In Schleswig-Holstein ist gegebenenfalls jemand zurückgetreten. Weiß man aber nicht so genau. Können wir aber schon mal melden.

Ist der Innenminister von Schleswig-Holstein jetzt eigentlich noch Mitglied der Landesregierung? Man würde es gerne wissen, jetzt, wo die Frage im Raum steht.

Aber der „Spiegel“ zeigt mal wieder, dass es gar nicht so leicht ist, das genau herauszufinden, denn wie fast immer bei einem Rücktritt machen Journalist*innen nicht unbedingt klar, wie eigentlich der Stand der Dinge ist.

In seiner Eilmeldung (von mir abgerufen um 14.40 Uhr, beim Klicken wahrscheinlich schon aktualisiert) stehen drei Informationen, die nicht alle gleichzeitig richtig sein können:

  1. bietet Rücktritt an
  2. hat Rücktritt eingereicht
  3. ist zurückgetreten

Im Text heißt es:

Hat Grote seinen Rücktritt nur informell angeboten? Hat er ihn formell eingereicht? Braucht er überhaupt die Zustimmung des Ministerpräsidenten, um aus dem Amt zu gehen? Würde er unter Umständen im Amt bleiben? Ist er doch zurückgetreten und schon raus?

Ich weiß es nicht – und die Meldung hilft mir auch nicht weiter.

Die Kunst des guten Interviews (14): Blinde Flecke

In meiner Sendung über „Die Kunst des guten Interviews“ habe ich mich vor allem auf das Handwerk konzentriert und wenig über Inhalte gesprochen. Natürlich kann man Interviews aber auch auf inhaltliche Aspekte hin auswerten – und sollte das natürlich auch tun, denn Interviewer wählen ja nicht per se die richtigen, entscheidenden Fragen, reagieren im Gespräch nicht angemessen auf ihre Interviewpartner usw.

Im Jahr 2018 hat das Boris Rosenkranz von Übermedien getan, als er sich ansah, worüber in den damaligen Sommerinterviews eigentlich geredet wurde.

Die Kunst des guten Interviews (13): Wie Moderatoren gegen Framing vorgehen

Politiker versuchen, ihre Themen auch durch Begriffe zu besetzen. Wer die sprachliche Hoheit über ein Thema erlangt, kann auch die Inhalte leichter bestimmen. Ganz besonders deutlich wird das in PR-Begriffen wie „Gute-Kita-Gesetz“ oder „Widerspruchslösung“, mit der Bundesfamilienministerin Franziska Giffey ihrem Gesetz einen wohlklingenden Namen und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn aus seinem Plan zur Organspende gleich eine Lösung statt nur eine Regelung machten.

Auch in Interviews versuchen Politiker, solche Begriffe zu setzen. Dann bedarf es aufmerksamer Interviewer, um solche Begriffssetzungen deutlich zu machen und zu hinterfragen, wenn sie sich schon – da live – nicht verhindern können.

So sprach Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im Jahr 2018 in einem Interview von „Asyltourismus“ – und ZDF-Moderatorin Marietta Slomka hakte nach.

Zwar konnte Söder gleich wieder an sein Thema anschließen und ließ sich nicht darauf ein, sich für den Begriff zu rechtfertigen, aber Slomka konnte immerhin deutlich machen, dass Söder einen euphemistischen Begriff für eine oft tödliche Flucht nutzte.

Ähnlich ARD-Moderator Ingo Zamperoni in einem Interview mit der CDU-Politikerin Julia Klöckner, die auf seinen Einwand allerdings merkwürdig reagierte.

(ab Minute 8:16)

Auch diesen Aspekt habe ich in meiner Sendung über „Die Kunst des guten Interviews“ nicht mehr untergekriegt.

Die Kunst des guten Interviews (12): Wie Alexander Gauland mal blank lag

Warum nicht mal fragen, was sonst keiner fragt?

