Das Raunen als Argument

Die öffentliche Diskussion, wie sie in sozialen Netzwerken auftritt, leidet unter einem Paradox (sicher sogar unter mehreren, aber mir geht es um eines): die Unfähigkeit vieler, zu argumentieren. Wie leicht ist eine Meinungsäußerung, ein Medienbericht, eine Meinung kommentiert, die dann aber nicht argumentativ unterfüttert wird. Und auch auf Nachfrage gibt es keine weiteren Erläuterungen.

Ich nenne es das Raunen als Argument.

Beispielhaft zeigte es sich heute morgen. Da gab die Juristin und Publizistin Liane Bednarz dem Deutschlandfunk ein Interview, in dem sie ihre Position ausführlich darlegte. Man muss damit nicht einverstanden sein, aber man kann sich keiner Diskussion stellen, die ohne Argumente daherkommt. So schrieb der Publizist Hugo Müller-Vogg:

Das ist natürlich eine zulässige Meinungsäußerung. Sie sollte aber argumentativ gestützt werden können. Wenn man das Interview liest oder hört, sehe ich jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, wie Müller-Vogg zu seiner Schlussfolgerung kommt. Bednarz ruft dazu auf, bewusst mit Sprache umzugehen, und sagt etwa auch:

Ich meine, man kann diese Gedanken ja nicht verbieten. Das soll man auch gar nicht. Aber diskutieren heißt auch, dass man es problematisiert, weil es ja nun tatsächlich auch problematisch ist, und Meinungsfreiheit wirkt in alle Richtungen. Das heißt, die Kritik an dieser Entwicklung ist natürlich auch von der Meinungsfreiheit und der Debatte gedeckt. Das vergessen häufig diejenigen, die diese Vokabeln benutzen und sich sofort, wenn sie kritisiert werden, zensiert fühlen zum Beispiel.

Wo da oder an anderen Stellen im Interview die Forderung nach einer Sprachpolizei – mit diesem Begriff verbinde ich Zensur, wie auch der Hashtag #1984 nahelegt – zu finden ist, erschließt sich mir nicht. Auf entsprechende Nachfragen nicht nur von mir hat Müller-Vogg bisher nicht reagiert. Er zeigte sich vielmehr gereizt davon, dass Bednarz selbst sein Geraune thematisierte.

So bleibt nur ein Raunen stehen. Es wurde etwas gesagt, das laut ihrem Urheber offenbar keinerlei Beleg verlangt. Es ist dies eine Methode, wie sie auch von Pegida-Anhängern oder AfD-Politikern verwendet wird: Man stellt eine Behauptung auf, die die Diskussion prägen wird, weist aber deren Plausibilität nicht nach.

Es ist eine Argumentation, die man in sozialen Netzwerken immer wieder findet, und bei deren Hinterfragung man Formulierungen erntet wie „Ist ja wohl klar, was ich meine“, „Wer das nicht sieht, ist blind“, „Das ist so offensichtlich, dazu muss ich nicht mehr sagen“. Tatsächlich entzieht man sich damit aber einer Auseinandersetzung, obwohl man diese selbst begonnen hat. Auf Kritik reagiert man dünnhäutig. Man pocht auf sein Recht, seine Meinung sagen zu dürfen, und erträgt es dann nicht, dass jemand anderes eben jenes Recht auch wahrnimmt, den anderen zu kritisieren.

Der politischen Auseinandersetzung ist nicht gedient, wenn sie nur durch Raunen geführt wird.

Nachtrag, 22.09., 13.40 Uhr: Mittlerweile hat Hugo Müller-Vogg geantwortet, allerdings nicht auf die von mir gestellte Frage.

Womit er meiner Argumentation einen weiteren Beleg geliefert hat. Danke dafür.

Nachtrag, 26.09., 12.45 Uhr: Das Raunen als Argument hat bei Müller-Vogg offenbar Methode. Mehrere Tweets, die sich auf die Seximusvorwürfe der Berliner CDU-Politikerin Jenna Behrends beziehen, erheben sehr diffuse Vorwürfe, ohne dass zu erkennen ist, was Müller-Vogg damit meint. Er zweifelt ihre Glaubwürdigkeit an, ohne ein Argument zu liefern, wieso er das tut.

