Die Kunst des guten Interviews (7): Als Sigmar Gabriel auf 180 war

2013 wollte die SPD-Spitze ihre Parteimitglieder über den Koalitionsvertrag mit CDU und CSU abstimmen lassen. Parteichef Sigmar Gabriel stellte den Vertrag selbst auf Regionalkonferenzen vor.

Das ZDF-heute-journal schaltete zu einer dieser Konferenzen, und Moderatorin Marietta Slomka trug den Einwand von Verfassungsrechtlern an Gabriel heran, dass ein Mitgliederentscheid als eine Art zweite Bundestagswahl angesehen werden könnte, weil allein die Parteimitglieder über das Zustandekommen einer Koalition entscheiden würden.

Gabriel antwortete auf das Argument, Slomka aber hakte nach und bestand darauf, dass sich Gabriel erneut bzw. ausführlicher zu dem ihm entgegengehaltenen Argument äußert. Daraufhin wurde Gabriel teils ausfallend.

 

Die entscheidende erste Passage lautet so:

Sigmar Gabriel: „Und bei anderen Parteien, Frau Slomka, bei anderen Parteien, Frau Slomka, entscheiden kleine Gruppen, da entscheiden noch weniger Menschen über das Schicksal – in ihrer Argumentation – Deutschlands, und bei uns tut das eben immerhin 470.000 Mitglieder. Ich weiß nicht, warum das schlecht sein soll.“

Marietta Slomka: „Herr Gabriel, ich dachte… Ich dachte eigentlich, dass in Deutschland alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, und dass das Wahlvolk entscheidet.“

Gabriel: „Ja, was macht denn dann die CDU? Wie hat denn der Wähler nun entschieden? Er hat entschieden, Frau Merkel vertritt die stärkste Fraktion und die stärkste Partei. Aber der Wähler hat nicht entschieden, dass sie die absolute Mehrheit hat. Und nun gibt es Koalitionsverhandlungen, um zu klären, mit wem wird eine Mehrheit gebildet. Und in der CDU entscheidet darüber auch nicht die Wähler, sondern der Parteivorstand der CDU und der Parteivorstand der CSU. Das sind viel weniger Menschen als bei der SPD. Tun Sie mir den Gefallen, lassen Sie uns den Quatsch beenden, das hat doch mit der Wirklichkeit nix zu tun…“

Slomka: „Also, Herr Gabriel, dieser Quatsch, der wird von sehr ernsthaften…“

Gabriel: „Wir kriegen, wir kriegen…“

Slomka: „Dieser Quatsch wird von sehr ernsthaften Verfassungsrechtlern diskutiert…“

Gabriel: „Wir kriegen in zwei Wochen, wir kriegen…“

Slomka: „…und dem kann man sich dann auch mal stellen.“

Gabriel: „Ja. Das mach ich doch gerade.“

In meinem Feature über „Die Kunst des guten Interviews“ im Deutschlandfunk sagte Slomka über diese Szene:

„Das war in vieler Hinsicht eine interessante Gesprächssituation, die jetzt aber auch nicht beispielhaft ist. Die war schon sehr besonders. Es war eine besondere Situation, weil die SPD und ihr Parteichef unter hohem Druck standen und er auch ein bisschen so etwas wie einen externen Feind brauchte zur Integration der Binnengruppe. Es ist eine relativ einfache soziale Funktionsweise, und er hatte schon in der Halle auf diesem Parteitag, auf der Delegiertenkonferenz gegen die Medien geschimpft und auch jetzt dann auch schon mal erwähnt, und jetzt gleich würde er noch dem ZDF ein Interview geben, da würden schon auch wieder blöde Fragen gestellt. Sinngemäß. Das wusste ich aber zu dem Zeitpunkt nicht, das habe ich erst im Nachhinein erfahren. Das heißt, da war schon sehr viel Dampf im Kessel und der Wunsch, jemandem zu finden, gegen den man sich jetzt gemeinsam sozusagen solidarisieren kann. Der war also schon auf 180, als das Interview anfing.“

So kam es zu der anfangs zitierten Szene im Interview, setzte sich dann aber so fort:

Marietta Slomka: „Aber lassen Sie uns noch über etwas anderes reden. Wenn Sie Ihre Partei… Ja, Sie sagen jetzt, das ist Quatsch, das ist ne besondere Form der Argumentation. Aber wenn Sie Ihre Parteimitglieder so ernst nehmen…“