Im Sommer 2018 dachte sich das auch ZDF-Moderator Thomas Walde vor seinem Sommerinterview mit dem damaligen AfD-Chef Alexander Gauland. Eigentlich war es bis dahin üblich, dass Journalistinnen und Journalisten Politiker*innen nur nach den Themen fragen, die die Partei von sich aus besetzt. Bei der AfD waren das vor allem die Flüchtlingspolitik und der Umgang mit allem, was die AfD nicht als deutsch definiert.

Walde hat das im Sommer 2018 anders gemacht – und Gauland nicht nur danach gefragt, sondern auch nach allen möglichen anderen Themen. Und Gauland war blank.

Ein sehenswertes Interview, das eigentlich nur mit einem simplen Trick arbeitet: nach den Leerstellen zu fragen.

Ein Interview, das in meiner Sendung über „Die Kunst des guten Interviews“ leider keine Platz mehr gefunden hat.

Die Kunst des guten Interviews (11): Als sich ein Fußballer mal selbst interviewte

Ich bin noch auf ein amüsantes kleines Interview gestoßen, das überhaupt nicht zu meinem eigentlichen Thema gepasst habe, das ich aber nicht vorenthalten möchte. Eigentlich ist es kein Interviewer im Sinne von Mark Twain, wie ihn mal ORF-Moderator Armin Wolf zitierte, demzufolge es für ein Interview einen Interviewer und einen Interviewten gibt.

In diesem Fall gibt es nur einen, der beides zusammen erledigt. Auf diese unterhaltsame Weise führt Eintracht-Frankfurt-Spieler Danny Da Costa 2018 die einfältigen Fragen der Sportreporter vor.

Die Kunst des guten Interviews (10): Wie Roger Willemsen mal Helmut Markwort in die Ecke trieb

Eigentlich hätte in eine Sendung über das Interview auch das legendäre von Roger Willemsen mit dem damaligen Focus-Chefredakteur Helmut Markwort gehört. Aber ich musste mich auf das politische Interview fokussieren, sonst hätte ich meine Punkte dazu gar nicht unterbekommen.

Trotzdem will ich auf das Markwort-Interview hinweisen, das sehr unterhaltsam ist. Willemsen hat es 1995 in seiner ZDF-Sendung „Willemsens Woche“ geführt, zum zweiten Geburtstag des „Focus“ – und er hat Markwort ziemlich schlagfertig und sehr witzig attackiert.

Im Verlauf des Interviews führt Willemsen zum Beispiel einen dieser soften Sexfilme vor, in dem Markwort mal mitgespielt hat. Willemsen hält Markwort ein Schmähgedicht gegen den „Spiegel“ vor, das dieser mal gesungen habe, wirft ihm vor, dass der „Focus“ erst sehr spät über Chemieunfälle bei Höchst berichtet habe, und weist auf ein Plagiat hin.

Artikel für Artikel geht Willemsen in einer sehr dichten Taktung durch. Markwort schlägt sich wacker, geht aber trotzdem etwas beschädigt aus dem Gespräch hervor.

Die Kunst des guten Interviews (9): Wie ein Befragter einfach schwieg

Wie das immer so ist: Bei der Recherche zu einem Thema muss man vieles, was man gefunden hat, beiseite lassen muss, obwohl es spannend ist. Denn auch 47 Minuten Sendezeit sind schnell voll, und man will und kann so eine Sendung nur begrenzt mit Geschichten am Rande füllen, weil sie zwar interessant sind, aber nicht zum Kern des Themas beitragen und dafür dann doch zu viel Zeit brauchen.

Deswegen will ich ab heute noch auf ein paar interessante Gespräche hinweisen, die ich nicht mehr habe unterbringen können. Interessante Fragestellungen, interessante Antworten von Interviewgästen.

Zum Anfang mal ein paar Nicht-Antworten.