Man würde gerne über die Sachlage diskutieren – aber Müller-Vogg zieht es vor, keine Argumente zu liefern. Das scheint seiner Sache mehr zu dienen. Für einen Journalisten keine Glanzleistung.

Wie sich Volker Herres von seinen Presseclub-Gästen distanziert

Wenn Volker Herres den Presseclub im Ersten moderiert, kündigt er seine Gesprächspartner mit durchaus merkwürdigen Worten an. Er sagt dann in der Regel:

„Ich freue mich auf meine Gäste und darf Ihnen meine Gesprächspartner vorstellen.“

Das klingt so, als seien das zwei verschiedene Gruppen. Kann das jemand erklären? Herres selbst antwortete einst in einem Tweet, er sehe darin kein Problem.

Die FAZ macht jetzt auf hip und kritisiert ohne Argumente

Die Startseite des BR-Videotext-Angebots
Die Startseite des BR-Videotext-Angebots, die es auch im Netz gibt. (Screenshot: http://www.br.de/static/pda/bayerntext.html?vtxpage=100&%23.x=0&%23.y=0#)

Es gibt am öffentlich-rechtlichen System wahrlich einiges zu kritisieren. Deswegen verwundert es manchmal, welche vergleichweisen Nichtigkeiten sich Zeitungsjournalisten heraussuchen, die sie dann an den Pranger stellen.

Von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, namentlich ihrem Medienredakteur Michael Hanfeld, der gelegentlich durchblicken lässt, dass er von Arbeitsabläufen in Fernseh- und Radioredaktionen wenig versteht, ist man derartiges gewohnt. Diesmal argumentiert aber auch Ursula Scheer durchaus eigenartig. Sie beschäftigt sich mit dem neuen Namen für den Videotext des Bayerischen Rundfunks.

Warum der jetzt nicht mehr Bayern-Text, sondern BR-Text heißt, könnte man in der Pressemitteilung nachlesen. Dort heißt es:

Der neue Name folgt der veränderten Markenführung im Bayerischen Rundfunk. (BR Fernsehen, BR Sport, BR24). Aufgaben und Zuschnitt der Redaktion „BR Text“ ändern sich aber nicht.

Ursula Scheer dagegen unterstellt andere Gründe für den Namenswechsel:

Will einem partout nichts Neues einfallen, weder inhaltlich noch medial, obwohl man doch gerne frisch und jung und jugendlich, innovativ und lebenslang lernbereit erscheinen möchte, hilft nur die verbale Flucht nach vorn. (…) Und so sucht man, bleibt die Rezeptur immer die nämliche, sein Heil eben im kühnen Namenswechsel.

Wirkliche Argumente dagegen kann sie nicht vorweisen. Und in gewisser Weise kann man den Beitrag auch als launige Glosse lesen, zumal es im kleinsten Teil des Textes tatsächlich um den BR-Text geht, sondern Ausflüge in anderen Lebensbereiche gemacht werden, in denen es um Namenswechsel geht. Und auch das Fazit ist relativ versöhnlich. Der süffisante Ton allerdings, der einem schon aus Überschrift und Teaser entgegenspringt und der dem Bayerischen Rundfunk etwas unterstellt, was dieser nie angestrebt hat, passt ganz gut in die Reihe früherer Beiträge, in denen Autoren der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Medienteil ihre Verachtung für das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen breittreten.

Ein Hoeneß muss nicht gewählt werden

Gut, gut, offenbar gibt es wenige Zweifel daran, dass Uli Hoeneß demnächst wieder Präsident des FC Bayern München sein wird. Allerdings haben sich manche Journalisten heute dermaßen überschlagen, dass ganz durcheinander ging, wie das eigentlich ablaufen soll. Kandidatur? Wahl? Offenbar nicht nötig.

So war sich die Sportschau etwa schon sehr sicher, dass Hoeneß zurückkehrt – laut Tweet und Überschrift des Artikels in jedem Fall. Sogar der ersten Satz im Text lautete „Honeß wird sich (…) wählen lassen.“ Das ist kühn. Auch MDR Aktuell formulierte das so, als sei Hoeneß soeben gewählt worden.

