Wer Österreich wirklich ins Chaos gestürzt hat

Als Mitte August das Buch zur Ibiza-Affäre erschienen ist, das Frederik Obermaier und Bastian Obermayer geschrieben habe, beide Investigativ-Reporter der „Süddeutschen Zeitung“, schrieb profil.at folgendes: Die beiden…

…haben das Ibiza-Video veröffentlicht, Österreich damit ins innenpolitische Chaos gestürzt und darüber nun ein Buch geschrieben.

Das ist schnell dahingeschrieben, verkennt aber die tatsächlichen Zusammenhänge. Obermaier und Obermeyer haben das innenpolitische Chaos sicherlich ausgelöst, aber nicht verursacht, wie eine Kommentatorin zurecht unter dem Beitrag anmerkt:

Bei allem Respekt: nicht die beiden Journalisten haben „Österreich in ein innenpolitisches Chaos gestürzt“, sonder ausschließlich Strache, Gudenus und in weiterer Folge Kurz! Journalisten sollten hier bezgl. Formulierungen doch etwas genauer sein!

Auch wenn die Verantwortlichkeiten in der Ibiza-Affäre offensichtlich sind, so dienen auch solche nebensächlichen Formulierungen die Erzählung Straches, dass er eigentlich keine Verantwortung für die Affäre habe, sondern diese bei den Journalisten liege. Insofern gilt es tatsächlich auch bei den kleinen Sätzen, sich nicht auf ein Framing einzulassen.

Wie das Überspitzen von Interviewaussagen Debatten verdirbt

Zuspitzungen sind seit jeher das Geschäft von Journalisten. Sie sind um Aufmerksamkeit für ihre Arbeit und ihr Medium bemüht – nicht zuletzt, seit das Verkaufen im Netz wichtiger geworden ist als in der Zeit, als man sich noch auf Abos ausruhen konnte.

Die Bedingungen des Netzes sorgen aber für eine ganz besondere Art der Zuspitzung. Denn es muss nicht nur die tägliche Zeitung verkauft werden, sondern jeder einzelne Artikel muss an den Mann und die Frau gebracht werden.

Aus mancher Zuspitzung wird aber auch mal eine Überspitzung. Da wird eine Aussage, ein Zitat nicht nur gedeutet, sondern etwas mehr daraus gemacht als ursprünglich gesagt wurde. In den letzten Wochen und Monaten haben Journalisten dafür mehrere Beispiele geliefert – und immer waren es Aussagen in Interviews. Die Konsequenz war in allen Fällen gleich: Nicht die eigentliche Aussage sorgt für Empörung und Protest, sondern die Überspitzung.

Kramp-Karrenbauer droht mit Parteiausschlussverfahren, ohne mit Parteiausschlussverfahren zu drohen

Jüngstes Beispiel: das Interview der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer für die Funke-Mediengruppe über den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen. Sie „drohe“ mit einem Parteiausschlussverfahren, hieß es in der Zusammenfassung, die die Funke-Redaktionen selbst geschrieben haben.

Diese „Drohung“ liest sich im Zusammenhang des Interviews  folgendermaßen:

Frage: Der entlassene Verfassungsschutzchef, CDU-Mitglied Maaßen, fällt mit rechtskonservativen Sprüchen auf. Denken Sie über einen Parteiausschluss nach?

Kramp-Karrenbauer: Als ehemalige Innenministerin bin ich froh, dass Herr Maaßen keine Verantwortung mehr für den deutschen Verfassungsschutz hat. Die CDU hält es aus, wenn unterschiedliche Meinungen geäußert werden. Aber: Die CDU ist auch eine Partei, die von einer gemeinsamen bürgerlich-konservativen Haltung getragen wird. Eine Politik unter dem Deckmantel der CDU zu machen, die den politischen Gegner vor allem in den eigenen Reihen sieht, wird dieser Haltung nicht gerecht. Es gibt aus gutem Grund hohe Hürden, jemanden aus einer Partei auszuschließen. Aber ich sehe bei Herrn Maaßen keine Haltung, die ihn mit der CDU noch wirklich verbindet.

