Bild lässt Greta Thunberg die Schule schwänzen, obwohl sie gar nicht mehr hin muss

Dass Greta Thunberg und die Schüler, die seit Wochen und Monaten freitags nicht in die Schule gehen, von Politikern und Journalisten diffamiert werden, ist nichts Neues.

Statt über deren Anliegen, nämlich mehr Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe, zu diskutieren, sprechen sie lieber darüber, dass die Schüler ihrer Schulpflicht nicht nachkommen – also schwänzen. Das ist ganz praktisch, weil es vom eigentlichen Thema ablenkt – klassisches Derailing, wie es von Trollen im Netz praktiziert wird, aber auch Politikern und Journalisten nicht fremd ist.

Auch die Bild-Zeitung nutzt dieses Framing und schreibt jetzt zum Beispiel:

Greta Thunberg (16) wird das kommende Schuljahr ganz schwänzen – um sich dem Kampf gegen die Klima-Krise zu widmen!

In der Überschrift heißt es zwar noch relativ neutral:

Allerdings verrät die URL, dass der Artikel ursprünglich mit anderem Titel online gegangen ist oder gehen sollte:

https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/greta-thunberg-klimaaktivistin-wird-ein-jahr-lang-die-schule-schwaenzen-62336250.bild.html

Und auch die Vorschau im Tweet von Kevin Kühnert zeigt das:

Allerdings weist Kühnert zurecht darauf hin, dass das so nicht stimmt. Denn Greta schwänzt nicht die Schule. Das würde nur gelten, wenn sie so gegen die Schulpflicht verstoßen würde – was sie aber nicht tut, wie die Bild selbst später im Artikel schreibt:

Um ihre Schulzeit mache sie sich keine Sorgen, sagte Thunberg. Sie werde einfach ein Jahr später aufs Gymnasium wechseln. Normalerweise stünde für die junge Schwedin im August der Wechsel auf eine weiterführende Schule an. In den ersten neun Jahren gilt Schulpflicht.

Interessanterweise schreibt die Bild im selben zuerst zitierten Satz aber auch von der Klimakrise – und nutzt damit ein stärkeres Framing als mit dem sonst üblicherweise oft genutzten Begriff Klimawandel. Ein Wandel kann in die eine oder andere Richtung gehen, also auch einen positiven Wandel bringen. Beim Klima geht es allerdings für uns Menschen in eine negative Richtung, deswegen sind Begriff wie Klimakatastrophe und Klimakrise aus Sicht derjenigen, die diesen bekämpfen wollen, passender.

„Klimakatastrophe“ statt „Klimawandel“: Guardian wählt künftig andere Worte für Berichte über das Klima

Klimawandel – ein Begriff, den wir schon so lange hören, dass wir gar nicht mehr realisieren, wie wenig aussagekräftig er eigentlich ist für das, was er uns sagen soll. Denn es geht ja nicht nur um einen Wandel in die eine oder andere Richtung, es geht nicht um einen natürlichen Prozess, sondern um eine dramatische Verschlechterung der klimatischen Bedingungen für uns Menschen. Trotzdem wird dieser Begriff in der öffentlichen Diskussion immer noch oft verwendet, auch von Journalisten.

Der britische Guardian will das jetzt ändern und in seiner Berichterstattung über das Klima deutlichere Worte wählen. Er hat deshalb seinen Style-Guide aktualisiert. Dort heißt es jetzt etwa zum Begriff „Klimawandel“ (Übersetzung von mir):

…wird nicht länger als akkurat angesehen, um die Ernsthaftigkeit der Lage zu beschreiben; besser benutzen: Klimanotstand, Klimakrise oder Klimazusammenbruch

War bisher die Rede von Klimaskeptiker, so will der Guardian künftig vom „Klimaleugner“ sprechen:

das OED (Oxford English Dictionary) definiert einen Skeptiker als „Sucher nach der Wahrheit; ein Fragender, der noch nicht zu definitiven Schlussfolgerungen gelangt ist. Die meisten „Klimaskeptiker“ leugnen trotz überwältigenden wissenschaftlichen Beweisen, dass Klimawandel stattfindet oder dass er vom Menschen verursacht sind, also ist Klimaleugner genauer.

