Döpfner widerspricht sich selbst und Hanfeld will’s nicht merken

Redakteure des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schreiben an Redakteure in den Zeitungsredaktionen – und wer antwortet? Nicht etwa die Print-Leute, sondern der Präsident ihrer Verleger. Da ist wohl etwas in Schieflage geraten.

Die Arbeitsgemeinschaft der Redakteursausschüsse von ARD, ZDF und Deutschlandradio hatte sich in ihrem offenen Brief gestern ausdrücklich an die Mitarbeiter der Zeitungen gewandt, nicht an deren Geschäftsleitung oder gar deren Verband. Sie schreiben:

…wir fühlen uns diskreditiert, wenn Sie uns als Staatsfunk bezeichnen und uns damit unterstellen, dass wir uns politisch steuern lassen. Das ist komplett abwegig. Wir fragen uns, warum Sie mit solchen Äußerungen unsere Arbeit verunglimpfen und sich damit selbst in die Nähe von Rechtspopulisten stellen. Sie bedienen ein Klima, das uns JournalistInnen der öffentlich-rechtlichen Medien an den Pranger stellen soll. (…)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, fällt es Ihnen eigentlich nicht auf, dass Sie mit dieser Kampagne auch den Journalismus insgesamt beschädigen?

Anliegen der öffentlich-rechtlichen Redakteure ist es also, auf eine unangemessene Berichterstattung in den Zeitungen hinzuweisen – und nicht etwa auf die Vertretung der Geschäftsinteressen, wie sie zurecht Mathias Döpfner betreibt, der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Aber anstatt die Redakteure antworten zu lassen, fühlt sich Döpfner angesprochen und antwortet ebenfalls in einem offenen Brief:

Sie schreiben im ersten Satz „Wir fühlen uns diskreditiert.“ Genau darum geht es uns Zeitungsverlegern nicht.

Die waren aber mit dem Brief gar nicht gemeint. Die Diskreditierung geschieht nämlich auch in Zeitungen, nicht nur von Döpfner, der weiter schreibt:

Wenn dann irgendwann quasi nur noch öffentlich-rechtliche Online-Zeitungsangebote zur Verfügung stünden, dann und nur dann würde eine Art „Staatspresse“ entstehen, ein Monopol, das von zentral erhobenen Gebühren lebte und unter der Aufsicht von Politikern aller Parteien stünde. Dieses Konjunktiv-Szenario als Vorwurf miss zu verstehen, die Journalisten der ARD seien „Staatspresse“, ist böswillig. Gemeint war es so nie.

Gesagt hat es Döpfner aber, wie Stefan Niggemeier und ich gestern ausgeführt haben.

Dass jetzt ausgerechnet die Zeitung Döpfner in den Rücken zu fallen scheint, die es am nötigsten hätte, von ihm verteidigt zu werden, hat eine gewisse Ironie. Besonders die Frankfurter Allgemeine Zeitung und ihre Sonntagszeitung haben immer wieder subtil die Begriffe Staatsrundfunk und Zwangsgebühren/Zwangsbeiträge verwendet, obwohl sie genau wissen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk völlig anders verfasst ist als staatlicher Rundfunk. Es war ihnen egal. Um genau diese Diskreditierung ging es den öffentlich-rechtlichen Redakteuren aber – warum sollten sie sich sonst an die Redakteurskollegen in den Zeitungen wenden statt an ihre Geschäftsleitungen und Verbände?

FAZ-Medienredakteur Michael Hanfeld hat die Vorwürfe nicht verstanden. Er schreibt heute in süffisantem Tonfall, dass die Redakteursausschüsse Döpfner etwas in den Mund gelegt hätten, was dieser nie gesagt habe:

Da wurde der von Döpfner verwendete Konjunktiv, der Irrealis, in dem er von einem Land mit „Staatsfunk“ und „Staatspresse“ sprach, was eher nach dem Geschmack von Nordkorea „wäre“, als Indikativ ausgelegt. Unter anderem, wenn wir uns nicht ganz falsch erinnern, von lieben Kolleginnen und Kollegen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Bei Hanfeld soll das Erinnern offenbar die Recherche ersetzen. Hätte er mal nachgesehen – und zwar nicht bei den lieben Kollegen, sondern bei Döpfner selbst – hätte er bemerkt, dass der zwar in der zitierten Passage im Konjunktiv, im Irrealis, gesprochen hat. Nicht aber in der Passage, die er gestern selbst verteidigte. In der sagte er nämlich:

Wir erleben im Netz nach wie vor eine mit öffentlich-rechtlichen Geldern finanzierte Flut textbasierter Gratis-Angebote, eine gebührenfinanzierte Staats-Presse, die den Wettbewerb verzerrt und uns Presseverlagen kaum Entfaltungsmöglichkeiten lässt.

