Warum das Gute-Kita-Gesetz teilweise ein Billigere-Kita-Gesetz ist

Das „Gute-Kita-Gesetz“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie Politiker, in diesem Fall Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, gute PR für sich selbst machen. Es ist schon an verschiedenen Stellen diskutiert worden, warum Journalisten den Begriff nicht übernehmen sollten – weder direkt noch in einer distanzierten Form wie etwa in Anführungszeichen oder als „sogenanntes Gute-Kita-Gesetz“. Wie wir aus der Forschung wissen, sind Anführungszeichen oder ein „sogenanntes“ nicht stark genug, um den positiven Frame von der guten Kita zu überstrahlen.

„Aber es geht doch darum, die Kitas gut zu machen“ – so das Argument derjenigen, die finden, dass man den Begriff durchaus verwenden kann, und die ihn selbst verwenden. Schließlich schreiben wir auch sonst in Meldungen, dass Giffey mit dem Gesetz die Betreuung in Kitas verbessern will. Welchen Unterschied gibt es noch zwischen „Gute-Kita-Gesetz“ und „will Kitas verbessern“?

Das liegt vor allem daran, was man unter eine Verbesserung von Kitas versteht. Denn laut Familienministerium ist eine Kita auch dann gut, „wenn der Eintritt frei ist“, wie es auf seiner Webseite schreibt. Das allein aber macht noch nicht die Kita an sich gut. Es kann sie sogar verschlechtern. Denn wenn die Millionengelder dazu verwendet werden, die Gebühren zu senken, verbessert das in den Kitas genau gar nichts. Und tatsächlich haben die ersten Bundesländer bereits beschlossen, die Gebühren zu senken.

Das macht nicht das Gesetz an sich obsolet oder schlecht. Aber es bewirkt eben auch nicht das, was man sich unter einem Gute-Kita-Gesetz vorstellt. Schon deswegen sollten Journalisten den Begriff nicht benutzen – und wenn sie es tun, dann nicht unkritisch, etwa indem sie ihn hinterfragen, einordnen und erklären.

Gegen den „Klimanotstand“

Umweltschützer sind schon länger dazu übergegangen, nicht nur vom reinen Klimawandel zu sprechen. Das klingt ihnen zu neutral. Tatsächlich muss ein Wandel ja keiner zum schlechteren sein.

Auch der britische Guardian hat sich dazu entschieden, in Sachen Klimaerwärmung deutlicher zu formulieren – vielleicht sogar überspitzt.

In Deutschland rufen inzwischen immer mehr Städte den sogenannten Klimanotstand aus – auch, um deutlich zu machen, wie ernst die Lage ist. SWR-Umweltredakteur Dominik Bartoschek hält das für maßlos übertrieben. Er nennt in seinem Kommentar gute Gründe dafür, warum man sprachlich nicht übertreiben sollte, wenn nichts dahintersteckt.

Warum ein Mädchen wirklich verprügelt wurde

Ich hatte schon neulich mal darauf hingewiesen, dass bei manch schneller Formulierung schon mal Auslöser und Ursache verwechselt werden. So schrieb eine Zeitung neulich:

Wegen eines Kopftuchs? 13-jähriges Mädchen ins Krankenhaus geprügelt

Oberflächlich fällt daran erst mal nichts auf. Das darin steckende Framing lautet jedoch, dass das Mädchen wegen ihres Kopftuchs verprügelt wurde, was an sich keine Ursache sein dürfte. Die eigentliche Ursache liegt vielmehr im mutmaßlichen Rassismus des Täters, der ein Kopftuch für einen Grund hält, jemanden zu verprügeln.

Tatsächlich hat die Zeitung nach Kritik bei Twitter darauf reagiert und nicht nur den falschen Zusammenhang gelöscht, sondern das Motiv Rassismus in die Überschrift genommen. Dort heißt es jetzt:

Rassistischer Angriff? 13-jähriges Mädchen ins Krankenhaus geprügelt

Kritik wirkt.

Ein paar Morde sind kein Drama

Wenn ein Mann seine aktuelle oder ehemalige Partnerin umbringt und die Kinder gleich mit, so nennen Polizei-Pressestellen und Journalisten das gerne mal ein „Familiendrama“. Das ist ein problematischer Begriff, denn er macht aus einer Straftat zum einen eine private Angelegenheit, die nur die Familie angehe, und zum anderen etwas Theatralisches.

