Mehr Programmbeschwerden, genau so vielen stattgegeben

Im Juni habe ich darüber berichtet, dass es im vergangenen Jahr mehr offizielle Programmbeschwerden bei den Rundfunkräten der öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland gegeben hat. Insgesamt waren es 1.129 – im Vergleich zu 708 Programmbeschwerden im Jahr 2023.

Dabei war die Zahl der Beschwerden naturgemäß unterschiedlich verteilt. Im Radio (wo Zahlen ja ohnehin schwierig zu vermitteln sind) habe ich die Daten nicht nach Sendern aufgeschlüsselt, das will ich hier nachholen.

Bei den Rundfunkräten der größeren Sender sind tendenziell mehr Beschwerden eingegangen als bei denen der kleineren Sender. Das hat vor allem mit deren Reichweite zu tun, weniger mit der Qualität der Berichterstattung an sich. Kausalitäten lassen sich da kaum feststellen, weil zu viele Faktoren mit hineinspielen: Wie viele Sender und Sendungen gibt es? Wie viele Zuschauer, Hörerinnen und Nutzer verfolgen diese? Wie leicht neigen diese zu Beschwerden? Gibt es überhaupt etwas, über das man sich beschweren kann? Wie leicht ist das Beschwerdeverfahren? Wie reagieren Räte und Sender auf die Kritik? Und viele weitere Faktoren.

Mehr Beschwerden vor allem bei BR und RBB

Interessant ist ein Vergleich zwischen den Jahren 2023 und 2024, für die ich die Zahlen erhoben habe.

Hier sieht man bei den meisten Sendern nur geringe Unterschiede, die mit einer Vielzahl der oben genannten Faktoren zusammenhängen können. Interessant sind die Veränderungen beim Bayerischen Rundfunk (BR) und beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). Für die beim BR habe ich keine Erklärung.

Beim RBB liegt die mehr als Verzehnfachung daran, dass der Rundfunkrat dort eine Vielzahl von Beschwerden als offiziell anerkannt hat, die eigentlich nicht dort, sondern beim Sender eingegangen waren. Viele kamen über die Webseite rundfunkalarm.de, die halb-automatisiert Programmbeschwerden generiert und einreicht – allerdings eben nicht bei den Räten, sondern bei den Sendern. Correctiv hat darüber berichtet.

Räten geben erneut 5 Beschwerden statt

Der Anstiegs macht sich allerdings nicht in der Zahl der stattgegebenen Programmbeschwerden bemerkbar. Auch im vergangenen Jahr erkannten die Rundfunkräte nur fünf der Beschwerden als berechtigt an, die sich auf zwei Programmangebote bezogen. Mehr dazu hier.

Es wird interessant zu beobachten sein, ob über die Webseite rundfunkalarm.de nach der umfassenden Berichterstattung im Jahr 2025 noch mehr Beschwerden eingehen als die 48.000 im vergangenen Jahr und wie die Sender und Rundfunkräte damit umgehen werden.

Zwischen fundierter Kritik und Nörgelei: Was bringen Programmbeschwerden?

Über 1100 Programmbeschwerden sind bei den Rundfunkräten von ARD, ZDF und Deutschlandradio im Jahr 2024 eingegangen, das sind sechzig Prozent mehr als 2023. Ein aktueller Fall um Jan Böhmermann hat das Thema erneut angefacht. Diesmal war ich im Podcast „Medien cross & quer“ vom Saarländischen Rundfunk – mit Thomas Bimesdörfer und Michael Meyer.

Nein, es gibt in den Niederlanden keine Grenzkontrollen durch Bürger – es ist eine verbotene Aktion

Beispiel für eine gute Überschrift, hier aus der ZEIT. (Screenshot: zeit.de)

Egal, was die Täter an der niederländisch-deutschen Grenze mit ihren angeblichen Kontrollen erreicht haben – medial ist es ein voller Erfolg. Denn zumindest in Deutschland haben sehr viele Medien ihr Framing übernommen, sie würden selbst Personenkontrollen durchführen, um angeblich illegale Einreisen in die Niederlande zu verhindern.