Möglicherweise liegt es an meinen Übersetzungsfähigkeiten, aber ich würde den Begriff Klimaleugner im Deutschen so nicht verwenden, denn geleugnet wird ja nicht das Klima, sondern ein menschengemachter Klimawandel.

Und statt „globaler Erwärmung“ will der Guardian künftig von „globaler Erhitzung“ sprechen.

Chefredakteurin Katharine Viner wird in ihrer Zeitung wie folgt zitiert (Übersetzung wieder von mir):

Wir wollen sicherstellen, dass wir wissenschaftlich präzise sind und gleichzeitig diese sehr wichtige Thema klar gegenüber unseren Lesern kommunizieren. Der Begriff „Klimawandel“ zum Beispiel klingt eher passiv und sanft, obwohl das, worüber Wissenschaftler sprechen, eine Katastrophe für die Menschheit ist.

Es ist ein bemerkenswerter Wandel in der Berichterstattung, der das Framing für die Berichte deutlich ändern wird.

Eine Gruppe Menschen, zwei Perspektiven – und das nur durch Sprache

NRW-Integrationsminister „ruft Migranten zur Teilnahme an EU-Wahlen auf“, schreibt .

In der Pressemitteilung seines Ministeriums wird wiederum von „Deutschen mit Einwanderungsgeschichte“ gesprochen – und damit eine bewusst integrationsfreundliche Formulierung gewählt.

Zwei Perspektiven mit Framing-Effekt. Spreche ich von Migranten oder Deutschen?

 

Berliner Volksbegehren liefert den Gegnern Argumente

Die Berliner Initiative führt den Begriff „enteignen“ schon in ihrem Namen, auch wenn sie gar nicht enteignen will. (https://www.dwenteignen.de/)

Seit Tagen wird in Politik und Medien über Enteignung diskutiert. Soll der Staat Unternehmen Besitz wegnehmen und sie entsprechend entschädigen?

Ausgelöst hat die Debatte das Berliner Volksbegehren „Deutsche Wohnen enteignen“. Der Begriff „enteignen“ legt nahe, dass die Initiative Artikel 14 Absatz 3 Grundgesetz anwenden will, in dem davon die Rede ist:

Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
Auch in ihrer Werbung für das Volksbegehren spricht die Initiative ständig von Enteignung – und nimmt damit die Perspektive derjenigen ein, die von einer solchen Maßnahme betroffen sein sollen, denen also Besitz weggenommen wird (und die dafür entschädigt werden). Das könnte man sogar verstehen, wenn sie tatsächlich vorhätte, Enteignungen zu fordern.
Tatsächlich will sie das aber gar nicht. Sie stützen ihr Volksbegehren nämlich nicht auf Artikel 14 Absatz 3 Grundgesetz, sondern auf Artikel 15. Und in dem heißt es:
Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.
Auch auf ihrer Webseite führen sie den Artikel auf. Der Begriff Vergesellschaftung aber nimmt die Perspektive derjenigen ein, die von dem Vorgang profitieren. Für die öffentliche Debatte in der Politik wäre das der bessere Begriff gewesen, weil er das Anliegen ins Positive wendet.

Enteignung aber klingt nicht gut. Und liefert den Gegnern der Initiative willkommenes Sprachmaterial, um die Intiative abzulehnen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zum Beispiel benutzen den Begriff und bringen ihn in die Nähe des Sozialismus und der DDR-Staatswirtschaft – obwohl er im Grundgesetz der BRD steht.

Dass die Initiative sich für den Begriff Enteignung entschieden hat, kann durchaus sinnvoll sein, weil es möglicherweise zu einer höheren Mobilisierung führt. Es stärkt aber zugleich diejenigen, die gegen die Initiative sind und dafür den Begriff mit dem negativeren Klang nutzen können.

