Wie Sprache die politische Wirklichkeit formt

Schon lange war nicht mehr so wichtig, wie Politikerinnen und Politiker mit Bürgerinnen und Bürgern sprechen. In der Corona-Krise haben sie wochenlang alle paar Tage über die Maßnahmen gesprochen, die sie ergriffen haben. Wer wissen wollte, welche Regeln gerade gelten, musste ihnen zuhören – wenn auch vermittelt über die Medien.

Wie kommunizieren Politiker in Corona-Zeiten und wie eigentlich grundsätzlich? Darüber habe ich für das Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres mit dem Sprachwissenschaftler Sascha Michel von der Universität Erfurt gesprochen (Audio-Link).

Zufriedenheit auf Rekordhoch – Unzufriedenheit auf Rekordtief

Es ist schon ein paar Wochen her, aber da es zum Thema Umfragen passt, mit dem ich mich immer wieder beschäftige, will ich noch drauf hinweisen, wie die Bild-Zeitung das Ergebnis einer Umfrage darstellt.

Ich bin diesmal nicht der Frage nachgegangen, ob die Umfrage seriös zustandegekommen ist. Interessant ist in diesem Fall die Darstellung des Ergebnisses. Möglicherweise, weil der Redaktion das Umfrageergebnis nicht passt, dreht sie es in der Darstellung einfach auf den Kopf. Statt zu schreiben, dass die Zufriedenheit mit der Bundesregierung so hoch ist wie nie, schreibt sie einfach, dass die Unzufriedenheit auf einem Rekordtief sei. Das ist schon ein interessanter Spin und eine Frage des Framings.

Die ganze Geschichte hat das Bildblog aufgeschrieben.

Warum Infizierte und Erkrankte nicht dasselbe sind

Jeden Tag hören wir in Medien, wie viele Menschen sich „seit gestern neu infiziert haben“. Dabei wissen wir das gar nicht. Diese Formulierung ist ziemlich unpräzise und verschleiert die Dunkelziffer. Was die Begriffe bedeuten und warum wir nicht mal wissen, wie viele Erkrankte es gibt, erkläre ich im Sprach-Check „Sagen & Meinen“ im Deutschlandfunk.

Warum die Autokaufprämie eigentlich gar keine Prämie ist

Eine Prämie kann ich mir verdienen – oder sie gewinnen. Zum Beispiel, wenn ich in meiner Firma besonders gute Leistungen erbracht habe – oder beim Lotto richtig getippt habe – oder für etwas geehrt werde.

Was Autoindustrie und manche Politiker jetzt fordern, ist aber weder das eine noch das andere. Ich bekomme gar nichts obendrauf.

Mein Beitrag für unsere neue @mediasres-Sprachrubrik „Sagen & meinen“.

Warum wir weder Ausgangssperren noch den „totalen Lockdown“ haben

Shutdown, Lockdown – während der Corona-Pandemie werden in den Medien viele Begriffe für die Einschränkungen im öffentlichen Leben verwendet. Bisher hat es in Deutschland allerdings keine Shut- oder Lockdowns gegeben. Der Shutdown meint in den USA das Stilllegen der Bundesverwaltung; Lockdown ist lediglich die Übersetzung für Ausgangssperre. In Deutschland gibt es nur Ausgangsbeschränkungen. Wenn Politiker, Medien oder Wirtschaftsexperten von Ausgangssperre, Shutdown oder Lockdown sprechen, stellen sie die Situation also extremer dar, als sie ist – und verfolgen damit vielleicht eigene Interessen.

Darum geht es in meiner ersten Folge der neuen @mediasres-Reihe „Sagen & meinen – der Sprachcheck“ – kann man hier hören (Dlf-Audiothek).

Sagen & meinen – der Sprach-Check bei @mediasres

Das „Familiendrama“, Trumps „Friedensplan“, die „Klimakrise“: In den Medien setzen sich Begriffe fest, ohne hinterfragt zu werden.