Denn dahinter steckt ja die verbreitete und irrige Vorstellung, die Sicherheitslage verschlechtere sich zunehmend, der Staat habe die Migration (die oft ebenfalls falsch als illegal bezeichnet wird) nicht im Griff, es gebe einen Kontrollverlust, der nur durch die Bürger selbst zu beheben sei.

Niederländische Bürger führen Grenzkontrollen selbst durch – Minister reagiert: „Frustration verständlich“

schreibt der Merkur.

Niederländische Bürger führen eigene Grenzkontrollen durch

schreibt der Spiegel.

Niederlande: Bürger kontrollieren Grenze selbst

schreibt das ZDF.

Dabei sind das keine Grenzkontrollen. Die dürfen nur von offiziell dafür Bevollmächtigen durchgeführt werden. In Deutschland wären das Beamte der Bundespolizei. Die Rechtslage in den Niederlanden kenne ich nicht, aber auch dort hat die Regierung bereits darauf hingewiesen, dass die Aktion rechtswidrig ist.

Deutsche Medien aber verschleiern das in ihren Überschriften und Texten und verbreiten damit das rechtsextreme Framing, die Kontrollen seien irgendwie okay. Anstatt deutlich darauf hinzuweisen, dass es sich hier wohl um Straftaten handelt.

Zum Glück tun das nicht alle Medien. Hier ein paar positive Beispiele, wie man gleichzeitig objektiv berichten und einordnen kann:

Niederländer führen illegale Kontrollen durch

schreibt die österreichische Kronen-Zeitung. Wenngleich man das auch so missverstehen könnte, dass es niederländische Behörden sind, aber gut. Da ist die ZEIT schon präziser:

Niederländische Bürger kontrollieren eigenmächtig an deutscher Grenze

Und eigentlich machen sie den Artikel damit sogar spannender als alle anderen – weil da der Regelverstoß gleich mitgenannt wird. Also selbst wenn man auf der Suche nach Klicks ist, kriegt man es hier mit Präzision und unter Vermeidung von rechtsextremem Framing gut unter.

Was bringen eigentlich Programmbeschwerden?

2024 gab es deutlich mehr Programmbeschwerden bei ARD, ZDF und Deutschlandradio als im Vorjahr. Doch nur wenige hatten Erfolg. Warum? Und wie könnte mehr Transparenz entstehen? Für den Übermedien-Podcast habe ich mit Holger Klein noch mal sehr ausführlich über das Thema gesprochen.

Mehr Programmbeschwerden bei ARD, ZDF und Deutschlandradio

Im Jahr 2024 ist die Zahl der offiziellen Programmbeschwerden gegen ARD, ZDF und das Deutschlandradio stark gestiegen. Die Sender und ihre Rundfunkräte, die sie beaufsichtigen, haben rund 60 Prozent mehr davon registriert. Insgesamt waren es 1.129, die Räte haben fünf davon stattgegeben.

Der Anstieg geht vor allem auf konzertierte Massenbeschwerden zurück, die über das Portal rundfunkalarm.de kamen. Auf diesem Weg gingen bei ARD und ZDF im vergangenen Jahr rund 48.000 Beschwerden ein. Die waren aber hauptsächlich an die Sender selbst gerichtet und konnten dort wie Hörerpost beantwortet werden.

Die Zahl der Beschwerden bei den Rundfunkräten, die offizielle Verfahren einleiten können mit ggf. stärkeren Konsequenzen für die Sender, ist dagegen nur leicht gestiegen. Allerdings hat der Rundfunk Berlin-Brandenburg einen Teil der Massenbeschwerden als offizielle Programmbeschwerden anerkannt und in die entsprechende Statistik aufgenommen. Das erklärt, warum er für 2024 insgesamt 280 Beschwerden auflistet, während es im Vorjahr nur 23 waren.

Wie die Zahlen aussehen und was dahintersteckt, habe ich im Deutschlandfunk erklärt.

Geben wirklich nur 48 Prozent „der Deutschen“ im Job ihr Bestes? Man weiß es nicht.

Denn der Auftraggeber der Umfrage gibt leider keine Informationen darüber, wie sie zustande gekommen ist. Ich habe das in einem Thread bei BlueSky dargestellt.

