Wer „Zensur“ brüllt, darf woanders weiterschreien

In Deutschland gilt das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das ist nicht umfassend, wie ich an anderer Stelle schon mal gezeigt habe. Aber es gilt und ist sehr weitreichend. Was ist nicht gilt, ist das Recht darauf, dass sich jemand meine Meinung anhören muss.

Wenn vor meinem Fenster herumgebrüllt wird, darf ich das Fenster schließen. Und wenn jemand in meinem Haus brüllt, darf ich ihn rauswerfen. Nichts anderes ist es, wenn jemand unter dem Facebook-Post eines Mediums kommentiert. Die Redaktion muss nicht alles dulden, und es liegt in ihrem Ermessen, was sie löscht. Wenn sie Interesse an einer Diskussion hat, wird das möglichst wenig sein. Und wenn sie Interesse an einer Diskussion hat, wird sie löschen, was diese Diskussion unangenehm macht.

Aber nur, weil ein Kommentar hier beiseitegefegt wird, ist das keine Zensur. Denn der Kommentator behält sein Recht, seine Meinung zu sagen. Er kann das auf seiner eigenen Facebook-Seite tun, er kann ein Blog eröffnen, er kann auf die Straße gehen. Dann darf er sein Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben. Aber er hat kein Recht darauf, dass ihm jemand zuhört.

Dürfen Journalisten eine Meinung haben? Oder wenigstens eine Haltung?

Mehr oder weniger sichtbar: Pauline Tillmann, Franziska Augstein, Joachim Knuth, Kuno Haberbusch, Anja Reschke, Sarah Tacke (verdeckt), David Schraven (v.l.) (Foto: Stefan Fries)
Mehr oder weniger sichtbar: Pauline Tillmann, Franziska Augstein, Joachim Knuth, Kuno Haberbusch, Anja Reschke, Sarah Tacke (verdeckt), David Schraven (v.l.) (Foto: Stefan Fries)

Als Journalist begegnet man immer wieder Lesern, Hörern, Zuschauern und Nutzern, die glauben, es sei möglich, objektiv und neutral zu berichten. Eine Einschätzung, die Journalisten ihnen vermutlich im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte selbst vermittelt haben. Dabei prägen eigene Erfahrungen die Berichterstattung zwangsläufig, das eigene Interesse am Thema lenkt die Aufmerksamkeit, das Vorwissen befähigt zu unterschiedlicher Beschäftigung mit dem Thema.

Objektiv und neutral wird man also nie berichten können – schon deswegen nicht, weil gerade die Auswahl dessen, worüber man berichtet, und die Gewichtung der Aspekte innerhalb des Themas, die man auswählt, nicht mehr dem Anspruch der Objektivität genügen können. Denn beides ist essenzieller Part der Aufgabe von Journalisten: Sie wählen aus und gewichten. Diese Position müssen wir immer wieder deutlich machen, um dem Vorwurf zu entgehen, durch mangelnde Objektivität hinter unseren eigenen Ansprüchen zurückzubleiben.

Es liegt auf der Hand, dass eine Journalistin, deren Familie von der Erfahrung einer Flucht geprägt ist, mit einem anderen Verständnis und anderem Vorwissen über die nach Deutschland kommenden Flüchtlinge berichtet. Es ist klar, dass jemand, der sich für Aktien interessiert, anders über das Geschehen an der Börse berichtet. Es ist offensichtlich, dass ein Fußballfan andere Fragen an ein Spiel stellt als jemand, der nicht an Sport interessiert ist. Es sollte eine Fähigkeit von Journalisten sein, sich dieser Prägungen und Erfahrungen bewusst zu sein.

Was ist Haltung?

In diesen Zeiten diskutieren Journalisten viel darüber, auf welcher Position sie stehen, wenn sie über Themen berichten. Auf der Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche in Hamburg gab es kontroverse Meinungen dazu, ob ein Journalist eine Haltung haben sollte und welche. Pauline Tillmann, seit 2015 Chefredakteurin und Geschäftsführerin des digitalen Magazins „Deine Korrespondentin“, definierte den Begriff Haltung für sie so:

Haltung ist Meinung auch bei viel Gegenwind.

Eine Definition, der sich auch Anja Reschke, Leiterin der Abteilung Innenpolitik beim NDR-Fernsehen, anschloss. Und sie ergänzte: Haltung sei auch die Verteidigung von Fakten bei Gegenwind. Es gebe aber auch eine Grundhaltung, wie wir als Journalisten unsere Grundaufgabe in diesem Land und in der Demokratie sehen würden. Das seine eine andere Form von Haltung.

Franziska Augstein von der Süddeutschen Zeitung erweiterte die Definition um ein Wort des Schriftstellers Martin Walser:

Eine Meinung könne man sich anziehen wie ein Kleid, eine Haltung habe man.

Das heißt, alle Meinungen zu verschiedenen Themen basieren auf einer inneren eher weniger veränderbaren Haltung. Augstein wandte sich dagegen, dass sie als Journalistin eine Position der völligen Neutralität einzunehmen habe. Journalisten müssten sich geradezu mit Sachen gemein machen, etwa mit dem Grundgesetz, mit Antirassismus, mit der Idee, dass ein menschenwürdiges Leben auch für Leute mit weniger Geld möglich sein sollte.

Einer Position, der ich mich grundsätzlich anschließe. Als AfD-Chefin Frauke Petry vor einigen Monaten von Journalisten eine Art von Neutralität verlangte, die auch Rassismus als eine akzeptable Haltung darstellen sollte, habe ich ihr widersprochen. Journalismus schwebt, anders als von ihr suggeriert, nicht im luftleeren Raum. Journalismus ist auch eine Errungenschaft von Demokratie, und er wird von ihr garantiert. Es liegt im ureigensten Interesse von Journalisten, sich für die Werte eben jener Gesellschaftsform einzusetzen, die ihre eigene Arbeit garantiert. Und die nach allen Erfahrungen auch für Menschen die beste Gesellschaftsform ist. Das schließt nicht aus, Fehlentwicklungen zu kritisieren.

Anja Reschke zeigte sich unentschlossen, ob sie sich Augsteins Meinung anschließen würde. „Verteidige ich die demokratische Grundordnung oder sage ich, ein großer Teil der Bevölkerung nimmt die nicht mehr an?“ Müsste ich das nicht also eigentlich hinterfragen? Reschke räumte ein, dass sie nicht wisse, wo sie sich positionieren wolle.