Dabei ist ein Familiendrama höchstens ein Streit über den Hausputz, aber keinesfalls ein Dreifachmord an Frau und Kindern. Für einen „Friedensplan“, der diesen Namen verdient, müssten zumindest alle befragt worden sein, die Frieden schließen sollen. Und kann man wirklich noch verharmlosend von einer „Krise“ sprechen, wenn wir – wissenschaftlich untermauert – nur noch zehn Jahre haben, um das Klima auf diesem Planeten zu retten? Wir sitzen denen auf, die uns mit  dem „Gute-Kita-Gesetz“ die Bewertung von politischen Vorhaben gleich mitliefern wollen.

Journalistinnen und Journalisten sagen das eine, meinen aber in Wirklichkeit etwas ganz anderes. Deswegen haben wir die neue Rubrik bei @mediasres im Deutschlandfunk „Sagen & meinen“ genannt. Sie nimmt solche Begriffe aufs Korn. Wir erklären, welcher „Frame“ damit verbunden ist, dass in manchen Fällen nicht einmal der rhetorische Griff zum „so genannt“ hilft und welche Wort-Alternative es gibt. Kurz, knapp und vor allem aktuell zeigen wir auf, worin der Unterschied besteht zwischen Sagen und Meinen.

Warum das Gute-Kita-Gesetz teilweise ein Billigere-Kita-Gesetz ist

Das „Gute-Kita-Gesetz“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie Politiker, in diesem Fall Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, gute PR für sich selbst machen. Es ist schon an verschiedenen Stellen diskutiert worden, warum Journalisten den Begriff nicht übernehmen sollten – weder direkt noch in einer distanzierten Form wie etwa in Anführungszeichen oder als „sogenanntes Gute-Kita-Gesetz“. Wie wir aus der Forschung wissen, sind Anführungszeichen oder ein „sogenanntes“ nicht stark genug, um den positiven Frame von der guten Kita zu überstrahlen.

„Aber es geht doch darum, die Kitas gut zu machen“ – so das Argument derjenigen, die finden, dass man den Begriff durchaus verwenden kann, und die ihn selbst verwenden. Schließlich schreiben wir auch sonst in Meldungen, dass Giffey mit dem Gesetz die Betreuung in Kitas verbessern will. Welchen Unterschied gibt es noch zwischen „Gute-Kita-Gesetz“ und „will Kitas verbessern“?

Das liegt vor allem daran, was man unter eine Verbesserung von Kitas versteht. Denn laut Familienministerium ist eine Kita auch dann gut, „wenn der Eintritt frei ist“, wie es auf seiner Webseite schreibt. Das allein aber macht noch nicht die Kita an sich gut. Es kann sie sogar verschlechtern. Denn wenn die Millionengelder dazu verwendet werden, die Gebühren zu senken, verbessert das in den Kitas genau gar nichts. Und tatsächlich haben die ersten Bundesländer bereits beschlossen, die Gebühren zu senken.

Das macht nicht das Gesetz an sich obsolet oder schlecht. Aber es bewirkt eben auch nicht das, was man sich unter einem Gute-Kita-Gesetz vorstellt. Schon deswegen sollten Journalisten den Begriff nicht benutzen – und wenn sie es tun, dann nicht unkritisch, etwa indem sie ihn hinterfragen, einordnen und erklären.

Gegen den „Klimanotstand“

Umweltschützer sind schon länger dazu übergegangen, nicht nur vom reinen Klimawandel zu sprechen. Das klingt ihnen zu neutral. Tatsächlich muss ein Wandel ja keiner zum schlechteren sein.

Auch der britische Guardian hat sich dazu entschieden, in Sachen Klimaerwärmung deutlicher zu formulieren – vielleicht sogar überspitzt.

In Deutschland rufen inzwischen immer mehr Städte den sogenannten Klimanotstand aus – auch, um deutlich zu machen, wie ernst die Lage ist. SWR-Umweltredakteur Dominik Bartoschek hält das für maßlos übertrieben. Er nennt in seinem Kommentar gute Gründe dafür, warum man sprachlich nicht übertreiben sollte, wenn nichts dahintersteckt.