Wo da der Konjunktiv ist, müsste Hanfeld mal mit einem Sprachwissenschaftler diskutieren. Und dann seinen ganzen Artikel neu schreiben.

Hätte Döpfner sich mit seiner Antwort nicht schon selbst widersprochen, hätte man fast Mitleid mit ihm haben können, wie Hanfeld genau das bestätigt, was Döpfner eigentlich verteidigen wollte.

 

Offenlegung: Ich bin freier Mitarbeiter bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.

Was Matthias Döpfner nicht gesagt haben will und was er wirklich gesagt hat

Mathias Döpfner fühlt sich „böswillig“ missverstanden, hat er heute geschrieben. Ich habe das heute für @mediasres aufgeschrieben. Er reagiert auf einen offenen Brief, die sogenannte „Frankfurter Erklärung“ der Arbeitsgemeinschaft der Redakteurausschüsse von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Das klingt etwas sperrig. Gemeint sind die Mitarbeitervertretungen der Sender, nicht zu verwechseln mit den Personalräten. Die Redakteurausschüsse befassen sich inhaltlich mit dem Programm, während der Personalrat hausintern an Entscheidungen beteiligt werden muss.

Diese Arbeitsgemeinschaft hatte im Namen der öffentlich-rechtlichen Redakteure die Kollegen bei den Zeitungen dazu aufgerufen, ihre Arbeit nicht verächtlich zu machen. Wörtlich heißt es da:

„Liebe Kolleginnen und Kollegen in den Zeitungsredaktionen,

wir fühlen uns diskreditiert, wenn Sie uns als Staatsfunk bezeichnen und uns damit unterstellen, dass wir uns politisch steuern lassen. Das ist komplett abwegig. Wir fragen uns, warum Sie mit solchen Äußerungen unsere Arbeit verunglimpfen und sich damit selbst in die Nähe von Rechtspopulisten stellen. Sie bedienen ein Klima, das uns JournalistInnen der öffentlich-rechtlichen Medien an den Pranger stellen soll.

Können Sie uns mal erklären, warum wir als verantwortungsvolle JournalistInnen in diesen Zeiten nicht zusammenhalten gegen Fake News und populistische Parolen? Wer soll denn die Brücken bauen zwischen auseinander fallenden Teilen der Gesellschaft, wenn nicht wir JournalistInnen – sowohl in Zeitungen als auch öffentlich-rechtlichen Sendern als Vermittler von profund recherchierten Informationen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, fällt es Ihnen eigentlich nicht auf, dass Sie mit dieser Kampagne auch den Journalismus insgesamt beschädigen?

Für sachliche und konstruktive Kritik sind wir jederzeit offen!

Ihre öffentlich-rechtlichen KollegInnen von ARD, ZDF und Deutschlandradio“

Darauf antwortet Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender des Axel-Springer-Konzerns, in seiner Eigenschaft als Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitschriftenverleger (BDZV), recht ausführlich. Dort heißt es unter anderem:

Wenn kein nachhaltig erfolgreiches digitales Geschäftsmodell etabliert werden kann, wäre bei weiter rückläufigem Printgeschäft ein Verlagssterben, eine Reduzierung der Vielfalt die Folge. Wenn dann irgendwann quasi nur noch öffentlich-rechtliche Online-Zeitungsangebote zur Verfügung stünden, dann und nur dann würde eine Art „Staatspresse“ entstehen, ein Monopol, das von zentral erhobenen Gebühren lebte und unter der Aufsicht von Politikern aller Parteien stünde. Dieses Konjunktiv-Szenario als Vorwurf miss zu verstehen, die Journalisten der ARD seien „Staatspresse“, ist böswillig. Gemeint war es so nie.

Das kann er ja alles so meinen. Aber von einem Konjunktiv-Szenario zu sprechen ist absurd. Denn Döpfner hat von „Staatspresse“ im Indikativ gesprochen. Nachlesen kann man das hier:

Wir erleben im Netz nach wie vor eine mit öffentlich-rechtlichen Geldern finanzierte Flut textbasierter Gratis-Angebote, eine gebührenfinanzierte Staats-Presse, die den Wettbewerb verzerrt und uns Presseverlagen kaum Entfaltungsmöglichkeiten lässt.