Auf welcher Seite stehen Journalisten?

David Schraven vom Recherchenetzwerk Correctiv fand in Hamburg eine Positionierung dagegen wichtig. Man müsse entscheiden, auf welcher Seite man stehe: auf der Seite der Macht gegen die Bevölkerung oder auf der Seite der Bevölkerung gegen die Macht. Eine Positionierung, die NDR-Hörfunkdirektor Joachim Knuth für sich nicht gelten lassen wolle:

„Ich stehe am liebsten zwischen den Stühlen, weil ich finde, da gehören Journalisten hin.“

Der Widerstandsimpuls sei ein Wesensmerkmal von Journalismus, den stelle man doch nicht mit einer Haltung, die ich in Grundsatzfragen habe, in Frage. Anja Reschke findet, die Formulierung „zwischen den Stühlen“ klinge zunächst gut, allerdings fragt sie sich angesichts von Zweifeln an der demokratischen Grundordnung bei Teilen der Bevölkerung:

„Jetzt könnte man auch sagen: Guck mal, ein Teil oder ein großer Teil der Bevölkerung nimmt das nicht mehr an, müsste ich mich nicht auf die Seite derer schlagen, die das hinterfragen? Da weiß ich nicht mehr, wie ich zwischen den Stühlen stehen soll.“

Zurück in die Vertrauenskette

David Schraven beklagt, dass Journalisten auf den klassischen Vertrauenswegen immer weniger Chancen hätten und immer seltener nicht mehr „Teil der Vertrauenskette“ seien – hier seine Ausführungen im Video:

Er bezieht sich auf den Strom von Neuigkeiten, den heute viele Nutzer nur noch über ihre Timelines etwa bei Facebook bekommen. Von dort beziehen sie ihre Informationen – oft, ohne auf die Quelle zu schauen und damit einschätzen zu können, wie verlässlich diese sind. Entscheidend ist eher, wer die Information verbreitet hat, wer sie geteilt und kommentiert hat. Vertraue ich demjenigen, vertraue ich auch der Quelle – ohne selbst noch mal Quellenkritik üben zu müssen.

So begegnet man als Journalist immer öfter dem Argument, diese oder jene Information „auf Facebook“ gelesen zu haben, ohne auf die eigentliche Quelle zu schauen. Dass viele Nutzer unfähig zur Quellenkritik sind und ein soziales Medium nicht von einem redaktionellen Medium unterscheiden können – also mitunter Facebook nicht von der FAZ – ist ein Grund dafür, dass viele Journalisten eine Vertrauenskrise beklagen, die auch in Umfragen belegt sei. Dabei vertrauen viele „den Medien“ insgesamt nicht mehr so stark; fragt man sie aber konkret nach Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern, sind die Zustimmungswerte deutlich höher. Die mangelnde Fähigkeit, diese Mediengattungen zu unterscheiden, mag eine Ursache für den Glauben an die Existenz einer solchen Vertrauenskrise sein. Dieser generelle Eindruck wird dann durch entsprechende Nutzerkommentare scheinbar bestätigt.

Zurück zu Schravens Vertrauenskette: Seit Facebook angekündigt hat, dass sein Algorithmus in den Timelines der Nutzer eher deren Freunde berücksichtigt als redaktionelle Angebote, droht den traditionellen Medien auch dort ein Präsenz- und vielleicht auch (weiterer) Vertrauensverlust.

Schraven fordert deshalb, dass Journalisten sich überlegen müssen, wie sie in diese Vertrauensketten wieder hineinkommen, um dann dort zu erklären, dass die eigene Berichterstattung im Gegensatz zu beliebigen Postings auf Standards beruht, dass verschiedene Seiten angehört worden seien, Informationen abgewogen wurden. An diesem Punkt hätten Journalisten nachgelassen.

Wie funktioniert Journalismus?

Auch Pauline Tillmanns forderte, dass Journalisten ihre Arbeit transparenter machen müssten. Meistens seien es sogar Ältere, denen nicht klar sei, wie wir arbeiten würden. Auch Anja Reschke wusste das von zahlreichen Diskussionsrunden und Podien aus dem letzten Jahr zu berichten:

„Ich stelle immer wieder fest, wie groß das Unwissen ist über sowohl unseren Job als auch übrigens über politische Prozesse. Also welche Vorstellungen Menschen von Neutralität von Journalismus haben, von Objektivität, oder überhaupt, wie eine Meldung zustandekommt, wie wir auf unsere Themen kommen. Also totale Basissachen, wo ich mir denke, das würde ich ja nie senden, weil das interessiert doch keine Katze.“

Die Zuhörer würden diese Informationen aufsaugen, sagte Reschke.

„All das ist ein Wissen, was wir hier vielleicht schick in unserem Kreis haben, aber da draußen ist das nicht vorhanden, und ich glaube, im Prinzip muss man wieder von vorne anfangen mit Erklärungen.“

David Schraven findet, dass man durchaus auch Erklärungen finden könne, die auch überzeugend seien. Er verwies auf die viel kritisierte Berichterstattung über die sexuelle Übergriffe und Diebstähle in der Kölner Silvesternacht. Wie er die Abfolge der Ereignisse und der Berichterstattung erklärt, lohnt sich zum Schluss kurz anzuhören:

Wir sollten uns auf den Weg machen, stärker die eigene Arbeit zu erklären. Anstatt sie uns von anderen erklären zu lassen.

Lob der Kritik – aber zutreffen muss sie schon

Unter der Überschrift „Seid demütig“ (kostenpflichtig über Blendle) hat sich Frank A. Meyer im Cicero mit der Rolle von Journalisten beschäftigt. Ein durchaus lesenswerter Kommentar, weil er einige strukturelle Probleme im Journalismus anspricht.

Allerdings lässt er mich an einigen Stellen etwas ratlos zurück, weil Meyer sich Pauschalisierungen und Parolen zu eigen macht („Lügenpresse“), die nicht gerade dabei helfen, die Debatte zu versachlichen. So schreibt er zum Beispiel:

Die Medien – die Journalisten – müssen sich mit dem Begriff „Lügenpresse“ selbstkritisch auseinandersetzen: Ist da etwas dran, oder ist da nichts dran?

Es ist etwas dran. Die Debatte um Angela Merkels autoritär verordnete Flüchtlingspolitik hat es gezeigt: indem die Debatte von den Medien monatelang unterdrückt, weggedrückt und manipuliert wurde.