Sigmar Gabriel: „Ja, ich hab Ihnen versucht, Frau Slomka.“

Slomka: „Wenn Sie Ihre Parteimit…“

Gabriel: „Es wird ja nicht besser, wenn wir uns gegenseitig…“

Slomka: „Wenn Sie Ihre Parteimitglieder so ernst nehmen…“

Gabriel: „Es wird ja nicht besser, wenn wir uns gegenseitig so behandeln.“

Slomka: „Ich behandle Sie gar nicht schlecht, ich stelle Ihnen Fragen, die hab ich mir auch nicht ausgedacht, diese Kritik.“

Gabriel: „Ich nehme die Mitglieder SPD ernst, weil ich der Vorsitzende der SPD bin, und ich habe Ihnen Argumente… ich habe argumentiert, warum ich das nicht für sehr tragfähig habe, und ich kenne auch keinen Verfassungsrechtler, der sich dieser Debatte öffentlich stellt. Und deswegen sage ich: Das ist doch Quatsch. In anderen Ländern…“

Slomka: „Herr Professor Degenhardt schon und noch einige andere, die stehen ja auch heute alle in den Zeitungen…“

Gabriel: „In anderen Ländern… in anderen…“

Slomka: „Aber die interessante Frage ist doch, wenn Sie Ihre Parteimitglieder…“

Gabriel: „Frau Slomka, das stimmt nicht, was Sie sagen.“

Slomka: „Doch. Das können Sie nachlesen.“

Gabriel: „Es ist nicht das erste Mal, dass Sie in Interviews mit Sozialdemokraten nix anderes versuchen, als uns das Wort im Mund umzudrehen.“

Slomka: „Herr Gabriel, Sie werden mir jetzt bitte nichts unterstellen.“

Gabriel: „Gucken Sie ins Parteiengesetz… Gucken Sie… Doch, das machen Sie ja auch.“

Slomka: „Die Kritik, die ich genannt habe, steht in Zeitungen, von Professoren, die darüber diskutieren, und das ernst nehmen, ist das eigentlich okay.“

Gabriel: „Ja, ich doch auch.“

Slomka: „Man muss das nicht so sehen, aber man kann zumindest darüber diskutieren.“

Slomka wirkt im Interview sichtlich angefasst – und räumt das auch ein, auch sechs Jahre später:

„Ich war sauer, weil er mir Parteilichkeit unterstellt und sagte, wir wissen ja, wie sie mit SPD-Politikern umgehen. Das ist eine Unverschämtheit. Das hab ich ihm übel genommen. Das würde ich auch jederzeit so sagen, wenn er vor mir steht. Ich glaube, das würde er auch annehmen, die Kritik. Und das fand ich nicht in Ordnung, weil das geht mir dann auch an meine journalistische Ehre. Ich bin nicht parteipolitisch. Ich nehme nicht SPD-Politiker anders heran als Politiker anderer Parteien. Das ist einfach nicht wahr, und das weiß er eigentlich auch. Und das fand ich unlauter, und an der Stelle wurde ich dann wirklich auch sauer. (…) Was man aber natürlich eigentlich nicht werden soll, man soll natürlich professionell dann immer ganz ruhig bleiben. Aber wir sind ja auch nur Menschen, ja, und nicht nur die Interviewten, auch die Interviewer, und in der Situation war dann sehr viel Menschlichkeit auf beiden Seiten zu sehen. Das macht es wahrscheinlich auch so ungewöhnlich und hat deshalb so nachhaltig für Aufsehen gesorgt, dieses Gespräch.“

Homöopathieverband verkürzt Umfrage-Ergebnis so, dass es falsch wird

Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte behauptet, in einer Umfrage hätten sich 61 Prozent „der Deutschen“ dafür ausgesprochen, homöopathische Arzneimittel einzusetzen, um gegen die Lungenkrankheit Covid-19 vorzugehen.

Das ist falsch.

Und der Verband muss das wissen. Denn er hat die Umfrage dazu selbst in Auftrag gegeben. Deren Ergebnisse geben die Darstellung aber gar nicht her.

In der entsprechenden Pressemitteilung schreibt der Verband:

Fast zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland würde den Einsatz homöopathischer Arzneimittel zur Behandlung von Covid-19-Erkrankungen befürworten. (…)

Mehr als die Hälfte aller Befragten hat bereits Erfahrung mit einer homöopathischen Behandlung bei früheren Erkrankungen gemacht. Noch mehr, nämlich fast zwei Drittel aller Befragten, würden unter der Voraussetzung, dass es in der Vergangenheit schon positive Erfahrungen mit diesem Mittel gab, im Fall einer Erkrankung an Covid-19 eine homöopathische Behandlung für sich selbst oder ihnen nahestehenden Personen auf jeden Fall (26 %) oder eher (34 %) befürworten

Danach wurde aber in der Umfrage überhaupt nicht gefragt – zumindest nicht dem Umfragedesign (PDF) zufolge, das der Verband dankenswerterweise – aber irgendwie auch leichtfertig – der Pressemitteilung hinzugefügt hat. Dort steht nämlich die Fragestellung, aus der sich die o.g. Darstellung ableitet. Gefragt wurde nämlich folgendes – und Achtung: Die Fragestellung ist kompliziert, weil sie nämlich völlig hypothetisch ist.