Von Parteiausschluss unter Bezug auf Maaßen spricht Kramp-Karrenbauer nicht ausdrücklich; sie sagt eher allgemein, dass die Bedingungen dafür hoch seien, spricht sich aber nicht ausdrücklich dafür aus, Maaßen auszuschließen. Eine Drohung ist das nicht, vielleicht nicht mal eine Forderung.

Ist es also unzulässig, ihre Aussage in diese Richtung zu überspitzen? Genauso gut hätte man formulieren können, sie lege ihm einen Parteiaustritt nahe. Zwei mögliche Interpretationen ihrer Aussage – die Funke-Mediengruppe hat sich für erstere entschieden. Im Laufe des Tages dementierte zunächst CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, dass Kramp-Karrenbauer das so gemeint habe.

Später äußerte sich auch Kramp-Karrenbauer entsprechend.

Inzwischen hat auch die Funke-Mediengruppe die Formulierung zurückgenommen. Der Artikel lässt erkennen, dass es mindestens drei Fassungen gab. Dort heißt es in der Überschrift sachlicher als zuvor:

CDU-Chefin AKK: „Wir haben im Moment eine Schwächephase“

Die Webseite ist anders betitelt. Im Reiter des Browsers steht noch der Text:

AKK kritisiert Maaßen – Seine Haltung passe nicht mehr zur CDU

Nur in der URL ist die alte Fassung noch zu finden, demnach hieß es dort:

AKK droht Hans-Georg Maaßen mit CDU-Parteiausschluss

https://www.morgenpost.de/politik/article226803329/AKK-droht-Hans-Georg-Maassen-mit-CDU-Parteiausschluss.html

Von Drohung ist aber inzwischen keine Rede mehr.

Auch im Hamburger Abendblatt, das ebenfalls zur Funke-Mediengruppe gehört, ist die ursprüngliche Überschrift korrigiert worden, auch hier ist die URL aber noch dieselbe und verrät den ursprünglichen Titel des Artikels. Außerdem verweist die Artikelnummer darauf, dass es sich um den identischen Inhalt handeln dürfte.

Wie Bastian Brauns feststellt, seien alle Überschriften intransparent ausgetauscht worden.

Eine Kleinigkeit, könnte man meinen. Aber das Thema hat die politische Berichterstattung des Tages bestimmt – vor allem durch diesen Dreh, den auch die dpa genutzt und damit entscheidend zur Weiterverbreitung in anderen Medien beigetragen hat. Sie schrieb:

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer bringt im Fall des umstrittenen Ex-Verfassungsschutzchefs und CDU-Mitglieds Hans-Georg Maaßen ein Parteiausschlussverfahren ins Spiel. «Es gibt aus gutem Grund hohe Hürden, jemanden aus einer Partei auszuschließen. Aber ich sehe bei Herrn Maaßen keine Haltung, die ihn mit der CDU noch wirklich verbindet», sagte Kramp-Karrenbauer den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Samstag) auf die Frage, ob sie über einen Parteiausschluss Maaßens nachdenke.

(Ins Spiel gebracht hat sie das Thema auch nicht; sie hat auf eine Frage reagiert.)

Schließlich setzen viele Medien dpa-Meldungen mehr oder weniger unredigiert auf ihre eigenen Seiten – und heizen mit dieser Dutzendfachen Verbreitung dieser einen Interpretation die Debatte weiter an. Auch in Bezug auf einen anderen Tweet von Maaßen hatte sich das wieder gezeigt.

Linnemann redet von Grundschulverbot, ohne von Grundschulverbot zu reden

Ein ähnlicher Mechanismus hat auch bei einem Interview mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Carsten Linnemann gegriffen. Dieses Interview hatte die Rheinische Post geführt. Sie selbst war bei der redaktionellen Auswertung auch nicht gerade zurückhaltend, formulierte sie für die Überschrift der redaktionellen Auswertung (nicht des Interviews selbst) doch einen Satz, den Linnemann im Gespräch selbst gar nicht so gesagt hatte.

Erst später nahm die Redaktion die Anführungszeichen weg, so dass Linnemann nur noch sinngemäß, aber nicht wörtlich zitiert wurde.