Die Kollegen von Zapp haben den Ausschnitt noch mal vertwittert:

Hier gibt es das ganze noch etwas länger im Video.

Stefan Niggemeier schreibt dazu bei Übermedien:

Er will das jetzt nicht so gemeint haben. Er hat es aber so gesagt. Seine Empörung darüber, dass man ihm das vorhält, ist Heuchelei. Und basiert auf einer Lüge.

Vermutlich wäre es deshalb auch ein Missverständnis, zu glauben, er habe das Gesprächsangebot an die öffentlich-rechtlichen Kollegen ehrlich gemeint.

Döpfner fühlt sich „böswillig“ missverstanden

Journalisten öffentlicher-rechtlicher Sender wehren sich gegen den Vorwurf, „Staatsfunk“ zu sein. Über diesen Vorwurf habe ich hier mehrmals gebloggt. Redakteursvertreter von ARD, ZDF und Deutschlandradio haben ihre Kollegen bei den Zeitungen jettzt aufgefordert, sie nicht länger zu diskreditieren. Verlegerpräsident Matthias Döpfner bietet ihnen einen Dialog an. Worum es geht, habe ich für @mediasres zusammengefasst.

So deutet „Die Welt“ eine Mehrheit für eine ARD-ZDF-Fusion herbei

Die Mehrheit der Deutschen ist für eine Fusion von ARD und ZDF zu einem nationalen, öffentlich-rechtlichen Sender.

Das schreibt die Springer-Tageszeitung „Die Welt“ auf ihrer gemeinsamen Webseite mit dem Springer-Fernsehsender „N24“. Ich bezweifle, dass das tatsächlich so ist. Denn die Umfrage, die das Umfrageunternehmen Civey für die beiden Medien online durchgeführt hat, ist so vage, dass die Antworten nur falsch sein können.

Das lässt sich schon an der Fragestellung ablesen, die die Welt glücklicherweise mit veröffentlicht hat:

Bei diesem WELT-Trend lautete die Frage: „Sollten die Fernsehsender von ARD und ZDF zu einem einzigen bundesweiten, öffentlich-rechtlichen Sender fusioniert werden?“

Im Artikel, in dem diese Umfrage eingebettet war, wurde vorher sogar noch eine etwas längere Frage gestellt:

Wir wollen von Ihnen wissen: Wie sehen Sie die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland? Soll alles so bleiben, wie es ist, und beide weiterhin gemeinsam nebeneinander bestehen? Oder plädieren Sie dafür, dass die Fernsehsender von ARD und ZDF zu einem einzigen bundesweiten öffentlich-rechtlichen Sender fusioniert werden?

Das sind streng genommen zwei verschiedene Fragen. Denn „beide“ gibt es so gar nicht. Gemeint sind wohl ARD und ZDF. Aber die ARD ist nur eine Arbeitsgemeinschaft, die aus neun verschiedenen Landesrundfunkanstalten und der Deutschen Welle besteht. Daneben gibt es noch das Deutschlandradio, somit also elf öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten in Deutschland (die Deutsche Welle wird nicht aus dem Rundfunkbeitrag finanziert, sondern aus Steuermitteln). In der zweiten Frage wird dann nach „Fernsehsendern von ARD und ZDF“ gefragt, womit schon mal alle Radioprogramme ausgenommen werden und beim Fernsehprogramm alles über einen Kamm geschert wird.

Die neun Landesrundfunkanstalten und das ZDF betreiben nämlich im Moment getrennt und gemeinsam insgesamt 21 Fernsehsender. Bei einer Fusion, nach der Civey gefragt hat, müssten also all diese 21 Sender zu einem verschmelzen. Die Zuschauer würden also nicht nur auf Das Erste und das ZDF in ihrer bisherigen Form verzichten müssen, sondern auch auf alle dritten Programme, 3sat, Kika, Phoenix, Arte, ARD alpha, tagesschau24, ARD one, ZDF info und ZDF neo. Programme, die von Millionen Menschen gesehen werden.