ZDF heute schrieb zwar zuerst richtig, dass Hoeneß kandidiere, rutschte dann aber später wieder teilweise in den Indikativ ab.

Während die Süddeutsche Zeitung sich zumindest sprachlich ein wenig distanzierte.

Vielleicht haben sich einige Journalisten auch zu sehr auf die Formulierung der Nachrichtenagentur SID verlassen. Der Sport-Informationsdienst etwa meldete die Kandidatur ebenfalls als praktisch unnötig.

SIDSehr schön hat die ganze Geschichte SPIEGEL online zusammengefasst.

Am Ende gilt aber in jedem Fall:

Arbeiten in der Chaosphase – zwei Redaktionen zeigen, wie das läuft

Der mutmaßliche Amoklauf von München hat zum ersten Mal in Deutschland eine Breaking-News-Situation der besonderen Art für hiesige Journalisten hergestellt. Anders als bei den Terroranschlägen von Paris, Brüssel und Nizza waren nicht nur einige wenige deutsche Korrespondenten vor Ort, sondern hunderte, die direkt von den Orten der Ereignisse berichten konnten – nicht nur vom Tatort, sondern auch von anderen Orten in München, die von der Polizei stundenweise für Tatorte gehalten wurden.

Eine Berichterstattung im Ausnahmezustand – oder in der „Chaosphase“, wie Annette Ramelsberger in der Süddeutschen Zeitung schreibt. Der Begriff beschreibe die Anfangsphase, in der erst mal nichts klar sei, in der man keine Hintergründe kenne und auf alles gefasst sein müsse. Eine Woche nach dem mutmaßlichen Amoklauf blickt Ramelsberger auf die Berichterstattung ihrer Zeitung in jener Nacht von München und versucht transparent zu machen, wie die Arbeit von Journalisten in so einer Situation aussieht.

„In diesem Moment muss eine Redaktion entscheiden, was sie berichtet und was nicht. Während eine Zeitungsredaktion zumindest ein paar Stunden zum Nachrecherchieren der Hinweise hat, muss eine Online-Redaktion sofort entscheiden, was sie weitergibt. Innerhalb von Minuten muss dann entschieden werden, ob man den Hinweis auf eine Schießerei am Stachus auf die Homepage nimmt oder nicht. Die Entscheidung muss fallen zwischen der Warnung, dem möglichen Schutz von Menschenleben und dem weiteren Schüren von Hysterie.“

Ramelsberger greift auch die Skepsis von Nutzern auf, die glauben, alle Tatsachen müssten von Anfang an bekannt sein.

„Doch die belastbaren Tatsachen schälen sich erst allmählich aus dem Wust an Informationen heraus, die minütlich auf die Redaktion einprasseln. Vieles lässt sich erst nach mehreren Tagen wirklich klären – das ist keine böse Absicht, das heißt nicht, dass die SZ etwas verschweigen will, sondern: Sie weiß es einfach nicht. Genauso wenig wie die Ermittler.“

Auch der Nachrichtenchef des Deutschlandfunks, Marco Bertolaso, hat mit etwas Abstand aufgeschrieben, unter welchen Bedingungen seine Redaktion während des Amoklaufs arbeitet. Er findet, dass es heutzutage nicht mehr reicht, nur Fakten zu melden und bei Gerüchten abzuwarten, bis sie bestätigt oder widerlegt werden.

„Wir müssen uns auch aktiv daran beteiligen, Gerüchte und Unterstellungen einzufangen, bevor sie politisch-gesellschaftliche oder andere Folgen haben. (…) Wir müssen die Spekulationen offensiv angehen und klar stellen, dass es keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt.“

Als reine Redaktion für Radionachrichten hat man früher bis zur jeweils nächsten Sendung, also bis zu einer Stunde lang, abwarten können, wie sich eine unsichere Lage bis dahin darstellt. Heute kann man ständig online informieren – und tue das deshalb auch in unsicheren Informationslagen.