Im Text hieß es dann mit Zu-, aber nicht unbedingt Überspitzung:

Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende, Carsten Linnemann, hat Konsequenzen für Erstklässler gefordert, die schlechte Deutschkenntnisse haben. „Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen“, sagte der CDU-Politiker unserer Redaktion. „Hier muss eine Vorschulpflicht greifen, notfalls muss seine Einschulung auch zurückgestellt werden. Das kostet Geld, aber fehlende Integration und unzureichende Bildung sind am Ende viel teurer.“

Erneut sorgte aber wieder die dpa für die eigentliche Verbreitung des Interviews – und mit ihrer Überspitzung für die besonders starke Wirkung. Eine dpa-Meldung und ein Tweet waren ursprünglich so betitelt:

CDU-Politiker: Grundschulverbot für Kinder, die kein Deutsch können

Dabei hatte Linnemann den Begriff „Grundschulverbot“ selbst nicht verwendet, wie dpa-Textchef Froben Homburger später in einem Thread einräumte.

Auch diese Äußerungen haben zu einer breiten Debatte geführt, die ohne die Zuspitzung womöglich nicht so gekommen wäre. Hinzu kam: Der Wortlaut des Interviews mit Linnemann war nur zu lesen, wenn man sich bei der RP registriert. Das ist zwar keine finanzielle, aber eine kleine organisatorische Hürde, die nicht jeder nehmen möchte, der kurz durchs Nachrichtengeschehen scrollt. Wenn ein Interview aber hinter einer harten Paywall steckt, kommt der interviewführenden Redaktion eine ganz besondere Verantwortung zu. Wenn nämlich nicht die komplette Öffentlichkeit Zugriff auf das Originalgespräch hat, sondern nur ein Teil, kann sich die Diskussion notwendigerweise nur auf das beziehen, was öffentlich zugänglich ist – und das ist in der Regel die Zusammenfassung der eigenen Redaktion und das, was andere Medien daraus machen.

Der Digitalberater Thomas Knüwer empfiehlt sogar, dass Politiker Interviews nur noch geben sollten, wenn diese nicht hinter einer Paywall landen. Auch so sei es für Leser schon unnötig aufwendig, sich das Originalzitat anzuschauen, wenn Medien nicht auf andere Medien verlinken – zumal, füge ich hinzu, Leser erst mal keinen Hinweis darauf haben, warum die Zusammenfassung falsch sein sollte.

Wir sehen: die neue Normalität der Medienwelt. Ein Interview wird hinter einer Bezahlwand versteckt, eine zugespitzte Meldung soll das Interesse fördern. Doch es ist die Zuspitzung, die sich verbreitet, nicht das Urstück.

Kühnert fordert Verstaatlichung von BMW, ohne Verstaatlichung von BMW zu fordern

Kommt Ihnen das bekannt vor? Kein Wunder, im Mai erging es dem Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert so. Plötzlich wurde überall getitelt, Kühnert fordere eine Verstaatlichung von BMW. Aber auch in diesem Fall hatte der Interviewte den Begriff nicht genutzt. Kühnert sprach stattdessen von einer Kollektivierung – und zwar auch nur auf Nachfrage der Interviewer. Zwischen Verstaatlichung und Kollektivierung besteht aber ein Unterschied. Samira El Ouassil hat hier ausführlich dargestellt, wie das passiert ist – und wie wenig danach. Was hängen blieb: Kühnert fordert Verstaatlichung von BMW.

Das Muster

Man könnte noch weitere Beispiele finden. Nicht immer sind es Medien, die zu solchen Überspitzungen neigen. Es sind auch politische Konkurrenten, die das tun. Diese haben aber ihr eigenes Interesse in der politischen Auseinandersetzung, das ich für legitimer halte als das von Journalisten, die sich der Wahrheit verpflichtet fühlen sollten.

Das Muster bei solchen Überspitzungen ist immer dasselbe. Der Wortlaut des Interviews wird nicht defensiv genug ausgelegt. Die Differenzierung, die von den Interviewten vorgenommen wurde, ihre möglicherweise bewusste Wortwahl wird überdreht. Damit drehen die Journalisten den Interviewten vielleicht ein wenig zu stark im Mund herum.

Wann ist aber eine journalistische Zuspitzung zulässig und wann führt sie zu weit? Selbst unterstellt, dass die Politiker die Tragweite ihrer Äußerungen erst begriffen haben, als die Debatte ausgebrochen war, und versuchten, sie zurückzunehmen – gefallen waren die entscheidenden Begriffe Parteiausschlussverfahren, Grundschulverbot und Verstaatlichung in den jeweiligen Fällen nicht. Sie spielen für die Wirkung für die Debatte aber eine entscheidende Rolle.

