Entlarven oder ignorieren – was müssen die Öffentlich-Rechtlichen gegen Fake News tun?

Haben die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland eine besondere Aufgabe, etwas gegen Desinformation und Propaganda im Netz zu tun? Eine Frage, die man kontrovers diskutieren kann. Schließlich sind Medien in erster Linie dazu da, zu berichten, was passiert ist, und nicht, was nicht passiert ist. Ich finde diese Frage pauschal schwierig zu beantworten. Man könnte vermutlich seine ganzen Ressourcen darauf verwenden, um angebliche Nachrichten richtigzustellen.

Aber macht man damit nicht auch auf Meldungen aufmerksam, die besser gar nicht erst verbreitet würden? Patrick Gensing nennt es kontraproduktiv, jede dieser Meldungen in der 20-Uhr-Tagesschau vorzustellen.

Über das Thema haben auf der Republica diskutiert:

  • Ina Ruck, ARD-Korrespondentin in Russland, ehemals in den USA
  • Jan Schulte-Kellinghaus, rbb-Programmdirektor
  • Stefan Niggemeier, Übermedien
  • Patrick Gensing, Leiter Faktenfinder tagesschau.de
  • Anna-Mareike Krause, Head of Social Media, rbb

Moderation: Teresa Sickert

 

Nachrichten aus der Zukunft (2): „Die Augenzeugen übernehmen die Nachrichten“

Und dann bin ich auch noch auf eine Kulturpresseschau gestoßen, die ich im Jahr 2008 für hr2-kultur zusammengestellt habe. Als der Moderator eins meiner Themen anmoderiert, zögert er plötzlich einen Moment, weil er nicht weiß, wie er das wohl richtig aussprechen soll: „Twittern“.

So weit weg war Twitter damals und hatte sich noch längst nicht etabliert. Deswegen musste ich erst mal erklären, was „to tweet“ überhaupt heißt (an das Zeichentrickvögelchen Tweety erinnerte sich damals offenbar schon keiner mehr). „Twitter, das sind heute kleine Einträge in Weblogs, also in diesen Internet-Tagebüchern“, versuchte ich dem hr2-Hörer „dieses Internet“ nahezubringen.

Damals gab es noch keine Smartphones oder sie hatten sich jedenfalls noch nicht auf breiter Ebene durchgesetzt, man konnte Tweets noch per SMS absetzen, was sich besonders im Fall der Terroranschläge von Bombay gezeigt hat, von denen unzählige Nutzer getwittert haben. Das war auch der Anlass für den Bericht in der Süddeutschen Zeitung. Sie zitierte einen Journalisten vom „Guardian“ mit den Worten: „Die Augenzeugen übernehmen die Nachrichten“.

Allerdings glaubte SZ-Autor Niklas Hofmann nicht so wirklich daran, wie er schrieb, denn die Twitter-Nutzer berichteten ohnehin nur über das, worüber auch Journalisten berichteten – wie eben in Bombay. Das seien nur die Dinge, die in dicht besiedelten Regionen passierten, mit Internetanschluss. An den Orten jedoch, an denen die Welt wirklich ihre schwarzen Löcher besitze, da sehe es ganz anders aus – also aus den Kampfgebieten des Kongo, aus Darfur, Nordkorea oder Birma würden wohl auch in Zukunft selten Twitteralarme erklingen.

Viele Politiker nehmen (bei Twitter) Umfrageunternehmen wichtiger als große Konzerne

Soziale Netzwerke werden für Politiker immer wichtiger. Inzwischen haben 73 Prozent der Bundestagsabgeordneten einen eigenen Twitter-Account, haben Rainer Faus und Leonie Schulz von der Agentur pollytix strategic research zusammengestellt. In einem Gastbeitrag für den Hamburger Wahlbeobachter haben sie analysiert, wie sich die Abgeordneten auf Twitter informieren, das bedeutet vor allem: wem sie folgen.