Warum ein Mädchen wirklich verprügelt wurde

Ich hatte schon neulich mal darauf hingewiesen, dass bei manch schneller Formulierung schon mal Auslöser und Ursache verwechselt werden. So schrieb eine Zeitung neulich:

Wegen eines Kopftuchs? 13-jähriges Mädchen ins Krankenhaus geprügelt

Oberflächlich fällt daran erst mal nichts auf. Das darin steckende Framing lautet jedoch, dass das Mädchen wegen ihres Kopftuchs verprügelt wurde, was an sich keine Ursache sein dürfte. Die eigentliche Ursache liegt vielmehr im mutmaßlichen Rassismus des Täters, der ein Kopftuch für einen Grund hält, jemanden zu verprügeln.

Tatsächlich hat die Zeitung nach Kritik bei Twitter darauf reagiert und nicht nur den falschen Zusammenhang gelöscht, sondern das Motiv Rassismus in die Überschrift genommen. Dort heißt es jetzt:

Rassistischer Angriff? 13-jähriges Mädchen ins Krankenhaus geprügelt

Kritik wirkt.

Ein paar Morde sind kein Drama

Wenn ein Mann seine aktuelle oder ehemalige Partnerin umbringt und die Kinder gleich mit, so nennen Polizei-Pressestellen und Journalisten das gerne mal ein „Familiendrama“. Das ist ein problematischer Begriff, denn er macht aus einer Straftat zum einen eine private Angelegenheit, die nur die Familie angehe, und zum anderen etwas Theatralisches.

Tatsächlich haben Journalisten immer noch nicht gelernt, auf den Begriff zu verzichten und die Ereignisse mit neutralen Worten zu beschreiben. Die Intiative Gender Equality Media hat sich daran gestört, dass die Deutsche Presse-Agentur (dpa) als wichtige Quelle für die Berichterstattung in deutschen Medien diese Formulierung immer noch nutzt. Sie hat der dpa einen offenen Brief geschrieben (PDF) und auf die problematischen Implikationen hingewiesen. Unter anderem heißt es dort:

Bei Tätern mit muslimischen Hintergrund ist oft von “Ehrenmord” die Rede,während bei “deutschen” Tätern der bagatellisierende Begriff “Familiendrama” oder“Eifersuchtsdrama” verwendet wird. So wird Gewalt von Männern gegenüber Frauen*, bzw.ihren (Ex-)Partnerinnen, auf einzelne Kulturkreise abgewälzt. Dabei handelt es sich um eingesamtgesellschaftliches Problem. Würden wir nicht mehr jedes Mal „Familiendrama“lesen, wenn eine Frau durch ihren (Ex-)Partner ermordet wurde, sondern “Femizid”, so wäresichtbar, dass es sich um ein strukturelles Problem handelt und nicht um Einzelfälle.

Zu den problematischen Begriffen, von denen die dpa ohnehin viele schon nicht benutze, gehören laut den Aktivist*innen außerdem:

  • „Sex-Sklavin“
  • „Sex-Täter“
  • „Kinderprostituierte“
  • „Familiendrama“
  • „Eifersuchtstragödie“
  • „Kopftuchfrauen“

In einem Anhang beschreiben sie, was sie daran problematisch finden.

Mittlerweile hat ihnen zufolge auch dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger reagiert. In seiner Antwort schrieb er demnach:

Den verharmlosenden ‚Sextäter‘ wollen wir eigentlich auch schon seit längerem nicht mehr verwenden, manchmal rutscht diese Formulierung aber noch durch. Hier werden wir Ihr Schreiben gerne zum Anlass nehmen, die Kolleginnen und Kollegen daran zu erinnern.

Die dpa gab den Aktivist*innen an, bei den Begriffen „Familien- bzw. Beziehungsdrama oder –tragödie“ noch in internen Diskussionen zu stecken. Es wäre wünschenswert, wenn sie auch darauf verzichten würde. Erfreulich ist vor allem die Offenheit, auf solche Denkanstöße zu reagieren.