1969 war der Boxer Norbert Grupe zu Gast im ZDF-Sportstudio. Wikipedia schreibt dazu:

Als legendär gilt sein Auftritt am 21. Juni 1969 im Aktuellen Sportstudio des ZDF nach seiner Niederlage in der dritten Runde gegen Óscar Bonavena, als Grupe im Laufe des Interviews auf Fragen des Moderators Rainer Günzler nicht mehr antwortete. Hintergrund war ein vorangegangener Beitrag Günzlers für die ZDF-Sendung Der Sport-Spiegel, in dem sich Günzler kritisch mit den sportlichen Leistungen Grupes auseinandersetzte und sich eher abfällig zu Grupes manchmal skurrilen Auftritten in der Öffentlichkeit ausließ. Daraufhin soll Grupe vor Freunden geschworen haben: „Das kriegt der zurück!“ Wegen dieses Verhaltens wurde er vom Bund Deutscher Berufsboxer mit einer lebenslangen Sperre belegt, gegen die er erfolgreich juristisch vorging.

Tatsächlich antwortet Grupe nur auf die ersten beiden Fragen und schweigt dann konsequent.

Transkription:

Moderator: „Wie fühlen Sie sich nach den fünf Niederschlägen von gestern Abend?“

Grupe: „… gestern Abend, ne?

Moderator: „Ja, gestern Abend. – Wie geht’s Ihnen denn, gut?“

Grupe: „Heute geht’s mir gut.“

Moderator: „Gut. Sie haben sich bei irgendeinem Niederschlag den Knöchel verletzt. Sind Sie umgekippt?“

Grupe schweigt

Moderator: „Er ist umgekippt. Ich weiß es, er hat’s mir vorher erzählt. Sagen Sie mir: Hatten Sie schon vor dem Kampf den Eindruck, dass Sie hier einem stärkeren Gegner gegenüberstehen? Kann man das als Mut bezeichnen, dass Sie gegen Oskar Bonavena gekämpft haben oder war das die Vorstufe, das, was man über Sie las, dass Sie jetzt die Handschuhe an den Nagel hängen wollen?“

Grupe schweigt

Moderator: „Ich fand Sie in der zweiten Runde besser, muss ich Ihnen sagen, als jetzt im Augenblick. Ich fand Sie echt besser, denn da taten Sie was, und jetzt schweigen Sie. Warum schweigen Sie?“

Grupe schweigt

Moderator: „Ihr Lächeln ist ja auch ganz hübsch. Also machen wir eine andere Frage, wenn Sie auf die nicht antworten wollen. War vielleicht der Gewichtsunterschied zu groß, 18 Pfund?“

Grupe schweigt

Moderator: „Auch nicht. Gewichtsunterschied war also auch nicht zu groß. Dann gestatten Sie mir vielleicht noch eine weitere Frage, ich hoffe auf eine Antwort. Was machen Sie demnächst, boxen Sie weiter, gehen Sie nach Amerika, werden Sie wieder Schauspieler oder wie sieht’s aus?“

Grupe schweigt

Moderator: „Auch nicht. Ich bedanke mich für dieses Gespräch. Es war reizend.“

Grupe: „Ich mich auch, es war sehr aufschlussreich und es freut mich, dass Sie nach wie vor den Boxsport mit freundlichen Augen und Worten gegenüberstehen.“

Moderator: „Bitteschön, deswegen haben wir ja ja heute Abend auch einen großen Teil unserer Sendezeit dem Boxsport gewidmet, das war der Grund.“

Das muss man auch erst mal durchhalten – als Interviewgast, aber auch als Interviewer, der m.E. das Beste aus der Situation gemacht hat.

Die Kunst des guten Interviews (8): Wie die FPÖ zum Großangriff auf den ORF blies

Die rechtspopulistische FPÖ hat den öffentlich-rechtlichen ORF in Österreich schon länger im Visier. Parteipolitiker sind vor allem mit dessen kritischer Berichterstattung nicht einverstanden, was nicht wundert bei einer Partei, die immer wieder mit rechtsextremen Politikern auffällt, gegen die sich die Spitze nur halbherzig wehrt.