Nur als Beispiel: Das Erste hatte im September 2017 nach Zahlen der AGF Videoforschung einen Marktanteil von 11,2 Prozent, das ZDF 12,9 Prozent. Alle anderen genannten öffentlich-rechtlichen Programme kamen zusammen auf 21,7 Prozent. Das ist ein so diversifiziertes Programm und damit auch Publikum, das man auf keinen Fall mit einem einzigen gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Programm zufriedenstellen könnte. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass ein mehr oder weniger großer Teil der bisherigen Zuschauer das zentrale Programm nicht mehr einschalten würde.

Plädieren also tatsächlich 54 Prozent der Teilnehmer an der WELT-Umfrage für nur noch ein einziges Programm? Also mehr Programmeinfalt, um damit mehr Zuschauer gleichzeitig erreichen zu müssen? Warum sollten sie auf etwas verzichten wollen, das sie so intensiv nutzen?

Ich glaube, dass die meisten Teilnehmer der Umfrage die gestellte Frage gar nicht verstanden haben, weil sie viel zu unspezifisch formuliert wurde. Für viele ist ARD immer noch das erste Fernsehprogramm, auch wenn das offiziell „Das Erste“ heißt. Für viele ist ZDF das zweite Fernsehprogramm (wie der Name schon sagt), nicht aber deren Ableger Info und Neo. Und vor allem sind es nicht die gemeinsam veranstalteten Programme wie Arte und 3sat.

Hätten Welt und Civey nur nach den beiden Sendern „Das Erste“ und ZDF fragen wollen, wäre so eine Frage zielgenauer gewesen:

Sollten das erste und zweite Fernsehprogramm zu einem einzigen Sender zusammengelegt werden?

So aber kann WeltN24 das Ergebnis der missverstandenen Frage wieder auf die Anstalten an sich zurückdeuten und dann titeln:

(Screenshot: https://www.welt.de/kultur/medien/article169891258/Mehrheit-der-Deutschen-fuer-Fusion-von-ARD-und-ZDF.html)
(Screenshot: https://www.welt.de/kultur/medien/article169891258/Mehrheit-der-Deutschen-fuer-Fusion-von-ARD-und-ZDF.html)

Eine Frage missverständlich zu stellen und die Ergebnisse dann als scheinbar eindeutig auszugeben ist jedenfalls kein seriöser Umgang mit einer Umfrage.

Dass es der Springer-Vorstandsvorsitzende Matthias Döpfner war, der in seiner Funktion, aber auch als Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger immer wieder gegen die öffentlich-rechtlichen Sender polemisiert, sei nur zum Schluss kurz erwähnt.

Schauspielerverband fordert mehr Geld von ARD und ZDF

Sollten ARD und ZDF ihre Sendungen bald unbegrenzt im Netz anbieten dürfen, befürchten viele Schauspieler weitere Einbußen. Heinrich Schafmeister vom Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler beklagte im Deutschlandfunk, dass die Sender ihnen jetzt schon nichts dafür zahlen, wenn Sendungen in den Mediatheken abrufbar sind – obwohl sie müssten. Mit Schafmeister habe ich für @mediasres gesprochen.

Vom Wahllokal zum Wahlergebnis: Wie Prognosen und Hochrechnungen entstehen

Am Sonntag ist der neue Bundestag gewählt worden. Umfragen sind am Wahlabend prägend für die Berichterstattung und geben schon recht früh Informationen über den voraussichtlichen Wahlausgang. Und: Sie sind häufig überraschend zuverlässig. Darüber habe ich am vergangenen Donnerstag für das DLF-Medienmagazin @mediasres und am Samstag für das WDR5-Medienmagazin „Töne, Texte, Bilder“ berichtet.

Die AfD klein machen

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat eine Debatte angestoßen, die nach der Bundestagswahl zu erwarten war und die durchaus schon vor der Wahl geführt wurde: Welche Rolle spielen die Medien für den Erfolg der AfD?

Herrmann sagte in der „Berliner Runde“ (zitiert nach DLF):

Joachim Herrmann: Die Hälfte der Sendezeit beschäftigt sich schon wieder nur mit der AfD – die Hälfte der Sendezeit nur mit der AfD.

ZDF-Chefredakteur Peter Frey: Ich wollt grad nach was anderem fragen.