Wie bild.de mittels Framing das Framing anprangert

Das hat natürlich eine gewisse Ironie, wie bild.de das zurecht umstrittene Gutachten von Elisabeth Wehling für die ARD angreift – nämlich ausgerechnet mit Framing. Der ARD vorzuwerfen, sie wolle die Öffentlichkeit mittels Framing „umerziehen“, und dann selbst Begriffe zu benutzen, auf die genau dieser Vorwurf zutrifft, ist einigermaßen absurd. Genauso macht es bild.de aber in seinem Artikel:

Dabei benutzt bild.de nicht nur das Framing der „Umerziehungs-Fibel“ und des „Umerziehungs-Gutachtens“ und erweckt damit den Eindruck, die ARD sei willens oder gar in der Lage, irgendwen „umzuerziehen“ – zu was auch immer (denn das lässt der Text offen). Auch der Begriff „das gebührenfinanzierte Machwerk“ kommt im Text vor – ohne Distanzierung oder Berufung auf eine Quelle. Dass bild.de also mittels Framing der ARD vorwirft, Framing zu betreiben, ist einigermaßen absurd. Wenn auch nicht überraschend, denn die Redaktionen der Bild arbeiten ständig damit.

Warum Journalisten nicht vom „Gute-Kita-Gesetz“ sprechen sollten (Spoiler: Weil sie damit der Ministerin einen Gefallen tun)

Eigentlich heißt es „Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung“. Dass so ein Begriff den gesetzgeberischen und administrativen Notwendigkeiten entspricht, ist das eine. Gut verkaufen lässt er sich in der Öffentlichkeit aber nicht. Das zuständige Bundesfamilienministerium hat daraus deshalb in seiner öffentlichen Kommunikation das „Gute-Kita-Gesetz“ gemacht.

Das klingt prägnant und einleuchtend und wird deshalb von Journalisten gerne verwendet.

Dabei liegt die Vermutung nahe, dass Familienministerin Franziska Giffey es ganz gerne sieht, wenn das Gesetz unabhängig von der Beurteilung seines Inhalts schon mal ein positives Framing bekommt. Besonders gut funktioniert das, wenn man den Begriff nur hört – dann ist nämlich unklar, ob sich das „Gute“ auf die Kitas bezieht oder auf das Gesetz, etwa in einem Satz wie diesem:

Die Bundesregierung hat das Gute-Kita-Gesetz beschlossen.

Der ließe sich auch verstehen als:

Die Bundesregierung hat das gute Kita-Gesetz beschlossen.

Nach der Framing-Theorie nutzt es auch wenig, den Kurznamen des Gesetzes in Anführungszeichen zu setzen oder – gesprochen – mit einem „sogenanntes Gute-Kita-Gesetz“ zu verstehen. Denn der Begriff bleibt trotzdem hängen, die Distanzierung bzw. Relativierung bewirkt wenig.

Normalerweise räumen Politiker nicht ein, dass sie solche Begriffe bewusst setzen. Giffey schon. Das Magazin „Pressesprecher“ schreibt, dass Giffey die Medien als wichtige Verbündete sehe, wenn es darum gehe, Botschaften zu platzieren. In diesem Fall haben sie sich auch als solche erwiesen. Das Magazin schreibt:

Den verklausulierten Begriff „Kitaqualitätsentwicklungsgesetz“ etwa lehnte sie ab und formulierte ihn kurzerhand um in „Gute-Kita-Gesetz“ ‒ inklusive Würfel für den Schreibtisch, auf dem die Kerngedanken des Gesetzes in prägnanten Sätzen abgebildet sind. Schließlich sollen sich die Menschen ja daran erinnern.

Journalisten müssen sich also bewusst sein, dass sie durch Framing bewusst instrumentalisiert werden. Statt der Kurzform des Namens können sie einfach die Langform nutzen oder besser noch auf eine alternative Formulierung ausweichen – so etwas wie „das neue Kita-Gesetz“.