Belege dafür liefert Meyer nicht. Vor allem nicht für seine Behauptung, dass dies absichtlich und planvoll getan wurde. Wer von „unterdrückt, weggedrückt und manipuliert“ spricht, unterstellt, dass Journalisten die Realität nicht so dargestellt haben wie Meyer sie wahrnimmt. Es wäre hilfreich, würde er dafür Belege liefern.

Auch andere Verallgemeinerungen lassen mich ratlos zurück. Wenn er etwas polemisch schreibt, dass Journalisten sich befugt sähen,

Politik, Wirtschaft, Kultur, neuerdings auch den Sport zu observieren, also über die ganze Gesellschaft zu wachen – fürwahr ein elitärer Anspruch. Vor allem ein völlig unzulässiger.

Natürlich sind die Medien keine vierte Gewalt im Staat. Allerdings gibt es in Staaten mehr Akteure als die drei klassischen Gewalten, also Legislative, Exekutive und Judikative. Also nicht nur (zum Beispiel) Bundestag, Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht. Vor allem sie gestalten maßgeblich den politischen und gesellschaftlichen Rahmen für das Leben in Deutschland. „Die Medien“ gestalten diesen Rahmen nicht, aber natürlich prägen sie dessen Wahrnehmung. Dennoch ist das ein Unterschied und der Vergleich damit nicht treffend.

Aufgabe von Journalisten ist es, Missstände offenzulegen. Insofern kommt ihnen durchaus eine Wächterfunktion zu – das ist kein unzulässiger Anspruch, sondern immanenter Bestandteil ihrer Arbeit. Die immer wieder beschworene neutrale Darstellung von Ereignissen und Meinungsäußerungen kann schon allein deswegen nicht gelingen, weil immer eine Auswahl getroffen werden muss. Wer als Journalist ein Stück über eine Bundestagsdebatte anfertigt, muss auswählen, welche Meinungen er darstellt. Dafür gibt es journalistische Kriterien. Journalistische. Es sind freilich keine staatlichen. Denn, wie Frank Meyer selbst schreibt:

Die Medien (…) sind frei. Niemand wählt sie, niemand darf ihnen Aufträge erteilen.

Und zweitens ist es für demokratische Medien entscheidend, dass sie ihrer Arbeit unabhängig vom Staat nachgehen können, eingeordnet in die Rechtsordnung, aber ungebunden in Auftrag, Interesse und Haltung.

Doch was folgt daraus? Diese Frage beantwortet Meyer nicht.

Dabei stimme ich durchaus einigen seiner Schlussfolgerungen zu. Tatsächlich spiegelt sich die Gesellschaft nicht in den Lebensläufen der Medienarbeiter. Ein Problem, dass Medien mit dem Bundestag und anderen Vertretungen gemein haben. Auch die Schwarmmentalität ist ein durchaus bekannter Bias im journalistischen Betrieb.

Dass die Nähe zu Politik und Wirtschaft, „zu den Mächtigen der Gesellschaft“, wie Meyer schreibt (und dabei plötzlich ebenfalls unbemerkt einen mächtigen Akteur einbringt, den er weiter oben unterschlägt), wie ein Aphrodisiakum wirke, mag zutreffen; beurteilen kann ich es nicht, da ich selten im entsprechenden Dunstkreis gearbeitet habe. So geht es allerdings auch vielen anderen Journalisten, die nicht diese Nähe haben. Schließlich kommt nur ein Teil von ihnen mit „Politik und Wirtschaft“ in dem Maße in Kontakt, den Meyer suggeriert.

Viele Journalisten verarbeiten Wissen und Rechercheergebnisse, die an anderen Stellen gewonnen werden. Redakteure in Nachrichtenredaktionen von Radiosendern texten aus Agenturmeldungen und den Rechercheergebnissen eigener Korrespondenten radiogerechte Stücke und gehen dabei durchaus noch mal kritisch an das angelieferte Material heran. Dies ist eine interne Kontrollinstanz, die die Wahrnehmung und Fakten eben jener Journalisten überprüfen soll, die laut Meyer nah dran sind. Wer täglich in einem Funkhaus in Köln oder Leipzig arbeitet, ist nicht in Gefahr, sich von einer Nähe korrumpieren zu lassen, weil es die eben nicht gibt.

Wer nur auf die schnelle Erstberichterstattung in Form von Radio- oder Fernsehnachrichten schaut, mag in der Tat Meyers Eindruck haben. Allerdings sorgen Dutzende Radio- und Fernsehredaktionen dafür, tagesaktuelle Themen „weiterzudrehen“, also Fragen nachzugehen, die sich ausgehend von neuen Ereignissen stellen. Damit erfüllen sie das, was Meyer sich wünscht:

Sie sind eine Institution des Fragens. Journalisten haben die Aufgabe, ihrem Publikum Wissen zu liefern und Verstehen zu ermöglichen. (…) Die Journalisten stellen die Fragen, welche die Bürger in die Lage versetzen, ihrerseits Fragen zu stellen (…).

Wie soll das aber gehen, wenn sie es eben nicht als ihre Aufgabe verstehen, zu „wachen“, wie Meyer weiter oben schreibt?

Meyer vertritt gute Ansätze; ich würde mir aber noch weitere Ausführungen wünschen. Sie könnten dabei helfen, den Journalismus im Ganzen wirklich zu kritisieren. Vielleicht kann sich Meyer damit auch einen Preis verdienen, den er sich wünscht, den es aber tatsächlich schon gibt: den Günther-Wallraf-Preis für Journalismuskritik.

Der Donald-Trump-Blackout

Donald Trump am 19. August 2015 (cropped)Lange haben viele Medien in den USA relativ unkritisch über den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump berichtet. Oft wurden seine Wahlkampfreden und Pressekonferenzen eins zu eins in voller Länge übertragen, vor allem von Sendern wie Fox, CNN und MSNBC.

Ein Problem, dessen sich in den USA zumindest noch im April nur wenige Journalisten bewusst waren. Meine Fragen an sie, als ich dort war, ließen jedenfalls bei vielen Kollegen dort relativ wenig Selbstkritik in dieser Hinsicht erkennen. Es herrschte vielmehr die Auffassung, die mir der OPB-Reporter Jeff Mapes so beschrieb:

Was sollten die Medien tun? Sollten sie seine Statements ignorieren?