Herrmann: Es ist völlig… Ja, aber das ist ein völliger Unfug, und da kann ich Ihnen nur sagen – und darüber wird in den nächsten Wochen auch noch zu diskutieren sein – in welchem Ausmaß die beiden öffentlich-rechtlichen Sender in den letzten Wochen massiv dazu beigetragen haben, in der Tat nicht die AfD klein zu machen, sondern groß zu machen. In einer Art und Weise der Diskussion, die wirklich völlig fehl am Platze ist.

Neben der berechtigten Kritik von Herrmann ist dabei interessant, dass es ihm womöglich gar nicht darum geht, dass die Sender sich der AfD gegenüber mindestens neutral verhalten. Er findet offenbar sogar, dass die öffentlich-rechtlichen Sender, die er kritisiert, die Aufgabe haben, gegen die AfD zu arbeiten, wenn er sagt, dass die Sender nichts getan haben, um „die AfD klein zu machen“.

Und das ist dann doch ein fragwürdiges Medienverständnis und ein merkwürdiger Anstoß zu dieser Debatte.

Die begrenzte Aussagekraft von Blitzumfragen

Ziemlich schnell nach dem TV-Duell zwischen CDU-Chefin Angela Merkel und SPD-Chef Martin Schulz gab es schon neue Umfragewerte.

Die ARD hat Infratest Dimap, das ZDF die Forschungsgruppe Wahlen gebeten, möglichst schnell Wähler anzurufen, die hoffentlich auch Zuschauer waren, und nach ihrer Einschätzung des Duells zu befragen. Außerdem hat Civey Nutzer online befragt.

Wie wertvoll diese Daten sind, zeigen die Ergebnisse. Bei Infratest Dimap:

(Screenshot: tagesschau.de)
(Screenshot: tagesschau.de)

Bei der Forschungsgruppe Wahlen:

(Screenshot: zdf.de)
(Screenshot: zdf.de)

 

Beide Fragen ähneln sich zwar, sind aber nicht gleich. Dennoch werden sie vom jeweiligen Sender als das Gesamtergebnis ausgegeben.

Schon der Unterschied in der Fragestellung kann für die verschiedenen Ergebnisse ausschlaggebend sein, aber auch die zusätzliche Möglichkeit des ZDF, mit „kein Unterschied“ zu antworten, während die Befragten bei Infratest wohl gezwungen war, eine klarere Entscheidung zu treffen oder aktiv „weiß nicht“ zu antworten (die fehlenden 10 Prozent).

Ich hoffe, Infratest bzw. ARD liefern die fehlenden Metadaten dazu noch nach.

Schon solche kleinen Unterschiede bei Frage und Antwortmöglichkeiten scheinen größere Unterschiede bei den Ergebnissen auszumachen. Noch deutlicher aber wird es, wenn man die zwei Umfragen mit fast derselben Fragestellung, aber verschiedenen Erhebungsmethoden nebeneinanderlegt. Dazu vergleiche man die Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen mit denen von Civey (Ergebnisse gibt es nach Teilnahme).

Stand Montag um 10 Uhr kam Angela Merkel auf 44,9 Prozent, Martin Schulz auf 32,2 Prozent, „Beide gleich gut“ sagten 15,3 Prozent, „Weiß nicht“ 7,6 Prozent der Befragten. Weil die Umfrage noch läuft, ist eine Rückwirkung der anderen Umfragen und des sonstigen Spinning zu vermuten, dass also die Teilnehmer an der Civey-Umfrage nicht nur nach eigener Einschätzung urteilen, sondern auch die anderer einfließt.

Ein gutes Beispiel für die begrenzte Aussagekraft solcher Umfragen.

Danke an Sebastian Pertsch für den Hinweis.

 

Nachtrag, 4. September, 0.25 Uhr: Den Umfragen von ARD und ZDF habe ich noch Civey hinzugefügt.

Nachtrag, 4. September, 10.00 Uhr: Ich habe einen Zwischenstand bei Civey eingefügt – zum einen, weil sich das Ergebnis noch ändern kann, zum anderen, weil nicht alle Nutzer im eingebundenen Widget sofort das Ergebnis sehen können.

Nachtrag, 4. September, 13.40 Uhr: Die Umfrage bei Civey ist mittlerweile beendet. Die Werte haben sich nicht mehr verändert.

Warum man den Audi-Cup auch ohne Brennpunkt nicht senden muss

In der Medienkorrespondenz beschwert sich Dietrich Leder darüber, dass es keinen Brennpunkt gab. Das ist erst mal lustig, lautet doch die häufigere Beschwerde, dass es einen gab. Bis hin zur Wade von Michael Ballack vor ein paar Jahren.

