Lieber falsch reagieren als gar nicht

(Grafik: FDP)
(Grafik: FDP)

Wann hat die FDP sich dazu entschlossen, die Sondierungsgespräche mit CDU, CSU und Grünen abzubrechen?

Seit heute Morgen wabern Gerüchte umher, die sich so zusammenfassen lassen: Die FDP habe schon seit Tagen vorgehabt, die Gespräche zu beenden, trotzdem weiterverhandelt (und die Verhandlungen mehrmals verlängert) und nur auf einen medienwirksamen Zeitpunkt für das Aus gewartet. Als Beleg dafür herangezogen wird ein Tweet, den die FDP kurz nach der Ankündigung von FDP-Chef Christian Lindner abgesetzt hat.

(Quelle: https://twitter.com/fdp/status/932386302414262272)

Um 0.13 Uhr wurde die Grafik getwittert. Der Spruch basiert auf eine mZitat von Lindner, das die Nachrichtenagentur dpa um 23.56 Uhr verschickt hat. Es lautet vollständig so:

Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.

Wer schon mal in einer Online-Redaktion oder mit Photoshop gearbeitet hat, weiß, dass es sehr gut geht, innerhalb von 17 Minuten ein Zitat auf ein Bild zu montieren, wie das Social-Media-Team des FDP auf entsprechende Kritik zurecht antwortet.

(Quelle: https://twitter.com/fdp/status/932396007635156993)

Und von der Geschwindigkeit mal abgesehen, ist es auch möglich, so etwas für den Fall der Fälle vorzubereiten. Dass Pressestelle bzw. Social-Media-Redaktion schon vorab wissen, welchen Text Lindner vortragen will, sollte nicht verwundern. Außerdem haben FDP-Politiker in den letzten Wochen immer wieder angekündigt, dass sie diese Koalition nicht um jeden Preis wollen. Eine vorausschauende Redaktion bereitet sich auf so etwas vor.

So ist es denn auch nicht verwunderlich, dass sich zu dem bei Facebook um 0.17 Uhr geposteten Bild der FDP diese Metadaten finden:

bildschirmfoto-2017-11-20-um-18-50-11Auch das angeblich ein Indiz dafür, dass der Abbruch schon länger geplant gewesen sei – in diesem Fall also am Donnerstag, dem 16. November 2017 (also am Tag vor dem für Freitag geplanten Ende der Gespräche). Als würde so ein Dateiname etwas aussagen.

Selbst wenn die Grafik am 16. November angelegt wurde: Vielleicht stand damals schon Lindners Stellungnahme, die er dann in der Nacht zum Montag herangezogen hat, um sie vorzutragen. Vielleicht stand auch schon die Alternative – für den Fall, dass die Gespräche erfolgreich abgeschlossen werden.* Und selbst wenn nicht, kann die Vorlage mit dem Datumskürzel am Donnerstag angelegt, das konkrete Zitat aber dann innerhalb der 17 Minuten nachgetragen worden sein.

Wie die FDP bei den Sondierungsgesprächen wirklich vorgegangen ist, weiß ich nicht. Die angeblichen Beweise taugen aber nicht, um ihr einen schon länger strategisch geplanten Abbruch der Gespräche vorzuwerfen.

 

* Und während ich diesen Text gerade fertigstelle, twittert die FDP genau die alternativen Kacheln hinterher, die ich eben erwähnt hatte.

(Quelle: https://twitter.com/fdp/status/932669493809205248)

(Ja, das kann die FDP auch erst heute Nachmittag zur eigenen Entlastung gebastelt haben. Aber weist das bitte erst mal nach, bevor Ihr rumkrakeelt.)

FDP-Generalsekretärin Nicola Beer hatte zudem vorher schon das hier getwittert:

(Quelle: https://twitter.com/nicolabeerfdp/status/932657193672953861)

Nachtrag, 21.30 Uhr: Der FDP-Politiker Volker Wissing hat im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärt, wie es zu den Grafiken gekommen ist:

Wir sind schnell in diesen Dingen, aber von langer Hand geplant war da nichts. Natürlich zeichnete sich schon am Donnerstag ab, dass das Ganze am seidenen Faden hing. Aber die Kacheln für Facebook haben wir gemeinsam am Sonntagabend in der baden-württembergischen Landesvertretung ausgewählt, als Merkel noch einmal mit den Grünen redete und klar wurde, dass die sich nicht mehr bewegen werden. Auch Lindners handgeschriebene Rede haben wir da gemeinsam formuliert. Die Tinte war noch frisch, als er vor die Kameras gegangen ist.

Auch Wissing sagt also, dass die Kacheln schon vorbereitet waren und am Sonntag nur noch die Auswahl getroffen wurde.

 

Anmerkung (20.05.2018): Wegen der Datenschutzgrundverordnung habe ich Widgets, die sich ursprünglich im Text befanden, entfernt und sie teilweise durch Links ersetzt.