Erst jetzt, wo Trump im eigenen Lager keine Konkurrenten mehr hat und kurz vor dem Hauptwahlkampf gegen Hillary Clinton steht, gehen mehr und mehr Journalisten dazu über, seine Aussagen kritisch zu hinterfragen und einem Faktencheck zu unterziehen, in seiner Vergangenheit zu recherchieren – und so alles in allem ihre unkritische Haltung abzulegen.

Und nun schlägt Trump zurück. Er hat mittlerweile insgesamt zwölf Medien die Akkreditierung für seine Veranstaltungen entzogen, unter ihnen Politico und Foreign Policy, die Washington Post, die Huffington Post und Buzzfeed.

Die Redaktion der Washington Post hat jetzt einen „Donald-Trump-Blackout“ vorgeschlagen und andere Medien aufgefordert, nicht mehr direkt von seinen Veranstaltungen zu berichten. Es gehe nicht darum, überhaupt nicht mehr über ihn zu berichten, sondern darum, ihm keine Sendeflächen zur Verfügung zu stellen, in denen er eins zu eins, also ohne journalistische Einordnung, sprechen kann.

● No more live, wall-to-wall coverage of Trump’s rallies and events; this sort of “coverage,” particularly by cable news outlets, has been a huge in-kind contribution to Trump.

● No more Trump call-ins to TV shows; this enables him to plant falsehoods with little risk of follow-up.

● Rigorous use of real-time fact-checking, pointing out Trump’s falsehoods in the stories in which they’re reported. That’s not injecting opinion — it’s stating fact.

Dem hat sich bisher kein Medium ausdrücklich angeschlossen.

Wer Donald Trump noch verdrängen könnte: 18 Tage mit RIAS in den USA

Statue von Präsident Abraham Lincoln im Lincoln Memorial in Washington (Foto: Stefan Fries)
Statue von Präsident Abraham Lincoln im Lincoln Memorial in Washington (Foto: Stefan Fries)

Überraschung in Washington: Nicht nur Hillary Clinton und Bernie Sanders konkurrieren um das Amt des US-Präsidenten, auch der Amtsinhaber will es noch einmal wissen. Ein Kandidat, den deutsche Medien bis dahin nicht auf dem Schirm hatten: Frank Underwood.

Underwood ist überall in Washington zu sehen. In der Stadt zeigen mehr Plakate den fiktiven Präsidenten aus der Serie „House of Cards“ als die tatsächlichen Kandidaten dieses Wahlkampfs. Underwood mischt sich in den realen Wahlkampf ein. In der vierten Staffel der Serie finden sich viele Parallelen zur Wirklichkeit – und die sind kein Zufall. Normalerweise scheuen sich Serienmacher, allzu nah an die Wirklichkeit der Politik heranzugehen – „House of Cards“ macht genau das mit voller Absicht.

Als der Nachrichtenkanal CNN am 16. Dezember 2015 die Debatte der republikanischen Präsidentschaftskandidaten für eine Werbepause unterbrach, zeigte er darin einen Werbespot für den Kandidaten.

Frank Underwood tritt ausdrücklich zur Präsidentschaftswahl 2016 an. Sein Darsteller Kevin Spacey spricht in Interviews über Politik.

(Foto: Stefan Fries)

Und CNN schmückt seine Dokumentarreihe über die Geschichte der Präsidentschaftswahlkämpfe mit den Namen der „House of Cards“-Macher: HoC-Produzentin Dana Brunetti zeichnet auch für die Dokumentation verantwortlich, Spacey führt als Erzähler durch die Folgen.

Eine Reise im Zeichen des Wahlkampfs

Tatsächlich stand das ganze Programm der RIAS-Berlin-Kommission im Frühjahr 2016 im Zeichen des Präsidentschaftswahlkampfs. Einen Tag, nachdem wir in Washington eintrafen, lief die Vorwahl im Bundesstaat Wisconsin. Damals hieß es: Wenn Donald Trump hier nicht gewinnt, kann er die Kandidatur für die Republikaner nicht mehr schaffen. Er verlor. Aber das änderte wenig. Wie so oft sollten sich auch hier die Voraussagen von Wahlbeobachtern über Erfolg und Misserfolg des Donald Trump als falsch erweisen.

Trump zog sich wie ein roter Faden durch unseren 18 Tage dauernden Besuch, bei dem wir mehr über das politische System und die Medienlandschaft der USA erfahren sollten. Und das nicht nur, weil man in New York und vielen anderen Städten andauernd Gebäude sieht, die seinen Namen tragen (den man sich gegen Lizenzgebühr mieten kann).

(Foto: Stefan Fries)

Fast alle Journalisten und Analysten, die wir in Washington und New York zum Wahlkampf befragt haben, waren gleichermaßen fasziniert wie schockiert von Trumps Erfolg. Auch wenn sie sich dabei nicht unbedingt bewusst sind, welchen Anteil sie mit ihrer Arbeit an diesem Erfolg haben. Aber die wenigsten waren zugleich davon überzeugt, dass es Trump zum Präsidenten bringen wird – jedenfalls bis zu unserer Abreise Ende April. Inzwischen glauben ausweichlich ihrer Kommentare und Analysen viel mehr Journalisten, dass Trump es schaffen kann – nicht unbedingt aus eigener Kraft, sondern auch wegen der Schwäche seiner vermutlichen Gegnerin Hillary Clinton.

Der Blick hinter die Kulissen

(Foto: Stefan Fries)
(Foto: Stefan Fries)

Die US-Kollegen haben uns ungewöhnliche Einblicke gewährt. Viele haben sehr offenherzig über ihre Arbeit gesprochen, über die Herausforderungen des Präsidentschaftswahlkampfs, über den Druck durch Bi- und Trimedialisierung und damit einhergehenden Veränderungen im Mediensystem, wie sie über die Krise seit 2007 berichtet und teilweise selbst unter ihr gelitten haben.

Längst nicht alles, aber vieles davon kam uns bekannt vor. Wenn man in Deutschland immer hört, dass wir im Vergleich zu den USA noch viel aufzuholen haben, beruhigt es einerseits, dass auch die US-Kollegen längst nicht immer wissen, wohin sie der Weg führen wird. Andererseits wüssten wir sicher alle gerne, wie wir unseren Nutzern in Zukunft begegnen können. Nutzungsgewohnheiten verändern sich schneller als Journalisten dem gerade nachkommen können.