Die Rolle der Politiker*innen

Natürlich sind sich Politiker*innen dessen bewusst, was sie sagen. Und bei Interviews für Zeitungen wird in Deutschland in der Regel eine Autorisierung vereinbart, das heißt, sie nehmen den Wortlaut des Gesprächs noch mal ab und verändern ihn ggf., falls sie sich falsch verstanden fühlen oder eine Formulierung im frei gesprochenen Wort nicht ganz saß. Das bedeutet vor allem, dass der Wortlaut in der gedruckten Fassung der Intention der Interviewten entspricht.

Der Politikberater Johannes Hillje beschreibt es in der Saarbrücker Zeitung so:

Es ist richtig, sie hat explizit kein Parteiausschlussverfahren gefordert, sie hat den Begriff aber quasi in einem Atemzug mit der Kritik an Hans-Georg Maaßen genannt. Daher muss sie davon ausgehen, dass auch eine Diskussion darüber geführt wird. Das Zusammenführen unterschiedlicher Themenkomplexe bedeutet ja schon den Start einer Debatte. Das hätte ihr und ihrem Team auffallen müssen bei der Autorisierung des Interviews.

Deswegen findet Hillje auch nicht, dass Journalisten eine besonders große Mitverantwortung dafür haben, dass Kramp-Karrenbauer so missverständlich rübergekommen ist.

Inzwischen können Politiker allerdings sogar damit rechnen, dass sie selbst nicht die Reizwörter aussprechen müssen, die sie möglicherweise meinen. Wenn Kramp-Karrenbauer ein Parteiausschlussverfahren ins Spiel bringen will, kann sie sich auf eine entsprechende Frage auch zurückhaltender (und etwas verschwurbelt) äußern; dennoch besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass ihr unterstellt wird, was sie nicht eindeutig gesagt hat. Anschließend kann sie dann unter Verweis auf den Wortlaut dementieren. Auch Linnemann kann sich so herausreden.

Allerdings bleibt für mich auch fraglich, was sie durch das Herausreden gewonnen haben, denn die Aufregung über ihre Worte ist da – und das Dementi hilft ihnen in der politischen Debatte nicht unbedingt. Wenn sie darauf spekulieren, vom Wähler richtig verstanden zu werden, haben sie das nur dank der Medien tun können. Auch in dem Fall stehen Journalisten in der Verantwortung.

Die Folgen

Natürlich sind gerade private Medien darauf angewiesen, für ihre Produkte Aufmerksamkeit zu bekommen (öffentlich-rechtliche tun das auch). Diese darf aber nicht darauf beruhen, dass Äußerungen sinnentstellend wiedergegeben werden und damit zu inhaltsleeren Debatten führen. Der Öffentlichkeit nutzt es wenig, wenn über etwas diskutiert wird, das niemand gefordert hat – und auch die anschließende relativierende Berichterstattung über die Äußerungen könnte man sich dann sparen.

Pablo Jost, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Publizistik der Universität Mainz, hat schon Ende Juli aus Anlass eines anderen Falls dem Tagesspiegel gesagt:

Die skandalisierte Aufbereitung (vermeintlicher) Normverstöße bringt Aufmerksamkeit und Werbeeinahmen. Allerdings birgt der Fokus auf reißerische und polarisierende Themen die Gefahr, dass auch der gesellschaftliche Diskurs schärfer geführt wird. Auch geraten Themen in den Hintergrund, die weniger spektakulär aufbereitet werden können, aber dennoch von gesellschaftlicher Relevanz sind.

Irrelevante Debatten nutzen aber auch den Medien wenig, die sie ausgelöst haben. In erster Linie kann das dazu führen, dass die Interviewten sich genauer überlegen, unter welchen Bedingungen sie dem Medium noch ein Interview geben, wenn ihre Aussagen überspitzt wiedergegeben werden. In zweiter Linie stärkt es aber auch nicht gerade das Vertrauen der Nutzer in die Redaktionen. Mein Kollege Christoph Sterz hat es in der Medienkolumne in der WDR5-Sendung „Politikum“ so formuliert:

Wenn ich als Mediennutzer ständig Dinge höre oder lese, die wenig später korrigiert werden, dann kann ich doch auf Dauer nur das Vertrauen in die meisten Medien verlieren.