Im Frühjahr 2019 hatte sich die FPÖ-Spitze gerade wieder mal von einem rassistischen Politiker in den eigenen Reihen distanziert. Es ging um ein rassistisches Gedicht eines lokalen Funktionärs.

Kurz darauf war FPÖ-Generalsekretär Harald Vilismky zu Gast in der abendlichen Nachrichtensendung ZiB 2. Moderator Armin Wolf wollte Vilimsky daher fragen, wie er zu einem rassistischen Plakat der FPÖ-Jugendorganisation aus der Steiermark steht. Das Plakat ist noch heute, ein Jahr später, auf der Webseite der Organisation zu finden.

Vilimsky distanzierte sich allerdings nicht, sondern ging zum Gegenangriff über.

 

Hier Ausschnitte als Transkription:

Harald Vilimsky: „Diese Geschichte ist in der Steiermark ein Jahr bekannt, niemand in der Steiermark, im Landtag regt das auf. Wir können aber auch heute bei einer Diskussion über europapolitische Fragen mit dieser Gschichten die Zeit verwenden…“

Armin Wolf: „Es steht heute noch…“

Vilimsky: „…genauso wie Sie das letzte Mal Sie nur versuchen, irgendwo dieser Regierung Schaden zuzufügen.“

Wolf: „Herr Vilimsky…“

Vilimsky: „Und ich weiß das auch, dass Sie auf Twitter, in den sozialen Netzwerken permanent Stimmung gegen uns machen. Das sei Ihnen auch unbenommen. Ich sag nur, für einen ORF-Moderator ist das nicht das Beste.“

Wolf bestand darauf, dass Vilimsky die Frage beantwortete. Um das Rassistische des Plakats zu verdeutlichen, ließ er zum Vergleich eine antisemitische Karikatur des NS-Blatts „Der Stürmer“ einblenden, woraufhin Vilimsky neue Vorwürfe erhob.

Harald Vilimsky: „Also hier diese Parallelität zu ziehen, Herr Wolf, ist also allerletzte Schublade. Indem Sie hier vom ‚Stürmer‘ hier ein Bild nehmen, das gegenüber dem Jugendplakat gegenüberstellen und den Eindruck erwecken, dass wir in der Nähe des Nationalsozialismus…“

Armin Wolf: „Nein, ich…“

Vilimsky: „…waren, ist etwas, das nicht ohne Folgen bleiben kann.“

Wolf: „Ich wüsste nur gerne… Für die FPÖ in der… oder für die Jugendorganisation in der Steiermark, nehme ich an, oder?“

Vilimsky: „Es ist seit einem Jahr bekannt, niemand in der Steiermark regt sich auf.“

Wolf: „Sie regen sich auch nicht auf?“

Vilimsky: „Es ist offensichtlich… bei europapolitischen…“

Wolf: „Es stört Sie nicht?“

Vilimsky: „Ich würd’s nicht so machen, aber Sie laden mich hier ein anlässlich der Präsentation unserer Europa-Kampagne und kommen mir mit solchen Sachen, mit einer Gegenüberstellung des Stürmer, das ist überhaupt etwas, das ich noch nicht erlebt hab im ORF. Es hat eine Qualität, die nach unten offen ist. Es ist jenseitig, Herr Wolf, was Sie da machen.“

Wolf: „Ich frag sie deshalb, weil Sie Generalsekretär der FPÖ sind…“

Vilimsky: „Ja.“

Wolf: „…und Sie als Generalsekretär auch der Spitzenkandidat sind.“

Vilimsky: „Ja, was sehen Sie Verwerfliches? Sagen Sie es mir. Was ist für Sie das Verwerfliche daran?“

Wolf: „Ich sehe hier… Ich sehe hier eine Darstellung von offenbar ausländisch gedachten Menschen, die sehr ähnlich aussieht wie die optische Darstellung im Stürmer damals von Juden.“