Derzeit gibt es noch kein Mittel zur Behandlung schwerkranker Covid-19-Fälle. (…). Wenn es Hinweise darauf gäbe, dass in der Vergangenheit bei verschiedenen Epidemien in verschiedenen Regionen der Welt ein homöopathisches Mittel positive Wirkung gezeigt hat: Würden Sie dann eine Behandlung mit diesem Mittel für sich und Ihnen nahestehende Personen auf jeden Fall, eher, eher nicht oder auf keinen Fall befürworten?

Übersetzt heißt das: Wenn es ein wirkungsvolles Medikament gäbe, würden Sie es dann haben wollen?

(Mal davon abgesehen, dass sich homöopathisch und wirkungsvoll weitgehend ausschließen, weil Homöopathie nicht über den Placebo-Effekt hinausgeht.)

Es gibt aber kein wirkungsvolles Medikament. Die Frage ist also dermaßen hypothetisch, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll mit dem Irrsinn der Umfrage. Dass darauf nicht 100 Prozent mit Ja geantwortet haben, sollte eher verwundern – wer hätte etwas gegen ein wirkungsvolles Medikament?

In der Darstellung wird die Fragestellung übrigens so umformuliert:

(Quelle: https://www.presseportal.de/download/document/662513-20200414-forsa-ergebnisgrafiken-hom-opathiebeicovid19.pdf)

Daran schließt Frage 7 an – das ist die, die zu der irreführenden Überschrift der Pressemitteilung geführt hat:

Und würden Sie es auf jeden Fall, eher, eher nicht oder überhaupt nicht befürworten, wenn ein solches homöopathisches Mittel im Rahmen einer
staatlichen Maßnahme bei der Suche nach Maßnahmen gegen eine weitere, auch zukünftige Verbreitung des Corona-Virus testweise eingesetzt würde?

Darauf sollen 26 Prozent gesagt haben „auf jeden Fall“ und 35 Prozent „eher“, woraus sich die genannten 61 Prozent ergeben. Die haben aber mitnichten, wie die Überschrift sehr verkürzt formuliert, den Einsatz homöopathischer Arzneimittel befürwortet. Sie haben lediglich zugestimmt, dass

  1. ein bei anderen Epidemien erfolgreiches homöopathisches Mittel (das es nicht gibt)
  2. bei der Suche nach Maßnahmen gegen eine weitere Verbreitung des Corona-Virus (die im Feld Homöopathie hoffentlich überhaupt nicht betrieben wird)
  3. testweise eingesetzt würde (also höchstens mal ausprobiert).

Diese drei Bedingungen löscht die Überschrift aber komplett aus – mal davon abgesehen, dass es kein wirkungsvolles Medikament gegen Covid-19 gibt, erst recht kein homöopathisches. Hatte ich schon erwähnt, dass es kein wirkungsvolles Medikament gegen Covid-19 gibt, erst recht kein homöopathisches?

(Quelle: https://www.presseportal.de/download/document/662513-20200414-forsa-ergebnisgrafiken-hom-opathiebeicovid19.pdf)

Oder um es mit dem Kollegen Lars Wienand (durch den ich auf die Umfrage gestoßen bin) mal anders zu formulieren:

Aber warum sollte die Umfrage des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte wirkungsvoller sein als die Mittel, die er befürwortet? So gesehen ergibt alles wieder einen Sinn.

Die Kunst des guten Interviews (6): Wie Österreichs Bundeskanzler Kurz haarscharf an der Frage vorbei antwortet

Anders als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ist der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz immer wieder zu Interviews in der Hauptnachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu Gast. In der ZiB 2 äußert er sich zu aktuellen Themen.

Für Moderator Armin Wolf sind Interviews mit Kurz eine kleine Herausforderung, hat er mir für mein Feature zur „Kunst des guten Interviews“ erzählt. Denn eigentlich unterbreche er gern, sobald er merke, dass ein Gast auf eine Frage nicht antworten wolle, aber er müsse zumindest noch so lange damit warten, bis das auch der Zuschauer bemerke. Denn:

Und wenn das ein Gast sehr geschickt macht, wie zum Beispiel unser gegenwärtiger Bundeskanzler Sebastian Kurz, der wirklich ein Meister in dieser Taktik ist, nämlich, dass er, scheinbar bezugnehmend auf die Frage, haarscharf an der Frage vorbei antwortet und sehr ausführlich und lang das erzählt, was er eigentlich erzählen möchte, und das aber recht interessant und geschickt formuliert, dann wird das ganz schwierig. Weil da sitzen dann ganz, ganz viele Zuseher vor dem Apparat und denken sich, das ist aber sehr interessant, was der sagt. Und wenn ich dann unterbreche, denken sich viele Zuseher, dann lass den doch reden. Ja, und warum habt ihr den eigentlich eingeladen, wenn Ihr ihn dann nicht ausreden lasst?