Und damit schaden die Medien in dritter Linie der öffentlichen Debatte.

Was nach solchen Fällen aber auch zwangsläufig folgt: eine Debatte darüber, ob die Politiker das wirklich so gesagt haben und die Kritik an Redaktionen, die für die Überspitzung gesorgt haben. Auch diese Zeit für unnötige Diskussionen und Meta-Debatten könnten wir uns sparen.

Wie die „Welt“ eine Umfrage schief darstellt

Statt eines Blogeintrags mein Twitter-Thread zum Thema. Es geht um diesen Artikel der „Welt“.

 

NZZ-Autor verhindert Link auf kritischen Artikel

Ende Juni habe ich für Übermedien einen NZZ-Artikel auseinandergenommen. Der Heilbronner Gastautor Wolfgang Bok hatte für seine These, dass „die Medien“ alle tendenziell eher linksgrün seien, ziemlichen Unsinn zusammengesammelt, der das belegen sollte – aber gar nicht konnte. Dafür hatte er falsche Zitate und irreführende Zahlen verwendet.

Jetzt wurde Bok auf seinen faktenarmen Text angesprochen, in einem Interview mit dem „Phonk-Magazin“ – das in der online abrufbaren PDF-Ausgabe aber leider nicht zu lesen ist, schreibt Boris Rosenkranz im Übermedien-Newsletter – und weiter:

Wieso? Weil Kommunikator Bok nicht wollte, dass die Leute vom „Phonk-Magazin“ einen Link zum Übermedien-Beitrag setzen. Also haben sie das Interview kurzerhand aus der PDF-Ausgabe geworfen und den Grund offengelegt. Würde sagen: Strategische Kommunikation geglückt!

Wer kontrolliert die Medien?

Kontrolle spielt im Zusammenhang mit Medien eine zentrale Rolle. Einerseits wachen die Medien als „Vierte Gewalt“ über einflussreiche Akteure im öffentlichen Leben, andererseits unterliegen Medien in Deutschland auch einer öffentlichen Kontrolle.

Aber sind die heutigen Aufsichtsgremien überhaupt in der Lage, in einer zunehmend digitalen Welt diese Kontrollfunktion angemessen auszuüben? Oder ist das Mediensystem im frühen 21. Jahrhundert bereits so komplex, dass nur noch Nutzerinnen, Nutzer und die Medien selbst vernünftige Leitplanken setzen können?

Darüber habe ich bei den Südwestdeutschen Medientagen für die SR2-Sendung „Diskurs“ mitdiskutiert – mit Dr. Ilka Desgranges (Saarbrücker Zeitung, ehemaliges Mitglied im Deutschen Presserat) und Prof. Hektor Haarkötter (Initiative Nachrichtenaufklärung), moderiert von Katrin Aue – und anzuhören hier.

US-Medien und Trump: „Überforderung des Systems“

Wenn die US-Amerikaner nichts mehr schreiben oder lesen wollen über sexuelle Übergriffe des amerikanischen Präsidenten, so habe das mit einer kompletten Überforderung von Öffentlichkeit und Journalismus zu tun. Das sagte der Politikwissenschaftler und Philosoph Michael Werz im Dlf. Ich habe ihn für @mediasres interviewt.

Foulen im Kampf gegen grüne „Mainstream-Medien“

Der Publizist Wolfgang Bok wirft den deutschen Medien vor, die Grünen großgeschrieben zu haben und abweichende Meinungen zu unterdrücken. Um das zu belegen, hantiert er mit falschen Zahlen, irreführenden Zitaten und fehlenden Kontexten. Meinen kleinen Thread von gestern habe ich noch mal für Übermedien etwas ausführlicher aufgeschrieben.

Nachtrag, 26. Juni: Kollege René Martens weist per Twitter darauf hin, dass es über Wolfgang Bok schon einen Artikel gibt, der 2013 im „Neuen Deutschland“ erschienen ist.