Am Montag machte eine Umfrage zur Arbeitsmotivation die Runde. Demnach sagen in Deutschland (nur) 48 Prozent der befragten Angestellten, auf der Arbeit ihr Bestes zu geben. Ob die Ergebnisse aber stimmen, kann man nicht überprüfen. (1/9) 🧵⬇️ www.zdf.de/nachrichten/…

Stefan Fries (@stefanfries.bsky.social) 2025-01-11T14:19:37.639Z

Die größte Reform von ARD, ZDF und Deutschlandradio steht an – aber kommt sie auch?

Ob diese Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wirklich kommt? Mein Kollege Christoph Sterz aus der Deutschlandfunk-Medienredaktion glaubt nicht so recht daran. Ich selbst bin überrascht, wie weitgehend die Reformvorschläge sind, die die Medienpolitiker (und die eine Medienpolitikerin) der Länder vorgelegt haben. Was noch dran geändert wird, nachdem die Anhörung dazu heute ändert, und ob die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten dem Ganzen in zwei Wochen zustimmen, ist aber völlig offen.

Über die verschiedenen Elemente der Reform – Streichung und Zusammenlegung von Programmen, Weiterentwicklung bzw. Einschränkung der Online-Angebote, Strukturreformen – haben Christoph und ich mit unseren Kollegen Brigitte Baetz und Martin Krebbers gesprochen. Die neue Ausgabe des Medienpodcasts „Nach Redaktionsschluss“ ist jetzt unter anderem hier zu finden.

Talkshow-Kritik: ARD-Programmbeirat stimmt zu, Sender nicht

Vorige Woche habe ich hier über die Kritik einer EU-Abgeordneter an Talkshows bei ARD und ZDF geschrieben. Mit ihrer Kritik haben sie grundsätzlich Recht, ihre Rechnung war aber etwas schief. Mittlerweile haben die Sender reagiert und die Kritik im Wesentlichen zurückgewiesen. Der ARD-Programmbeirat dagegen, der aus Mitgliedern der ARD-Rundfunkräte besteht, stimmte den Abgeordneten dagegen grundsätzlich zu. Darüber berichtete unter anderem DWDL.

AfD ante Portas: Was wird aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

Die AfD möchte den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der jetzigen Form abschaffen. Was das jetzt schon für die Arbeit dort bedeutet und welche Konsequenzen eine Abschaffung hätte, ist bei der Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche in Hamburg diskutiert worden.

Warum die Talkshow-Kritik der EU-Politiker etwas irreführend ist

Anfang der Woche hat ein Brief deutscher EU-Abgeordneter für Aufmerksamkeit gesorgt. Sie kritisieren in einem Brief an ARD und ZDF, dass in der Woche nach der Europawahl nur ein einziger Abgeordneter in eine der acht Talksendungen eingeladen worden sei. Darin rechnen sie vor, dass insgesamt 43 Gäste eingeladen waren und Manfred Weber (CSU) der Einzige war, der bei der Wahl angetreten bzw. gewählt wurde.

In dem Brief, der mir vorliegt, schreiben Daniel Freund (Grüne), Daniel Caspary (CDU), René Repasi (SPD), Erik Marquardt (Grüne), Moritz Körner (FDP) und Angelika Niebler (CSU):

„Das ist erschreckend, unzureichend und wird ihrem Programmauftrag unserer Ansicht nach nicht gerecht. Politische Talkshows sind einer der zentralen Orte der öffentlichen politischen Auseinandersetzung und es ist äußerst bedauerlich, dass Europapolitikerinnen und Politikern der Zugang zu dieser Arena geradezu systematisch verwehrt bleibt. Europapolitik hat enorme Auswirkungen auf den Lebensalltag der Menschen. Und sie ist zu spannend, als dass sie permanent von der bundespolitischen Seitenlinie kommentiert werden muss.“

Das stimmt. Und mit ihrer Kritik, dass zu wenige EU-Abgeordnete eingeladen worden, haben Sie einen Punkt, finde ich. Aber die verwendeten Zahlen sind fragwürdig. Denn zu behaupten, von 43 Gästen sei nur einer Kandidat oder neuer Europaparlamentarier, verkürzt die Sache, wird damit doch suggeriert, es hätten 42 weitere EU-Abgeordnete eingeladen werden können. Das aber ist mitnichten der Fall. Ich erkläre gleich die Gründe dafür.