Sehr schön sieht man das in diesem Interview, in dem Kurz nur scheinbar auf Fragen eingeht, dann aber doch erzählt, was er erzählen will.

Er holt sich immer wieder das Wort von Wolf, indem er dazu ansetzt, jetzt mal etwas erklären zu wollen, weil das für das Gespräch ja wichtig sei. Gelegentlich muss ihm Wolf das Wort dann auch überlassen.

Interessant ist, dass Kurz das schon 2011 drauf hatte, als er Integrationsstaatssekretär wurde, ohne irgendeine Expertise in diesem Bereich zu haben. Damals befragte ihn Wolf auch schon kritisch, aber Kurz verstand es auch damals schon sehr gut, auszuweichen bzw. Paroli zu bieten.

Die Kunst des guten Interviews (5): Als der Moderator dem Gast erklären muss, was ein Interview ist

Der kanadisch-österreichische Industrielle Frank Stronach wird den meisten Menschen in Deutschland kein Begriff sein. In den Jahren 2012 und 2013 versuchte er mit seiner eigenen Partei in Österreich an Wahlen teilzunehmen. Stronach trat dabei in der Öffentlichkeit teils populistisch auf, schimpfte auf Politiker (obwohl er selber einer war), nannte seine Partei „Team Stronach“ nach sich selbst und musste einräumen, dass er selbst als Parteichef gar nicht abwählbar war.

Er war mindestens zweimal im ORF-Nachrichtenmagazin „ZiB 2“ bei Moderator Armin Wolf zu Gast. (ZiB 2 steht für die Spätausgabe der „Zeit im Bild“, im Gegensatz zur „Zeit im Bild 1“ am Hauptabend. Die langen Namen der Nachrichtensendungen werden aber meines Wissens gar nicht mehr verwendet.)

Beide Gespräche sind höchst unterhaltsam, denn Stronach ist ein skurriler Typ, dem Wolfs Fragen erst mal egal sind, der auf Absprachen verwies, die es nicht gegeben hatte, der die Natur eines Interviews ignorierte, obwohl er für ein Interview zugesagt hatte. Mehrmals droht Wolf damit, das Interview abzubrechen, bis sich Stronach dann doch auf Fragen einlässt.

Die offizielle Fassung kann man hier nachsehen – bei einer Sammlung legendärer Interviews beim ORF direkt. Oder auch bei Youtube:

Irgendwann im Gespräch brüllt Stronach nur noch an, was sich Wolf verbittet.

In einem weiteren Interview im folgenden Jahr scheint Stronach nichts aus seinem ersten Besuch gelernt zu haben und verhält sich ähnlich, bis Wolf innehält und Stronach erklärt, was das eigentlich ist, so ein Interview. Woraufhin Stronach beginnt, auf Wolf als angeblichen Staatsangestellten zu schimpfen.

Bewundernswert ist, wie konsequent Wolf an seinen Fragen festhält und versucht, Wolf wieder zurück zum Interview zu führen – auch, als Stronach ihn massiv angreift. In keinem Moment lässt er sich das Interview aus der Hand nehmen und geht auch nicht auf Stronachs Vorwürfe ein, zu denen er lediglich sagt: „Herr Stronach, Sie haben Unrecht“.

Die Kunst des guten Interviews (4): Als Christine Lieberknecht mal alle Fragen egal waren

Es war am Wahlabend des 14. September 2014. In Thüringen hatte die CDU gerade die Landtagswahl gewonnen, eine klare Koalitionsaussage konnte man am Abend aber noch nicht treffen. Deswegen wollte Tagesthemen-Moderatorin Caren Misoga von der amtierenden Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht von der CDU wissen, ob sie es auch mit nur einer Stimme Mehrheit machen würde.

Lieberknecht hatte aber überhaupt keine Lust, auch nur auf eine einzige Frage Miosgas zu antworten. Und tat das auch nicht. Sie profitierte davon, dass die Leitung zwischen Hamburg und Erfurt so schlecht war, dass es eine Verzögerung von mehreren Sekunden war, so ging Miosga auch nicht dazwischen, als sich Lieberknecht immer und immer wieder wiederholte.

