Warum „alle“ Journalisten gleich berichten – ein paar Hypothesen

Funkhaus des Deutschlandfunks in Köln
Funkhaus des Deutschlandfunks in Köln

„Ihr berichtet doch alle nur dasselbe“ – hinter diesem gängigen Vorwurf steckt zunächst augenscheinlich ein Paradox. Denn natürlich berichten alle dasselbe, wenn es um Fakten geht. Wenn ein Flugzeug abgestürzt ist, ist nun mal ein Flugzeug abgestürzt. Dass dann alle dieselbe Fluglinie nennen, die selbe Anzahl von Passagieren, die selbe Anzahl von Toten – gegen diese Form von gleichförmiger Berichterstattung kann man zunächst mal nichts sagen.

Gleiches gilt für die Themenauswahl. Dass viele Journalisten über dieselben Themen eines Tages berichten, hat auch damit zu tun, dass sie nach denselben oder ähnlichen Kriterien auswählen, was sie für wichtig halten. Wenn es dann heißt „Ihr berichtet ja nur noch über die Türkei“, mag es stimmen, dass dieses Thema breiten Raum einnimmt. Aber „nur noch“ ist freilich falsch.

Dahinter steckt meiner Meinung nach ein anderer Vorwurf, auch wenn der so nicht formuliert wird.

„Die Menschen fühlen das richtige – aber sie benutzen die falschen Argumente.“

So hat es die Journalistin Susanne Gaschke beim 2. Kölner Forum für Journalismuskritik formuliert. Wir Journalisten berichten also nicht über dasselbe, sondern wir schreiben im selben Tenor über ein Thema oder ständig über dieselben Aspekte.

Als Beispiel für das, was viele Kritiker eigentlich beklagen, ohne dass viele in der Lage sind, das richtig zu benennen, nannte Gaschke im Funkhaus des Deutschlandfunks in Köln etwa eine Themenkonjunktur, bei der wochenlang in allen Medien nur ein Thema bestimmend sei.

„Es gibt eine freiwillige Gleichrichtung in den Medien. Ein paar Monate nur Wulff, ein paar Monate nur Griechenland, ein paar Monate nur Flüchtlinge – so läuft das Leben nicht, das weiß man und das ärgert die Leute.“

Themen mit Konjunktur

Tatsächlich sind solche Themenkonjunkturen zu beobachten. Dass sie entstehen, liegt nicht an einer strukturellen Gleichschaltung von Journalisten, sondern zunächst einmal an der Ereignisorientierung von Nachrichten. Dabei geht es vor allem um öffentliche Ereignisse, also eine Bundestagsdebatte, eine Pressekonferenz, eine Demonstration.

Was exklusive Geschichten angeht, wenn also ein Journalist für sein Medium einen Sachverhalt recherchiert und unabhängig von einem sogenannten Aufhänger veröffentlicht, haben sich meiner Wahrnehmung nach die Maßstäbe verschoben. Blieb die Geschichte zunächst exklusiv beim jeweilen Medium, wird sie heute bei einer gewissen Relevanz in Kürze von vielen anderen Medien aufgegriffen und weiterverbreitet. Entweder ohne eigene Recherche, indem die Rechercheergebnisse des anderen Mediums weitergegeben werden. Oder durch unterstützende Recherche, bei der im Grunde die bereits bekannten Informationen noch mal überprüft werden. Oder durch einen Weiterdreh, also eine Berichterstattung, die weitere offen gebliebene Fragen aufgreift.

So schafft es beispielsweise ein Interview von SPD-Chef Sigmar Gabriel in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, etwa der Berliner Morgenpost, in dem er sich über die politische Einstellung von AfD-Anhängern äußert, innerhalb kürzester Zeit auch auf viele andere Internetseiten.

Screenshot aus Google News zum Stichwort Gabriel
Das Interview mit Sigmar Gabriel für die Funke-Mediengruppe wird in Kürze von vielen anderen Internetseiten aufgegriffen. (Screenshot: Google News)

Das muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass alle Seiten das Interview jeweils selbständig ausgewertet haben. Das übernehmen Nachrichtenagenturen. Sie fassen das Interview zusammen, greifen einzelne Aussagen auf und werten das Interview auf bestimmte Aspekte hin aus, etwa: Was sagt Gabriel zu einem aktuellen Thema? Was sagt er, was er so bisher nicht gesagt hat? Wo hat er seine Meinung geändert? Welche Pläne verkündet er? Wie äußert er sich zu Konflikthemen? Dementsprechend entstehen in den Agenturmeldungen auch verschiedene „Drehs“ ein und desselben Interviews. So stellten andere Meldungen Gabriels Meinung zur Nachfolge von Bundespräsident Joachim Gauck in den Mittelpunkt.

Gerade an Wochenenden, an denen nicht besonders viel passiert, wie im Fall des Gabriel-Interviews, stürzen sich dann auch viele Seiten im Netz entweder auf das Originalinterview oder auf die Auswertung von Nachrichtenagenturen – im Fall von Gabriel waren es Reuters, dpa, EPD, KNA und AFP. Mindestens eine dieser Agenturen hat jede professionelle Redaktion im Land abonniert. So landet die Nachricht in kürzester Zeit im Netz. Eine eigenständige Beschäftigung mit den Äußerungen Gabriels ist damit oft erst mal nicht verbunden.

Was sich verändert hat

Susanne Gaschke, die die Berichterstattung auch aus der Perspektive der Politikerin kennt, die sie als Kieler Oberbürgermeisterin vorübergehend war, erzählte beim Forum ausführlich, was sich ihrer Beobachtung nach verändert hat. Themenkonjunkturen griffen in die Berichterstattung ein – und zwar, wenn es so viel gleichgerichtete Berichterstattung gebe wie in der Affäre um den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff oder der Medientenor, die SPD komme nicht mehr hoch aus den Trümmern.