Aber wir haben auch viele gute Ideen gesehen, wie man Lesern, Hörern und Zuschauern künftig gerecht werden kann. So führten uns die Kollegen von CNN Money in New York vor, wie sie ihre Inhalte einerseits plattformgerecht ausspielen – also Fernsehkanal, Webseite, Facebook, Twitter usw. jeweils unterschiedlich bedienen – und andererseits auch Entwicklungen im Netz beobachten, um darauf journalistisch reagieren zu können.

Das nationale Hörfunkprogramm NPR in Washington hat uns Einblick in seinen Newsroom gegeben, in dem alle maßgeblichen Redaktionen nah beieinander sitzen. Während in Deutschland Podcasts aus öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in fast allen Fällen eine reine Zweitverwertung von Fernseh- und Radioinhalten sind, produziert NPR auch exklusive Inhalte für den wachsenden Podcast-Markt. Ein Boom des Audios im visuell getriebenen Netz, mit dem viele auch für Deutschland rechnen.

Auch ABC hat einen Newsroom in seinem Büro in Washington, wenn auch kleiner als der von NPR. Eine Entwicklung, die in einigen Redaktionen in Deutschland schon nachvollzogen wurde, gleichwohl bei vielen Journalisten auf Skepsis stößt – meistens, bis sich die Abläufe eingespielt haben und die Vorteile erkannt wurden. In dieser Hinsicht stießen wir auf offene Ohren.

Go West

Blick auf mehrere Brücken am Williamette River in Portland
Portland, die Stadt der Brücken (Foto: Stefan Fries)

Nach sechs Tagen in Washington mit den zehn anderen Teilnehmern am RIAS-Programm ging es für mich einmal durchs ganze Land: von der Ost- an die Westküste, in den Bundesstaat Oregon. Portland liegt gleich an der Grenze zu Washington, dem nordwestlichsten Bundesstaat der USA. Portland, die Stadt der Brücken. Portland, die Stadt der Donuts. Portland, die Stadt des Biers. Drei Stempel aus den letzten Jahren, die den Einwohnern besser gefallen als der der wohl einstmals weißesten Großstadt Amerikas (dank lang anhaltender rassistischer Gesetze). Für vier Tage gewährten mir die Kollegen vom öffentlich-rechtlichen Radiosender OPB (Oregon Public Broadcasting) Einblick in ihre Arbeit.

Dabei war weniger die tägliche Routine der Kollegen interessant (Radio ist halt immer noch Radio) als vielmehr das, worüber sie berichten. Als ich einen Reporter für einen Beitrag in eine Grundschule begleitete, war ich überrascht, dass wir vor dem Haupteingang standen und klingeln mussten. Die Sekretärin warf durch eine Überwachungskamera einen Blick auf uns und ließ uns erst dann ein. Damit nicht ehemalige frustrierte Schüler einfach so ins Gebäude marschieren und Kinder erschießen können. Dass man sich auf diese Weise mit einer täglichen Bedrohung arrangiert hat, ließ mich schaudern.

Und ich durfte mir die Arbeit einer Reporterin anschauen, die wiederum einen Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters von Portland begleitet hat. Auch wenn Jules Bailey mittlerweile bei der Wahl nur Zweiter geworden ist, war es spannend zu beobachten, wie nah die Kandidaten ihren potenziellen Wählern kommen. Bailey war zu Besuch bei Leslie, die wiederum einige Freundinnen und Nachbarinnen eingeladen hatte.

Ein wirklich persönlicher Wahlkampf, bei dem die potenziellen Wähler den Kandidaten fragen dürfen, was sie wollen. In diesem wohlhabenden Vorort von Portland wurde an diesem Nachmittag deutlich, dass den Leuten ihre eigenen Probleme wie die Baustelle, die den Verkehr in die Wohngebiete treiben dürfte, näher sind als die großen Fragen der Stadt, etwa die weit verbreitete Obdachlosigkeit. Interessant zu sehen, wie nah der Kandidat auch die Reporterin heranlässt. Sie hielt das aber schon gleich für eine taktische Nähe. Diese würde vorbei sein, sobald er Bürgermeister ist – was er diesmal verfehlte.

Funkhaus, im Vordergrund das Logo von OPB
Das Funkhaus von OPB in Portland im US-Bundesstaat Oregon. (Foto: Stefan Fries)

Und dann hätte beinahe noch die Zensur zugeschlagen. Die Regeln fürs öffentlich-rechtliche Radio in den USA verbieten es, dass bestimmte Wörter über den Sender gehen. Shit und Fuck sind noch die zwei harmlosesten. Wenn man bedenkt, welche menschenverachtenden Äußerungen die Amerikaner im Namen der Meinungsfreiheit noch für zulässig erachten, ist es geradezu grotesk, welche alltäglichen Flüche wiederum nicht ausgestoßen werden dürfen. Dermaßen sensibilisiert kann es leicht sein, dass eine Redakteurin schon beim nicht ganz sauber ausgesprochenen Wort „Bolshevik“ so etwas wie „bullshit“ versteht und es fast überpiepst hätte. Dinge wie dieses als kultureller Unterschied zwischen den USA und Deutschland zu erfahren, ist mehr wert, als nur darüber zu lesen.

Ins echte Leben

Dem diente auch einer der ungewöhnlichsten Besuche des RIAS-Programms. Wer immer nur über die wirtschaftliche Krise der USA rund um Immobilien und Finanzen berichtet, kann aus der Ferne leicht den Blick dafür verlieren, was das für die Menschen dort bedeutet. Viele haben sich offenbar daran gewöhnt, dass in großen Städten Tausende auf der Straße leben. Nicht nur in Washington, auch in Portland und San Francisco habe ich innerhalb von drei Wochen mehr Obdachlose gesehen als in Deutschland in mehreren Jahren. Ohne soziale Sicherung vegetieren viele auch bei Regen und Kälte auf den Straßen dahin. Und nicht überall bekommen sie zumindest das bisschen Unterstützung, das ihnen die St. James Church in der Upper East Side bietet.

Dort haben wir einen Vormittag lang für sie gekocht – nicht nur für Obdachlose aus ärmeren Vierteln, sondern auch für Menschen, die ihre Wohnung dort nur noch behalten können, weil ihre Miete seit Jahrzehnten nicht erhöht werden kann, denen aber das Geld für ordentliche Mahlzeiten fehlt. „Food insecure“ nennen das die US-Behörden, wenn Menschen nicht wissen, woher die nächste Mahlzeit kommt.