Tatsächlich haben Journalisten immer noch nicht gelernt, auf den Begriff zu verzichten und die Ereignisse mit neutralen Worten zu beschreiben. Die Intiative Gender Equality Media hat sich daran gestört, dass die Deutsche Presse-Agentur (dpa) als wichtige Quelle für die Berichterstattung in deutschen Medien diese Formulierung immer noch nutzt. Sie hat der dpa einen offenen Brief geschrieben (PDF) und auf die problematischen Implikationen hingewiesen. Unter anderem heißt es dort:

Bei Tätern mit muslimischen Hintergrund ist oft von “Ehrenmord” die Rede,während bei “deutschen” Tätern der bagatellisierende Begriff “Familiendrama” oder“Eifersuchtsdrama” verwendet wird. So wird Gewalt von Männern gegenüber Frauen*, bzw.ihren (Ex-)Partnerinnen, auf einzelne Kulturkreise abgewälzt. Dabei handelt es sich um eingesamtgesellschaftliches Problem. Würden wir nicht mehr jedes Mal „Familiendrama“lesen, wenn eine Frau durch ihren (Ex-)Partner ermordet wurde, sondern “Femizid”, so wäresichtbar, dass es sich um ein strukturelles Problem handelt und nicht um Einzelfälle.

Zu den problematischen Begriffen, von denen die dpa ohnehin viele schon nicht benutze, gehören laut den Aktivist*innen außerdem:

  • „Sex-Sklavin“
  • „Sex-Täter“
  • „Kinderprostituierte“
  • „Familiendrama“
  • „Eifersuchtstragödie“
  • „Kopftuchfrauen“

In einem Anhang beschreiben sie, was sie daran problematisch finden.

Mittlerweile hat ihnen zufolge auch dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger reagiert. In seiner Antwort schrieb er demnach:

Den verharmlosenden ‚Sextäter‘ wollen wir eigentlich auch schon seit längerem nicht mehr verwenden, manchmal rutscht diese Formulierung aber noch durch. Hier werden wir Ihr Schreiben gerne zum Anlass nehmen, die Kolleginnen und Kollegen daran zu erinnern.

Die dpa gab den Aktivist*innen an, bei den Begriffen „Familien- bzw. Beziehungsdrama oder –tragödie“ noch in internen Diskussionen zu stecken. Es wäre wünschenswert, wenn sie auch darauf verzichten würde. Erfreulich ist vor allem die Offenheit, auf solche Denkanstöße zu reagieren.

Wer Österreich wirklich ins Chaos gestürzt hat

Als Mitte August das Buch zur Ibiza-Affäre erschienen ist, das Frederik Obermaier und Bastian Obermayer geschrieben habe, beide Investigativ-Reporter der „Süddeutschen Zeitung“, schrieb profil.at folgendes: Die beiden…

…haben das Ibiza-Video veröffentlicht, Österreich damit ins innenpolitische Chaos gestürzt und darüber nun ein Buch geschrieben.

Das ist schnell dahingeschrieben, verkennt aber die tatsächlichen Zusammenhänge. Obermaier und Obermeyer haben das innenpolitische Chaos sicherlich ausgelöst, aber nicht verursacht, wie eine Kommentatorin zurecht unter dem Beitrag anmerkt:

Bei allem Respekt: nicht die beiden Journalisten haben „Österreich in ein innenpolitisches Chaos gestürzt“, sonder ausschließlich Strache, Gudenus und in weiterer Folge Kurz! Journalisten sollten hier bezgl. Formulierungen doch etwas genauer sein!

Auch wenn die Verantwortlichkeiten in der Ibiza-Affäre offensichtlich sind, so dienen auch solche nebensächlichen Formulierungen die Erzählung Straches, dass er eigentlich keine Verantwortung für die Affäre habe, sondern diese bei den Journalisten liege. Insofern gilt es tatsächlich auch bei den kleinen Sätzen, sich nicht auf ein Framing einzulassen.

