Presserat: bild.de hat sich zum Werkzeug des Christchurch-Täters gemacht

Der Deutsche Presserat hat bild.de dafür gerügt, dass es Sequenzen aus dem Video des Christchurch-Attentäters veröffentlicht hat. Dieser hatte im März die Tötung von mehr als 50 Menschen live bei Facebook übertragen. bild.de hatte Video-Ausschnitte gewählt, die den Täter auf dem Weg zu den Moscheen und beim Laden einer Waffen zeigten. Von den eigentlichen Tötungen zeigte die Redaktion nur Standbilder.

Der Presserat kritisiert: „Mit der Veröffentlichung seiner Video-Ausschnitte bot die Redaktion dem Täter genau die öffentliche Bühne, die er haben wollte.“ Sie habe damit gegen Richtlinie 11.2 des Pressekodex verstoßen, in der es heißt:

Bei der Berichterstattung über Gewalttaten, auch angedrohte, wägt die Presse das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegen die Interessen der Opfer und Betroffenen sorgsam ab. Sie berichtet über diese Vorgänge unabhängig und authentisch, lässt sich aber dabei nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen. Sie unternimmt keine eigenmächtigen Vermittlungsversuche zwischen Verbrechern und Polizei.

Mit ihrer Berichterstattung habe die Redaktion aber genau das getan, sich nämlich zum Werkzeug von Verbrechern gemacht. Der Presserat kritisiert weiter:

Diese Bilder reichten jedoch, um Assoziationen zu erzeugen, die weit über das berechtigte öffentliche Interesse an dem Geschehen hinausgingen. Auch die detaillierte, dramatisierende Schilderung und drastische Bebilderung im  Begleittext zum Video bedienten nach Ansicht des Beschwerdeausschusses überwiegend Sensationsinteressen.

Ich hatte das im März im Deutschlandfunk entsprechend kommentiert:

Die Medien, die sich auf die Logik des Attentäters von Christchurch eingelassen haben, waren Komplizen bei seiner Tat. Denn sie haben das vollendet, was er begonnen hat. Der Täter hat die mediale Verbreitung seiner Tat einkalkuliert. Wer ihm hilft, macht sich mitschuldig – an diesem Verbrechen, aber auch an denen von Nachahmern.

Denn dem rechtsextremen Attentäter ging es nicht nur darum, viele Muslime zu töten. Er wollte auch, dass die Welt das erfährt.

Chefredakteur Julian Reichelt war das egal. Er hatte schon zur Veröffentlichung kommentiert:

Journalismus ist dazu da, Bilder der Propaganda und Selbstdarstellung zu entreißen und sie einzuordnen. Erst die Bilder verdeutlichen uns die erschütternde menschliche Dimension dieser Schreckenstat.

Genau das hatte bild.de aber nicht getan. Es hat die Bilder nicht der Propaganda entrissen, sondern die Propaganda fortgeführt. Das sieht auch der Presserat so. bild.de hat sich mit Anerkennung des Pressekodex dazu verpflichtet, Rügen zu veröffentlichen. Beim Presserat heißt es:

Die öffentliche Rüge ist die härteste Sanktion der Beschwerdeausschüsse. Sie muss von der Redaktion in einer ihrer nächsten Ausgaben veröffentlicht werden.

Mal sehen, ob das tatsächlich passiert.

Welche Folgen haben journalistische Recherchen?

Journalismus wirkt. Das hat diesen Monat die Veröffentlichung des Videos mit dem österreichischen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gezeigt. Er ist als Vizekanzler und Parteichef zurückgetreten, die FPÖ-Minister haben die Regierung verlassen, im Herbst gibt es Neuwahlen. Selten hat journalistische Arbeit so schnell so deutliche Auswirkungen.

Aber auch die Panama und Paradise Papers, die Steuerbetrugsfälle von CumEx und Football Leaks haben teilweise Sensationelles zu Tage gefördert. Im Anschluss gibt es manchmal große Aufregung, aber oft verpufft ein aufgedeckter Skandal danach schnell wieder. Was können Journalisten mit investigativen Recherchen überhaupt noch ausrichten? Ich habe mich für @mediasres im Deutschlandfunk mit der Frage befasst.