Im Kern kritisiert Leder etwas anderes. Leider vergisst er, das auch deutlich genug zu schreiben. So beginnt er seinen Artikel mit:

Normalerweise hätte es nach diesem Ereignis einen „Brennpunkt“ im Ersten Programm der ARD gegeben. In dieser Sondersendung wäre am Mittwoch (2. August) die merkwürdige Veranstaltung näher betrachtet worden, die an diesem Tag in Berlin unter der Überschrift „Diesel-Gipfel“ stattfand und an der neben Bundesministern und Ministerpräsidenten die Vorstandsvorsitzenden diverser Automobilkonzerne teilnahmen.

Das ist erst mal völlig unbegründet. Denn was normal ist und was nicht, lässt sich beim besten Willen nicht an der Einsetzung eines „Brennpunkts“ ablesen. Wer sich diese Sendung ansieht, bemerkt in der Regel mehrere Dinge:

  • die Wiederholung von Informationen, die kurz vorher bereits in der „Tagesschau“ liefen
  • den unbedingten Willen von Chefredakteuren, auch mal eine Sendung um 20.15 Uhr im Ersten moderieren zu wollen, unabhängig von ihren Fähigkeiten
  • technische Pannen bei den lustigen Schalten zu diversen Reportern (besonders beliebt beim Hessischen Rundfunk).

Warum es den „Brennpunkt“ deshalb überhaupt in dieser Form gibt, erschließt sich mir nicht. Für sinnvoller halte ich eine verlängerte Tagesschau. Die wäre dann 20 bis 30 Minuten lang, in der ersten Viertelstunde könnte man dann das Top-Thema behandeln, danach die übrigen Themen. Das vermeidet Dopplungen, schlechte Moderationen und technische Pannen, denn die Mitarbeiter der Tagesschau sind dabei routinierter als es die der jeweiligen „Brennpunkt“ gelegentlich zu sein scheinen.

Warum sollte man sich also einen „Brennpunkt“ zum Diesel-Skandal wünschen? Schließlich wurde in der Sendung vorher achteinhalb Minuten darüber berichtet. Im Sommerloch erlaubt das die Nachrichtenlage. Leders Forderung erscheint mir aus diesen Gründen nicht nachvollziehbar.

Worauf seine Kritik wohl eher abstellt, ist die Übertragung des Audi-Cups. Diesen Teil der Kritik kann ich nachvollziehen. Es hätte dem Kommentar aber gut getan, wenn er sich deutlich nur damit beschäftigt hätte.

Beim „Audi-Cup“ messen sich vier europäische Spitzenmannschaften, die sich alle noch im Trainingsstadium befinden, auf dem Niveau von Testbegegnungen und Freundschaftsspielen. (…) Finanziert wird diese Chose natürlich vom Namensgeber Audi, der deshalb bei den Übertragungen nicht nur über Reklametafeln im Münchner Stadion, sondern auch über die Namensnennung im Kommentar und über Einblendungen im Bild unendlich oft genannt wurde.

Freilich ergibt sich eine Ironie durch den Umstand, dass auch Audi in den Diesel-Skandal verwickelt ist, der ansonsten in einem „Brennpunkt“ Thema gewesen wäre. Aber solch eine Sondersendung nur zu fordern, um Audi in Sachen Cup auszubremsen, ist irgendwie halbseiden.

Die Entwertung der Eilmeldung

Die Deutsche Presse-Agentur hat im Jahr 2016 insgesamt etwa 1.200 Breaking News in den dpa-Basisdienst verschickt. Es sei ein außergewöhnliches Jahr gewesen, schreibt Nachrichtenchef Froben Homburger bei kress.de.

Grund dafür waren vor allem die Terroranschläge in Nizza, Ansbach und Berlin, der Amoklauf in München und der Putschversuch in der Türkei.

Selbst nach Abzug aller Medaillen-EILs der Olympischen Spiele in Rio entspricht das noch einer Steigerung um 180 Kurzmeldungen der zweithöchsten Priorität. 2016 war also tatsächlich ein außergewöhnliches Jahr. Oder gingen etwa den Redakteuren die Eilmeldungen schlicht zu locker von der Hand?

Eine gute Frage, die Homburger am Ende implizit mit einem „Nein“ beantwortet. Zumal die dpa ihm zufolge die Schwellen für Eilmeldungen angehoben habe und die Kriterien schärfer gefasst.