Gute Zusammenarbeit: Wie Medien Maaßens Framing vom „Rückzug aus dem Wahlkampf“ übernehmen

Welchen Einfluss bestimmte Personen auf die öffentliche Debatte haben, hängt auch davon ab, wie Medien mit ihnen umgehen. Ein gutes Beispiel dafür ist in diesen Wochen der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. Was immer er sagt oder twittert, wo er auftritt oder wo er angesprochen wird – Medien machen was draus.

Das ist an sich schon problematisch, hat Maaßen doch keinerlei Amt mehr inne, ist kein Mitglied irgendeines Parlaments, hat innerhalb der CDU keine bestimmte Aufgabe. Dafür sorgt er mit krawalligen Statements für Aufmerksamkeit, von denen Medien profitieren wollen. Politisch relevant ist das selten.

Ein schlechtes Beispiel dafür haben Maaßen und Medien gestern gegeben. Maaßen hatte getwittert, er ziehe sich aus dem Wahlkampf in Sachsen zurück.

Nach Recherchen der Deutschen Presse-Agentur waren aber gar keine Wahlkampfauftritte Maaßens in Sachen geplant – wovon könnte sich Maaßen also zurückziehen? Dennoch hatte die Agentur diesen Dreh übernommen. Sie schrieb:

Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen zieht sich aus dem Landtagswahlkampf der sächsischen CDU zurück. Er schrieb am Sonntagabend auf Twitter (…).

Dem Vernehmen nach waren in Sachsen jedoch sowieso keine Auftritte mit Maaßen mehr vereinbart.

In der Meldung wird also richtigerweise dementiert, was in der Überschrift noch behauptet wurde. Inhaltlich ergibt das aber keinerlei Sinn – man kann sich nicht von etwas zurückziehen, von dem man ohnehin kein Teil (mehr) war. Mit derselben Logik könnte ich mich aus dem sächsischen Wahlkampf zurückziehen.

Unter anderem die Süddeutsche Zeitung hat gestern in diesem Artikel diesen Dreh übernommen. Mittlerweile hat die Redaktion die Überschrift geändert und den Artikel überarbeitet und durch weitere Informationen ergänzt. Die alte Fassung lässt sich aber noch in der Artikelvorschau bei Twitter sehen.

Wie so oft hat die Redaktion den dpa-Wortlaut inklusive Überschrift größtenteils übernommen. Die Süddeutsche hatte ihrer Meldung aber einen weiteren Absatz hinzugefügt, der nicht von der dpa stammte, es gab also eine redaktionelle Befassung.

Gleichlautend hatte am Abend auch ZEIT online berichtet. Die Artikelvorschau bei Twitter von gestern zeigt diesen Dreh noch:

Auch sie hat den Artikel inzwischen überarbeitet und ihm auch eine neue Überschrift gegeben.

Auch der Tagesspiegel hatte den Artikel von der dpa so übernommen. Er steht (Stand: 26.8.19, 10.45 Uhr) immer noch so online.

Spiegel online hat die Meldung nicht eins zu eins übernommen, sondern sie für einen längeren Artikel mit mehr Kontext verwendet. Aber auch hier hat es Maaßens Spin in die Überschrift geschafft.

Allein die „Welt“ hat noch eine Quelle aufgetan, derzufolge durchaus weitere Auftritte Maaßens in Sachsen hätten geplant sein können. Sie schreibt unter ausdrücklicher Berufung:

Laut Nachrichtenagentur dpa waren in Sachsen keine Auftritte mit Maaßen mehr vereinbart. Der Sprecher der Werteunion, Ralf Höcker, erklärte, es habe „kurzfristige Anfragen“ gegeben. Maaßen werde auch keine Stellungnahmen mehr zum Wahlkampf in Sachsen abgeben. Der Rückzug sei ein echter Rückzug.

Folgerichtig hat sie Maaßens Spin (in der aktuellen Online-Fassung, 26.8.19., 10.50 Uhr) auch nicht in Überschrift und Teaser gepackt.

Erneut hat es Maaßen damit mit Unterstützung von Medien geschafft, seine Botschaft zu transportieren. Mag schon die Werte-Union, die sich für den konservativen Flügel der CDU hält, die aber keine offizielle Gliederung der CDU ist und der Maaßen angehört, in der öffentlichen Darstellung überrepräsentiert sein, so ist es auch Maaßen.