Die Akte Hannibal – ein Werkstattbericht

Die Tageszeitung „taz“ hat herausgefunden, dass es rechtsextreme Netzwerke von Polizisten und Soldaten gibt. Stichwort: Hannibal. Ihre ersten Veröffentlichungen haben aber keine große Beachtung gefunden. Erst als auch das Nachrichtenmagazin „Focus“ und das ZDF-Magazin „Frontal 21“ einstiegen, bekamen sie eine größere mediale Öffentlichkeit.

Auf der Republica haben taz-Redakteurin Christina Schmidt und ihre Kollegen erzählt, was sie recherchiert haben und welche Folgen das hatte.

Nachher hat mir Christina Schmidt im Interview erzählt, dass sich vor allem Politiker für die Berichte interessiert hätten. Abgeordnete im Bundestag und in Landtagen hätten Anfragen an die zuständigen Behörden gestellt. Und auch personell habe es Konsequenzen gegeben.

Was wir aber sehen, sind eine Reihe von kleineren oder mittleren Veränderungen, beispielsweise gibt es einen Verfassungsschutzmitarbeiter in Baden-Württemberg, der hat in seiner Freizeit einen Verein ins Leben gerufen, der militärtaktische Trainings für Zivilisten anbietet. Als das Innenministerium das dann mitbekommen hat bzw. wir diese Personalie veröffentlicht haben, haben sie ihn dort abgezogen und versetzt.

Doch viel mehr passierte nicht. Auch öffentlich nicht. Und das, obwohl sich Journalisten nach dem Auffliegen der Terrorgruppe NSU geschworen hätten, in Sachen Rechtsextremismus genauer hinzuschauen, sagt Schmidt.

Irgendwie funktioniert es nicht, diese Informationen dazu zu bringen, dass auf der anderen Seite damit weitergearbeitet wird. Und einerseits ist natürlich die Frage: Berichten wir Journalisten falsch? Also finden wir die falschen Formate, hat keiner Lust, uns zuzuhören? Aber die andere Frage ist natürlich auch an den Rest der Gesellschaft: Warum hören die so wenig zu? Und darauf habe ich keine Antwort.

Mehr zu den Folgen journalistischer Recherchen demnächst hier.

@mediasres zum Strache-Video

Ich habe am Montag bei Twitter darauf hingewiesen, was für eine tolle Sendung die Kolleg*innen von @mediasres im Deutschlandfunk zum Strache-Video abgeliefert haben. Abseits der politischen Umbrüche, die das Video mit sich gebracht hat, gab es viele Medienaspekte, die sie dort aufgearbeitet haben.

So hat Spiegel-Redakteur Martin Knobbe erzählt, wie man das Ibiza-Video ausgewertet habe. Das habe für Aufklärung gesorgt über eine Partei, „die nach außen hin gewisse Themen und Tugenden propagiert, hinter der Fassade aber ganz, ganz anders aussieht“.

In dem Video spricht der mittlerweile zurückgetretene FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache auch darüber, wie seine Partei mehr Einfluss bei der wichtigsten Zeitung des Landes bekommen könnte, der „Kronen-Zeitung“. Darin zeige sich ein für rechte Parteien typisches Muster im Umgang mit Medien, sagte Journalistin Malene Gürgen.

Der Chefredakteur der Zeitung, Klaus Herrmann, erzählt, dass diese oft in der Kritik gestanden habe, weil sie besonders freundlich über die FPÖ berichtet habe. Aber diese „objektive oder korrekte Berichterstattung wurde von den Freiheitlichen ganz offensichtlich ohnehin nicht geschätzt“.

Schon kurz nach der Veröffentlichung des Videos hatte der baden-württembergische Landesbeauftragte für Datenschutz, Stefan Brink, schon Zweifel angemeldet, dass diese rechtmäßig ist. Die Veröffentlichung sei datenschutzrechtlich hochproblematisch, sagte Brink im Dlf. Man hätte die Geschichte auch ohne das Video erzählen können.

Wahlwerbung: hilfreich oder überflüssig?

Am 26.05. sind die Wahlen zum Europäischen Parlament. Zurzeit buhlen die Parteien via Wahlwerbung um die Wählergunst. Die Rundfunksender sind zur Ausstrahlung verpflichtet. Wir haben in „@mediasres im Dialog“ im Deutschlandfunk am Freitag gefragt, was die Leute von der Wahlwerbung halten, und ich hab noch mal ein paar Hintergründe beigesteuert.

