniert und einer gepfefferten „Streit“-Überschrift lässt sich Politikberichterstattung womöglich erfolgreicher verkaufen – und auch das ist ein Wert in einer Zeit, in der viele Menschen Nachrichten grundsätzlich vermeiden (…)
Gniffke spricht in seinem Post aber noch einen anderen Aspekt an, um den es in der Rubrik nicht geht, den ich aber auch für wichtig halte:
Mir erscheint es aber zu einfach, nur danach zu fragen, wer in einem „Streit“ gewonnen oder verloren hat. Klar, mit griffigen O-Tönen garniert und einer gepfefferten „Streit“-Überschrift lässt sich Politikberichterstattung womöglich erfolgreicher verkaufen…
Den Aspekt finde ich viel wichtiger. Denn oft fokussiert sich die Berichterstattung nicht nur auf den Streit an sich, sondern sie beschreibt Politik auch als Spiel von Sieg und Niederlage. Da geht es dann inhaltlich und auch bei der Wortwahl darum, wer sich durchgesetzt hat, wer eine Niederlage erlitten hat, wer zurückstecken musste.
Medien schauen zu viel auf Akteure und zu wenig auf Inhalte
Der Fokus liegt hier also auf den Akteuren, nicht auf den Inhalten. Medien schauen also nicht darauf, ob sich gute Ideen durchgesetzt haben, ob ein kluger Gesetzentwurf durchgekommen ist, ein schlechtes Konzeptpapier verworfen wurde oder ein toller Plan einem Kompromiss zum Opfer gefallen ist. Oder umgekehrt: ob ein schlechter Gesetzentwurf durchgekommen ist oder ein schlechter Plan verworfen wurde.
Sondern sie projizieren die Auseinandersetzung auf die dahinterstehenden Personen. Es geht also um die Frage, ob sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in der Verhandlung über den Bundeshaushalt 2025 durchgesetzt hat, ob die Bundesregierung vor Gericht eine Niederlage erlitten hat oder Bundeskanzler Olaf Scholz in der Auseinandersetzung siegen konnte.
Diese Personalisierung in der Politik ist natürlich nicht neu. Sie ist deshalb aber auch nicht per se so gut, dass wir sie beibehalten sollten. Denn es ärgert mich jedes Mal, wenn ich Nachrichten so formuliert sehe. Wenn die Süddeutsche Zeitung zum Beispiel darüber schreibt, dass Boris Pistorius für sein Bundesverteidigungsministerium nicht so viele Mittel im Haushalt bekommt wie erwünscht, heißt es: „Seine erste Niederlage“. Dabei bekommt (gerade jetzt) fast kein Minister so viel wie er wünscht, weil natürlich alle Ministerien immer mehr anmelden, um das zu bekommen, was sie aus ihrer Sicht brauchen. Inwiefern das eine Niederlage ist, erschließt sich mir nicht. Hätte er besser nichts fordern sollen, um so eine „Niederlage“ zu vermeiden?


Die Debatte um den Haushalt ist dafür überhaupt ein gutes Beispiel, weil es damals viele Schlagzeilen gab, die die Sache in den Kategorien von Sieg und Niederlage dargestellt haben – etwa auch in Bezug auf Bundesfamilienministerin Lisa Paus, wie etwa ntv schrieb:


In Bezug auf die Mitgliederbefragung bei der FDP, die Koalition mit SPD und Grünen zu beenden, schrieb die Stuttgarter Zeitung:

Wenn politische Auseinandersetzungen darauf verkürzt werden, wer gewinnt oder verliert, leidet die Debatte. Denn letztlich geht es um die Frage, wessen Meinung (oder Gesetzentwurf oder politischer Plan) in konkretes politisches Handeln umgesetzt wird, aus welchem politischen Plan also reale Politik wird. Mit Sieg oder Niederlage hat das aber nichts zu tun.