„Vor zwanzig Jahren, wenn ich mich recht erinnere, als ich anfing, Journalistin zu sein, da war es so: Wenn man ne super Geschichte in der Süddeutschen Zeitung gelesen hatte und damit zum Ressortleiter ging und sagte: Ah, da würde ich auch gerne was drüber machen, das ist ja toll. Dann sagte der: Ja, wenn sie einen gänzlich neuen Aspekt entdecken können, also wirklich etwas, ansonsten ist das ja die Geschichte der Süddeutschen Zeitung. Und heute werden Sie in der Redaktionskonferenz eher ein erbostes ‚Warum haben wir das nicht?‘ erleben.

Dadurch ergebe sich eine freiwillige gleiche Richtung der Berichterstattung. Lügenpresse sei der falsche Vorwurf, aber das Gefühl einer sehr starken Gleichgerichtetheit bei den Themen.

Panel-Moderatorin Bettina Klein warf ein, dass sich auch das Mediennutzungsverhalten geändert habe, also nicht jeder Bürger mehrere Tageszeitungen lesen würde (um auch wie von Susanne Gaschke als Beispiel genannt in der Süddeutschen Zeitung auf eine interessante Geschichte zu stoßen). Stattdessen werde Journalismus in Häppchen konsumiert.

Tatsächlich ermöglicht es die Art und Weise, wie Journalisten gegenseitig Recherchen weiterverbreiten, sich nicht mehr breit und bei mehreren Medien informieren zu müssen. Nach dem Motto: Wenn etwas passiert in der Welt, kann ich es bei SPIEGEL online finden. Schließlich aggregiert die Seite auch Nachrichten von anderen Medien. Und nicht nur die, auch bei Mailadressenanbietern wie Webmail und GMX finde ich heute etwas, das man als Nachricht ansehen kann. Und die Interessen von Nutzern geben den Portalbetreibern recht. Geklickt wird nicht mehr nur das, was exklusiv ist. Geklickt wird auch das, was bei allen anderen geklickt wird. Dementsprechend wird es oft gemacht.

Im US-Spielfilm „Moment der Wahrheit“ („Truth“) gibt es eine Szene, die das in einem Schlaglicht veranschaulicht. Der Film beschäftigt sich mit den Recherchen der Journalistin Mary Mapes, die 2004 nachzuweisen versuchte, dass sich der amtierende US-Präsident George W. Bush in den 70er Jahren ein Jahr lang unerlaubt von der Armee ferngehalten und versucht habe, einen Einsatz im Vietnamkrieg zu vermeiden. Mapes und ihr Rechercheteam sitzen zusammen und verfolgen einen Fernsehbericht, der sich mit ihrem eigenen Fernsehbericht beschäftigt. Charles sagt (laut Drehbuch):

„This is what our business is now. Reporting on reporting. Why break news when you can just talk about other news? Thirty minutes from now, someone’s gonna do a story on this guy doing a story on us. And then they’ll all win Peabodies.“

Passiver vs. aktiver Journalismus

Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, sagte in einer anderen Diskussionsrunde beim Kölner Forum, dass das auch mit Arbeitsbedingungen zu tun habe. Es gebe zu wenig Journalisten, deswegen würden diejenigen, die in der Redaktion säßen, nur noch schnell die Agenturmeldungen übernehmen; damit klinge es überall gleich.

Der Medienwissenschaftler Uwe Krüger von der Universität Leipzig sprach von einem „normalen, passiven Journalismus“, der das Handeln von Institutionen abbildet. Am jeweiligen Korrespondentenstandort sei das das „Umschaufeln des Materials“, das anfalle. Das sei zwangsläufig eher passiv, man verlasse sich eher auf die Quellen, die Konstellationen der Meinungen der Akteure vor Ort. In bestimmtem Maße gilt das sicherlich für Auslandskorrespondenten.

„Das Gegenstück dazu ist der investigative Journalismus, der sich Zeit nimmt, der alles umgräbt, der zweifelt an Aussagen von Akteuren, an Prämissen von Diskursen, der dann eben mal einen großen Haufen macht. Aber dieser Haufen wird häufig überspült von diesem täglichen Rapportieren dessen, was Eliten tun, zum Beispiel Politikeliten.“

Das sei ein Großteil dessen, was in Tagesschau und Heute vorkomme. Damit kaufe man sich ganz viele Sachen mit ein, die in der Politik mit drinliegen.

„Und wenn Politik zum Beispiel den Kontakt zur Bevölkerung verliert und wenn gegen die Interessen von großen Teilen der Bevölkerung Politik gemacht wird und Medien das abbilden und diese Politik erklären, dann ernten sie genau dasselbe Unverständnis wie die Politik erntet.“

Der eigentliche Frust, sagt Krüger, sei die Politik. Dies sei etwa deutlich geworden, als die ZDF-Journalistin Dunja Hayali eine AfD-Demonstration besucht und dort Stimmen eingefangen habe.

Und Susanne Gaschke ergänzt, dass Journalisten auch grundsätzlich mit einem Interesse an Konflikten an ein Thema herangehen würden und dann versuchten, das den Zuschauern zu vermitteln.

„Es gibt ganz viel Berichterstattung, die grundiert ist mit einem Misstrauen, mit Unverständnis oder Misstrauen für bestimte politische Vorgänge. Wenn ich den Leuten aber immer nur beschreibe, wie blöd das alles ist, dann finden sie es natürlich auch blöd. Auch deshalb finden sie auch die Medien nicht mehr so doll, denn die Leute, die einem immer nur negative Nachrichten bringen, die schlecht erklären, die mir auch nicht helfen, das zu verstehen, die muss ich auch nicht mehr kaufen, vor allem, weil ich ja das ein oder andere auch umsonst im hochgeschätzten Internet kriege.“

Nachtrag, 22. Juni: Vera Linß beschäftigt sich in der WDR5-Sendung „Politikum“ mit einem verwandten Aspekt: Sie kritisiert, dass Journalisten Ausschnitte aus Politiker-Podcasts für ihre Berichterstattung verwenden und damit ihre Kontrollfunktion vernachlässigen.

Update: Ich habe diesen Beitrag am 19. Juni durch die Szene aus dem Film „Moment der Wahrheit“ aktualisiert.