Wie schon bei Trump scheint mittlerweile jedem Tweet eine umfangreiche Berichterstattung zu folgen. Mal davon abgesehen, dass die Relevanz zweifelhaft ist, sollten Redaktionen sich zumindest Maaßens Framing verweigern.

 

Bild lässt Greta Thunberg die Schule schwänzen, obwohl sie gar nicht mehr hin muss

Dass Greta Thunberg und die Schüler, die seit Wochen und Monaten freitags nicht in die Schule gehen, von Politikern und Journalisten diffamiert werden, ist nichts Neues.

Statt über deren Anliegen, nämlich mehr Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe, zu diskutieren, sprechen sie lieber darüber, dass die Schüler ihrer Schulpflicht nicht nachkommen – also schwänzen. Das ist ganz praktisch, weil es vom eigentlichen Thema ablenkt – klassisches Derailing, wie es von Trollen im Netz praktiziert wird, aber auch Politikern und Journalisten nicht fremd ist.

Auch die Bild-Zeitung nutzt dieses Framing und schreibt jetzt zum Beispiel:

Greta Thunberg (16) wird das kommende Schuljahr ganz schwänzen – um sich dem Kampf gegen die Klima-Krise zu widmen!

In der Überschrift heißt es zwar noch relativ neutral:

Allerdings verrät die URL, dass der Artikel ursprünglich mit anderem Titel online gegangen ist oder gehen sollte:

https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/greta-thunberg-klimaaktivistin-wird-ein-jahr-lang-die-schule-schwaenzen-62336250.bild.html

Und auch die Vorschau im Tweet von Kevin Kühnert zeigt das:

Allerdings weist Kühnert zurecht darauf hin, dass das so nicht stimmt. Denn Greta schwänzt nicht die Schule. Das würde nur gelten, wenn sie so gegen die Schulpflicht verstoßen würde – was sie aber nicht tut, wie die Bild selbst später im Artikel schreibt:

Um ihre Schulzeit mache sie sich keine Sorgen, sagte Thunberg. Sie werde einfach ein Jahr später aufs Gymnasium wechseln. Normalerweise stünde für die junge Schwedin im August der Wechsel auf eine weiterführende Schule an. In den ersten neun Jahren gilt Schulpflicht.

Interessanterweise schreibt die Bild im selben zuerst zitierten Satz aber auch von der Klimakrise – und nutzt damit ein stärkeres Framing als mit dem sonst üblicherweise oft genutzten Begriff Klimawandel. Ein Wandel kann in die eine oder andere Richtung gehen, also auch einen positiven Wandel bringen. Beim Klima geht es allerdings für uns Menschen in eine negative Richtung, deswegen sind Begriff wie Klimakatastrophe und Klimakrise aus Sicht derjenigen, die diesen bekämpfen wollen, passender.

„Klimakatastrophe“ statt „Klimawandel“: Guardian wählt künftig andere Worte für Berichte über das Klima

Klimawandel – ein Begriff, den wir schon so lange hören, dass wir gar nicht mehr realisieren, wie wenig aussagekräftig er eigentlich ist für das, was er uns sagen soll. Denn es geht ja nicht nur um einen Wandel in die eine oder andere Richtung, es geht nicht um einen natürlichen Prozess, sondern um eine dramatische Verschlechterung der klimatischen Bedingungen für uns Menschen. Trotzdem wird dieser Begriff in der öffentlichen Diskussion immer noch oft verwendet, auch von Journalisten.

Der britische Guardian will das jetzt ändern und in seiner Berichterstattung über das Klima deutlichere Worte wählen. Er hat deshalb seinen Style-Guide aktualisiert. Dort heißt es jetzt etwa zum Begriff „Klimawandel“ (Übersetzung von mir):

…wird nicht länger als akkurat angesehen, um die Ernsthaftigkeit der Lage zu beschreiben; besser benutzen: Klimanotstand, Klimakrise oder Klimazusammenbruch

War bisher die Rede von Klimaskeptiker, so will der Guardian künftig vom „Klimaleugner“ sprechen:

das OED (Oxford English Dictionary) definiert einen Skeptiker als „Sucher nach der Wahrheit; ein Fragender, der noch nicht zu definitiven Schlussfolgerungen gelangt ist. Die meisten „Klimaskeptiker“ leugnen trotz überwältigenden wissenschaftlichen Beweisen, dass Klimawandel stattfindet oder dass er vom Menschen verursacht sind, also ist Klimaleugner genauer.