Ereignisse lassen sich auch ohne diese Kategorie beschreiben
Ein banales Beispiel zum Vergleich: Wenn ich zu Hause mit meinem Partner darüber diskutiere, welches Bild wir an die Wand hängen, wir dazu aber verschiedene Meinungen haben, wie würden wir dann das Ergebnis beurteilen? Entweder wird das Bild aufgehängt, das er bevorzugt, jenes, das ich bevorzuge, es wird ein weiteres Bild gewählt oder gar kein Bild aufgehängt.
Wenn ich aber zum Beispiel nachgebe, weil mir die Frage nicht so wichtig ist oder mein Bild woanders Platz findet, heißt das dann, dass der andere gewonnen hat? Müsste man dann titeln: Niederlage für Stefan? Sieg für Stefans Partner? Würde man Freunden in dieser Art und Weise davon erzählen, wenn sie danach fragen, welches Bild jetzt an der Wand hängt? Geht es nicht oft ohnehin um Kompromisse?
Leider wird Journalismus aber oft so betrieben. Natürlich müssen wir darüber berichten, welches Bild es ist, und wir können auch sagen, wer sich dafür eingesetzt hat und aus welchen Gründen. Aber wir müssen auf den Inhalt schauen und die Situation danach bewerten, welcher Inhalt jetzt dort ist. Also ob das Bild dort sinnvoll hängt, wie es aussieht usw. Und nicht danach, wer es ausgewählt hat und ob das nun ein Sieg oder eine Niederlage für denjenigen ist.
Variante des Horse-Race-Journalismus
Dieser Journalismus, der in Sieg und Niederlage denkt, ist übrigens eine Variante des Horse-Race-Journalismus, über den Michael Borgers und ich zur vergangenen Bundestagswahl 2021 bereits eine längere Sendung im Deutschlandfunk gemacht haben. Im Horse-Race-Journalismus wird Berichterstattung allein an Umfragewerten ausgerichtet und über politische Akteure in Kategorien von Siegern und Verlierern, von Vorsprüngen und Aufholjagden berichtet – analog zu einem Pferderennen.
In diesem Fall dienen externe, scheinbar verlässliche Zahlen als Referenz. Beim Journalismus von Sieg und Niederlage ist der Maßstab, wie viele der politischen Vorstellungen jeder Seite ins Ergebnis eingeflossen sind. Weder im einen noch im anderen Fall wird aber auf die politischen Inhalte geschaut, sondern es werden die politischen Akteure bewertet. Das aber ist kein objektiver inhaltsgetriebener Journalismus, sondern Kommentierung.
Eine Ausnahme möchte ich übrigens machen: Wenn es um Wahlergebnisse geht, kann man natürlich durchaus von Sieg und Niederlage sprechen. Schließlich geht es dabei nicht um einen Wettstreit von Ideen, sondern um eine Verteilung von Macht, die sich eben auch in Prozenten und Mandaten ausdrückt. Wo eine Partei zulegt oder verliert, kann man dann auch aus guten Gründen von Sieg oder Niederlage sprechen.
Berichterstattung nicht an fiktiven Erwartungen ausrichten
Auch wenn Journalisten dabei vorsichtig sein müssen. Denn die Fixierung auf Umfragen führt mittlerweile dazu, dass Parteien nicht nach ihrem Wahlergebnis im Vergleich zur vorherigen Wahl beurteilt werden, sondern danach, wie sie im Vergleich zu den letzten Umfragen abgeschnitten haben. So wurde etwa von einigen Medien der Sieg des Rassemblement National in Frankreich zur Niederlage umgeschrieben, weil die rechtspopulistische Partei zwar zugelegt hatte, aber nicht in dem Maße wie erwartet – oder im zweiten Wahlgang schlechter als im ersten, aber immer noch besser als zuvor. Die ZEIT etwa schrieb von „Niederlage“ und der Spiegel von einem „Sieg gegen die Rechtsextremen“.


Auch bei Gerichtsentscheidungen wird natürlich davon geredet, wer gewonnen und wer verloren hat. Und in mancherlei Hinsicht kann man das sicher auch so berichten. Bei Gerichtsentscheidungen über politische Beschlüsse wird die Sache aber wieder schwieriger, vor allem, wenn es Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind, die ja nicht nur Schwarz und Weiß kennen.