Besonders interessant finde ich, welches die meistgefolgten Unternehmen sind. Und das sind nicht etwa die größten Konzerne Deutschlands, die zum Beispiel in Sachen Arbeitsplätze wichtig sind oder politisch großen Einfluss nehmen wie etwa Mercedes, Volkswagen oder Siemens. Unter den Top10 sind gleich drei Unternehmen, die Zahlen aus Meinungs- und Wahlforschung präsentieren, nämlich Infratest Dimap, Pollytix und YouGov.

Die Aussagekraft dieser Zahlen ist natürlich begrenzt, aber die starke Präsenz von Meinungsforschungsunternehmen zeigt, wie wichtig Politiker diese offensichtlich nehmen. Und das trotz all der methodischen Probleme, die solche Umfragen mit sich bringen.

Endet journalistische Arbeit am Twitter-Handle?

Seit dem Wochenende beharken sich Bild-Chefredakteur Julian Reichelt und ein paar Kollegen. Ist bei Reichelt nichts Neues und das allein nun keinen Blogpost wert. Interessant ist aber die Frage, um die es geht.

Im Kern lautet sie: Dürfen Journalisten Tweets mit umstrittenem oder sogar falschem Inhalt einfach so retweeten, ohne sie zu kommentieren?

Das ist natürlich keine juristische Frage, sondern eine ethische – oder sagen wir es etwas tiefer gehängt, eine Frage des journalistischen Handwerks. Die von Reichelt anders beantwortet wird als von seinen Gegnern in der Frage.

Es geht natürlich um Donald Trump und diesen Tweet:

Mindestens die Aussage

Crime in Germany is way up

ist ja ausweislich der polizeilichen Kriminalstatistik (mit all ihren Tücken) falsch, weil die Kriminalität auf dem niedrigsten Stand seit 25 Jahren ist. Also eine falsche Aussage – oder angesichts des Informationsstandes, die ein Präsident bei solche einer Aussage haben sollte: gelogen. Eine Aussage, die auch Reichelt retweetet hat – was ihm unter anderem die Kollegen vom Bildblog vorwerfen.

Tatsächlich ist das ja eine interessante Frage, die unser grundsätzliches Berufsverständnis betrifft: Leiten wir Botschaften von öffentlichen Akteuren einfach nur weiter oder ordnen wir sie ein?

In unserer täglichen Arbeit in unseren Medien sollte es selbstverständlich sein, dass wir kein reines „He said, she said“ betreiben und gegeneinanderstellen, sondern Aussagen einordnen und aufklären: Stimmt überhaupt, was Politiker A behauptet? Steht die Aussage von Politiker B im Widerspruch zu früheren Aussagen? Welche Position vertritt die Partei von Politiker C im Vergleich zu ihm? Ist die Position von Politiker D im Kreis derjenigen, die entscheiden, mehrheitsfähig? All das kann eine Einordnung sein, ohne dass man damit die ursprüngliche Aussage verfälscht. Aber nur weiterleiten – das ist die Aufgabe von PR-Agenturen und Pressesprechern.

Sollten diese Regeln aber nun auch für Journalisten auf Twitter gelten? Schließlich sind sie ja hier gerne „privat“ unterwegs, wie es in der Twitter-Bio oft heißt. Was natürlich eine Illusion ist, schließlich wird man als öffentliche Person auch in diesem Kontext so wahrgenommen. Und entsprechend twittern die meisten auch: in der Regel beruflich orientiert, mit Verweisen auf eigene Artikel und die von Kollegen, auf Recherche und in Diskussionen miteinander. Natürlich zahlt der Auftritt bei Twitter auch auf die eigene Marke ein.

Insofern ist die Frage nicht unberechtigt, ob man sich auch beim Twittern an journalistische Standards halten sollte. Ich halte es im Sinne der eigenen Glaubwürdigkeit für angebracht und bei manchen Inhalten, die man weiterleitet oder auf die man hinweist, auch notwendig. Mindestens zwangsläufig einseitige Äußerungen wie etwa von Politikern, Unternehmen und NGOs sollte man einordnen, vor allem, wenn sie umstrittenen Inhalts sind. Tweets von Donald Trump gehören unbedingt dazu.