„Wie andere Berufe auch hat sich der Nachrichtenjournalismus rasant verändert. Wir müssen in Echtzeit reagieren und eine Vielzahl an Verbreitungswegen bedienen. Mehr denn je müssen wir schnell sein, mehr denn je müssen wir abwägen. Das ist eine beachtliche Herausforderung.“

Zwei gute Beispiele, wie Redaktionen offenlegen können, wie sie in solchen auch für Journalisten extremen Situationen arbeiten. Wir brauchen mehr davon, um Vertrauen in unsere Arbeit zu bewahren. Ich glaube, dass es irgendwann selbstverständlicher Teil unserer Arbeit sein wird, nicht nur Rechercheergebnisse zu liefern, sondern auch deren Zustandekommen transparent zu machen.

Offenlegung: Ich arbeite als freier Mitarbeiter für die Nachrichten- und Online-Redaktion des Deutschlandfunks.

Nachtrag, 5. August: Auch Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke hat die Berichterstattung noch mal Revue passieren lassen.

Weniger Ruhm für die Täter – die ersten Medien machen ernst

Es deutet sich ein Umdenken an in der deutschen Medienlandschaft. Nach praktisch jedem Terroranschlag, nach jedem Amoklauf interessierten sich Journalisten fast immer stärker für den Täter als für die Opfer. Das ist verständlich, versucht man doch, seine Motivation herauszufinden, um sein Handeln verstehen zu können. Doch das ist letztlich kontraproduktiv.

Einige Redaktionen haben das verstanden und für ihre Produkte eine Grundsatzentscheidung getroffen.

„Die Zeit“ zum Beispiel hat sich entschieden, den Täter und seine Symbole wie etwa seine Waffen unkenntlich zu machen. Auch wenn ich es noch besser finden würde, sie gar nicht zu zeigen, das heißt auf Fotos besser ganz zu verzichten, ist das ein guter Schritt in die richtige Richtung. Tätern, die Aufmerksamkeit wollen, sollte man diese Öffentlichkeit verweigern. Im Falle von Terroranschlägen wie auch bei Amokläufen geht es nach allem, was wir wissen, ja genau darum. Deswegen hatte ich neulich schon mal dazu aufgerufen, auf Bilder und eine zu große Berichterstattung über die Taten zu verzichten.

Der Kriminologe und Strafrechtler Henning Müller von der Universität Regensburg beschäftigt sich mit Amok und Schulmassakern. Er sagte im Interview mit wdr.de:

„Die Tat ist (…) für Amokläufer und Attentäter die Chance, es bis auf alle Titelseiten zu schaffen und Berühmtheit und Aufmerksamkeit zu erlangen. (…) Diese mediale Aufmerksamkeit wiederum kann Anreiz für andere potenzielle Täter sein, die genau diesen Effekt auch für sich wiederholen oder sogar übertreffen (…) wollen.“

Müller fordert, dass alle seriösen Medien darauf verzichten sollten, Bilder zu zeigen, die den Täter identifizierbar machen. Auch das WDR-Magazin „Aktuelle Stunde“ will deswegen laut seinem Chef Stefan Brandenburg auf solche Bilder verzichten.

Verzichten wollen auch in Frankreich einige Medien, etwa die Tageszeitung „Le Monde“, erläutert die Süddeutsche Zeitung. Und sie will auch kein Propagandamaterial mehr verbreiten. Ähnlich die katholische Tageszeitung „La Croix“ und der Nachrichtenfernsehsender BMFTV. Eine tiefgründige Berichterstattung über das Profil und den Werdegang der Täter verhindere dies nicht, berichtet der Tagesspiegel unter Berufung auf den Sender. Ein wenig Aufmerksamkeit könnte ihm also trotzdem noch zuteil werden, wenn auch nicht mit großen Bildern.

Boulevardblätter wie die „Bild“ und (auch) das Nachrichtenmagazin „Focus“ sind da skrupelloser. Sie bieten dem Attentäter die Bühne, die er braucht – und versprechen das damit indirekt auch seinen Nachahmern. Mit der Veröffentlichung von Bildern sowohl des Selbstmordattentäters von Ansbach als auch des Amokläufers von München hat es die „Bild“ jedenfalls wieder gezeigt. Denn auch wenn man laut schreit, wie schlimm die Propaganda ist, so verbreitet man sie damit doch.