Das Urteil zum Wahlrecht zum Beispiel ist in dieser Hinsicht schon auf den ersten Blick ambivalent, weil eben nicht das gesamte Gesetz verworfen wurde, sondern nur Teile davon. Was andererseits aber auch heißt, dass große Teile des Gesetzes, sogar der eigentliche Kern, vom Gericht ausdrücklich gebilligt worden sind.
Gerichtsurteile sind nicht schwarz und weiß
Die Fokussierung in der anfänglichen Berichterstattung darauf, dass die Entscheidung eine Niederlage für die Ampel-Koalition ist, erweckte dabei teilweise einen irreführenden Eindruck des Tenors des Urteils, wie etwa bei ntv:

So müsste man zumindest vom Sieg einzelner Akteure oder vom Sieg in bestimmten Punkten sprechen, aber so differenziert wird es ja vor allem in Überschriften nicht. Glücklicherweise gab es aber auch Medien wie etwa den Tagesspiegel, die die Sache differenzierter dargestellt haben (vor allem, nachdem sich die Aufregung über das Leak des Urteils gelegt hatte).

Ich plädiere dafür, Politik nicht in den Kategorien von Sieg und Niederlage zu beschreiben und sich weniger auf Akteure zu konzentrieren, sondern mehr auf Inhalte zu schauen.
Warum die Talkshow-Kritik der EU-Politiker etwas irreführend ist
Anfang der Woche hat ein Brief deutscher EU-Abgeordneter für Aufmerksamkeit gesorgt. Sie kritisieren in einem Brief an ARD und ZDF, dass in der Woche nach der Europawahl nur ein einziger Abgeordneter in eine der acht Talksendungen eingeladen worden sei. Darin rechnen sie vor, dass insgesamt 43 Gäste eingeladen waren und Manfred Weber (CSU) der Einzige war, der bei der Wahl angetreten bzw. gewählt wurde.
In dem Brief, der mir vorliegt, schreiben Daniel Freund (Grüne), Daniel Caspary (CDU), René Repasi (SPD), Erik Marquardt (Grüne), Moritz Körner (FDP) und Angelika Niebler (CSU):
„Das ist erschreckend, unzureichend und wird ihrem Programmauftrag unserer Ansicht nach nicht gerecht. Politische Talkshows sind einer der zentralen Orte der öffentlichen politischen Auseinandersetzung und es ist äußerst bedauerlich, dass Europapolitikerinnen und Politikern der Zugang zu dieser Arena geradezu systematisch verwehrt bleibt. Europapolitik hat enorme Auswirkungen auf den Lebensalltag der Menschen. Und sie ist zu spannend, als dass sie permanent von der bundespolitischen Seitenlinie kommentiert werden muss.“
Das stimmt. Und mit ihrer Kritik, dass zu wenige EU-Abgeordnete eingeladen worden, haben Sie einen Punkt, finde ich. Aber die verwendeten Zahlen sind fragwürdig. Denn zu behaupten, von 43 Gästen sei nur einer Kandidat oder neuer Europaparlamentarier, verkürzt die Sache, wird damit doch suggeriert, es hätten 42 weitere EU-Abgeordnete eingeladen werden können. Das aber ist mitnichten der Fall. Ich erkläre gleich die Gründe dafür.
Nicht alle Talkshows beschäftigten sich mit der Wahl
Die Abgeordneten beziehen sich auf acht Ausgaben von insgesamt fünf verschiedenen Talkshows:
- „Caren Miosga“ (im Ersten, am 9.6., dem Abend der Wahl)
- „hart aber fair“ (im Ersten, am 10.6.)
- „Maischberger“ (im Ersten, am 11.6. und 12.6.)
- „Markus Lanz“ (im ZDF, am 11.6., 12.6. und 13.6.)
- „Maybrit Illner“ (im ZDF, am 14.6.)