Und der hier gemeinte Tweet mehr als andere, da Trump hier offensichtlich Lügen verbreitet. Wer so etwas unkommentiert retweetet, hilft dabei, diese Lüge weiterzuverbreiten. Wie schädlich sie für den demokratischen Diskurs und letztlich auch die Demokratie sind, ist an anderer Stelle schon ausführlich diskutiert worden.

Nichts anderes besagt die Kritik an Julian Reichelt. Dass er sich von Kritik bereits zensiert fühlt, ist freilich sein Problem. Spannend ist die zugrundeliegende Frage schon.

Das (un)zuverlässige Zitat

Über die Satireaktion der Titanic von Freitag ist schon viel geschrieben worden. Ja, es war Satire. Ja, das Ziel war wohl, aufzudecken, wie unseriös in manchen Redaktionen gearbeitet wird. Ja, das liegt nicht nur an den einzelnen Journalisten, sondern auch an Arbeitsverdichtung und personeller Unterbesetzung. Geschenkt.

Ich finde einen Aspekt entscheidend, der mich gerade noch in anderer Hinsicht beschäftigt: Es geht um das mitgelieferte Zitat, das Titanic-Redakteur Moritz Hürtgen bei seinem Tweet mitgeliefert hat.

Es kommt nämlich als Bildkachel daher. Eine mittlerweile ziemlich beliebte Form, ein Zitat zu vertwittern – beliebt nicht nur bei Journalisten, sondern auch bei PR- und Presse-Abteilungen. Mehr als das Zitat selbst wird dabei in der Regel nicht mitgeliefert, sondern einfach eine Aussage in die Welt gesetzt, die dann ihre Wirkung entfalten soll.

Versehen mit dem Logo des Hessischen Rundfunks (wenn auch als Fake erkennbar an der nicht existierenden Redaktion „Tagesgeschehen“) verbreitet die Kachel offenbar genug Glaubwürdigkeit, um zumindest ein paar Medien in die Irre zu führen.

Problematisch finde ich die Kacheln eher, weil sie populistische Aussagen unterstützen. Indem einfach besonders knallige, weil prägnante Zitate in die Welt gebracht werden – per Twitter, Facebook usw. – ohne journalistische Einordnung, machen sich Journalisten damit zu nichts anderem als eine Social-Media-Abteilung des Politikers oder der Partei. Doch dazu später mal mehr.

Wie Jens Spahn Journalisten triggert

Im Triggern von Journalisten macht Jens Spahn, inzwischen Bundesgesundheitsminister, keiner so schnell was vor.

Diesmal sind es zwei, drei Antworten aus einem Interview, das er der Neuen Zürcher Zeitung gegeben hat. Ich verkürze mal ein Zitat von ihm. In dem Interview sagt er zum Beispiel:

Ich bin mit dem Teil des Journalismus unzufrieden, der Zitate verkürzt und den Zusammenhang ausblendet.

Ach so, ja. Zusammenhang: Spahn antwortet auf die Frage, ob er mit „den Medien“ unzufrieden sei. Und als Beispiel für ein verkürztes Zitat… nee, das lest Ihr besser selber nach, damit ich da nichts aus dem Zusammenhang reiße.

Die interessantere Antwort, auf die viele angesprungen ist, ist aber die auf eine Frage, die gar nicht gestellt wurde. Da fragt die NZZ nämlich unter Bezugnahme auf die Zitatverkürzung:

Ist der öffentlichrechtliche Rundfunk besser?

Und Spahn antwortet u.a.:

Ein Beispiel: Es gibt Tweets von Redakteuren des öffentlichrechtlichen Rundfunks, die sind einfach nur politisch eindeutige Kommentare und sehr subjektiv. Da steht zur Absicherung drüber: privater Account. Soll ich jetzt auch immer sagen: «Das war Spahn privat»? Ich bin Mitglied der Regierung. Entsprechend werden Sie meine Zitate einsortieren. Die gleichen Massstäbe sollten für Journalisten gelten.