Oberstes Credo: Eine Nachrichtenagentur sollte sich keinem Alarmismus hingeben, sondern Ereignisse immer besonnen priorisieren – erst recht dann, wenn die Aufregung in den sozialen Medien besonders groß ist.

Nun ist die Arbeit einer Nachrichtenagentur die eine Sache. Ihre Kunden sind nämlich nicht die Leser, Hörer und Zuschauer, sondern Redaktionen, also Journalisten. Dass diese so schnell wie möglich über Ereignisse von hoher Relevanz und Eilbedürftigkeit informiert werden wollen, halte ich für plausibel. Sie brauchen Zeit, um sich auf eine entsprechende Berichterstattung vorzubereiten, den Personalbedarf zu planen und weitergehende Recherchen einzuleiten.

Meinem Eindruck nach bedeutet so eine Eilmeldung für viele Redaktionen allerdings eher, sie sofort und ungeprüft an ihre Nutzer weiterzureichen. Beobachten lässt sich das etwa daran, wie n-tv Eilmeldungen direkt an ihr Laufband durchreicht. Andere eilen in ihren Apps jede kleine Weiterentwicklung einer solchen Breaking News, so dass man innerhalb von wenigen Stunden eine Liste an Eilmeldungen vorfindet.

Natürlich war der Sommer ungewöhnlich; vor allem die zwölf Tage vom 14. bis 25. Juli, wie Homburger schreibt: Terroranschlag von Nizza, Putschversuch in der Türkei, Schießerei in Baton Rouge, Angriff in Zug bei Würzburg, Amoklauf von München, Angriff in Reutlingen, Anschlag in Ansbach, Anschlag in Orlando.

Genau zu jener Zeit habe ich untersucht, was Redaktionen einiger ausgewählter Apps per Eilmeldung an ihre Nutzer weitergeben. Eine statistische Auswertung dieser Untersuchung hat sich gerade wegen der ungewöhnlichen Ereignisse im Erhebungszeitraum nicht angeboten und blieb deshalb liegen; mit dem Abstand von heute und dem Blick auf die Jahresbilanz der dpa will ich aber einige Beispiele herausgreifen, bei denen ich das Instrument der Eilmeldung als wenig sinnvoll erachte.

Eins kann man schon mal vorwegnehmen: Viele Eilmeldungen von Redaktionen halfen Nutzern gerade nicht dabei, Ereignisse besonnen zu priorisieren. Das ist vor allem dann der Fall, wenn es um terminierte Ereignisse geht – und erst recht, wenn das Ergebnis das erwartete ist. So war sowohl der Termin des Misstrauensvotums gegen die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer am 14. Juli bekannt als auch die Tatsache, dass Dreyers Koalition über eine Mehrheit verfügte. Trotzdem eilte die Tagesschau:

(Screenshot: tagesschau-App)
(Screenshot: tagesschau-App)

Interessant auch, wenn ein Nicht-Ereignis Thema einer Eilmeldung wird, wie etwa am 30. Juni, als Brexit-Befürworter Boris Johnson verkündete, was er nicht tun werde, wie etwa die App der Süddeutschen Zeitung eilig vermeldete.

(Screenshot: SZ-App)
(Screenshot: SZ-App)

Was wäre geschehen, wenn der Nutzer das nicht sofort erfahren hätte? Sein Wissensstand wäre unverändert geblieben, nämlich dass Johnson nicht Premierminister werden will. Das war bis dahin Stand der Dinge; die Eilmeldung änderte daran nichts. Auch die Apps von Tagesschau und Spiegel online meldeten das, die Tagesschau immerhin mit dem Zusatz „überraschend“. Eine Angewohnheit von Journalisten, einer Nachricht etwas mehr Pepp zu geben: oft hilfreich zur Einordnung, nicht immer falsch, manchmal übertrieben.

Keine Frage, dass beide bisher genannten Beispiele berichtenswert sind. Entscheidend ist jedoch, ob sie eine Eilmeldung wert sind, ob es wichtig ist, dass der nachrichteninteressierte Nutzer unverzüglich darüber informiert werden muss.

Manche Redaktionen finden manchmal besonders eilig, was sie exklusiv haben – ganz gleich, wie eilbedürftig ihr Inhalt ist.