Update: Am 21. Juni habe ich noch die Meinungsäußerung von Frank Überall eingearbeitet.

„Guter Journalismus entsteht auch im Widerspruch zu gängigen Meinungen“

Über Fehler von Journalisten wird an vielen Stellen gesprochen – nicht erst, seit bei Pegida von der „Lügenpresse“ die Rede ist und bei der AfD von der „Pinocchiopresse“. Auf Fachtagungen und Konferenzen kommt das Thema dagegen meiner Wahrnehmung nach zu kurz.

Diese Lücke will das Kölner Forum für Journalismuskritik schließen. Im vergangenen Jahr gab es die Premiere, am morgigen Freitag geht es in die zweite Runde. Veranstaltet wird sie vom Deutschlandfunk und der Initiative Nachrichtenaufklärung. Ein paar Erkenntnisse werde ich hier im Laufe der nächsten Tage bloggen.

Zum Auftakt stimmt Deutschlandradio-Intendant Willi Steul auf die Konferenz ein. Er fordert in seinem Grußwort von Journalisten mehr Selbstbewusstsein bei ihrer Arbeit ein. Das erfordere permanente Selbstkritik: „Guter Journalismus entsteht immer auch im Widerspruch zu gängigen Meinungen.“

 

Wie sich Medien zum Sprachrohr eines Tatverdächtigen machen

Hey, das lief ja gut für den Bielefelder Rechtsanwalt Detlev Binder. Er vertritt Wilfried W., der in seinem Haus in Höxter zwei Frauen zu Tode gequält haben soll.

Schlagzeile im Westfalen-Blatt (Screenshot: http://www.westfalen-blatt.de/OWL/Lokales/Kreis-Hoexter/Hoexter/2385095-Horror-Haus-Anwalt-kritisiert-Polizei-mit-Video-Die-Opfer-von-Hoexter-koennten-noch-leben)
Schlagzeile im Westfalen-Blatt (Screenshot: http://www.westfalen-blatt.de/OWL/Lokales/Kreis-Hoexter/Hoexter/2385095-Horror-Haus-Anwalt-kritisiert-Polizei-mit-Video-Die-Opfer-von-Hoexter-koennten-noch-leben)

Er hat dem „Westfalen-Blatt“ ein Interview gegeben. In einem Video-Interview dort sagt er, die beiden Opfer könnten noch leben, wenn die Polizei damals richtig reagiert hätte.

Binder macht seinen Job richtig: Er verteidigt seinen Mandanten. Es steht ihm frei, dessen Version in die Öffentlichkeit zu geben. Auch wenn es manch einem merkwürdig erscheinen mag, dass er einen Teil der Verantwortung auf die Polizei abwälzt, darf er das tun. Wahrscheinlich hätte er aber nicht gedacht, dass ihm viele Medien so willfährig folgen und seine Version fast ungefiltert weitergeben.

So schreibt etwa der Kölner Stadt-Anzeiger:

„Das Täterpaar wollte die Frau freilassen und fuhr mit ihr zur Polizeiwache“, heißt im Anreißer zum Link. Tat es das wirklich? Wollte es das wirklich? Die Indikative im Satz legen das nahe. Aber wir wissen es nicht; die einzige Quelle dafür ist parteilich.

Auch der Tagesspiegel erweckt mit seiner Überschrift den Eindruck von Tatsachenbehauptungen:

Bericht auf tagesspiegel.de (Screenshot: http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/hoexter-bosseborn-taeterpaar-wollte-frau-aus-berlin-2012-in-polizeiwache-freilassen/13641862.html)
Bericht auf tagesspiegel.de (Screenshot: http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/hoexter-bosseborn-taeterpaar-wollte-frau-aus-berlin-2012-in-polizeiwache-freilassen/13641862.html)

Der Stern versteckt immerhin den Urheber der Aussagen in der Dachzeile:

Überschrift bei stern.de (Screenshot: http://www.stern.de/panorama/stern-crime/hoexter-polizei-anwalt-vorwuerfe-6866614.html)
Überschrift bei stern.de (Screenshot: http://www.stern.de/panorama/stern-crime/hoexter-polizei-anwalt-vorwuerfe-6866614.html)

Überrascht bin ich, dass sich die Clickbaiting-Maschine focus.de zurückhält und sich sogar in der Überschrift von der Aussage des Anwalts distanziert:

Schlagzeile auf focus.de (Screenshot: http://www.focus.de/panorama/welt/horror-paar-von-hoexter-anwalt-erhebt-schwere-anschuldigung-polizei-haette-tod-der-frauen-verhindern-koennen_id_5564762.html)
Schlagzeile auf focus.de (Screenshot: http://www.focus.de/panorama/welt/horror-paar-von-hoexter-anwalt-erhebt-schwere-anschuldigung-polizei-haette-tod-der-frauen-verhindern-koennen_id_5564762.html)

Ebenso wie Spiegel online:

Bericht auf spiegel.de (Screenshot: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/hoexter-mutmassliches-folterpaar-soll-mit-opfer-zu-polizeiwache-gefahren-sein-a-1094105.html)
Bericht auf spiegel.de (Screenshot: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/hoexter-mutmassliches-folterpaar-soll-mit-opfer-zu-polizeiwache-gefahren-sein-a-1094105.html)

Sowohl Focus als auch Spiegel tun dann aber auch kaum anderes, als die Aussagen des Anwalts wiederzugeben. Zwar gibt es den Hinweis darauf, dass sich die Polizei wegen der laufenden Ermittlungen nicht dazu äußern möchte. Aber beide geben dem Tatverdächtigen breiten Raum, ohne den Vorwürfen eine zweite Meinung oder Fakten entgegenstellen zu können. Und rücken damit die Polizei in den Mittelpunkt des Falls.

Ich weiß nicht, ob die Geschichte stimmt. Die Journalisten wissen es auch nicht. Was sich der Leser denkt: keine Ahnung.

Vorwürfe erheben kann jeder. Aber es liegt in der Verantwortung von Journalisten, diesen Vorwürfen entweder nachzugehen und sie zu erhärten – oder die Geschichte erst mal liegenzulassen.