Das hat unter anderem unter Kollegen eine Reihe von Spekulationen ausgelöst, was Spahn eigentlich meint. Oder meinen könnte. Oder gesagt hat. Oder zwischen den Zeilen gesagt hat. Die FAZ formuliert trotzdem sehr deutlich:

Auch forderte er von Journalisten der Öffentlich-Rechtlichen Zurückhaltung auf Twitter.

DJV-Chef Frank Überall sagt:

Die von Herrn Spahn gewünschte Zurückhaltung ist nichts anderes als politisch verordnete Selbstzensur.

Der DJV hat aber offenbar auch nur den FAZ-Artikel gelesen, in dem er selbst zitiert wird. Ich fragte per Twitter:

Ich finde diese Forderung in Spahns Aussagen nicht. Könnt Ihr mir helfen?

Der DJV antwortete:

„Er fordert Zurückhaltung von Journalisten öffentlich-rechtlicher Medien bei privaten Meinungsäußerungen in Sozialen Netzwerken.“ (FAZ) Für uns ist das eine Aufforderung zur Selbstzensur. Für Sie nicht?

Meedia schreibt:

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn fordert Journalisten auf, im Netz weniger private Meinungen zu äußern.

Auch bei Twitter interpretieren ihn viele so.

Mal davon abgesehen, dass Spahns Antwort auf die ihm gestellte Frage keinerlei Sinn ergibt: Ich lese aus seinen Äußerungen weder, dass er direkt, noch, dass er indirekt fordert, dass Journalisten sich auf Twitter zurückhalten sollten oder dass sie dort gar ihre Meinungsfreiheit einschränken sollten. Er möchte lediglich, dass die Regeln, die für ihn gelten, auch für Journalisten gelten – nämlich dass all ihre Äußerungen, wo auch immer, ob bei Twitter oder in Berichten, auch ihnen als Journalisten zugerechnet werden. Es solle keine unterschiedlichen Maßstäbe geben, ob sie sich hier oder da geäußert haben.

Zugegeben, ganz eindeutig kann ich das auch nicht sagen. Denn alle drei Fragen und Antworten zum Thema Medien in diesem Interview sind etwas wirr, weil sie sich nicht logisch aufeinander beziehen. Das macht es so leicht, hineinzulesen, was man hineinlesen möchte. Von einer Forderung, die verurteilenswert wäre, lese ich da aber nichts.

Insofern sind viele von uns Journalisten mal wieder auf ihn reingefallen. Jens Spahn weiß halt, wie er uns triggern kann. Er ist uns voraus. Und führt die Journalisten von FAZ und Meedia vor, die fast genau das gemacht haben, was er im NZZ-Interview bemängelt hat:

Ich bin mit dem Teil des Journalismus unzufrieden, der Zitate verkürzt und den Zusammenhang ausblendet.

Chapeau!


Nachtrag (5. April, 16.45 Uhr): Meedia hat das Thema noch mal weitergedreht.

Spahns Aussage interpretiert Autor Alexander Becker so:

Fasst man den Absatz zusammen, steht da: Jens Spahn stört sich am Twitter-Verhalten öffentlich-rechtlicher Journalisten. Für einen Minister eine erstaunliche Aussage.

Ich finde die Auslegung – wie gesagt – nicht so eindeutig (s.o.). Auf der Grundlage dieser Interpretation hat Becker Reaktionen von prominenten Journalisten eingeholt: von Georg Restle, Anja Reschke und Dunja Hayali. Deren Aufregung verstehe ich nicht wirklich, denn Spahn hat nur Selbstverständlichkeiten ausgesprochen. Er hat weder die Meinungsfreiheit in Frage gestellt (nur genutzt) noch die Pressefreiheit. Die ganze Aufmerksamkeit haben seine Aussagen nicht verdient.


2. Nachtrag (6. April, 23.15 Uhr): Ach ja, Meedia. Da hat sich Alexander Becker festgebissen an Spahns Aussage. Sie ist aber auch zu schön, um sie einfach fallen zu lassen. Jetzt hat Becker auch noch den ARD-Chefredakteur Rainald Becker zur Spahn-Aussage befragt. Und das Interview lässt durchblicken, dass R. Becker die Original-Aussage Spahns auch nicht gelesen hat, sondern sich nur auf die Meedia-Interpretation bezieht, wenn er sagt:

Ich habe grundsätzlich ein Problem damit, wenn Politiker, insbesondere in Ministerrang, öffentlich Journalistenschelte betreiben.