Möglicherweise liegt es an meinen Übersetzungsfähigkeiten, aber ich würde den Begriff Klimaleugner im Deutschen so nicht verwenden, denn geleugnet wird ja nicht das Klima, sondern ein menschengemachter Klimawandel.

Und statt „globaler Erwärmung“ will der Guardian künftig von „globaler Erhitzung“ sprechen.

Chefredakteurin Katharine Viner wird in ihrer Zeitung wie folgt zitiert (Übersetzung wieder von mir):

Wir wollen sicherstellen, dass wir wissenschaftlich präzise sind und gleichzeitig diese sehr wichtige Thema klar gegenüber unseren Lesern kommunizieren. Der Begriff „Klimawandel“ zum Beispiel klingt eher passiv und sanft, obwohl das, worüber Wissenschaftler sprechen, eine Katastrophe für die Menschheit ist.

Es ist ein bemerkenswerter Wandel in der Berichterstattung, der das Framing für die Berichte deutlich ändern wird.

Eine Gruppe Menschen, zwei Perspektiven – und das nur durch Sprache

NRW-Integrationsminister „ruft Migranten zur Teilnahme an EU-Wahlen auf“, schreibt .

In der Pressemitteilung seines Ministeriums wird wiederum von „Deutschen mit Einwanderungsgeschichte“ gesprochen – und damit eine bewusst integrationsfreundliche Formulierung gewählt.

Zwei Perspektiven mit Framing-Effekt. Spreche ich von Migranten oder Deutschen?

 

Berliner Volksbegehren liefert den Gegnern Argumente

Die Berliner Initiative führt den Begriff „enteignen“ schon in ihrem Namen, auch wenn sie gar nicht enteignen will. (https://www.dwenteignen.de/)

Seit Tagen wird in Politik und Medien über Enteignung diskutiert. Soll der Staat Unternehmen Besitz wegnehmen und sie entsprechend entschädigen?

Ausgelöst hat die Debatte das Berliner Volksbegehren „Deutsche Wohnen enteignen“. Der Begriff „enteignen“ legt nahe, dass die Initiative Artikel 14 Absatz 3 Grundgesetz anwenden will, in dem davon die Rede ist:

Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
Auch in ihrer Werbung für das Volksbegehren spricht die Initiative ständig von Enteignung – und nimmt damit die Perspektive derjenigen ein, die von einer solchen Maßnahme betroffen sein sollen, denen also Besitz weggenommen wird (und die dafür entschädigt werden). Das könnte man sogar verstehen, wenn sie tatsächlich vorhätte, Enteignungen zu fordern.
Tatsächlich will sie das aber gar nicht. Sie stützen ihr Volksbegehren nämlich nicht auf Artikel 14 Absatz 3 Grundgesetz, sondern auf Artikel 15. Und in dem heißt es:
Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.
Auch auf ihrer Webseite führen sie den Artikel auf. Der Begriff Vergesellschaftung aber nimmt die Perspektive derjenigen ein, die von dem Vorgang profitieren. Für die öffentliche Debatte in der Politik wäre das der bessere Begriff gewesen, weil er das Anliegen ins Positive wendet.

Enteignung aber klingt nicht gut. Und liefert den Gegnern der Initiative willkommenes Sprachmaterial, um die Intiative abzulehnen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zum Beispiel benutzen den Begriff und bringen ihn in die Nähe des Sozialismus und der DDR-Staatswirtschaft – obwohl er im Grundgesetz der BRD steht.

Dass die Initiative sich für den Begriff Enteignung entschieden hat, kann durchaus sinnvoll sein, weil es möglicherweise zu einer höheren Mobilisierung führt. Es stärkt aber zugleich diejenigen, die gegen die Initiative sind und dafür den Begriff mit dem negativeren Klang nutzen können.