Aber sie klang einfach zu spektakulär. Vielleicht wusste Detlev Binder das.

„Wo kann man noch diskutieren? Wo ist man noch bereit zur Debatte?“

Wie können wir in Zukunft im Netz noch debattieren, wenn viele Diskussionen von Reichsbürgern, Trollen, Hatern, ewig Unzufrieden, Whataboutism-Nutzern und anderen zerschossen werden? Gibt es Ideen, diese Leute wieder für ernsthafte inhaltliche Diskussionen zu gewinnen oder – wenn nicht – sie zumindest von bestimmten Diskussionen fernzuhalten?

Auf der Republica und der Media Convention in Berlin ist Anfang Mai viel darüber diskutiert worden. Dabei wurden auch Perspektiven aufgezeigt für eine bessere Debattenkultur im Netz. Denn ein Netz ganz ohne Debatten – das geht nicht, findet Carline Mohr, die bis April das Social-Media-Team bei bild.de geleitet hat und ab Juni bei Spiegel online arbeitet.

Drei Punkte, denen in Berlin viele Social-Media-Redakteure zugestimmt haben.

1. Klar Kante zeigen

Klar Kante zeigen heißt: Beleidigungen, Rassismus, Sexismus, Homophobie, Aufruf zu Gewalttaten und andere strafbare Inhalte konsequent ausblenden und gegebenenfalls auch juristisch verfolgen. Keine neue Idee, aber immer noch notwendig. Denn es gibt Nutzer, die sind auf anderem Wege nicht mehr für eine Debatte zurückzugewinnen, findet auch Carline Mohr.

Auch Jörg Heidrich, Justitiar beim Onlineportal Heise in Hannover, entdeckt in den Foren von heise.de immer wieder Einträge von Nutzern, die den Rahmen dessen überschreiten, was noch als erlaubte Meinung durchgehen kann. Diese Beiträge würden schnell gelöscht.

Volksverhetzung, Aufruf zu strafbaren Handlungen, Beleidigungen sollte man auch weiter nicht hinnehmen, sagt Heidrich.

2. Mit den Lesern sprechen

Viele Nutzer vertreten allerdings durchaus Meinungen, die zwar noch von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, aber die Diskussion vergiften können. Ihre Beteiligung beschränkt sich darauf, auf ihrer Meinung zu beharren, ohne sie argumentativ zu stützen. Ich habe dazu hier schon mal geschrieben:

…oft vermisse ich schon die Bereitschaft, überhaupt nur über die Meinung zu diskutieren. (…) Meistens (…) fehlt den Nutzern die kognitive Fähigkeit, sich über ein Thema auseinanderzusetzen. Selten wird ein sachliches Argument genannt, oft mit modernen Whataboutisms abgelenkt, wird mit Gefühlen, Klischees und Vorurteilen argumentiert, die sich niemand durch Fakten widerlegen lassen möchte.

Heike Gallery, bei ZEIT online zuständig für Social Media, sagte auf der Media Convention in Berlin, man müsse sich mit den Lesern und Nutzern austauschen. ZEIT online versuche, einen öffentlichen Raum herzustellen mit der Community, in dem Austausch möglichst sei, sachlich und konstruktiv.

Im Eröffnungspanel hat Frank Richter, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen, diese Gesprächsbereitschaft noch weiter gefasst. Zum Thema „Gesellschaft – it´s broken, let´s fix it!“ sagte er, vielen Menschen, die sich bei AfD und Pegida darüber beklagen würden, dass ihre Stimme nicht wichtig sei, würden sich wertgeschätzt fühlen, wenn sie endlich einmal öffentlich sagen könnten, was sie meinen, und dafür Zustimmung fänden (im Video ab Min. 8´24).

3. Die eigene Community stärken

Entsprechend versuchen seit einiger Zeit ZEIT online und sueddeutsche.de, ihre Community zu stärken.

Bei der Süddeutschen Zeitung können seit anderthalb Jahren nur noch ausgewählte Beiträge online kommentiert werden. Daniel Wüllner, Teamleiter Social Media und Leserdialog, findet das für eine gezielte und konstruktive Diskussion außerordentlich praktisch, denn gerade zu den am meisten diskutierten Themen eines Tages gebe es oft mehrere Beiträge – zum Beispiel ein aktuelles Stück, einen Hintergrund, Reaktionen und einen Kommentar. Würde man dort jeweils separat diskutieren, gäbe es gleich mehrere Diskussionsstränge zum selben Thema. Stattdessen bündelt sueddeutsche.de diese Beiträge zu einem einzigen Diskussionsstrang. Zieht sich ein Thema über mehrere Tage hin, könnten an jedem Tag verschiedene Aspekte diskutiert werden.

Heike Gallery von ZEIT online empfindet die Verengung der Themen, über die man bei sueddeutsche.de diskutieren kann, als nicht zeitgemäß. Es handle sich um das klassische Gatekeeper-Modell, weil Journalisten bestimmten, worum es gehen soll. Nutzer würden sich dann lieber andere Seiten suchen, um über die Themen zu diskutieren, die sie wichtig fänden, etwa bei Facebook. Gallery will die Leser aber lieber bei zeit.de halten, um die Hoheit über die Inhalte zu behalten und sich wie im Fall von Facebook nicht von einem US-Unternehmen abhängig zu machen.

Die ZEIT stärkt ihre Community, indem sie aus Kommentaren ihrer Nutzer kleine Boxen bastelt, die sie zum Beispiel per Twitter verbreitet.

Vorteil dieser Communitys: Jeder Kommentar wird gelesen, bevor er veröffentlicht wird.

4. Sich helfen lassen

Bei Facebook geht das nicht: Die Kommentarfunktion kann nicht abgeschaltet werden, und jeder Post geht direkt online. Je nach Medium, je nach Thema, je nach Mobilisierung der Nutzer ist es für die Redaktionen unmöglich, alle Kommentare zu lesen. Da wäre eine technische Hilfe wünschenswert, die Redakteuren kritische Kommentare zur Begutachtung vorlegt.