A. Beckers zweite Frage:

Darf Jens Spahn öffentlich-rechtlichen Journalisten sagen, was sie wie wann zu twittern haben?

Kann man natürlich fragen. Hat aber nichts mit Spahns Interview zu tun, weil er da gar nicht vorschreiben wollte, wie getwittert wird. Naja, ich wiederhole mich. Lassen wir das. Ich freue mich auf den nächsten Weiterdreh dieser Nicht-Geschichte.

 

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Weidel triggert erneut Journalisten

Eigentlich sollte die Masche von AfD-Politikern ja schon bekannt sein. Doch ich gebe zu, dass auch ich mich immer wieder triggern lasse von Äußerungen wie der von Alice Weidel.

Da fordert Weidel indirekt die Ausbürgerung Deniz Yücels, weil er ihr nicht deutsch genug ist, und bemüht mal wieder zwei seiner Texte, die angeblich deutschenfeindlich sind und Thilo Sarrazin beleidigen. Ich finde die Texte selbst nicht gelungen, aber sie sind Satire und vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Beides Dinge, die besonders die AfD für sich selbst in Anspruch nimmt, wie gerade wieder André Poggenburg, der die pauschale Beleidigung von Türken als Politsatire bezeichnet hat. Für Yücel wollen sie sie aber nicht gelten lassen.

Als Verteidiger des Grundgesetzes sollte Weidel eigentlich auch wissen, dass das Grundrecht auf Pressefreiheit jeder in Anspruch nehmen kann. Die AfD probiert es ja gerade selber mit ihrem angeblichen Newsroom. Yücel seinen Status als Journalist abzusprechen ist zudem genau das, was auch der türkische Präsident Erdogan macht.

Weidel weiß das natürlich. Aber sie triggert mit ihrer Stellungnahme die AfD-Mitglieder, ihre Wähler und Anhänger mit solchen Begriffen, die gerne gegen den Deutsch-Türken Deniz Yücel austeilen und Thilo Sarrazin gegen Kritik in Schutz nehmen, weil sie sich sicher sein kann, dass sie von den entsprechenden Leuten dafür Zuspruch erhält.

Wie sollten diejenigen damit umgehen, die dem nicht zustimmen? Sollten sie ihr Statement teilen und weiterverbreiten und damit laut drauf hinweisen: Schaut mal, die Weidel – pfui! Tragen sie damit nicht genau zu der Verbreitung bei, die sie sich wünscht? Schließlich kann man nicht davon ausgehen, dass diese Weiterverbreitung genau bei denen ankommt, die diese Haltung ebenfalls ablehnen. Es werden auch immer welche darunter sein, die ihr zustimmen – die das Statement aber nicht gesehen hätte, hätte sie nicht ein Gegner darauf hingewiesen. So geben ausgerechnet ihre Gegner Weidel mehr Öffentlichkeit.

Dieses Problem hat sich diese Woche auch bei den Äußerungen von André Poggenburg gezeigt. Ich habe mir die Rede nicht angesehen, ich habe keinen längeren Artikel darüber gelesen, ich kann aber sofort mindestens einen Begriff nennen, den er dort gesagt hat. Weil der nämlich immer und immer wieder in Artikeln, Beiträgen und Filmen erwähnt wird.

Aber selbst wenn er im Kontext der Empörung, des Dementis, der Abscheu, der Verurteilung daherkommt, wird er immer wieder genannt. Und zahlt damit auf Poggenburgs Absicht ein, seine Haltung weit zu verbreiten.

Ich weiß, dass man sich dem als Journalist kaum entziehen kann, weil ein Beitrag darüber, dass die AfD-Spitze Poggenburg für seine Äußerungen verurteilt hat, auch erwähnen muss, welches die Äußerungen eigentlich waren. Und dass Nutzer, wenn man diese Äußerungen nicht ausdrücklich nennt, erst recht wissen wollen, welches sie waren – und im Netz auch schnell fündig werden. Aber wir spielen damit das Spiel der AfD mit.