Kollege Udo Stiehl hat das damals in seinem Blog so kommentiert:

Fragen? Wen interessieren denn Fragen von einer Journalistin? Ja, sie ist Moderatorin der Tagesthemen. Na und? Ich bin Christine Lieberknecht, Ministerpräsidentin von Thüringen. Und ich habe mir vorgenommen, drei Dinge zu sagen – und sonst nichts:

  1. Die CDU hat das mit Abstand stärkste Ergebnis in Thüringen
  2. Die CDU hat den größten Stimmenzuwachs der Parteien im Landtag
  3. Die Menschen haben Stabilität und Verlässlichkeit gewählt

Fast nichts anderes sagt Lieberknecht in den wenigen Minuten tatsächlich. Der Erkenntniswert im Gespräch liegt bei null, die Sendezeit war verschwendet.

Hier die Transkription des Gesprächs:

Caren Miosga: Frau Lieberknecht, nach derzeitigem Stand hätte Schwarz-Rot eine Stimme mehr. Reicht Ihnen das zum regieren?

Christine Lieberknecht: Ich freue mich zunächst einmal riesig über das Ergebnis der CDU. Es ist das mit Abstand stärkste Ergebnis aller Parteien in Thüringen. Wir haben den meisten Zuwachs der im Landtag vertretenen Parteien. Die Menschen haben Stabilität und Verlässlichkeit gewählt. Und ich bin sicher, dass Stabilität und Verlässlichkeit sich auch in den nächsten Koalitionsverhandlungen wiederfindet. Das ist ein Wählerauftrag und diese Verantwortung möchte ich gerne übernehmen. Und ich bin sicher, dass wir auf dieser Basis auch eine gute Koalitionsbildung hinkriegen.

Caren Miosga: Jetzt ist der Ton ein bisschen schlecht, Frau Lieberknecht, wir bitten das zu entschuldigen und vielleicht haben Sie meine Frage akustisch nicht verstanden: Machen Sie es mit einer Stimme mehr? Machen Sie es mit einer Stimme mehr, lautet meine Frage.

Christine Lieberknecht: Wir machen eine Koalition auf der Basis – wir machen eine Koalition auf der Basis von Stabilität und Verlässlichkeit. Und das ist genau was die Wählerinnen und Wähler wollen. Und da bin ich sicher, dass wir das auch hinkriegen. Im übrigen habe ich ja selbst einmal eine Fraktion geführt mit einer Stimme Mehrheit über viele Jahre im Thüringer Landtag und ich weiß, dass das schon möglich ist.

Caren Miosga: Nun hat ja Rot-Rot-Grün auch eine Stimme mehr. Wie wollen Sie denn dieses Trio verhindern?

Christine Lieberknecht: Ich sage, wir sind die stärkste Partei mit Abstand. Die Wählerinnen und Wähler haben Stabilität und Verlässlichkeit gewählt. Deswegen bin ich sicher, das dies auch die nächsten Koalitionsgespräche das Votum sein wird. Und da werden wir zu guten Ergebnissen kommen. Ganz sicher.

Caren Miosga: Frau Lieberknecht, die AfD erreicht heute in zwei Landtagen zweistellige Ergebnisse. Können sie diese Partei weiter ignorieren?

Christine Lieberknecht: Die AfD wird Oppositionspartei im Thüringer Landtag sein, so wie sie das in den anderen Landtagen auch sein wird. Und das Parlament ist der Ort, an dem wir uns auch mit Argumenten auseinandersetzen. Die Argumente müssen stimmen. Und wir sind jedenfalls diejenigen, die die Probleme ernst nehmen und sie auch lösen.

Caren Miosga: Aber sie tut Ihrer Partei ja auch ganz persönlich weh. Sie verlieren in Thüringen fast 20.000 ehemalige CDU-Wähler an die AfD. Warum vertrauen die Ihrer CDU nicht mehr?

Christine Lieberknecht: An einem Abend, an dem die CDU als mit Abstand stärkste Partei aus den Wahlen hervorgegangen ist, an dem wir eindeutig am meisten hinzugewonnen haben, ist das nicht das Thema der CDU.

Caren Miosga: Ich finde schon, dass da auch ein bisschen Selbstkritik angebracht ist, denn viele kritisieren ja auch, dass die CDU nicht mehr konservativ genug sei. Hat die AfD genau das jetzt ausgenutzt?

Christine Lieberknecht: Wir haben die Wahl im Thüringer Landtag gewonnen. Wir sind die stärkste Partei. Wir haben den größten Zuwachs. Und deswegen freuen wir uns heute Abend über unser Ergebnis. Das ist nicht das Thema der CDU, was Sie im Moment ansprechen.

Caren Miosga: Vielen Dank Christine Lieberknecht nach Erfurt.