Nicht alle Talkshows beschäftigten sich mit der Wahl

Die Abgeordneten beziehen sich auf acht Ausgaben von insgesamt fünf verschiedenen Talkshows:

Fünf der acht Sendungen beschäftigten sich monothematisch mit der Wahl:

  • Caren Miosga: „Europa hat gewählt – wohin steuert Deutschland“?
  • hart aber fair: „Ampel-Desaster: Kommen jetzt Neuwahlen?“
  • Maybrit Illner: „Europa hat gewählt: Kiews Schicksal ungewiss“
  • Markus Lanz am 12.6.
  • Markus Lanz am 13.6.

Keine der Sendungen also schaute nur auf das Ergebnis der Wahl, sondern fragen auch nach den Konsequenzen – zum Beispiel für Deutschland oder für die Ukraine. Dass bei diesem Schwerpunkt nicht nur EU-Abgeordnete eingeladen werden, ist zwingend. Ob man das so machen muss oder nicht, natürlich eine andere Frage.

Die Talkshows von Sandra Maischberger und Markus Lanz beschäftigen sich immer mit mehreren Themen; wenn es dort also nicht nur um die EU geht, ist das Fehlen von EU-Abgeordneten auch nicht verwunderlich.

Nicht alle Gäste sind Politikerinnen oder Politiker

So war zwar der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff bei Maischberger zum Ergebnis der Europawahl eingeladen; Janine Wissler (Linke) und Boris Palmer (Tübinger Oberbürgermeister) diskutierten allerdings über das Thema Abschiebungen. In Maischbergers zweiter Sendung in der Woche nach der Europawahl wurde der ehemalige Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit zur Europawahl befragt; Sahra Wagenknecht (BSW) und Marina Weisband (Grüne) diskutierten wiederum über die Ukraine. Auch die Auswahl zweier ehemaliger Politiker, um die Wahl zu kommentieren, ist natürlich diskussionswürdig.

Bei Markus Lanz ging es auch um die Europawahl. Anton Hofreiter (Gründe) wurde unter anderem zum Abschneiden seiner Partei befragt. Allerdings wurde auch über die geplante Neuwahl in Frankreich gesprochen und über die Situation in der Ukraine.

Außerdem sind in keiner der acht Sendungen ausschließlich Politiker eingeladen worden – was die Regel ist. Dort saßen auch Journalistinnen und Journalisten, eine Schriftstellerin, ein Musiker, ein ehemaliger Oberst, zwei ehemalige Diplomaten, zwei Wissenschaftler und eine Wissenschaftlerin. Sie machen sogar die Mehrheit aus: Nur 16 der Gäste sind aktive Politiker oder Politikerinnen; Christian Wulff und Klaus Wowereit habe ich hier nicht eingerechnet.

Nur einer von 16 Gästen aus der Politik

Beklagen können die Absender des Briefes also höchstens, dass von den 16 Gästen nur einer ein kandidierender bzw. gewählter EU-Abgeordneter ist. Auch diese Quote ist natürlich verhältnismäßig schlecht, aber eben auch nicht so künstlich niedriggerechnet wie im Brief.

Hinzu kommt: Auch diese 16 waren nicht alle zu einem EU-Thema eingeladen; mindestens vier von ihnen sprachen (auch) zu anderen Themen. Sprich: Es ist wohl eher ein Verhältnis 1 zu 11, aber eben nicht 1 zu 42.

Natürlich kann man beklagen, dass die Europawahl überhaupt so wenig Thema war, und sicherlich hätten da auch mehr EU-Politiker sitzen können/müssen. Auch, dass einige Talkshows nach einer letzten Ausgabe nach der Wahl in die Sommerpause gegangen ist, beklagen die Unterzeichner des Briefes zurecht. Und sie loben auch die Berichterstattung insgesamt. Aber ihre Rechnung ist einfach zu platt.