Das sieht auch der Politikwissenschaftler Robert Feustel so, der im Interview bei faz.net sagte:

Mit der Aufregung über die Aussagen wird das Thema plaziert – man spricht dann trotzdem, wie jetzt im Fall Poggenburg, über die „Kameltreiber“. Die Begriffe werden weitergetragen, bekommen eine große Reichweite, auch wenn viele, die sie aufgreifen, das tun, um Kritik zu üben. (…) Solche Skandalisierungen bewirken, dass alles, was davor gesagt wurde und nicht ganz so krass war, schnell zum normalen Ausdruck gehört. Indem die Grenzen ständig erweitert werden, werden andere Ausgrenzungen so ein stückweit normalisiert.

Und er plädiert dafür:

Es wäre sicher zielführender, nicht über jedes Stöckchen zu springen, das die AfD einem hinhält. Denn in dem Moment, wo ich eine bestimmte provokante, ausgrenzende Aussage wiederhole, kann ich mich zwar kritisch davon distanzieren, bediene aber trotzdem das Thema und setze es auf die Agenda.

Das ist kein neues Plädoyer. So was schreiben Journalisten auch gerne immer wieder mal, fallen dann aber doch erneut darauf herein, wenn die AfD die Grenzen ein weiteres mal stückweise verschiebt. Und wir helfen dabei.

P.S.: Ich weiß natürlich, dass auch ich Weidel vielleicht zu mehr Öffentlichkeit verhelfe. Aber das auf einer Meta-Ebene zu kritisieren geht nicht ohne.

Nachtrag (19.50 Uhr): Einige Journalisten teilen meine Auffassung. Unter einigen Tweets wird darüber diskutiert.

 

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Lieber falsch reagieren als gar nicht

(Grafik: FDP)
(Grafik: FDP)

Wann hat die FDP sich dazu entschlossen, die Sondierungsgespräche mit CDU, CSU und Grünen abzubrechen?

Seit heute Morgen wabern Gerüchte umher, die sich so zusammenfassen lassen: Die FDP habe schon seit Tagen vorgehabt, die Gespräche zu beenden, trotzdem weiterverhandelt (und die Verhandlungen mehrmals verlängert) und nur auf einen medienwirksamen Zeitpunkt für das Aus gewartet. Als Beleg dafür herangezogen wird ein Tweet, den die FDP kurz nach der Ankündigung von FDP-Chef Christian Lindner abgesetzt hat.

(Quelle: https://twitter.com/fdp/status/932386302414262272)

Um 0.13 Uhr wurde die Grafik getwittert. Der Spruch basiert auf eine mZitat von Lindner, das die Nachrichtenagentur dpa um 23.56 Uhr verschickt hat. Es lautet vollständig so:

Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.

Wer schon mal in einer Online-Redaktion oder mit Photoshop gearbeitet hat, weiß, dass es sehr gut geht, innerhalb von 17 Minuten ein Zitat auf ein Bild zu montieren, wie das Social-Media-Team des FDP auf entsprechende Kritik zurecht antwortet.

(Quelle: https://twitter.com/fdp/status/932396007635156993)

Und von der Geschwindigkeit mal abgesehen, ist es auch möglich, so etwas für den Fall der Fälle vorzubereiten. Dass Pressestelle bzw. Social-Media-Redaktion schon vorab wissen, welchen Text Lindner vortragen will, sollte nicht verwundern. Außerdem haben FDP-Politiker in den letzten Wochen immer wieder angekündigt, dass sie diese Koalition nicht um jeden Preis wollen. Eine vorausschauende Redaktion bereitet sich auf so etwas vor.

So ist es denn auch nicht verwunderlich, dass sich zu dem bei Facebook um 0.17 Uhr geposteten Bild der FDP diese Metadaten finden:

bildschirmfoto-2017-11-20-um-18-50-11Auch das angeblich ein Indiz dafür, dass der Abbruch schon länger geplant gewesen sei – in diesem Fall also am Donnerstag, dem 16. November 2017 (also am Tag vor dem für Freitag geplanten Ende der Gespräche). Als würde so ein Dateiname etwas aussagen.