(Foto: Stefan Fries)
(Foto: Stefan Fries)

Ich habe in der Gemeindeküche mit zwei Kollegen etwa 200 panierte Hähnchenschnitzel gebraten. Die haben wir alle zusammen den Gästen an Tischen serviert. Es waren nur kurze Gespräche, und es ging längst nicht immer nur um ihre persönliche prekäre Situation, aber sie haben mich berührt.

Neue Perspektiven

Zum ersten Mal im RIAS-Programm dabei war ein Besuch beim Internetportal Buzzfeed. Das ist mit seiner deutschen Webseite, die in Berlin produziert wird, vor allem als Unterhaltungsmedium bekannt; in den USA hat das Team allerdings schon damit begonnen, auch politischen Journalismus zu betreiben. Schon allein, weil dort die meisten Mitarbeiter zwischen 20 und 30 Jahren alt sind, eröffnen sie damit neue Perspektiven. Nachdem sich die anfängliche Angst deutscher Journalisten vor Buzzfeed gelegt hat, könnte sie durch diesen neuen Ansatz auf Dauer durchaus zur Konkurrenz werden.

(Foto: Stefan Fries)
(Foto: Stefan Fries)

Die Medienwelt ist im Wandel, und sie wird es bleiben. Impulse kommen dabei vor allem aus den USA – nicht nur von den Journalisten dort, sondern vor allem, weil hier die Technologien entwickelt werden, die künftig zwischen uns Journalisten und unseren Nutzern stehen werden. Dass die RIAS-Berlin-Kommission jedes Jahr etwa 20 Journalisten die Möglichkeit eröffnet, sich einen Teil dieses Wandels direkt vor Ort und durch Gespräche mit Kollegen anzuschauen, ist ein großes Glück auch für die Entwicklung des Journalismus in Deutschland.

Ein letzter Trumpf gegen Trump

Zurück zum US-Präsidentschaftswahlkampf. Wenn Donald Trump und Hillary Clinton als offizielle Kandidaten ihrer Parteien nominiert sein sollten, wird sich auch ihre Präsenz auf Werbetafeln erhöhen. Wahrscheinlich wird Frank Underwood dann auch im Straßenbild von Washington eine geringere Rolle spielen – schon allein, weil die aktuelle Staffel längst vollständig veröffentlicht und die Spannung raus ist. Es sind schon Parallelen zwischen Donald Trump und Frank Underwood gezogen worden. Auf die Unterstützung des sozusagen amtierenden Präsidenten FU könnte sich DT wohl nicht verlassen, mutmaßte Kevin Spacey bei CNN.

Dennoch wird der Wahlkampf wahrscheinlich ungewöhnlich bleiben. Aber das Ende der USA, wie wir sie kennen, ist diese Wahl wohl nicht – auch nicht mit einem Präsidenten Donald Trump. Davon gaben sich jedenfalls die meisten unserer Gesprächspartner in den USA überzeugt, unter ihnen Molly Reynolds, die bei einem der größten Think Tanks in den USA arbeitet, der eher liberalen Brookings Institution. RIAS-Fellow Korbinian Frenzel hat sie dazu bei unserem Besuch befragt.

Dass das politische System der USA einen Präsidenten Trump überlebt, ist die eine Sache – ob auch die Welt einen Präsidenten Trump überlebt, allerdings eine andere.

Dieser Beitrag ist mein Abschlussbericht für die der RIAS-Berlin-Kommission.

Update, 8. Juni 2016: Die Berichte meiner Mitreisenden sind jetzt hier abrufbar.

Die USA kennenlernen: 18 Tage zwischen Washington, Portland und New York

Im April war ich mit dem großartigen Programm der RIAS-Berlin-Kommission beim deutsch-amerikanischen Journalistenaustausch. Während und nach dieser Zeit sind diese Beiträge entstanden:

„House of Cards“ und die Wirklichkeit

Der Nachrichtensender CNN vermischt Fiktion und Wirklichkeit, wenn er so für seine Sendungen zur Präsidentschaftswahl wirbt.

Wahlkampf im Wohnzimmer: Wie Kandidaten in den USA dem Wähler ganz nah kommen

Wer Bürgermeister von Portland werden will, lässt sich auch gerne mal ins heimische Wohnzimmer einladen.

Die amerikanische heute-show mit dem rassistischen Panda

Das Vorbild der ZDF-Sendung. Das Bemerkenswerte an der Show ist de Moderator Trevor Noah – ein Multitalent.

Macht die Lügenpresse Donald Trump groß?

Wie die großen Kabelsender in den USA dem Präsidentschaftskandidaten Donald Trump bereitwillig lange Sendestrecken gewidmet haben.

Donald Trumps Erfolg: “Was sollten die Medien tun? Sollten sie seine Statements ignorieren?”

Interview mit dem Politikjournalisten Jeff Mapes über die Frage, ob man Donald Trump in der Medienberichterstattung ignorieren kann.

Haben US-Journalisten Wahlkampfhilfe für Donald Trump geleistet?

Donald Trump ist laut und unverschämt. Er ist immer für einen flotten Spruch zu haben, das ist gut für die Quote. Jetzt wird der umstrittene Milliardär wohl der republikanische Präsidentschaftskandidat. Viele Journalisten in den USA fragen sich nun, ob sie Wahlkampfhilfe geleistet haben – ohne es zu merken. In meinem  für das WDR5-Medienmagazin „Töne, Texte, Bilder“ habe ich diesen Aspekt mit den Stimmen mehrerer Journalisten beobachtet.

Zensur: Warum es selbst in den USA keine ganz freie Rede gibt

Wer im öffentlich-rechtlichen Radio in den USA arbeitet, ist auch hin und wieder als Zensor tätig. Denn böse Schimpfwörter on air – das geht gar nicht.

Wer Donald Trump noch verdrängen könnte: 18 Tage mit RIAS in den USA

Mein abschließender Bericht für die RIAS-Berlin-Kommission mit einem Überblick über Besuche, Gespräche und Eindrücke.

Dieser Beitrag ist ursprünglich am 26. Mai 2016 erschienen. Ich habe ihn am 28. Mai aktualisiert und durch den Verweis auf einen neuen Beitrag ergänzt.

Zensur: Warum es selbst in den USA keine ganz freie Rede gibt

Funkhaus, im Vordergrund das Logo von OPB
Das Funkhaus von OPB in Portland im US-Bundesstaat Oregon.

