Im Triggern von Journalisten macht Jens Spahn, inzwischen Bundesgesundheitsminister, keiner so schnell was vor.
Diesmal sind es zwei, drei Antworten aus einem Interview, das er der Neuen Zürcher Zeitung gegeben hat. Ich verkürze mal ein Zitat von ihm. In dem Interview sagt er zum Beispiel:
Ich bin mit dem Teil des Journalismus unzufrieden, der Zitate verkürzt und den Zusammenhang ausblendet.
Ach so, ja. Zusammenhang: Spahn antwortet auf die Frage, ob er mit „den Medien“ unzufrieden sei. Und als Beispiel für ein verkürztes Zitat… nee, das lest Ihr besser selber nach, damit ich da nichts aus dem Zusammenhang reiße.
Die interessantere Antwort, auf die viele angesprungen ist, ist aber die auf eine Frage, die gar nicht gestellt wurde. Da fragt die NZZ nämlich unter Bezugnahme auf die Zitatverkürzung:
Ist der öffentlichrechtliche Rundfunk besser?
Und Spahn antwortet u.a.:
Ein Beispiel: Es gibt Tweets von Redakteuren des öffentlichrechtlichen Rundfunks, die sind einfach nur politisch eindeutige Kommentare und sehr subjektiv. Da steht zur Absicherung drüber: privater Account. Soll ich jetzt auch immer sagen: «Das war Spahn privat»? Ich bin Mitglied der Regierung. Entsprechend werden Sie meine Zitate einsortieren. Die gleichen Massstäbe sollten für Journalisten gelten.
Das hat unter anderem unter Kollegen eine Reihe von Spekulationen ausgelöst, was Spahn eigentlich meint. Oder meinen könnte. Oder gesagt hat. Oder zwischen den Zeilen gesagt hat. Die FAZ formuliert trotzdem sehr deutlich:
Auch forderte er von Journalisten der Öffentlich-Rechtlichen Zurückhaltung auf Twitter.
DJV-Chef Frank Überall sagt:
Die von Herrn Spahn gewünschte Zurückhaltung ist nichts anderes als politisch verordnete Selbstzensur.
Der DJV hat aber offenbar auch nur den FAZ-Artikel gelesen, in dem er selbst zitiert wird. Ich fragte per Twitter:
Der DJV antwortete:
Meedia schreibt:
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn fordert Journalisten auf, im Netz weniger private Meinungen zu äußern.
Auch bei Twitter interpretieren ihn viele so.
Mal davon abgesehen, dass Spahns Antwort auf die ihm gestellte Frage keinerlei Sinn ergibt: Ich lese aus seinen Äußerungen weder, dass er direkt, noch, dass er indirekt fordert, dass Journalisten sich auf Twitter zurückhalten sollten oder dass sie dort gar ihre Meinungsfreiheit einschränken sollten. Er möchte lediglich, dass die Regeln, die für ihn gelten, auch für Journalisten gelten – nämlich dass all ihre Äußerungen, wo auch immer, ob bei Twitter oder in Berichten, auch ihnen als Journalisten zugerechnet werden. Es solle keine unterschiedlichen Maßstäbe geben, ob sie sich hier oder da geäußert haben.
Zugegeben, ganz eindeutig kann ich das auch nicht sagen. Denn alle drei Fragen und Antworten zum Thema Medien in diesem Interview sind etwas wirr, weil sie sich nicht logisch aufeinander beziehen. Das macht es so leicht, hineinzulesen, was man hineinlesen möchte. Von einer Forderung, die verurteilenswert wäre, lese ich da aber nichts.
Insofern sind viele von uns Journalisten mal wieder auf ihn reingefallen. Jens Spahn weiß halt, wie er uns triggern kann. Er ist uns voraus. Und führt die Journalisten von FAZ und Meedia vor, die fast genau das gemacht haben, was er im NZZ-Interview bemängelt hat:
Ich bin mit dem Teil des Journalismus unzufrieden, der Zitate verkürzt und den Zusammenhang ausblendet.
Chapeau!
Nachtrag (5. April, 16.45 Uhr): Meedia hat das Thema noch mal weitergedreht.
Spahns Aussage interpretiert Autor Alexander Becker so:
Fasst man den Absatz zusammen, steht da: Jens Spahn stört sich am Twitter-Verhalten öffentlich-rechtlicher Journalisten. Für einen Minister eine erstaunliche Aussage.
Ich finde die Auslegung – wie gesagt – nicht so eindeutig (s.o.). Auf der Grundlage dieser Interpretation hat Becker Reaktionen von prominenten Journalisten eingeholt: von Georg Restle, Anja Reschke und Dunja Hayali. Deren Aufregung verstehe ich nicht wirklich, denn Spahn hat nur Selbstverständlichkeiten ausgesprochen. Er hat weder die Meinungsfreiheit in Frage gestellt (nur genutzt) noch die Pressefreiheit. Die ganze Aufmerksamkeit haben seine Aussagen nicht verdient.
2. Nachtrag (6. April, 23.15 Uhr): Ach ja, Meedia. Da hat sich Alexander Becker festgebissen an Spahns Aussage. Sie ist aber auch zu schön, um sie einfach fallen zu lassen. Jetzt hat Becker auch noch den ARD-Chefredakteur Rainald Becker zur Spahn-Aussage befragt. Und das Interview lässt durchblicken, dass R. Becker die Original-Aussage Spahns auch nicht gelesen hat, sondern sich nur auf die Meedia-Interpretation bezieht, wenn er sagt:
Ich habe grundsätzlich ein Problem damit, wenn Politiker, insbesondere in Ministerrang, öffentlich Journalistenschelte betreiben.
A. Beckers zweite Frage:
Darf Jens Spahn öffentlich-rechtlichen Journalisten sagen, was sie wie wann zu twittern haben?
Kann man natürlich fragen. Hat aber nichts mit Spahns Interview zu tun, weil er da gar nicht vorschreiben wollte, wie getwittert wird. Naja, ich wiederhole mich. Lassen wir das. Ich freue mich auf den nächsten Weiterdreh dieser Nicht-Geschichte.
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