Vilimsky: „Ja, das halt ich derart geschmacklos, ich halte das für skandalös…“

Wolf: „Ja, ich halte das auch für geschmacklos.“

Vilimsky: „Ja, hier diese Unterstellung zu machen. Das ist ein Jahr alt.“

Wolf: „Macht es das besser?“

Vilimsky: „Sie kommen heute damit, als wäre das irgendeine Geschichte, die jetzt neu gekommen wäre. Die niemand enerviert hat, ja. Die Sie jetzt einen Monat vor der EU-Wahl versuchen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hochzuziehen und zu skandalisieren. Ich halte das für einen Skandal der Sonderklasse.“

Als Harald Vilimskys damit droht, das könne nicht ohne Folgen bleiben, lässt Moderator Armin Wolf den Angriff an sich abperlen und bezieht ihn auf das rassistische Plakat.

In meiner Sendung über „Die Kunst des guten Interviews“ sagt Armin Wolf dazu:

„Also ich wusste natürlich, dass Vilimsky das anders meint und meinte, es könnte nicht ohne Folgen für mich bleiben. Das war mir schon klar, so gut kenne ich Herrn Vilimsky, und ich hab ja nun wirklich oft genug in den letzten 17 Jahren FPÖ-Politiker interviewt.“

Deshalb rechnet Wolf auch immer wieder mit derartigen Angriffen von FPÖ-Politikern, die den ORF grundsätzlich ablehnen und oft nur einen Anlass suchen, dessen Arbeit zu skandalisieren. Die Debatte nach dem Vilimsky-Interview 2019 war allerdings die heftigste zwischen FPÖ und ORF, die wochenlang Österreichs Medien und Politik beschäftigte, bis sie vom Korruptionsskandal um FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache mit dem Ibiza-Video abgelöst wurde, die Regierung zerbrach und die ORF-Reform zunächst nicht weiter verfolgt wurde.

Wolf hat in seinem Blog ausführlich beschrieben, welches seine Motivation hinter seinen Fragen war:

Wie glaubwürdig ist die Distanzierung vom rassistischen „Ratten“-Pamphlet, wenn eine FPÖ-Organisation gleichzeitig eine derart rassistische „Karikatur“ verwendet? Zum einen war „Braunau“ ganz klar das zentrale politische Thema des Tages. Zum anderen ist Harald Vilimsky nicht nur EU-Spitzenkandidat der FPÖ, sondern seit 13 Jahren auch ihr Generalsekretär, also für die gesamte Parteiarbeit verantwortlich.

Dort hat er auch Reaktionen gesammelt. Anschließend hat er auch in mehreren Interviews zum Thema Stellung genommen, unter anderem bei Phoenix.

Und auch für das ARD-Studio Wien.

Noch vor dem Interview war Armin Wolf im Februar 2019 zu Gast in der ORF1-Sendung „Willkommen in Österreich“, wo er über seine Interviewmethode plaudert.

Ausführlich über seinen Interviewstil gesprochen hat Armin Wolf auch in meiner o.g. Sendung.

Die Kunst des guten Interviews (7): Als Sigmar Gabriel auf 180 war

2013 wollte die SPD-Spitze ihre Parteimitglieder über den Koalitionsvertrag mit CDU und CSU abstimmen lassen. Parteichef Sigmar Gabriel stellte den Vertrag selbst auf Regionalkonferenzen vor.

Das ZDF-heute-journal schaltete zu einer dieser Konferenzen, und Moderatorin Marietta Slomka trug den Einwand von Verfassungsrechtlern an Gabriel heran, dass ein Mitgliederentscheid als eine Art zweite Bundestagswahl angesehen werden könnte, weil allein die Parteimitglieder über das Zustandekommen einer Koalition entscheiden würden.

Gabriel antwortete auf das Argument, Slomka aber hakte nach und bestand darauf, dass sich Gabriel erneut bzw. ausführlicher zu dem ihm entgegengehaltenen Argument äußert. Daraufhin wurde Gabriel teils ausfallend.