(Screenshot: tagesschau-App)
(Screenshot: tagesschau-App)

So bietet etwa die Information, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble an seiner „schwarzen Null“ weiter festhält und das auch mit dem nächsten Haushaltsentwurf so festschreiben will, meiner Meinung nach wenig Eilbedürftigkeit.

Auch, wer Nachfolger des umstrittenen Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst wird, halte ich nur für von regionaler Bedeutung. Schließlich war es nicht das Amt selbst, dessen Besetzung interessiert, sondern die Person. Mit ihrem Abgang ist die Nachfolgefrage meines Erachtens für eine Eilmeldung weit überschätzt.

(Screenshot: SZ-App)
(Screenshot: SZ-App)

Es liegt im Wesen von Eilmeldungen, dass sie über herausgehobene Ereignisse möglichst schnell informieren. Wer einmal weiß, was passiert ist, hat somit die Möglichkeit, live an der Entwicklung dranzubleiben. Wenig sinnvoll ist es meines Erachtens dagegen, wenn zu einem bekannten Ereignis im Stundentakt Details nachgereicht werden, die keine eigene Eilmeldung mehr hergeben sollten.

Eilmeldungen sollten meiner Meinung nach eine relativ hohe Relevanzschwelle überspringen müssen, geleitet von der Frage, welche Ereignisse es wirklich wert sind, den Nutzer innerhalb kurzer Zeit und damit zwischen den Momenten, in denen er sich ohnehin über das Nachrichtengeschehen informiert, auf dem Laufenden zu halten.

Da hilft es dann auch nicht, wenn Spiegel online über seinen Twitter-Account @SPIEGEL_EIL nicht nur Eilmeldungen raushaut, sondern auch Kommentare, die der Einordnung und dem Hintergrund dienen.

Nachrichtenredakteur Udo Stiehl hat die Sache schon vor drei Jahren auf den Punkt gebracht:

Der inzwischen weit verbreitete Reflex in Redaktionen, nahezu jede Eilmeldung unverzüglich als wichtiges und weltbewegendes Ereignis weiterzureichen, dürfte auf Dauer aber zu einem Bumerang werden. Eilmeldungen, die ihren Namen nicht verdienen, werden Leser, Zuschauer und Hörer noch gleichgültiger werden lassen. Das kann niemand ernsthaft wollen. Die Aufgabe einer Redaktion ist es auch heute noch, vorzusortieren nach journalistischen Kriterien. Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Insbesondere in Zeiten, in denen Informationen und solche die es gerne wären, in nie da gewesenen Mengen kursieren.

Seitdem hat sich die Situation angesichts noch mehr Nachrichten-Apps meiner Meinung nach allerdings eher verschlimmert. Wie Udo schreibt, freuen sich manche Redaktionen über jedes Thema, das auch nur annähernd dazu geeignet ist, ein rotes Laufband oder eine rote Binde ins Fernsehbild, auf die Webseite oder in die App einzubinden. Die Orientierung der Nutzer geht damit verloren, wenn die Meldung tatsächlich wenig hergibt.

Freilich haben Nutzer auch ein Problem mit Orientierung, wenn Meldungen über Gewalttaten ohne Einordnung daherkommen, wie Margarethe Stokowski im Sommer schrieb.

Eilmeldungen über Gewalttaten erzeugen selten Sicherheit, aber fast immer Eilgefühle. Unsicherheit. Verwirrung. Genervtheit. Trotzdem wollen wir sie lesen. (…) Wir wollen schnelle Infos und bedachte Analysen, sofort und mit Abstand, wir wollen alles gleichzeitig. Es geht nicht.

Sie bezog sich auf Eilmeldungen über Nizza, Würzburg, Ansbach, München. Das sind Nachrichten, die auch in meinen Augen eine besondere Eilbedürftigkeit haben, auch wenn wir die Nutzer damit zunächst ratlos zurücklassen. Aber zugleich Einordnung liefern, wie sie sofort gefordert wird, können wir nicht. Ein Dilemma.

Trotzdem wäre es gut, würden Journalisten, wenn eine Eilmeldung von Nachrichtenagenturen kommt, zunächst mal durchatmen würden und überlegen: Ist die Meldung wichtig? Ist die Quellenlage gut genug? Ist die Meldung eilig? Und wenn ja, wie eilig? Und erst dann entscheiden, ob sie wirklich den Nutzern dient oder doch eher dem geforderten Ausstoß an Eilmeldungen, ganz gleich, was passiert?