Scheiße. Pisse. Ficken. Fotze. Schwanzlutscher. Motherfucker. Titten.

Oder im englischen Original: Shit. Piss. Fuck. Cunt. Cocksucker. Motherfucker. Tits.

Verzeihung, dass ich Sie mit diesen Begriffen belästigen musste. Aber sie sind wichtig für das öffentliche Radio und Fernsehen in den USA. Es sind Wörter, die auf keinen Fall fallen dürfen.

Wer schon mal US-amerikanische Fernsehshows gesehen hat, ist an das Piepsen gewöhnt, das manchmal über einzelne Begriff gelegt wird, wenn ein Moderator, Comedian oder Talkshowgast spricht. Dann ist es in den meisten Fällen eines der sieben schmutzigen Wörter gewesen. Es gilt als anständig, solche Begriffe auszupiepsen, selbst wenn sie auf vielen Sendern erlaubt sind. Man kann sich ohnehin denken, was gerade gesagt wurde.

Richtiggehend verboten sind diese sieben Wörter sowie Teile von ihnen oder Kombinationen daraus in jedem Fall im öffentlich-rechtlichen Radio.

Bullshit on air

Ein Tag im April 2016. Beim Radiosender OPB in Portland (Oregon) interviewt Moderator Dave Miller zwei Studenten einer örtlichen Hochschule. Sie setzen sich dafür ein, dass Donald Trump Präsident der USA wird. Damals war Trump noch im Vorwahlkampf und es keineswegs so ausgemacht wie heute, dass er Kandidat der Republikaner wird. Trump hat im Wahlkampf schon einiges an Beschimpfungen losgelassen. Als der Student But Kolychev aber plötzlich im Interview so etwas wie „bullshit“ sagt, herrscht Aufregung in der Regie.

Eine Redakteurin überlegt jetzt aufgeregt, ob sie die Stelle zensieren soll. Sie hat den Finger schon auf dem Knopf, der für solche Fälle vorgesehen ist. Drückt man darauf, werden wenige Sekunden aus der Live-Übertragung herausgeschnitten. Der sogenannten Live-Übertragung. Denn die Sendung wird tatsächlich nicht live ausgestrahlt, sondern live on tape, mit wenigen Sekunden Verzögerung. Für Fälle wie diesen.

Tatsächlich sagt Kolychev aber nicht “bullshit”. Der Student hat ukrainische Wurzeln, sein Amerikanisch einen leichten Akzent. Er sagte „Bolshevik“, worauf der Moderator hinweist, wie man in diesem längeren Ausschnitt hören kann.

Dave Miller: What do you mean by that?

But Kolychev: Demonstrating to the world that these people are totalitarian. They don’t subscribe to any sort of liberal democratic values. They’re aspiring Bolshevik commissars.

Miller: “…aspiring Bolshevik commissars.” I have to say for people who haven’t seen: At the bottom of a Williamette Week interview with you from earlier this week there is an amazing correction that cannot be read on the air because the FCC rules… The word “Bolshevik” was misinterpreted as a word the FCC doesn’t like. I recommend folks checking out that correction at the bottom of that interview.

Tatsächlich kann man die Korrektur auf der Webseite der Zeitung nachlesen.

Quelle: Williamette Week (http://www.wweek.com/news/2016/04/13/four-questions-for-psu-students-for-trump-founder-volodymyr-kolychev/, abgerufen am 22.05.2016)
Quelle: Williamette Week (http://www.wweek.com/news/2016/04/13/four-questions-for-psu-students-for-trump-founder-volodymyr-kolychev/)

Die FCC, das ist die Federal Communications Commission, eine Behörde, die für die öffentlichen Radio- und Fernsehsender in den USA zuständig ist. Sie schreitet ein, wenn sie erfährt, dass eins dieser Wörter oder ein Teil davon on air gegangen ist:

Shit. Piss. Fuck. Cunt. Cocksucker. Motherfucker. Tits.

Sie kann dann Bußgelder von bis zu 325.000 Dollar verhängen.

Eine Zensur findet statt

Das überrascht, wenn man davon ausgeht, dass in den USA die Rede- und Meinungsfreiheit sehr viel weiter ausgelegt wird als in Deutschland. Wer schon mal versucht hat, bei Facebook einen rassistischen oder volksverhetzenden Kommentar sperren zu lassen, hat vermutlich auch schon erlebt, was Facebook so alles als von der Redefreiheit gedeckt durchgehen lässt.

Klar, hier geht es nicht um Facebook, sondern um öffentliche Fernseh- und Radiosender. Dennoch überraschend, wie widersprüchlich die Grenzen dieser Rede- und Meinungsfreiheit ausgelegt werden.

Die Sender und Redakteure dort haben keine Wahl. Wenn eines der Trigger-Wörter fällt, müssen sie schnell reagieren. Durch einen Druck auf einen Knopf kann die entsprechende Stelle herausgepiepst werden. Das klingt dann zum Beispiel so wie in dieser OPB-Sendung vom Oktober 2015, in der die Schriftstellerin und Pulitzer-Preisträgerin Jane Smiley sich aus dem Fundus der „Seven Dirty Words“ bediente.

Es hilft dann auch mal, wenn der Moderator wie hier Geoff Norcross dazwischengeht. Denn wenn in der Live-Sendung geflucht wird, kann die verantwortliche Redakteurin einen zwar „Dump“-Knopf drücken, der die vorausgegangenen fünf Sekunden herausnimmt. Deswegen die Aufregung in der Senderegie, denn man hat nur wenige Sekunden Zeit, seine Entscheidung zu fällen. Aber: Unbegrenzt oft kann man den Knopf nicht drücken. Denn nach dem zweiten Mal sind die insgesamt zehn Sekunden Delay aufgebraucht. In der Regel sollte das reichen, damit der Redakteur die Live-Situation bei fortgesetzter Flucherei aus der beenden kann.

Ein massiver Eingriff in die redaktionelle Unabhängigkeit und damit in die Pressefreiheit. Und gleichzeitig ein Beweis für eine widersprüchliche Gesetzgebung in den USA: Aufrufe zu Gewalt, Rassismus, Sexismus sind okay – aber bitte nicht mit Schimpfwörtern.