Ein Forschungsprojekt an der Universität Münster will da weiterhelfen. Der Wirtschaftsinformatiker Sebastian Köffer entwickelt einen Algorithmus, der Kommentare mit Hatespeech und Propaganda herausfiltern soll. Das ist gar nicht so leicht, denn Sprache ist längst nicht eindeutig, so dass ein Algorithmus direkt versteht, wie brisant ein Kommentar ist.

Schwierig wird es vor allem dadurch, dass Mehrdeutigkeit, Wortschöpfungen, Sarkasmus und Verneinungen schwer zu erkennen seien, sagt Köffer.

In solchen Fällen können auch Metadaten helfen. Die zeigen zum Beispiel, ob Profile gerade erst angelegt und Texte hineinkopiert wurden – und das bei vielen Profilen kurz nacheinander, was auf den Einsatz bezahlter Kommentatoren hindeutet.

Bis das Instrumentarium einsetzbar ist, kann es aber noch einige Zeit dauern. Und Köffer sagt, dass es nicht unbedingt auf allen Plattformen einsetzbar ist. Facebook zum Beispiel hat massenhaft Daten und Metadaten, um sich selbst ein solches Instrumentarium zu schaffen und anzuwenden. Was da passiert, wisse man aber nicht, so Köffer.

5. Mit Journalismuskritik umgehen

Eine besondere Herausforderung bei der Umgang mit Kommentaren stellt sich dann, wenn sich die Kritik von Nutzern gegen die eigene Arbeit richtet, man also in eigener Sache argumentieren muss. Journalisten geraten dann leicht in Erklärungsnot, weil Nutzer oft Dinge bemängeln, die entweder

  • nicht in der Verantwortung der Journalisten liegen (also wenn sie die Meinung maßgeblicher Protagonisten wiedergeben, die von Nutzern als unerwünscht angesehen werden – wenn also der Überbringer der Nachricht dafür geschlagen wird)
  • oder immanenter Bestandteil journalistischer Arbeit sind (schnelle Erstberichterstattung zunächst ohne Einordnung und Reaktionen)
  • oder vage Vorwürfe erheben (tendenzielle Berichterstattung zugunsten bestimmter Gruppen, ohne das zu belegen)

Es gibt freilich auch berechtigte Kritik. Die New York Times hat sich dafür vier Jahre lang eine Ombudsfrau geleistet. Margret Sullivan hat Fragen von Nutzern aufgegriffen, die Stichhaltigkeit der Anfragen und Vorwürfe geprüft und Redakteure weitergeleitet, die zur Antwort verpflichtet waren. Auch SZ-Redakteur Daniel Wüllner kann sich ein solches Amt vorstellen. Er sieht aber auch gewisse Probleme, dafür jemanden Vertrauenswürdigen zu finden, der sich sowohl bei Nutzern als auch bei den Journalistenkollegen unbeliebt macht.

An dieser Stelle gilt es noch weiter nachzudenken. Das wird unter anderem beim 2. Kölner Forum für Journalismuskritik am 10. Juni versucht.

Reden wir über Fehler von Journalisten

Denn die gibt es. Geredet darüber wird aber immer noch viel zu wenig von Journalisten selbst. In gewisser Weise nicht verwunderlich, denn ausgerechnet dann, wenn Journalisten sich selbstkritisch zu dem äußern, was sie recherchiert, veröffentlicht und kommentiert haben, bekommen sie besonders harsche Kritik, wie sie etwa der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer im „Spiegel“ geäußert hat.

„Spiegel“: Warum sind in letzter Zeit bei Ihnen immer die Medien schuld, wenn etwas schiefläuft?

Seehofer: Weil es ein Problem bei den Medien gibt, vor allem bei den öffentlich-rechtlichen. Überspitzt gesagt: Wenn die nicht Livesendungen hätten, dann hätten sie wenige der Lebenswirklichkeit entsprechende Programminhalte. Das ZDF musste wegen der Berichterstattung über Köln sein Bedauern zum Ausdruck bringen. Die ARD hat erklärt, ja, es stimmt, wir haben viele flüchtende Frauen und Kinder gezeigt, aber nicht im selben Maße die Männer, die viel häufiger nach Deutschland kamen. Zum Teil gab es eine Berichterstattung, die wenig mit der Realität zu tun hatte.

Seehofer kritisierte damit ausgerechnet das, was in diesem Fall ARD und ZDF ohnehin schon selbstkritisch eingeräumt hatten. Stefan Niggemeier kommentierte das auf uebermedien.de so:

Denn eigentlich wollen wir doch, dass Medien sich endlich zu mehr Selbstkritik durchringen. Dass sie öffentlich einräumen, wenn sie Fehler gemacht haben; dass sie sich gegebenenfalls entschuldigen; dass sie zu ihren Versäumnissen stehen.

Was ist aber, wenn diese Eingeständnisse ausschließlich als Munition gegen diejenigen verwendet werden, die sie äußern? Wenn sie nicht als Indiz dafür genommen werden, dass sich die Verantwortlichen kritisch mit ihrer eigenen Arbeit auseinandersetzen, sondern als vermeintlichen Beleg dafür, dass die Situation so schlimm ist, dass selbst die Verantwortlichen nicht mehr alles leugnen können?

Im vorigen Jahr wurde das Kölner Forum für Journalismuskritik ins Leben gerufen. Einen Tag lang wurde darüber diskutiert, wie Journalisten mit Kritik an ihrer Arbeit umgehen können und was sie daraus lernen. In diesem Jahr geht die Veranstaltungsreihe in die zweite Runde. Am 10. Juni wird im Kölner Funkhaus des Deutschlandfunks darüber diskutiert – diesmal mit prominenten Gästen wie der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), der Journalistin und ehemaligen Oberbürgermeisterin von Kiel, Susanne Gaschke, und dem DJV-Vorsitzenden Frank Überall.

Volker Beck und die Droge: Wie sich eine Spekulation verselbständigt

Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck ist vor zweieinhalb Monaten von der Berliner Polizei kontrolliert worden. Bei ihm wurde eine „betäubungsmittelähnliche Substanz“ gefunden. Beck trat daraufhin von seinen Ämtern zurück, teilte er auf seiner Webseite mit; sein Mandat als Abgeordneter behielt er.