Drei Fragen an Oliver Schröm, Correctiv-Chefredakteur

In der vergangenen Woche hat das gemeinnützige Recherchebüro Correctiv ihre bisher größte Recherche veröffentlicht: „Grand Theft Europe“ – eine Geschichte über massenhaften Umsatzsteuerbetrug in Europa. Beteiligt waren 35 Redaktionen in 30 Ländern. In unserer @mediasres-Rubrik „Drei Fragen an“ (Audio) hat mir Oliver Schröm erzählt, wie ihn das beschäftigt hat.

„Diejenigen, die die Revolution gestalten wollen“

Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt ist seit Jahren mit seinem Berlin-Newsletter „Checkpoint“ erfolgreich (den es seit gestern nur noch kostenpflichtig gibt). Auf der Republica habe ich ihm unsere drei Fragen gestellt: Was läuft gut in den Medien? Was läuft schlecht? Und bei Ihnen? Seine Antworten hier zum Nachhören.

Bilanz der Republica 2019: Neue Ideen und alte Diskussionen

Drei Tage lang haben sich in Berlin auf der re:publica Netzaktivisten, Politiker und Journalisten getroffen. Urheberrechtsreform, Netzpessimismus, Netzregulierung – Europas größte Digitalkonferenz hat viele große Themen berührt. Für den Deutschlandfunk habe ich einen Überblick am dritten und letzten Tag der Konferenz gegeben.

Werden die Europawahlen im Netz entschieden?

Über soziale Medien lassen sich politische Botschaften, aber auch Desinformation und Propaganda schnell verbreiten. Inwiefern könnte das die Europawahlen gefährden? Auf der re:publica habe ich für @mediasres mit SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, Journalistin Karolin Schwarz und Social-Media-Analyst Luca Hammer diskutiert.

Wie Polizei und Politiker Journalisten einschüchtern

Am Freitag ist Internationaler Tag der Pressefreiheit. Noch vor einigen Jahren war das für deutsche Journalisten eher ein Feiertage. Inzwischen gibt es auch hier Sorgen, diese Freiheit nach Artikel 5 Grundgesetz könne eingeschränkt werden. Denn die Einschläge kommen näher: Hat man früher vor allem über Gegenden außerhalb Europas berichtet, gibt es inzwischen auch in Europa und sogar innerhalb der EU Angriffe auf Medien, nicht nur von Bürgern und Gruppen, sondern auch von Politikern und sogar Regierungsvertretern, wie aktuell in Österreich zu sehen.

Dem Thema haben wir bei @mediasres am heutigen Feiertag eine ganze Sendung gewidmet.

Michael Rediske, Vorstand der deutschen Sektion der „Reporter ohne Grenzen“, erklärt, wie die Rangliste der Pressefreiheit entsteht (Audio).

Dass die österreichische Regierungspartei FPÖ den öffentlich-rechtlichen Sender ORF angreift, hält der Vorsitzende des ORF-Redakteursrats für eine Einschränkung der Pressefreiheit. Dieter Bornemann sagte im Dlf, das habe auf den gesamten Journalismus im Land massive Auswirkungen.

Der Publizist und frühere SZ-Redakteur Heribert Prantl wünscht sich von deutschen Journalisten mehr Souveränität. Er sei zuversichtlich, dass sich der Vorwurf des „Lügenjournalismus“ nicht lange halten werde, sagte er im Dlf. Gleichzeitig kritisierte er den Stand der Pressefreiheit in der Bundesrepublik.

In Bulgarien sollen sich Politiker der regierenden rechts-konservativen Koalition und Medienmogule wiederholt an EU-Geldern bereichert haben. Berichtet wird darüber allerdings kaum – auch weil das lebensgefährliche Konsequenzen haben kann.

Frankreichs Journalistengewerkschaften kritisieren, dass die Polizei Journalisten bei Demonstrationen der Gelbwesten angreift und willkürlich festnimmt. Der Regierung werfen sie vor, solche Verstöße gegen die Pressefreiheit systematisch zu decken.