Die Kunst des guten Interviews (3): Als Hofreiter neun Minuten lang eine Frage nicht beantworten wollte

So ähnlich wie der britische Innenminister Michael Howard 1997 wollte auch der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Anton Hofreiter, 2019 mal sehr lange eine Frage nicht beantworten. Allerdings redete er nicht lang drum rum, sondern sagte das auch immer wieder offen.

Deutschlandfunk-Moderator Christoph Heinemann wollte von Hofreiter wissen, was eigentlich Schulpflicht sei. Er hätte auch fragen können, ob Hofreiter die Fridays-for-future-Demonstrationen auch für gerechtfertigt hält, wenn Schüler dafür den Unterricht schwänzen. Er fing rhetorisch aber anders an, und Hofreiter erkannte natürlich, worum es ging.

Anstatt diesen Punkt einfach abzuräumen, versuchte Hofreiter aber neun Minuten lang, auszuweichen. Hier ein paar Ausschnitte:

Heinemann: Herr Hofreiter, was bedeutet Schulpflicht?

Hofreiter: Ich glaube, dass das eine klassische Debatte ist, um abzulenken, um diese jungen Menschen klein zu machen, um ihr Anliegen nicht ernst zu nehmen. (…)

Heinemann: Herr Hofreiter, was bedeutet Schulpflicht?

Hofreiter: Wie gesagt! Ich sagte bereits: Das ist diese klassische Debatte, um diese jungen Menschen nicht ernst zu nehmen, um diese Menschen klein zu machen, um von den wirklichen Problemen abzulenken, um den Leuten ihre Zukunft wegzunehmen, um nicht darüber diskutieren zu müssen, dass wir deren Zukunft zerstören. (…)

Heinemann: Herr Hofreiter, wieso können Sie diese ganz einfache Frage nicht beantworten? Was bedeutet Schulpflicht?

Hofreiter: Ich könnte Ihnen diese Frage beantworten. Aber es geht diesen jungen Menschen nicht um die Schulpflicht, sondern es geht diesen jungen Menschen um die Problematik, dass wir, wir, die wir in Verantwortung stehen, und die Bundesregierung, ihnen ihre Zukunft wegnehmen. (…)

Heinemann: Sie können die Frage offenbar nicht beantworten. Wie sollen Schulen reagieren, wenn Schülerinnen und Schüler freitags demonstrieren?

Hofreiter: Ich finde das wunderbar, dass diese jungen Menschen über die Klimakrise sprechen wollen, sie allerdings erkennbar auch keine Lust haben, über diese Klimakrise zu sprechen, auch keine Lust haben, über die Zukunft dieser jungen Menschen zu sprechen, sondern diese Infantilisierungsmuster mitmachen. Ich finde das hoch problematisch. Ich finde diese Art der Debatte hoch problematisch, weil nämlich das andeutet, man nimmt diese Menschen nicht ernst.

Heinemann: Wieso können sich Lehrerinnen und Lehrer, die die Schulordnung aufrecht erhalten wollen, nicht auf die Grünen verlassen?

Hofreiter: Wie gesagt, Sie machen es jetzt zum vierten Mal. Den jungen Menschen geht es um die Klimakrise. Ihnen geht es nicht um die Klimakrise. Ihnen geht es darum, diese jungen Menschen mit zu infantilisieren, und Sie unterstellen mir hier einfach schlichtweg Sachen. (…)

Heinemann: Herr Hofreiter, Sie haben jetzt auch diese Frage nicht beantwortet. Wie sollen Lehrerinnen und Lehrer denn reagieren, wenn Schülerinnen und Schüler heute unentschuldigt fehlen? Ich drücke es noch mal etwas einfacher aus.

Hofreiter: Wie gesagt, wir werden da nicht zusammenkommen. Nämlich ich möchte über die Klimakrise sprechen. Sie möchten diese jungen Menschen darauf reduzieren, ob sie in die Schule gehen oder nicht. Kluge Schüler haben mal gesagt, die Lokführer streiken ja auch nicht während ihrer Freizeit.

Heinemann: Herr Hofreiter, entschuldigen Sie bitte! Ich hatte Sie nach Lehrerinnen und Lehrern gefragt. Wie sollen die reagieren, wenn Schülerinnen und Schüler heute oder an Fridays for Future nicht zum Unterricht erscheinen?

Hofreiter: Lehrerinnen und Lehrer sollen schlichtweg vernünftig mit ihren Schülerinnen und Schülern darüber reden, was sie unternehmen können, damit die jetzt herrschenden Menschen nicht ihre Zukunft zerstören.

Heinemann: Wieso kann man nicht samstags für die Zukunft demonstrieren?