Presserat: bild.de hat sich zum Werkzeug des Christchurch-Täters gemacht

Der Deutsche Presserat hat bild.de dafür gerügt, dass es Sequenzen aus dem Video des Christchurch-Attentäters veröffentlicht hat. Dieser hatte im März die Tötung von mehr als 50 Menschen live bei Facebook übertragen. bild.de hatte Video-Ausschnitte gewählt, die den Täter auf dem Weg zu den Moscheen und beim Laden einer Waffen zeigten. Von den eigentlichen Tötungen zeigte die Redaktion nur Standbilder.

Der Presserat kritisiert: „Mit der Veröffentlichung seiner Video-Ausschnitte bot die Redaktion dem Täter genau die öffentliche Bühne, die er haben wollte.“ Sie habe damit gegen Richtlinie 11.2 des Pressekodex verstoßen, in der es heißt:

Bei der Berichterstattung über Gewalttaten, auch angedrohte, wägt die Presse das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegen die Interessen der Opfer und Betroffenen sorgsam ab. Sie berichtet über diese Vorgänge unabhängig und authentisch, lässt sich aber dabei nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen. Sie unternimmt keine eigenmächtigen Vermittlungsversuche zwischen Verbrechern und Polizei.

Mit ihrer Berichterstattung habe die Redaktion aber genau das getan, sich nämlich zum Werkzeug von Verbrechern gemacht. Der Presserat kritisiert weiter:

Diese Bilder reichten jedoch, um Assoziationen zu erzeugen, die weit über das berechtigte öffentliche Interesse an dem Geschehen hinausgingen. Auch die detaillierte, dramatisierende Schilderung und drastische Bebilderung im  Begleittext zum Video bedienten nach Ansicht des Beschwerdeausschusses überwiegend Sensationsinteressen.

Ich hatte das im März im Deutschlandfunk entsprechend kommentiert:

Die Medien, die sich auf die Logik des Attentäters von Christchurch eingelassen haben, waren Komplizen bei seiner Tat. Denn sie haben das vollendet, was er begonnen hat. Der Täter hat die mediale Verbreitung seiner Tat einkalkuliert. Wer ihm hilft, macht sich mitschuldig – an diesem Verbrechen, aber auch an denen von Nachahmern.

Denn dem rechtsextremen Attentäter ging es nicht nur darum, viele Muslime zu töten. Er wollte auch, dass die Welt das erfährt.

Chefredakteur Julian Reichelt war das egal. Er hatte schon zur Veröffentlichung kommentiert:

Journalismus ist dazu da, Bilder der Propaganda und Selbstdarstellung zu entreißen und sie einzuordnen. Erst die Bilder verdeutlichen uns die erschütternde menschliche Dimension dieser Schreckenstat.

Genau das hatte bild.de aber nicht getan. Es hat die Bilder nicht der Propaganda entrissen, sondern die Propaganda fortgeführt. Das sieht auch der Presserat so. bild.de hat sich mit Anerkennung des Pressekodex dazu verpflichtet, Rügen zu veröffentlichen. Beim Presserat heißt es:

Die öffentliche Rüge ist die härteste Sanktion der Beschwerdeausschüsse. Sie muss von der Redaktion in einer ihrer nächsten Ausgaben veröffentlicht werden.

Mal sehen, ob das tatsächlich passiert.

Bild lässt Greta Thunberg die Schule schwänzen, obwohl sie gar nicht mehr hin muss

Dass Greta Thunberg und die Schüler, die seit Wochen und Monaten freitags nicht in die Schule gehen, von Politikern und Journalisten diffamiert werden, ist nichts Neues.

Statt über deren Anliegen, nämlich mehr Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe, zu diskutieren, sprechen sie lieber darüber, dass die Schüler ihrer Schulpflicht nicht nachkommen – also schwänzen. Das ist ganz praktisch, weil es vom eigentlichen Thema ablenkt – klassisches Derailing, wie es von Trollen im Netz praktiziert wird, aber auch Politikern und Journalisten nicht fremd ist.

Auch die Bild-Zeitung nutzt dieses Framing und schreibt jetzt zum Beispiel:

Greta Thunberg (16) wird das kommende Schuljahr ganz schwänzen – um sich dem Kampf gegen die Klima-Krise zu widmen!