 

Die entscheidende erste Passage lautet so:

Sigmar Gabriel: „Und bei anderen Parteien, Frau Slomka, bei anderen Parteien, Frau Slomka, entscheiden kleine Gruppen, da entscheiden noch weniger Menschen über das Schicksal – in ihrer Argumentation – Deutschlands, und bei uns tut das eben immerhin 470.000 Mitglieder. Ich weiß nicht, warum das schlecht sein soll.“

Marietta Slomka: „Herr Gabriel, ich dachte… Ich dachte eigentlich, dass in Deutschland alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, und dass das Wahlvolk entscheidet.“

Gabriel: „Ja, was macht denn dann die CDU? Wie hat denn der Wähler nun entschieden? Er hat entschieden, Frau Merkel vertritt die stärkste Fraktion und die stärkste Partei. Aber der Wähler hat nicht entschieden, dass sie die absolute Mehrheit hat. Und nun gibt es Koalitionsverhandlungen, um zu klären, mit wem wird eine Mehrheit gebildet. Und in der CDU entscheidet darüber auch nicht die Wähler, sondern der Parteivorstand der CDU und der Parteivorstand der CSU. Das sind viel weniger Menschen als bei der SPD. Tun Sie mir den Gefallen, lassen Sie uns den Quatsch beenden, das hat doch mit der Wirklichkeit nix zu tun…“

Slomka: „Also, Herr Gabriel, dieser Quatsch, der wird von sehr ernsthaften…“

Gabriel: „Wir kriegen, wir kriegen…“

Slomka: „Dieser Quatsch wird von sehr ernsthaften Verfassungsrechtlern diskutiert…“

Gabriel: „Wir kriegen in zwei Wochen, wir kriegen…“

Slomka: „…und dem kann man sich dann auch mal stellen.“

Gabriel: „Ja. Das mach ich doch gerade.“

In meinem Feature über „Die Kunst des guten Interviews“ im Deutschlandfunk sagte Slomka über diese Szene:

„Das war in vieler Hinsicht eine interessante Gesprächssituation, die jetzt aber auch nicht beispielhaft ist. Die war schon sehr besonders. Es war eine besondere Situation, weil die SPD und ihr Parteichef unter hohem Druck standen und er auch ein bisschen so etwas wie einen externen Feind brauchte zur Integration der Binnengruppe. Es ist eine relativ einfache soziale Funktionsweise, und er hatte schon in der Halle auf diesem Parteitag, auf der Delegiertenkonferenz gegen die Medien geschimpft und auch jetzt dann auch schon mal erwähnt, und jetzt gleich würde er noch dem ZDF ein Interview geben, da würden schon auch wieder blöde Fragen gestellt. Sinngemäß. Das wusste ich aber zu dem Zeitpunkt nicht, das habe ich erst im Nachhinein erfahren. Das heißt, da war schon sehr viel Dampf im Kessel und der Wunsch, jemandem zu finden, gegen den man sich jetzt gemeinsam sozusagen solidarisieren kann. Der war also schon auf 180, als das Interview anfing.“

So kam es zu der anfangs zitierten Szene im Interview, setzte sich dann aber so fort:

Marietta Slomka: „Aber lassen Sie uns noch über etwas anderes reden. Wenn Sie Ihre Partei… Ja, Sie sagen jetzt, das ist Quatsch, das ist ne besondere Form der Argumentation. Aber wenn Sie Ihre Parteimitglieder so ernst nehmen…“

Sigmar Gabriel: „Ja, ich hab Ihnen versucht, Frau Slomka.“

Slomka: „Wenn Sie Ihre Parteimit…“

Gabriel: „Es wird ja nicht besser, wenn wir uns gegenseitig…“

Slomka: „Wenn Sie Ihre Parteimitglieder so ernst nehmen…“

Gabriel: „Es wird ja nicht besser, wenn wir uns gegenseitig so behandeln.“

Slomka: „Ich behandle Sie gar nicht schlecht, ich stelle Ihnen Fragen, die hab ich mir auch nicht ausgedacht, diese Kritik.“