Die Sendungen in ganzer Länge:

Das komplette Interview mit But Kolyev aus der OPB-Sendung „Think Out Loud“ findet sich hier (der Ausschnitt stammt von Minute 4´44):

Die ganze Sendung mit der Lesung von Jane Smiley ist hier nachzuhören (der Ausschnitt stammt von Minute 11´23):

Reden wir über Fehler von Journalisten

Denn die gibt es. Geredet darüber wird aber immer noch viel zu wenig von Journalisten selbst. In gewisser Weise nicht verwunderlich, denn ausgerechnet dann, wenn Journalisten sich selbstkritisch zu dem äußern, was sie recherchiert, veröffentlicht und kommentiert haben, bekommen sie besonders harsche Kritik, wie sie etwa der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer im „Spiegel“ geäußert hat.

„Spiegel“: Warum sind in letzter Zeit bei Ihnen immer die Medien schuld, wenn etwas schiefläuft?

Seehofer: Weil es ein Problem bei den Medien gibt, vor allem bei den öffentlich-rechtlichen. Überspitzt gesagt: Wenn die nicht Livesendungen hätten, dann hätten sie wenige der Lebenswirklichkeit entsprechende Programminhalte. Das ZDF musste wegen der Berichterstattung über Köln sein Bedauern zum Ausdruck bringen. Die ARD hat erklärt, ja, es stimmt, wir haben viele flüchtende Frauen und Kinder gezeigt, aber nicht im selben Maße die Männer, die viel häufiger nach Deutschland kamen. Zum Teil gab es eine Berichterstattung, die wenig mit der Realität zu tun hatte.

Seehofer kritisierte damit ausgerechnet das, was in diesem Fall ARD und ZDF ohnehin schon selbstkritisch eingeräumt hatten. Stefan Niggemeier kommentierte das auf uebermedien.de so:

Denn eigentlich wollen wir doch, dass Medien sich endlich zu mehr Selbstkritik durchringen. Dass sie öffentlich einräumen, wenn sie Fehler gemacht haben; dass sie sich gegebenenfalls entschuldigen; dass sie zu ihren Versäumnissen stehen.

Was ist aber, wenn diese Eingeständnisse ausschließlich als Munition gegen diejenigen verwendet werden, die sie äußern? Wenn sie nicht als Indiz dafür genommen werden, dass sich die Verantwortlichen kritisch mit ihrer eigenen Arbeit auseinandersetzen, sondern als vermeintlichen Beleg dafür, dass die Situation so schlimm ist, dass selbst die Verantwortlichen nicht mehr alles leugnen können?

Im vorigen Jahr wurde das Kölner Forum für Journalismuskritik ins Leben gerufen. Einen Tag lang wurde darüber diskutiert, wie Journalisten mit Kritik an ihrer Arbeit umgehen können und was sie daraus lernen. In diesem Jahr geht die Veranstaltungsreihe in die zweite Runde. Am 10. Juni wird im Kölner Funkhaus des Deutschlandfunks darüber diskutiert – diesmal mit prominenten Gästen wie der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), der Journalistin und ehemaligen Oberbürgermeisterin von Kiel, Susanne Gaschke, und dem DJV-Vorsitzenden Frank Überall.

Haben US-Journalisten Wahlkampfhilfe für Donald Trump geleistet?

Schriftzug an einem Trump-Building in New York
Schriftzug an einem Trump-Building in New York

Fragen von mir an Journalisten in den USA über das Dilemma, über Donald Trump zu berichten und ihn damit größer zu machen oder es sein zu lassen. Es ist kompliziert.

Donald Trump ist laut und unverschämt. Er ist immer für einen flotten Spruch zu haben, das ist gut für die Quote. Jetzt wird der umstrittene Milliardär wohl der republikanische Präsidentschaftskandidat. Viele Journalisten in den USA fragen sich nun, ob sie Wahlkampfhilfe geleistet haben – ohne es zu merken.

Ein paar Antworten im WDR5-Medienmagazin „Töne, Texte, Bilder“.

Man kann nicht über Jan Böhmermann schreiben, ohne über Jan Böhmermann zu schreiben

Und aus diesem Dilemma kommt man auch nicht heraus, wenn man eigentlich sagen will, dass Jan Böhmermann jetzt genug Öffentlichkeit hatte. In dem Dilemma steckt aber offenbar Tagesspiegel-Redakteur Joachim Huber (@HuberJoachim), der (ausdrücklich) gegen Böhmermann polemisiert, weil der ihm wieder zu stark in die Öffentlichkeit drängt:

Mein Gott, Böhmermann, hast du es nicht eine Nummer kleiner? Halt doch mal die Klappe, schau doch mal über dich hinaus, schau doch mal in die Türkei.

Auch Huber bezieht sich auf das wahrscheinlich bekannteste Zitat aus Böhmermanns Interview in der ZEIT (kostenpflichtig), wenn er schreibt:

Seitdem sieht sich der Mimose als deutscher Ai Weiwei, als Opfer eines bös-doofen Despoten und einer kuschelnden Kanzlerin.

Damit zeigt Huber genauso wie Stern-Reporter Hans-Ulrich Jörges in seiner Videokolumne, dass er wenig Humor hat. Am Ende seiner Kolumne immerhin lässt Jörges zumindest anklingen, dass er erkannt hat, dass auch das Interview satirische Züge hat. Wer etwas mehr Humor und es einigermaßen aufmerksam gelesen hat, hätte das schon früher erkannt und auf den Kommentar verzichtet.

Denn worüber regen sich beide auf? Dass ein Satiriker weiter sein Handwerk betreibt? Wird nach Anschlägen wie in Paris oder nach Polizeieinsätzen gegen Redaktionen nicht immer gefordert, jetzt müsse man erst recht weitermachen? Weiter in Bars und Konzerte gehen, weiter seine Arbeit als Journalist machen, um sich eben nicht einschüchtern zu lassen?

Genau das tut Jan Böhmermann. Er tritt wieder als Satiriker auf. Von diesem Job und seiner inneren Haltung ist er nicht zu trennen. Ihm das vorzuwerfen, finde ich unredlich und inkonsequent.

Wem Böhmermann auf die Nerven geht wie Huber und Jörges, der kann ihn ganz leicht ignorieren. Zum Beispiel, indem er kein Video aufnimmt und keinen Text darüber schreibt. Und indem er eben nicht ausdrücklich Böhmermanns „Medien-Kanäle“ anklickt wie Huber, um sich dann darüber zu beschweren, dass da Böhmermann ist. Man geht ja auch nicht in den Puff und beklagt sich dann, dass da nackte Frauen sind. (Jürgen Becker)