Fette und arme Zuschauer? ProSiebenSat.1-Chef Ebeling geht

Der Vorstandsvorsitzende von ProSiebenSat.1 verlässt vorzeitig seinen Posten. Thomas Ebeling war mit abfälligen Bemerkungen über seine Zielgruppe in die Kritik geraten. Doch Thomas Lückerath vom Branchendienst DWDL sagte im Gespräch mit dem Dlf, das sei nur „der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte“. Mein Interview mit DWDL.de-Chefredakteur Thomas Lückerath in @mediasres im Deutschlandfunk.

Remscheider General-Anzeiger schließt sich Kampagne gegen Öffentlich-Rechtliche an

Der Remscheider General-Anzeiger reiht sich ein in die Reihe der Medien, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk diffamieren. In einem Artikel heißt es in der Überschrift ohne jegliche Distanzierung, so als gebe es ihn:

rgaDer Autor Axel Richter schreibt in dem Artikel, der nicht als Meinungsstück gekennzeichnet ist, gleich zu Beginn:

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gerät unter Druck. Zwar betonen seine Fürsprecher nahezu mantrahaft, was für ein hohes und bewahrenswertes Gut er darstelle, so dass der Zuhörer leicht den Eindruck gewinnt, das Volk der Deutschen falle erneut der Barbarei anheim, wenn ihnen ARD, ZDF und Co. nicht weiterhin den Weg zu Demokratie und Frieden weisen. Doch gerade die Bevormundung, die daraus spricht, bringt den gebührenfinanzierten Funk- und Fernsehmachern Kritik ein.

Die Polemik, die aus der Barbarei-Passage spricht, ist dabei typisch für die Art und Weise, wie mittlerweile aus manchen Zeitungsredaktionen mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk umgehen. Genau dagegen richtete sich der Brief der Redakteursausschüsse von ARD, ZDF und Deutschlandradio von Anfang November.

Und Richter macht dann gleich noch einen Appell eines CDU-Politikers öffentlich, der den Verleger des Remscheider General-Anzeigers geradezu zu einer Kampagne auffordert:

„Schreiben Sie gegen die Steuereintreiber von ARD und ZDF an“, forderte Henner Blecher, Unternehmer und einstiger Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung (MIT) in der CDU Remscheid, am Dienstagabend. Und MIT-Mitglied Ralf Wieber stimmte ein: „Ich will endlich selbst entscheiden, wofür ich bezahle.“

Hat geklappt, der Artikel macht sich diese Haltung zueigen. Dass er weiterhin die Stärken der Zeitung lobt – geschenkt. Dass er ausgerechnet die Frankfurter Allgemeine Zeitung zu einem Kronzeugen gegen die Öffentlich-Rechtlichen macht, ist einerseits traurig, andererseits angesichts deren Entwicklung nicht überraschend. Dass die Politiker in den Sendergremien den Anstalten „die Gründung immer neuer Spartenkanäle“ nicht verweigern würden, ignoriert darüber hinaus Fakten. Schließlich haben ARD und ZDF zugunsten des Jugendangebots „Funk“ zwei ihrer Spartensender dichtgemacht.

Lobbyismus schön und gut. Selbstverständlich haben die Zeitungen ihre Interessen, die in Konflikten mit denen der Sender stehen. Dafür aber journalistische Grundsätze wie die einer möglichst neutralen und wahrheitsgemäßen Berichterstattung aufzugeben, kann weder im Sinne der Zeitung noch im der ihrer Leser sein.

Konsequenterweise lobt sich die Zeitung am Ende über einen Mittelsmann noch selbst:

Michael Boll verwies auf die kritische Berichterstattung, die im RGA bereits erschienen ist. Doch die Zeitung solle darin nicht nachlassen, forderten die Unternehmer: „Die Menschen sind längst mündig genug, selbst zu entscheiden, welche Medieninhalte sie konsumieren möchten.“

Die Macher der Zeitung sollten aufpassen, dass diese Aufforderung nicht nach hinten losgeht.

Hm…

Was will uns Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt nun mit dem Wort „Beamte“ in diesem Zusammenhang sagen?

(Quelle: https://twitter.com/ulfposh/status/931150169634164736)

 

Anmerkung (20.05.2018): Wegen der Datenschutzgrundverordnung habe ich Widgets, die sich ursprünglich im Text befanden, entfernt und sie teilweise durch Links ersetzt.

Vertrauliche Gespräche: Geheimdienst zu Auskunft verpflichtet

Hat der Bundesnachrichtendienst gezielt Informationen an einzelne Journalisten gestreut? Nach einem Eilbeschluss des Bundesverwaltungsgerichts muss er darüber Auskunft erteilen. Der Fall rückt vertrauliche Gespräche zwischen Journalisten und Politikern in den Fokus – auch die von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Darüber habe ich heute für @mediasres im Deutschlandfunk berichtet.

SZ lässt Angriffe auf öffentlich-rechtlichen Rundfunk einordnen

Ich verstehe es nicht ganz. Die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht löblicherweise einen Gastbeitrag des Historikers Norbert Frei, der ausführlich darlegt, warum sich das Mediensystem in Deutschland so entwickelt hat wie es heute ist: mit dem Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunksendern sowie privaten Zeitungen. Frei äußert darin deutlich Kritik daran, wie BDZV-Präsident Mathias Döpfner die Begriffe Staatspresse und Staatsfunk benutzt

Mit Begriffen, die an das Vokabular der AfD erinnern, hat er der ARD den Krieg erklärt, weil sich deren Nachrichtenangebot im Netz nicht allein auf bewegte Bilder beschränkt. Die „Flut textbasierter Gratis-Angebote“ der Öffentlich-Rechtlichen sei nichts anderes als „gebührenfinanzierte Staats-Presse“.

Und dann überschreibt die SZ ihren Artikel aber genau mit einem solchen Begriff.

bildschirmfoto-2017-11-11-um-10-22-19Der hat offenbar schon genug Hinguckerpotential, auch wenn der ganze Artikel eigentlich das Gegenteil behauptet. Das zeigt, wie notwendig es war, dass mein Kollege Udo Stiehl neulich noch vor dem Framing solcher Begriffe gewarnt hat.

Der Gegenangriff von Döpfner gegen die öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse hat übrigens funktioniert. Auch Frei ist auf Döpfners falsche Behauptung reingefallen, er habe doch immer nur im Irrealis gesprochen. Hat er nicht.

Ex-US-Rundfunkregulierer fordert mehr Transparenz von sozialen Netzwerken

Der ehemalige Präsident der obersten Medienregulierungsbehörde der USA, Tom Wheeler, fordert mehr Transparenz von sozialen Netzwerken. Auf der Konferenz „Formate des Politischen“ in Berlin, die vom Deutschlandfunk, der Bundeszentrale für politische Bildung und der Bundespressekonferenz ausgerichtet wurde, plädierte Wheeler dafür, dass Anbieter ihre Programmierschnittstellen offenlegen sollten. Damit blieben die eigentlichen Algorithmen der Unternehmen weiterhin geschützt, Informationen über Reichweiten, virale Trends oder Löschung von Inhalten wären aber zugänglich. Wheeler befürchtet, dass über die Netzwerke andernfalls weiter Propaganda, Hate Speech und Falschnachrichten verbreitet würden und damit die Demokratie in Gefahr gerät. Darüber habe ich im Deutschlandfunk und in Deutschlandfunk Kultur erzählt.

Wheeler war unter US-Präsident Barack Obama Vorsitzender der FCC, der Federal Communications Commission, die den Rundfunk reguliert. Weil es sich um eine politische Behörde handelt, wurde er mit dem Regierungswechsel von Obamas Nachfolger Donald Trump abgesetzt.

Eine weitere Zusammenfassung von Wheelers Vortrag gibt es hier, seine ganze Rede zum Nachschauen hier:

 

Redakteure erwarten Döpfners Gesprächsangebot „offen und gespannt“

In der Brieffreundschaft zwischen der Arbeitsgemeinschaft der Redakteursausschüsse von ARD, ZDF und Deutschlandradio (AGRA) einerseits und dem Präsidenten des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Mathias Döpfner, geht es weiter. Nach dem ersten Brief der AGRA und Döpfners Antwort hat die AGRA jetzt noch mal geschrieben. Hier der Offene Brief im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrter Herr Döpfner,
wir bedanken uns für Ihren Offenen Brief als Reaktion auf die Frankfurter Erklärung der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse.

Betonen möchten wir, dass die Erklärung unserer Herbsttagung ausdrücklich an die Kolleginnen und Kollegen in den deutschen
Zeitungsredaktionen gerichtet war – also auf Arbeitsebene.

Anlass unserer Erklärung war die Kampagne, die einige Print-Medien aus unserer Sicht unberechtigterweise seit Monaten gegen die öffentlich-rechtlichen Sender führen.

Medienpolitische Strategiediskussionen, die Sie unmittelbar daraus ableiten, werden – wie Sie in Ihrem Schreiben anführen – von Ihnen seit geraumer Zeit auf anderer Ebene mit den Rundfunkanstalten geführt. Dort gehören Sie unserer Meinung nach auch hin.

Uns ging es vor allem darum, als Journalistinnen und Journalisten von öffentlich-rechtlichen Sendern die Bezeichnung „Staatsfunk“ entschieden zurückzuweisen.

Ihr „persönliches und öffentliches“ Gesprächsangebot haben wir zur Kenntnis genommen, sind nach wie vor offen und gespannt, welchen Rahmen Sie dafür wählen wollen.

Mit freundlichen Grüßen

Für die Arbeitsgemeinschaft öffentlich-rechtlicher Redakteursausschüsse

Gabriela Mirkovic
Hubert Krech
Heike Bade