Gabriel: „Ich nehme die Mitglieder SPD ernst, weil ich der Vorsitzende der SPD bin, und ich habe Ihnen Argumente… ich habe argumentiert, warum ich das nicht für sehr tragfähig habe, und ich kenne auch keinen Verfassungsrechtler, der sich dieser Debatte öffentlich stellt. Und deswegen sage ich: Das ist doch Quatsch. In anderen Ländern…“

Slomka: „Herr Professor Degenhardt schon und noch einige andere, die stehen ja auch heute alle in den Zeitungen…“

Gabriel: „In anderen Ländern… in anderen…“

Slomka: „Aber die interessante Frage ist doch, wenn Sie Ihre Parteimitglieder…“

Gabriel: „Frau Slomka, das stimmt nicht, was Sie sagen.“

Slomka: „Doch. Das können Sie nachlesen.“

Gabriel: „Es ist nicht das erste Mal, dass Sie in Interviews mit Sozialdemokraten nix anderes versuchen, als uns das Wort im Mund umzudrehen.“

Slomka: „Herr Gabriel, Sie werden mir jetzt bitte nichts unterstellen.“

Gabriel: „Gucken Sie ins Parteiengesetz… Gucken Sie… Doch, das machen Sie ja auch.“

Slomka: „Die Kritik, die ich genannt habe, steht in Zeitungen, von Professoren, die darüber diskutieren, und das ernst nehmen, ist das eigentlich okay.“

Gabriel: „Ja, ich doch auch.“

Slomka: „Man muss das nicht so sehen, aber man kann zumindest darüber diskutieren.“

Slomka wirkt im Interview sichtlich angefasst – und räumt das auch ein, auch sechs Jahre später:

„Ich war sauer, weil er mir Parteilichkeit unterstellt und sagte, wir wissen ja, wie sie mit SPD-Politikern umgehen. Das ist eine Unverschämtheit. Das hab ich ihm übel genommen. Das würde ich auch jederzeit so sagen, wenn er vor mir steht. Ich glaube, das würde er auch annehmen, die Kritik. Und das fand ich nicht in Ordnung, weil das geht mir dann auch an meine journalistische Ehre. Ich bin nicht parteipolitisch. Ich nehme nicht SPD-Politiker anders heran als Politiker anderer Parteien. Das ist einfach nicht wahr, und das weiß er eigentlich auch. Und das fand ich unlauter, und an der Stelle wurde ich dann wirklich auch sauer. (…) Was man aber natürlich eigentlich nicht werden soll, man soll natürlich professionell dann immer ganz ruhig bleiben. Aber wir sind ja auch nur Menschen, ja, und nicht nur die Interviewten, auch die Interviewer, und in der Situation war dann sehr viel Menschlichkeit auf beiden Seiten zu sehen. Das macht es wahrscheinlich auch so ungewöhnlich und hat deshalb so nachhaltig für Aufsehen gesorgt, dieses Gespräch.“

Homöopathieverband verkürzt Umfrage-Ergebnis so, dass es falsch wird

Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte behauptet, in einer Umfrage hätten sich 61 Prozent „der Deutschen“ dafür ausgesprochen, homöopathische Arzneimittel einzusetzen, um gegen die Lungenkrankheit Covid-19 vorzugehen.

Das ist falsch.

Und der Verband muss das wissen. Denn er hat die Umfrage dazu selbst in Auftrag gegeben. Deren Ergebnisse geben die Darstellung aber gar nicht her.

In der entsprechenden Pressemitteilung schreibt der Verband:

Fast zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland würde den Einsatz homöopathischer Arzneimittel zur Behandlung von Covid-19-Erkrankungen befürworten. (…)

Mehr als die Hälfte aller Befragten hat bereits Erfahrung mit einer homöopathischen Behandlung bei früheren Erkrankungen gemacht. Noch mehr, nämlich fast zwei Drittel aller Befragten, würden unter der Voraussetzung, dass es in der Vergangenheit schon positive Erfahrungen mit diesem Mittel gab, im Fall einer Erkrankung an Covid-19 eine homöopathische Behandlung für sich selbst oder ihnen nahestehenden Personen auf jeden Fall (26 %) oder eher (34 %) befürworten