Selbst wenn die Grafik am 16. November angelegt wurde: Vielleicht stand damals schon Lindners Stellungnahme, die er dann in der Nacht zum Montag herangezogen hat, um sie vorzutragen. Vielleicht stand auch schon die Alternative – für den Fall, dass die Gespräche erfolgreich abgeschlossen werden.* Und selbst wenn nicht, kann die Vorlage mit dem Datumskürzel am Donnerstag angelegt, das konkrete Zitat aber dann innerhalb der 17 Minuten nachgetragen worden sein.

Wie die FDP bei den Sondierungsgesprächen wirklich vorgegangen ist, weiß ich nicht. Die angeblichen Beweise taugen aber nicht, um ihr einen schon länger strategisch geplanten Abbruch der Gespräche vorzuwerfen.

 

* Und während ich diesen Text gerade fertigstelle, twittert die FDP genau die alternativen Kacheln hinterher, die ich eben erwähnt hatte.

(Quelle: https://twitter.com/fdp/status/932669493809205248)

(Ja, das kann die FDP auch erst heute Nachmittag zur eigenen Entlastung gebastelt haben. Aber weist das bitte erst mal nach, bevor Ihr rumkrakeelt.)

FDP-Generalsekretärin Nicola Beer hatte zudem vorher schon das hier getwittert:

(Quelle: https://twitter.com/nicolabeerfdp/status/932657193672953861)

Nachtrag, 21.30 Uhr: Der FDP-Politiker Volker Wissing hat im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärt, wie es zu den Grafiken gekommen ist:

Wir sind schnell in diesen Dingen, aber von langer Hand geplant war da nichts. Natürlich zeichnete sich schon am Donnerstag ab, dass das Ganze am seidenen Faden hing. Aber die Kacheln für Facebook haben wir gemeinsam am Sonntagabend in der baden-württembergischen Landesvertretung ausgewählt, als Merkel noch einmal mit den Grünen redete und klar wurde, dass die sich nicht mehr bewegen werden. Auch Lindners handgeschriebene Rede haben wir da gemeinsam formuliert. Die Tinte war noch frisch, als er vor die Kameras gegangen ist.

Auch Wissing sagt also, dass die Kacheln schon vorbereitet waren und am Sonntag nur noch die Auswahl getroffen wurde.

 

Anmerkung (20.05.2018): Wegen der Datenschutzgrundverordnung habe ich Widgets, die sich ursprünglich im Text befanden, entfernt und sie teilweise durch Links ersetzt.

Ex-US-Rundfunkregulierer fordert mehr Transparenz von sozialen Netzwerken

Der ehemalige Präsident der obersten Medienregulierungsbehörde der USA, Tom Wheeler, fordert mehr Transparenz von sozialen Netzwerken. Auf der Konferenz „Formate des Politischen“ in Berlin, die vom Deutschlandfunk, der Bundeszentrale für politische Bildung und der Bundespressekonferenz ausgerichtet wurde, plädierte Wheeler dafür, dass Anbieter ihre Programmierschnittstellen offenlegen sollten. Damit blieben die eigentlichen Algorithmen der Unternehmen weiterhin geschützt, Informationen über Reichweiten, virale Trends oder Löschung von Inhalten wären aber zugänglich. Wheeler befürchtet, dass über die Netzwerke andernfalls weiter Propaganda, Hate Speech und Falschnachrichten verbreitet würden und damit die Demokratie in Gefahr gerät. Darüber habe ich im Deutschlandfunk und in Deutschlandfunk Kultur erzählt.

Wheeler war unter US-Präsident Barack Obama Vorsitzender der FCC, der Federal Communications Commission, die den Rundfunk reguliert. Weil es sich um eine politische Behörde handelt, wurde er mit dem Regierungswechsel von Obamas Nachfolger Donald Trump abgesetzt.

Eine weitere Zusammenfassung von Wheelers Vortrag gibt es hier, seine ganze Rede zum Nachschauen hier: