Wie Richard David Precht und Harald Welzer sich Meinungen machen

Zu ihren Thesen und wie die Autoren sie in der Öffentlichkeit vertreten, ist an anderer Stelle schon einiges geschrieben worden. Ich verweise exemplarisch auf Andrej Reisin und Nils Minkmar bei Übermedien und Harald Staun in der FAZ.

Ich möchte in diesem kurzen Artikel einen Blick darauf werfen, wie Richard David Precht und Harald Welzer in ihrem Buch „Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist.“ mit Umfragen umgehen – einfach nur anhand ihres ersten Kapitels.

Um zu zeigen, dass die Mehrheitsmeinung von den von ihnen sogenannten Leitmedien „gemacht wird“, brauchen sie natürlich einen Referenzpunkt: Was ist denn die eigentliche Mehrheitsmeinung – also die nicht gemachte, die der Bürger? Die Antwort sehen sie in Umfragen. Das ist naheliegend und durchaus denkbar, allerdings müssen sie die Umfragen auch einer Quellenkritik unterziehen, also daraufhin überprüfen, ob durch sie wirklich in Erfahrung gebracht werden kann, was Auftraggeber und Umfrageunternehmen behaupten.

Unkritischer Umgang mit Umfragen

Dabei fällt schon in der Einleitung auf, dass Precht und Welzer relativ unkritisch mit den Umfragen umgehen. Das zeigt sich schon daran, wie wenig sie Auftraggeber und durchführendes Unternehmen unterscheiden können. So schreiben sie etwa auf Seite 8:

Von über 4000 im Jahr 2022 von RTL / ntv repräsentativ befragten Bürgerinnen und Bürgern gaben nur noch 46 Prozent an, sie hätten »Vertrauen in die Presse«.

Dabei haben natürlich nicht RTL und n-tv die Bürgerinnen und Bürger befragt, sondern vermutlich ein Umfrageunternehmen. Folgt man der angefügten Fußnote, so führt ein Link auf das Statistikportal Statista, das die Umfragedaten vorhält. (Das wäre im Übrigen so, als würde man auf einen Wikipedia-Artikel verlinken statt auf die dort aufgeführten Originalquellen.) Als Quelle gibt Statista „RTL (RTL/n-tv-Trendbarometer)“ an, das Umfrageunternehmen ist dort nicht erwähnt.

(Screenshot: statista.de)

Erst wenn man sich mit einem bezahlten Account von statista.de einloggt, bekommt man weitere Angaben zur Quelle, auch dazu, wer die Umfrage durchgeführt hat, nämlich Forsa.

(Screenshot: statista.de)

Dort hätte man mit einem Klick („Herkunftsverweis“) auch die ursprüngliche Quelle finden können, nämlich eine Pressemitteilung von RTL Deutschland. Eine Recherche, die für das Buch offenbar nicht gemacht wurde.

Allerdings finden wir weder bei Statista noch im Presseportal Angaben dazu, wie die Daten zustandegekommen sind. Denn bei jeder Umfrage sind Fragestellung und Antwortmöglichkeiten entscheidend. (Deshalb verlangt der Pressekodex in Richtlinie 2.1, an den RTL freilich nicht gebunden ist, immerhin die Angabe der Fragestellung.) Statista schreibt dort selbst:

Die Quelle macht keine genauen Angaben zur Fragestellung. Die hier gewählte Formulierung kann daher gegenüber der Befragung leicht abweichen.

Nur wenige Sätze später wird dieser angeblich von RTL/n-tv durchgeführten Umfrage eine weitere gegenübergestellt, die von Forsa durchgeführt worden sei. Womit also verschleiert wird, dass es nacheinander um gleich um zwei Forsa-Umfragen geht. Hier konnten die Autoren offenbar im angeführten Link auf das christliche Medienmagazin „Pro“ leichter erkennen, dass Forsa das Umfrageunternehmen ist, die TU Dortmund wiederum der Auftraggeber.

Vage Zahl dient als Beleg, dabei ginge es klarer

Aus der anschließend erwähnten Umfrage von infratest-dimap über die Glaubwürdigkeit der Medien von 2015 (die wiederum nur unzureichend verlinkt ist, hier der zielführende Link), zitieren die Autoren nur die am wenigsten aussagekräftige Zahl:

Schon 2015 verzeichnete eine Umfrage von Infratest / Dimap im Auftrag des WDR 42 Prozent Befragte, die deutsche Medien für »nicht glaubwürdig« halten.

Nur in der am Ende des Buches (rund 260 Seiten später) stehenden Fußnote räumen sie ein, dass

die Einzelwerte für Radio, Fernsehen und Print
deutlich positiver ausfallen und die 42 Prozent auch
deshalb zustande kommen, weil die Privatsender, das
Internet und die Boulevardpresse mit abgefragt wurden.

Das ist aber keine Petitesse, weil hier nicht sortenrein Kategorien abgefragt wurden, wie auch eine Grafik von infratest-dimap zeigt:

(Quelle: infratest-dimap.de)

Während öffentlich-rechtliches Radio und Fernsehen Mediengattungen sind, ist das Internet ein technischer Verbreitungsweg. Nach dem Online-Angebot redaktioneller Medien wurde hier ja nicht gefragt. Boulevardpresse wiederum gibt es auch im Bereich der Tageszeitungen.

Lässt man also die beiden irreführenden bzw. uneindeutigen Kategorien weg, liegen alle Werte deutlich höher als 42 Prozent. Eine Quellenkritik, die die Autoren unterlassen haben.

Solche Zahlen sind alarmierend.

Schreiben die beiden nach der Auflistung dieser und weitere Umfragedaten. Aber nur für denjenigen, der sich alarmieren lässt. Und der die Zahlen als Fakt hinnimmt, anstatt sie aufgrund der Unzuverlässigkeit von Umfragen im Allgemeinen selbst zu hinterfragen.

Vielleicht ist es möglich, mit den zitierten Umfragen die Thesen der beiden belegen, aber die Art und Weise, wie sie das hier tun und wie stark sie einer zweifelhaften Quellengattung vertrauen, wirft Fragen auf.

Verlage gegen Sender: Der lange Streit um die Presseähnlichkeit

Zeitungen liefern Texte, Radiosender gesprochenes Wort und Fernsehsender bewegte Bilder. So war es in der Zeit vor dem Internet. Dort aber bieten heute alle Medienanbieter alle Gattungen an – zum Beispiel Zeitungen auch Podcasts und Sender auch Texte.

Dass auch Öffentlich-Rechtliche das machen, stört die Verlage schon lange, weil sie darin eine illegitime Konkurrenz sehen. Sie sprechen von „Presseähnlichkeit“. Denn im Netz sind Texte der Öffentlich-Rechtlichen nur einen Klick von Texten der Verlage entfernt. Während die einen durch den Rundfunkbeitrag schon finanziert und frei im Netz sind, müssen die anderen verkauft werden.

Drei Beschwerden stehen gerade im Raum. Die der „Magdeburger Volksstimme“ gegen den MDR und die des „Weser-Kuriers“ gegen Radio Bremen werden am 14. Oktober von einer Schlichtungsstelle behandelt. Zu einer Klage von 16 Medienhäusern im SÜdwesten gegen die SWR-App „Newszone“ fällt am 17. Oktober am Landgericht Stuttgart ein Urteil.

Was hinter Begriffen wie Presseähnlichkeit, Drei-Stufen-Test und Schlichtungsstelle steckt, habe ich für @mediasres im Deutschlandfunk erklärt. Meine Kollegin Anh Tran hat mit dem Chefredakteur der „Magdeburger Volksstimme“, Alois Kösters, über seine Beschwerde gesprochen.

Kritik an dreifacher Queen-Trauerfeier im Öffentlich-Rechtlichen

Wer gestern ferngesehen hat, kam nicht daran vorbei: an den Trauerfeierlichkeiten zum Tod von Queen Elizabeth II. in Großbritannien. Stundenlang live übertragen haben: RTL, Sat.1, n-tv, Welt – und die öffentlich-rechtlichen Sender Das Erste, ZDF und Phoenix.

Dass gleich drei Öffentlich-Rechtliche größtenteils dieselben Bilder gezeigt haben, sorgte für Kritik – unter anderem von Bundesfinanzminister Christian Lindner, der deswegen „erhebliches Einsparpotenzial“ bei den Sendern sieht, die ja ohnehin gerade in der Kritik stehen.

Für @mediasres im Deutschlandfunk habe ich versucht, herauszufinden, wie teuer die parallele Übertragung war – und wie teuer das reguläre Programm gewesen wäre. Spoiler: So richtig viel lassen sie nicht raus.

Provokation oder Bestätigung: Wozu journalistische Kommentare?

Jeder kann seinen Senf im Netz dazugeben und mit prompten Reaktionen rechnen. Auch journalistische Kommentare rufen Hörer, Fernsehzuschauer und Leserinnen auf den Plan. Beim Spiegel etwa gehören Meinungsartikel zu den meistgeklickten Beiträgen. Auch Kommentare im Deutschlandfunk regen Hörer zum Widerspruch an – etwa Marc Strickert. Er schreibt immer wieder – nicht nur, wenn ihm ein Kommentar inhaltlich nicht passt, sondern auch, wenn er ihn schlecht argumentiert findet.

Aber wie sieht ein guter Kommentar aus? Sind die abgedeckten Meinungsspektren breit genug? Welche Themen werden überhaupt kommentiert und von wem? Und: Muss die Persönlichkeit der Autorin im Kommentar erkennbar sein?

Darüber haben wir im Deutschlandfunk-Medienpodcast „Nach Redaktionsschluss“ diskutiert: Marc Strickert, Sina Fröhndrich (Leiterin der Redaktion „Meinung & Diskurs“ im Deutschlandfunk), Alexander Neubacher (Leiter Meinung & Debatte beim Spiegel) und ich. Produktion: Sandro Schroeder.t

Reformieren, aber wie? Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Selbstbedienungsmentalität, politische Einflussnahme, Verschwendung: gegen öffentlich-rechtliche Sender werden gerade viele Vorwürfe erhoben. Für Deutschlandfunk-Hörer Mathis Holzbach – eigentlich „ein Freund der Öffentlich-Rechtlichen“ – Beweis dafür, dass das System reformiert werden müsse. Doch wie könnte die Zukunft der Sender aussehen? Und was steht einer Reform entgegen?

Darüber habe ich mit Mathis Holzbach, dem Hamburger Mediensenator Carsten Brosda (SPD) und der Medienforscherin Alexandra Borchardt im den Deutschlandfunk-Medienpodcast „Nach Redaktionsschluss“ diskutiert.

Medien: Fähig zur Kritik in eigener Sache?

Journalistinnen und Journalisten können eins sehr gut: andere scharf kritisieren. Was viele nicht gut haben können: kritisiert zu werden. Dabei ist Kritik- und Einsichtsfähigkeit ein wesentliches Element, damit das Publikum Medien als vertrauenswürdig wahrnimmt, habe ich für die WDR5-Politikum-Medienkolumne notiert.

Verehrt und verteufelt: Medien und ihr schwieriges Verhältnis zu Julian Assange

„Es ist in eurem Interesse, euch für Julian Assange einzusetzen“, mahnt Deutschlandfunk-Hörer Siegfried Brunstermann. Er kritisiert, dass Medien das Schicksal des Wikileaks-Gründers, der in Abschiebehaft in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis sitzt, nicht genügend thematisieren. Die Pressefreiheit stehe auf dem Spiel, sagt Brunstermann und erinnert an die Veröffentlichungen von Julian Assange.

Wikileaks hatte 2010 geheime US-Militärdokumente und Videos mit Kriegsverbrechen im Irak und Afghanistan publiziert und an internationale Medien weitergeleitet. Mit späteren Veröffentlichungen, beispielsweise diplomatischer Depeschen und E-Mails der Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton, zog Assange Kritik auf sich.

Über diesen komplizierten Fall diskutiert unser Hörer Siegfried Brunstermann mit den Journalisten Bascha Mika und Deniz Yücel und Bettina Schmieding aus der Dlf-Medienredaktion in unserem Medienpodcast „Nach Redaktionsschluss“. Für die Produktion war ich verantwortlich.

Wie sich Radiosender ein Jahr nach der Flut neu aufgestellt haben

Bei der Flutkatastrophe 2021 kamen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mehr als 180 Menschen ums Leben. Auch deswegen, weil Medien die Warnungen spät oder gar nicht weitergegeben haben. Anschließend haben alle Beteiligten Besserung gelobt. Warnen Medien künftig besser? Das habe ich für @mediasres im Deutschlandfunk recherchiert.

Warum die aktuellen Jobs von Christian Lindner und Franca Lehfeldt nicht kompatibel sind

Nicht die große Sause auf Sylt ist das Problem der Hochzeit von Bundesfinanzminister Christian Lindner. Sondern, dass seine Ehefrau France Lehfeldt als Chefreporterin Politik beim Fernsehsender „Welt“ voreingenommen über die Ampel-Regierung berichten könnte. Meine Medienkolumne für WDR5 Politikum.

Ein Jahr nach der Flutkastrophe: Warnen Medien heute besser?

Diese Woche ist es ein Jahr her, dass durch die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen 183 Menschen ums Leben kamen. Auch deswegen, weil sie nicht rechtzeitig gewarnt wurden – weil Behörden zu spät oder gar keinen Alarm ausgelöst haben und auch, weil Medien die Warnungen spät oder gar nicht weitergegeben haben.

Anschließend haben alle Beteiligten Besserung gelobt. Warnen Medien künftig besser? Das habe ich mir für das WDR5-Medienmagazin „Töne, Texte, Bilder“ angesehen.