Danach wurde aber in der Umfrage überhaupt nicht gefragt – zumindest nicht dem Umfragedesign (PDF) zufolge, das der Verband dankenswerterweise – aber irgendwie auch leichtfertig – der Pressemitteilung hinzugefügt hat. Dort steht nämlich die Fragestellung, aus der sich die o.g. Darstellung ableitet. Gefragt wurde nämlich folgendes – und Achtung: Die Fragestellung ist kompliziert, weil sie nämlich völlig hypothetisch ist.

Derzeit gibt es noch kein Mittel zur Behandlung schwerkranker Covid-19-Fälle. (…). Wenn es Hinweise darauf gäbe, dass in der Vergangenheit bei verschiedenen Epidemien in verschiedenen Regionen der Welt ein homöopathisches Mittel positive Wirkung gezeigt hat: Würden Sie dann eine Behandlung mit diesem Mittel für sich und Ihnen nahestehende Personen auf jeden Fall, eher, eher nicht oder auf keinen Fall befürworten?

Übersetzt heißt das: Wenn es ein wirkungsvolles Medikament gäbe, würden Sie es dann haben wollen?

(Mal davon abgesehen, dass sich homöopathisch und wirkungsvoll weitgehend ausschließen, weil Homöopathie nicht über den Placebo-Effekt hinausgeht.)

Es gibt aber kein wirkungsvolles Medikament. Die Frage ist also dermaßen hypothetisch, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll mit dem Irrsinn der Umfrage. Dass darauf nicht 100 Prozent mit Ja geantwortet haben, sollte eher verwundern – wer hätte etwas gegen ein wirkungsvolles Medikament?

In der Darstellung wird die Fragestellung übrigens so umformuliert:

(Quelle: https://www.presseportal.de/download/document/662513-20200414-forsa-ergebnisgrafiken-hom-opathiebeicovid19.pdf)

Daran schließt Frage 7 an – das ist die, die zu der irreführenden Überschrift der Pressemitteilung geführt hat:

Und würden Sie es auf jeden Fall, eher, eher nicht oder überhaupt nicht befürworten, wenn ein solches homöopathisches Mittel im Rahmen einer
staatlichen Maßnahme bei der Suche nach Maßnahmen gegen eine weitere, auch zukünftige Verbreitung des Corona-Virus testweise eingesetzt würde?

Darauf sollen 26 Prozent gesagt haben „auf jeden Fall“ und 35 Prozent „eher“, woraus sich die genannten 61 Prozent ergeben. Die haben aber mitnichten, wie die Überschrift sehr verkürzt formuliert, den Einsatz homöopathischer Arzneimittel befürwortet. Sie haben lediglich zugestimmt, dass

  1. ein bei anderen Epidemien erfolgreiches homöopathisches Mittel (das es nicht gibt)
  2. bei der Suche nach Maßnahmen gegen eine weitere Verbreitung des Corona-Virus (die im Feld Homöopathie hoffentlich überhaupt nicht betrieben wird)
  3. testweise eingesetzt würde (also höchstens mal ausprobiert).

Diese drei Bedingungen löscht die Überschrift aber komplett aus – mal davon abgesehen, dass es kein wirkungsvolles Medikament gegen Covid-19 gibt, erst recht kein homöopathisches. Hatte ich schon erwähnt, dass es kein wirkungsvolles Medikament gegen Covid-19 gibt, erst recht kein homöopathisches?

(Quelle: https://www.presseportal.de/download/document/662513-20200414-forsa-ergebnisgrafiken-hom-opathiebeicovid19.pdf)

Oder um es mit dem Kollegen Lars Wienand (durch den ich auf die Umfrage gestoßen bin) mal anders zu formulieren:

Aber warum sollte die Umfrage des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte wirkungsvoller sein als die Mittel, die er befürwortet? So gesehen ergibt alles wieder einen Sinn.