Hofreiter: Das haben die Schülerinnen und Schüler selbstbewusst so entschieden, dass sie am Freitag auf die Straße gehen. Offensichtlich ist die Aufmerksamkeit dafür deutlich größer. Was allerdings problematisch ist, dass es viele zu viele Menschen gibt, die das Anliegen dieser jungen Menschen nicht ernst nehmen, sondern diese jungen Menschen einfach infantilisieren wollen, auf nur die Frage der Schulpflicht reduzieren wollen und erkennbar nicht über das Riesenproblem diskutieren wollen, dass wenn wir so weitermachen durch das jahrelange nicht ausreichende Handeln wir diesen Menschen ihre Zukunft nehmen. Das ist hier gerade auch wieder ein schönes Beispiel dafür.

(…)

Heinemann: Herr Hofreiter, sollten Jugendliche nur dann die Schule besuchen, wenn sie gerade nichts Besseres zu tun haben?

Hofreiter: Das ist, wie gesagt, auch diese klassische Argumentation, an der man erkennen kann, dass man die Jugendlichen nicht ernst nimmt. Nämlich die streiken für etwas, wo es um was Existenzielles geht, nämlich deren Chance, überhaupt ein vernünftiges Leben zu haben. Das ist der entscheidende Punkt.

Heinemann: Würden Sie das denn auch für andere Zwecke genehmigen? Das heißt, wenn jetzt Jugendliche sagen würden, wir wollen gegen Zuwanderung oder gegen die Europäische Union auf die Straße gehen?

Hofreiter: Ich habe das nicht genehmigt.

Heinemann: Heiligt der Zweck auch dieses Mittel?

Hofreiter: Ich habe das nicht genehmigt. Ich habe gesagt, dass die Schülerinnen und Schüler, die Eltern und die Schulleiter eine vernünftige Regelung miteinander finden werden. Was ich gesagt habe ist, dass nicht der entscheidende Punkt hier die Schulpflicht ist, sondern der entscheidende Punkt ist, dass diese jungen Menschen darauf aufmerksam machen, dass die momentan herrschende Politik ihnen ihre Zukunft kaputt machen wollen. (…)

Heinemann: Herr Hofreiter, würden Sie denn auch Demonstrationen von Schülerinnen und Schülern während der Schulzeit befürworten, die ganz andere Ziele zum Inhalt hätten, zum Beispiel gegen Zuwanderung oder gegen die Europäische Union?

Hofreiter: Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich das nicht befürworte. Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich der Meinung bin, dass diese Schülerinnen und Schüler in ihrem Anliegen ernst genommen werden müssen und nicht eine Hauptablenkungsdebatte geführt wird, die Sie auch ganz offensiv hier führen.

Heinemann: Sie befürworten die Demonstrationen Fridays for Future nicht? Habe ich das jetzt richtig verstanden?

Hofreiter: Ich befürworte die Demonstrationen.

Heinemann: Ja was denn jetzt?

Hofreiter: Es ist ja wirklich amüsant, wie wir uns hier im Kreis drehen. Ich habe nur gesagt, dass das die Schülerinnen und Schüler selbst entscheiden müssen und dass man ihr Anliegen ernst nehmen muss.

Heinemann: Gut! – Anton Hofreiter von Bündnis 90/Die Grünen.

Man kann diese Methode zu fragen natürlich kritisieren, denn der Erkenntnisgewinn ist am Ende gering. Unterhaltsam ist es dennoch.

Die Kunst des guten Interviews (2): Als ein BBC-Moderator zwölfmal dieselbe Frage stellte

1997 hatte der Moderator der BBC Newsnight, Jeremy Paxman, den damaligen britischen Innenminister Michael Howard zu Gast. Howard sollte später Vorsitzender der konservativen Tories werden. Worum es in dem Interview eigentlich ging, ist heute nicht mehr relevant – und für die Fragetechnik sowieso.

Berühmt geworden ist das Interview nämlich, weil Paxman Howard gezählte zwölfmal dieselbe Frage gestellt hat.

Es ging um eine Personalfrage in der Gefängnisverwaltung, und an einer bestimmten Stelle im Interview wollte Paxman wissen, ob Howard dem Chef der Gefängnisverwaltung gedroht habe, ihn zu überstimmen: „Did you threaten to overrule him?“

(Die entsprechende Stelle kommt im Video ab Min. 4:10.)

Howard beantwortet die Frage kein einziges Mal mit Ja oder Nein, woraufhin Paxman die Frage erneut stellt. Einmal weist Paxman darauf hin, dass Howard die Frage nicht beantwortet, einmal bittet er um Entschuldigung, dass er erneut fragt, weil die Frage noch nicht beantwortet sei. Nach zwölfmal gibt er auf.