In der Überschrift heißt es zwar noch relativ neutral:

Allerdings verrät die URL, dass der Artikel ursprünglich mit anderem Titel online gegangen ist oder gehen sollte:

https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/greta-thunberg-klimaaktivistin-wird-ein-jahr-lang-die-schule-schwaenzen-62336250.bild.html

Und auch die Vorschau im Tweet von Kevin Kühnert zeigt das:

Allerdings weist Kühnert zurecht darauf hin, dass das so nicht stimmt. Denn Greta schwänzt nicht die Schule. Das würde nur gelten, wenn sie so gegen die Schulpflicht verstoßen würde – was sie aber nicht tut, wie die Bild selbst später im Artikel schreibt:

Um ihre Schulzeit mache sie sich keine Sorgen, sagte Thunberg. Sie werde einfach ein Jahr später aufs Gymnasium wechseln. Normalerweise stünde für die junge Schwedin im August der Wechsel auf eine weiterführende Schule an. In den ersten neun Jahren gilt Schulpflicht.

Interessanterweise schreibt die Bild im selben zuerst zitierten Satz aber auch von der Klimakrise – und nutzt damit ein stärkeres Framing als mit dem sonst üblicherweise oft genutzten Begriff Klimawandel. Ein Wandel kann in die eine oder andere Richtung gehen, also auch einen positiven Wandel bringen. Beim Klima geht es allerdings für uns Menschen in eine negative Richtung, deswegen sind Begriff wie Klimakatastrophe und Klimakrise aus Sicht derjenigen, die diesen bekämpfen wollen, passender.

Ein Rücktritt ist nicht immer ein Rücktritt

Wann genau ist Heinz-Christian Strache eigentlich als österreichischer Vizekanzler zurückgetreten? Klar, das war am Samstag. Aber wann wurde sein Rücktritt wirksam?

Journalist*innen verheddern sich immer wieder, wenn es um Rücktritte geht. Denn nicht immer ist ein Rücktritt gleich vollzogen, wenn ihn jemand ankündigt. In der Realität gibt es da nämlich unterschiedliche Stufen, die ich mal so kategorisieren würde:

  • Politiker*in kündigt Rücktritt an, vollzieht ihn aber nicht sofort und nennt dafür auch kein Datum
  • Politiker*in kündigt Rücktritt mit Termin an
  • Politiker*in sagt, dass er/sie Rücktritt angeboten habe, dieser aber noch nicht angenommen wurde
  • Politiker*in tritt zurück

Journalisten scheren das allerdings oft über einen Kamm, auch am Samstag bei Strache. Denn er hatte am Mittag seinen Rücktritt nur angeboten.

Wörtlich sagte Strache:

Deshalb hab ich heute um 11 Uhr auch ein Gespräch mit Herrn Bundeskanzler Sebastian Kurz gehabt, wo ich meinen Rücktritt von der Funktion des Vizekanzlers der Republik Österreich angeboten habe und er diese Entscheidung annehmen wird.

Kurz wollte sich ursprünglich um 14 Uhr zu Wort melden, tat das aber stundenlang nicht. Erst um 19.45 Uhr trat er vor die Kameras und nahm den Rücktritt an. Bis dahin war dieser in der Schwebe.

Das hielt Medien aber nicht davon ab, schon am Mittag von Straches Rücktritt zu schreiben. Die Überschriften waren oft falsch, die Teaser aber zumindest meistens richtig.

 

Man mag das kleinlich finden, aber es spielt gerade in der Verlaufsberichterstattung etwa im Radio, Fernsehen oder online schon eine Rolle, wie gerade jeweils der Stand der Dinge ist. Zumal sich die Lage in Österreich am Wochenende auch eher langsam entwickelt hat. Hatte man schon für den Mittag erwartet, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz Straches Rücktritt annimmt, so geschah das tatsächlich erst am Abend.

Ähnlich am gestrigen Montag: Zwar hatte Kanzleramtsminister Gernot Blümel schon am Sonntag angekündigt, dass Kurz Innenminister Herbert Kickl entlassen würde und Kurz sich auch am Mittag geäußert hat, so geschah die eigentliche Entlassung tatsächlich erst am Abend. Und auch das ist genau genommen keine Entlassung, denn Kurz kann sie dem Bundespräsidenten nur vorschlagen.