Ich habe immer eine liberale Drogenpolitik vertreten. Zu den gegen mich erhobenen Vorwürfen wird mein Anwalt zu gegebener Zeit eine Erklärung gegenüber der Staatsanwaltschaft abgeben. Ich werde mich dazu öffentlich nicht einlassen.

Um welche Drogen es sich gehandelt hat, ist bis heute nicht bekannt. Die Bild-Zeitung hat behauptet, es habe sich um Crystal Meth gehandelt, gibt dazu aber keine Quelle an. Auch später ist an keiner Stelle offiziell bekannt geworden, um welche Droge es geht, dennoch beziehen sich fast alle Medien seitdem immer und immer wieder auf diese Angabe; teilweise geben sie nicht mal mehr die Bild als Quelle an, sondern formulieren so etwas wie „es soll sich um Crystal Meth gehandelt haben“.

Freilich, dem hat nicht mal Volker Beck widersprochen – aber ist damit schon klar, was es war? Viele Medien tun jedenfalls so und formulieren ganze Kommentare auf dieser Basis. So etwa Angelika Demel im Blog von Roland Tichy, das schon in der Dachzeile etwas suggeriert, was nicht belegt ist:

Die Volker-Beck-Droge wird zur Massensucht

Im Vorspann heißt es dann:

Das Verfahren gegen den Bundestagsabgeordnete Volker Beck wegen des mutmaßlichen Besitzes von Crystal Meth wird „wegen geringer Schuld“ eingestellt. Das ist rechtspolitisch ein gefährliches Zeichen: Crystal Meth ist längst eine Massendroge, die auch Kinder schädigt, so unsere Gastautorin Angelika Demel.

Dort ist also lediglich die Rede von „mutmaßlichem Besitz“. Und von einem „rechtspolitisch gefährlichen Zeichen“ kann man nur dann sprechen, wenn es sich tatsächlich um Crystal Meth gehandelt hat und das Verfahren dennoch absichtlich eingestellt wurde (und nicht lediglich wegen einer Opportunitätsvorschrift laut Strafprozessordnung, wie Beck schreibt). Auf dieser Spekulation baut Demels allerdings ihre ganze Theorie auf.

Weder will noch kann ich Volker Beck von einem Verdacht reinwaschen, noch will ich Crystal Meth verharmlosen. Insofern hat Demels Beitrag inhaltlich schon seine Berechtigung.

Aber unverantwortlich zu spekulieren und Beck immer wieder mit der Droge in Verbindung zu bringen, ist sehr unredlich. Wer von absichtlich und unabsichtlich fehlerhafter Berichterstattung spricht wie es auf Roland Tichys Seite immer wieder aufscheint, sollte für sich selbst den Maßstab anlegen, auf der Grundlage von Informationen zu berichten und zu kommentieren, nicht auf der Grundlage von Spekulationen.

Das führt dann nämlich zu sich verselbständigenden Meinungen wie diesen hier, in denen Nutzer Belege nicht mehr für nötig halten.

Ich habe Roland Tichy mal nach einer Quelle gefragt. Seiner Antwort entnehme ich, dass man keine braucht, wenn keiner widerspricht.

Gut, dass das vor Gericht nicht gilt. Dort muss einem nämlich eine Tat nachgewiesen werden, und man darf trotzdem schweigen.

„Es ist wichtig, mit den Lesern zu sprechen“

Ein Schwerpunkt der diesjährigen Republica und der Media Convention in Berlin war der Umgang mit Hass im Netz. Das wird seit dem vorigen Jahr breit diskutiert, nachdem die Anzahl der Hasskommentare vor allem gegen die vielen ankommenden Flüchtlinge enorm zugenommen hatte. In Berlin wurden Perspektiven aufgezeigt für eine bessere Debattenkultur im Netz. Welche das sind, darüber habe ich für das Medienmagazin des Deutschlandfunks, „Markt und Medien“, berichtet.

Mit Stimmen von

  • Carline Mohr, bis April Social-Media-Leiterin bei bild.de
  • Jörg Heidrich, Justiziar beim Onlineportal heise.de
  • Daniel Wüllner, Teamleiter Social Media und Leserdialog bei sueddeutsche.de
  • Sebastian Köffer, Wirtschaftsinformatiker von der Universität Münster

Frauke Petry und die Pressefreiheit: Warum Journalisten nicht völlig neutral sein dürfen

In der vergangenen Woche ist ein bizarrer Streit öffentlich geworden: der zwischen der AfD-Chefin Frauke Petry und dem ZDF-Morgenmagazin. Petry war am Montagmorgen nicht beim ZDF aufgetaucht, obwohl sie zugesagt hatte. Auch am Dienstag kam sie nicht. Wieso, hat Michael Coors gut beschrieben.

Ich will auf eine Aussage von Frauke Petry eingehen, die sie als Vorwurf formuliert und gemeint hat. In einem Statement dazu, warum sie nicht gekommen ist, heißt es:

Solange vor allem öffentlich-rechtliche Fernsehsender ihren Auftrag, so neutral wie möglich das pluralistische Meinungsbild darzustellen, dadurch missverstehen, indem sie offensichtlichen Politaktivisten wie Dunja Hayali ein derartig breites öffentliches Forum bieten, ist mein persönliches Interesse, in diesem Rahmen über die aufstrebende Alternative für Deutschland zu berichten, deutlich reduziert.

Die Sache mit der „Politaktivistin“ Dunja Hayali, die eigentlich nur Moderatorin des ZDF-Morgenmagazins ist, präzisiert Petry dann noch:

Liegt es daran, dass die Unterstützerin der Vereine ‚Gesicht zeigen‘ und ‚Respekt! Kein Platz für Rassismus‘ Schwierigkeiten damit hat, ihre journalistische Arbeit in einem aus Steuergeldern finanzierten Sender von ihrer politischen Einstellung zu trennen? (…) Sie erscheint daher zunehmend mehr als politische Aktivistin denn als professionell arbeitende Journalistin.

Mal abgesehen von der Tatsache, dass die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender nicht aus Steuergeldern finanziert werden (Irrtum? Lüge?), irritiert mich die Haltung, die Petrys Aussage zugrunde liegt.

Ich interpretiere Petry so, dass das Eintreten gegen Rassismus nicht mit der Neutralitätspflicht eines Journalisten zu vereinbaren ist. Rassismus soll also als eine legitime Einstellung neben anderen angesehen werden. Führt man das fort, sind auch Haltungen wie Antisemitismus, Homophobie, Sexismus und Islamfeindlichkeit akzeptabel, kurz: alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Das Grundgesetz, auf dessen Grundlage die AfD Petry zufolge steht, verbietet aber genau dies in Artikel 3 Abs. 3:

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Wenn Journalisten wie Dunja Hayali, um die es Petry geht, sich also gegen Rassismus aussprechen, handeln sie im Sinne des Grundgesetzes. Und diesem Grundgesetz gegenüber sollen Journalisten neutral sein?

Das können und dürfen sie nicht. Denn das Grundgesetz und die Demokratie sind Voraussetzung für unabhängigen Journalismus. Im Grundgesetz wird die Meinungs- und Pressefreiheit garantiert (Art. 5). Man sieht an vielen Diktaturen weltweit, wie selten die wirklich besteht (die Reporter ohne Grenzen haben ihre Einschätzung in einer Weltkarte dargestellt). Sich nicht für Werte des Grundgesetzes einzusetzen, hieße, auch diesen gegenüber neutral zu sein. Wie kann man aber einem Grundrecht gegenüber neutral sein, wenn es die eigene Arbeit garantiert?

Michael Coors formuliert es zugespitzt so:

Wenn Frau Petry ernsthaft das Engagement gegen Rassismus für eine Verletzung journalistischer Neutralität hält und lediglich für eine politische Einstellung neben anderen, zeigt sie, dass sie schlicht gewisse rechtliche und moralische Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaftsordnung entweder nicht verstanden hat oder aber – noch schlimmer – diese aus politischer Überzeugung in Frage stellt.

Spinnen wir das mal fort: Wenn Journalisten auch demokratiefeindliche Meinungen gelten lassen sollen, sollen sie also seelenruhig dabei zusehen, wie eine Regierung ihre eigenen Rechte abschafft, so wie es die AfD in Baden-Württemberg laut Wahlprogramm teilweise vorhat und die AfD auf Bundesebene laut Entwurf (dessen Gültigkeit die AfD bestreitet, allerdings nicht den Entwurf an sich). Das kann nicht im Interesse der Demokratie sein.

Journalisten dürfen nicht nur für Grundwerte eintreten, sie müssen es sogar. Dass Dunja Hayali sich gegen Rassismus ausspricht, ist also nicht nur ihr Recht als Bürgerin, es ist sogar ihre Pflicht als Journalistin; wenn sie es nicht so öffentlich tut wie bei „Gesicht zeigen“ und „Respekt“, so müsste sie mindestens ihre professionelle Rolle so verstehen.

Wenn Journalisten nicht für die Werte des Grundgesetzes eintreten, schaffen sie erst sich selbst und auf Dauer auch die Demokratie in dieser Form ab.

Wie die AfD die Medienvielfalt abschaffen will und das Gegenteil behauptet

Was die „Alternative für Deutschland“ wirklich will, ist gar nicht so leicht herauszufinden. Es gibt zwar Wahlprogramme für einzelne Bundesländer, aber kein Grundsatzprogramm. Zwar äußern sich immer wieder einzelne Vertreter der Partei zu Zielen, aber da viele davon wieder von der Parteiführung relativiert werden, herrscht Unklarheit über die Einstellungen und Ziele der Partei.

Dass ein Grundsatzprogramm Abhilfe schaffen soll, ist nur konsequent. Die Recherchegruppe „Correctiv“ hat über einen Entwurf für das Programm berichtet, den man hier abrufen kann. Unabhängig von der Frage, ob diese Fassung tatsächlich von der AfD beschlossen und gültig wird, strotz das Programm nur so von vagen Formulierungen, sehr allgemeinen Aussagen, Unklarheit über Definitionen und vielen Widersprüchlichkeiten.

Dass das auch bei den von AfD-Chefin Frauke Petry so bezeichneten Altparteien auch so ist, macht die Sache nicht besser; allerdings behauptet die AfD ja immer, dass sie es besser kann als diese Parteien. Der Entwurf sieht nicht danach aus.

Ich will hier ausschließlich auf die Vorschläge zur Medienpolitik eingehen. Die Überschrift des entsprechenden Kapitels XVII lautet:

Vielfältige Medien statt gelenkter Meinung

Die AfD-Spitze hält die Presse- und Meinungsfreiheit für gefährdet und schreibt:

Die AfD tritt für eine vielfältige Medienlandschaft ein, die freie Information und kritische Diskussion ermöglicht. Meinung und Information müssen klar erkennbar voneinander getrennt sein. Tatsachen sollen als solche benannt und nicht aus politischen Gründen verschleiert werden. Die AfD fordert: Schluss mit „Politischer Korrektheit“.

Dagegen lässt sich wenig sagen, auch wenn unklar ist, was die AfD unter „politischer Korrektheit“ versteht und welche Tatsachen bisher verschwiegen worden sein sollen? Womöglich bezieht sie sich auf die Diskussion über den umstrittenen Artikel 12.1 des Pressekodex. Genaueres steht nicht im Programm.

In Sachen öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist die Partei dagegen eindeutig. In der Überschrift schreibt sie:

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Privatisieren. GEZ abschaffen.

Was die GEZ angeht, so hat die AfD ihr Ziel schon erreicht. Es gibt sie nicht mehr. Aus der Gebühreneinzugszentrale ist der ARD-ZDF-Deutschlandradio-Beitragsservice geworden. Es ist nur eine Namensänderung, aber wer nicht mal angeben kann, gegen was er kämpft, ist schwer ernstzunehmen. Weiter heißt es:

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten werden privatisiert. Sie finanzieren sich von 2018 an selbst. Der Beitragsservice wird ersatzlos abgeschafft. Die staatliche Informationsversorgung wird durch einen steuerfinanzierten Rundfunk mit zwei Rundfunksendern und zwei Fernsehsendern geleistet.

Rundfunksender? Vermutlich meint die AfD Radiosender. „Rundfunk“ ist der Oberbegriff für Radio und Fernsehen.

Wir rekapitulieren: Die AfD spricht von einer vielfältigen Medienlandschaft und will als erstes 14 von 16 öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern und 60 von 62 öffentlich-rechtlichen Radioprogrammen abschalten. Widersprüchlich.

Selbst wenn man darüber diskutieren kann, dass es so viele Programme nicht braucht – sie so stark zu reduzieren, kann auf keinen Fall im Sinne der Vielfalt sein.

Möglicherweise ist Vielfalt in dieser Hinsicht für die AfD allerdings zu kompliziert zu handhaben. Schließlich will sie Einfluss auf die Sender nehmen. In ihrem Wahlprogramm für Baden-Württemberg schreibt die Landespartei:

Die AfD will auf die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
einwirken und auch im Bildungsbereich Anstrengungen unternehmen, damit Ehe und Familie positiv dargestellt werden.

Was sie damit meint, bleibt offen. Dürfen damit Konflikte in Ehe und Familie nicht mehr dargestellt werden? Sollen schwule und lesbische Beziehungen nicht mehr erwähnt oder gar negativ dargestellt werden? Und wie ist dazu die Überschrift im Programmentwurf

Vielfältige Medien statt gelenkter Meinung

zu verstehen, wenn hier Meinungen gelenkt werden sollen? Für mich klingt das danach, als habe die AfD nur dann was gegen die „Lügenpresse“, wenn nicht in ihrem Sinne gelogen wird.

Correctiv fasst die Pläne so zusammen:

Die AfD will den Einfluss der Politik auf das Fernsehen und die Nachrichten also stärken, statt schwächen.

Auch in Sachen Medienpolitik, auf die die AfD durch ihre vielen Landtagssitze künftig wird Einfluss nehmen können, sollte man also künfitg auf die Partei aufpassen.

Warum man Fakten unterschiedlich interpretieren kann

Eine Anmerkung des Twitter-Nutzers @sx200a hat mich nachdenklich gemacht. Kann man Fakten tatsächlich nicht falsch interpretieren?

Auf den ersten Blick hat der Gedanke etwas für sich. Ein Fakt ist per Definition ein u.a. nachweisbarer Sachverhalt, schreibt Wikipedia.

Eine Tatsache (lateinisch factum, res facti; griechisch πράγματα) ist je nach Auffassung ein wirklicher, nachweisbarer, bestehender, wahrer oder anerkannter Sachverhalt

Dass Nutzer (Leser/Hörer/Zuschauer) den Anspruch haben, über Fakten informiert zu werden, ohne diese zu interpretieren, ist nachvollziehbar. Allerdings gibt es einen institutionellen Widerspruch, in Berichterstattung allein Fakten vorzufinden. Denn schon die Auswahl der Fakten ist eine Interpretation.

Der Journalist entscheidet bereits darüber, worüber er berichtet. Er tut das meist nach den klassischen Kriterien des Nachrichtenwerts, auch wenn in vielen Einzelfällen davon abgewichen wird. Aber ein Journalist entscheidet innerhalb eines Themas auch darüber, wie er dessen Elemente gewichtet. Also zum Beispiel, welchen Ausschnitt er aus einer Rede von Kanzlerin Merkel wählt. Das ist eine weitgehend subjektive Entscheidung, wenngleich sie auf Kriterien beruht: Was sagt Merkel zur aktuell meistdiskutierten politischen Frage? Wie verhält sie sich zu Angriffen auf sie selbst? Über welche Probleme wurde nach ihrer Darstellung auf dem EU-Gipfel gesprochen? Welche Lösungsmöglichkeiten wurden diskutiert?

Von einem fünfminütigen Statement oder einer 30-minütigen Pressekonferenz werden selbst in einem längeren Beitrag in einer Magazinsendung nur wenige Sekunden gezeigt, weil auch sie nur ein Teil dessen sind, über das berichtet wird. Selbst eine fünfstündige Dokumentation würde keine kompletten Pressestatements in voller Länge zeigen, sondern nur eine Auswahl.

Und genau das ist die Aufgabe von Journalisten. Sie wählen aus. Aus den Ereignissen diejenigen, die berichtenswert erscheinen; aus den Tatsachen und Meinungsäußerungen zu diesen Ereignissen das, was berichtenswert erscheint. Auswahl ist ihr eigentlicher Job.

Journalisten kann man damit nicht so einfach eine Interpretation von Fakten vorwerfen, denn das ist ihr Job. Wenn Nutzer sich dessen bewusst sind, umso besser – es zeichnet sie als medienkompetent aus, denn dann können sie die Auswahl des Journalisten hinterfragen und kritisieren. Der Vorwurf ist also mindestens zu allgemein.

Darüber hinaus sollten wir nicht vergessen, dass es in der politischen Auseinandersetzung ständig um Meinungen geht und um eine Interpretation von Wirklichkeit. Wenn die Bundesregierung eine Entscheidung trifft, interpretiert die Opposition diese aus eigener Ansicht. Wenn Pegida-Demonstranten in Dresden vor dem Untergang des Abendlandes warnen, ist das eine Interpretation. Wenn sie von „Invasoren“ reden, ist das eine Interpretation.

Aufgabe von Journalisten ist es dann auch, diese Interpretationen als solche kenntlich zu machen und ihnen weitere entgegenzusetzen.

Wir sollten uns nicht davon freimachen, dass Interpretationen Teil des politischen Diskurses sind und auch von Medien abgebildet werden. Und da auch Medien Teil des politischen Diskurses sind, auch deren Interpretationen hinterfragt werden sollen und dürfen. Der Vorwurf, Fakten seien nicht interpretierbar, greift dabei aber zu kurz.