Ein paar Jahre später hat Paxman erzählt, dass er eigentlich schon nach der Hälfte aufgeben wollte, aber dann habe er aus technischen Gründen weitermachen müssen.

So kam es zu den vielen Wiederholungen nicht nur aus journalistischen Gründen. Dennoch bleibt die Stelle im Gespräch bis heute unterhaltsam, weil man natürlich auch so Howards Antwort bekommen hat, ohne dass er einziges Mal Ja sagen musste.

Das Interview kommt in meinem Feature über „Die Kunst des guten Interviews“ vor.

Die Kunst des guten Interviews (1): Als Brandt Nowottny auflaufen ließ

Wie das immer so ist bei längeren Sendungen: Man findet immer mehr brillantes Material als man am Ende unterbringen kann. Ich will daher in einer kleinen Serie noch auf ein paar sehens- und hörenswerte Interviews hinweisen, die ich entweder nur ausschnittsweise oder gar nicht in meinem Feature unterbringen konnte.

Fangen wir an mit dem legendären Interview, das WDR-Journalist Friedrich Nowottny 1972 mit dem damaligen Bundeskanzler Willy Brandt geführt hat. Es entstand kurz nach deutsch-französischen Konsultationen mit dem französischen Staatspräsidenten Georges Pompidou.

Nowottny stellte – jedenfalls in dem bekannten Ausschnitt – ausschließlich Fragen, die sich leicht mit Ja/Nein/Doch beantworten lassen. Das tat Brandt auch. Nowottny fasste aber an diesen Stellen überhaupt nicht nach.

Das Gespräch gilt deswegen als schlechtes, aber dafür sehr anschauliches Beispiel dafür, wie man Interviews nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich führen sollte: möglichst offene Fragen stellen und geschlossene nur, wenn man eine zugespitzte Antwort haben will und bereit ist, nachzufassen.

In einer WDR-Sendung erläuterte Nowottny Jahrzehnte später die Hintergründe zum Gespräch:

Nowottny erzählt darin, er habe das Interview für die Tagesschau unter schwierigen Umständen gemacht:

„Eine Minute und 30 Sekunden. Drei Fragen. Und da isser hingegangen, und Willy Brandt hatte das Gefühl, an einem bedeutenden staatspolitischen Ereignis teilgenommen zu haben, das war nämlich das Treffen mit Pompidou, die erste deutsch-französische Konsultation. Und sagte ihm das ((gemeint sind die 1:30 Min.)), und schon war er natürlich beleidigt.“

Die Friedrich-Ebert-Stiftung wies nach meinem Feature darauf hin, dass Nowottny durchaus mehr Fragen gestellt habe.

Dort hat Brandt teils auch länger geantwortet – aber das lag nicht an Nowottnys Fragen, sondern an Brandts Lust, zu antworten. Denn auch vorher und nachher hat Nowottny noch zwei weitere geschlossene Fragen gestellt, wie sich dem Protokoll entnehmen lässt:

„Ist es das tatsächlich?“

„Ist das richtig?“

Dann kommt noch eine Feststellung statt einer Frage – und erst am Ende stellt Nowottny eine offene Frage:

„…was hat Sie nicht befriedigt bei diesen Konsultationen?“

Der Kontext ist also verkürzt, aber der Eindruck, der durch die 30 Sekunden entsteht, nicht falsch.

Plötzlich Kontaktsperre: Wie die Uni Flensburg damit umgegangen ist

An den meisten Hochschulen geht der Betrieb erst in Kürze wieder los – aber natürlich nicht vor Ort. Wegen der Ausgangsbeschränkungen haben viele von ihnen in den vergangenen Wochen versucht, auf einen digitalen Betrieb umzustellen.

Die Europa-Universität Flensburg hatte nicht so viel Vorlauf. Sie war nach einem anderen Vorlesungsrhythmus bereits gestartet, als die Kontaktsperre in Kraft trat. Hals über Kopf mussten Präsenzveranstaltungen verändert werden. Welche Erfahrungen die Dozent*innen dort gemacht haben, hat mir Vizepräsidentin Margit Brink am Mittwoch im Deutschlandfunk erzählt (Audio-Link).

Die Macht der Bilder: „Bilder unterstützen den Hass“

Bombastische Filmszenen, die einem Hollywood zur Ehre gereichen, Wirtschaftsbosse, die Menschen wie Marionetten dirigieren. „Hass wird durch Bilder ästhetisiert“, sagt der Kulturwissenschaftler Daniel Hornuff im Deutschlandfunk. Vor kurzem ist sein Buch „Hassbilder“ erschienen. Darüber habe ich mit Daniel Hornuff im Deutschlandfunk gesprochen.