Fünf der acht Sendungen beschäftigten sich monothematisch mit der Wahl:
- Caren Miosga: „Europa hat gewählt – wohin steuert Deutschland“?
- hart aber fair: „Ampel-Desaster: Kommen jetzt Neuwahlen?“
- Maybrit Illner: „Europa hat gewählt: Kiews Schicksal ungewiss“
- Markus Lanz am 12.6.
- Markus Lanz am 13.6.
Keine der Sendungen also schaute nur auf das Ergebnis der Wahl, sondern fragen auch nach den Konsequenzen – zum Beispiel für Deutschland oder für die Ukraine. Dass bei diesem Schwerpunkt nicht nur EU-Abgeordnete eingeladen werden, ist zwingend. Ob man das so machen muss oder nicht, natürlich eine andere Frage.
Die Talkshows von Sandra Maischberger und Markus Lanz beschäftigen sich immer mit mehreren Themen; wenn es dort also nicht nur um die EU geht, ist das Fehlen von EU-Abgeordneten auch nicht verwunderlich.
Nicht alle Gäste sind Politikerinnen oder Politiker
So war zwar der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff bei Maischberger zum Ergebnis der Europawahl eingeladen; Janine Wissler (Linke) und Boris Palmer (Tübinger Oberbürgermeister) diskutierten allerdings über das Thema Abschiebungen. In Maischbergers zweiter Sendung in der Woche nach der Europawahl wurde der ehemalige Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit zur Europawahl befragt; Sahra Wagenknecht (BSW) und Marina Weisband (Grüne) diskutierten wiederum über die Ukraine. Auch die Auswahl zweier ehemaliger Politiker, um die Wahl zu kommentieren, ist natürlich diskussionswürdig.
Bei Markus Lanz ging es auch um die Europawahl. Anton Hofreiter (Gründe) wurde unter anderem zum Abschneiden seiner Partei befragt. Allerdings wurde auch über die geplante Neuwahl in Frankreich gesprochen und über die Situation in der Ukraine.
Außerdem sind in keiner der acht Sendungen ausschließlich Politiker eingeladen worden – was die Regel ist. Dort saßen auch Journalistinnen und Journalisten, eine Schriftstellerin, ein Musiker, ein ehemaliger Oberst, zwei ehemalige Diplomaten, zwei Wissenschaftler und eine Wissenschaftlerin. Sie machen sogar die Mehrheit aus: Nur 16 der Gäste sind aktive Politiker oder Politikerinnen; Christian Wulff und Klaus Wowereit habe ich hier nicht eingerechnet.
Nur einer von 16 Gästen aus der Politik
Beklagen können die Absender des Briefes also höchstens, dass von den 16 Gästen nur einer ein kandidierender bzw. gewählter EU-Abgeordneter ist. Auch diese Quote ist natürlich verhältnismäßig schlecht, aber eben auch nicht so künstlich niedriggerechnet wie im Brief.
Hinzu kommt: Auch diese 16 waren nicht alle zu einem EU-Thema eingeladen; mindestens vier von ihnen sprachen (auch) zu anderen Themen. Sprich: Es ist wohl eher ein Verhältnis 1 zu 11, aber eben nicht 1 zu 42.
Natürlich kann man beklagen, dass die Europawahl überhaupt so wenig Thema war, und sicherlich hätten da auch mehr EU-Politiker sitzen können/müssen. Auch, dass einige Talkshows nach einer letzten Ausgabe nach der Wahl in die Sommerpause gegangen ist, beklagen die Unterzeichner des Briefes zurecht. Und sie loben auch die Berichterstattung insgesamt. Aber ihre Rechnung ist einfach zu platt.
Wo Umfragen an ihre Grenzen stoßen
Einer Befragung für den „Stern“ zufolge finden es 58 Prozent der Deutschen gut, dass Hubert Aiwanger als bayerischer Wirtschaftsminister im Amt bleibt. Aber an der Zahl gibt es Zweifel. Der Fall zeigt, woran es bei Umfragen in den Medien häufig hakt. Das habe ich im Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres erklärt.