Die B.Z. Berlin hat die Idee nur halbherzig umgesetzt. Sie brachte das Foto des Amokläufers von München zwar nicht auf der Titelseite und rühmte sich stattdessen dafür. Im Innenteil konnte man es jedoch trotzem sehen. Für mich macht das keinen großen Unterschied. Die Erklärung von Chefredakteur Peter Huth bei Meedia:

Wir müssen das, was wir über den Täter wissen, in Wort und Bild, darstellen.

Das überzeugt mich nicht. Wieso muss man? Im Wort, okay. Aber warum im Bild? Selbst wenn der Amokläufer ein Mensch war und keine Bestie, wie Huth ausführt, so geben wir ihm damit am Ende jene Aufmerksamkeit, die er sich (wie andere nach ihm) gewünscht haben mag, die er aber offenbar nur auf diese Weise bekommen konnte. Damit ist der Weg für Nachahmer bereitet. (In der FAZ äußert sich Huth noch mal zu dem Fall.)

Dass das Interesse der Zuschauer für die Berichterstattung ausschlaggebend sein soll, wie mancher Journalist glaubt, enthebt uns Journalisten der Verantwortung. Würden wir ständig danach handeln, was für Zuschauerinteresse hielten (aber nicht wüssten), würden viele Themen nicht ihren Weg in die Medien finden – und viele andere umso mehr.

Allerdings sind Zuschauer auch Bürger dieses Landes, die gleichermaßen ein Interesse an Sicherheit haben. Es liegt also auch in ihrem Interesse, wenn Nachahmer abgeschreckt oder zumindest nicht ermutigt werden. Insofern hat der Kriminologe Müller ganz recht, wenn er sagt:

„Wenn der Täter keinen ‚Ruhm‘ mehr bekommt und kein ’negativer‘ Held wird, dann geben die Medien potenziellen Nachahmern kein zusätzliches Motiv an die Hand.“

Bisher haben nur seriöse Medien angekündigt, keine Bilder des Täters mehr zu zeigen. Wie es andere deutsche Zeitungen im Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger halten, wollte dieser auf Anfrage des Deutschlandfunks nicht kommentieren. Auf solcherlei seriöse Berichterstattung kann so ein Täter wahrscheinlich am ehesten verzichten, solange er im Boulevard und im Fernsehen mit großen Bildern und wenigen Buchstaben rechnen kann. Aber ein Anfang ist gemacht.

Nachtrag, 30. Juli: Kolja Reichert kritisiert in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass Medien den Fotos gerade durch das Nichtzeigen einen gewissen Nimbus verleihen.

Nachtrag, 31. Juli: Wibke Becker beschäftigt sich ebenfalls in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit der Nennung des Namens von Attentätern:

Die „damnatio memoriae“ für Attentäter wäre keine Auslöschung der Tat oder der Zeugnisse. Sie wäre eine gemeinschaftliche Verweigerung, einem Täter durch die Namensnennung den Platz in der Geschichte zu schaffen, den er sich selbst durch ein Verbrechen ausgesucht hat.

Weiterführend:

Bitte verfallen Sie in Panik

Eine Aufgabe von Journalisten ist es, auszuwählen, welche Themen relevant sind für ihre Leser, Hörer und Zuschauer. Seit den jüngsten Terroranschlägen zweifle ich aber daran, ob wir das wirklich tun. Denn die Horrormeldungen reißen nicht ab: Orlando, Nizza, Würzburg, Reutlingen, München, Ansbach – Orte, an denen es Gewalttaten gegeben hat. Nicht alle sind journalistisch gleich relevant. Die Tat in Reutlingen etwa ist insofern ein Ausreißer, da es sich dabei laut Polizei um eine Beziehungstat gehandelt hat, also die Relevanz für eine größere Öffentlichkeit über Reutlingen hinaus zweifelhaft ist. Dennoch sind wir Journalisten alle drauf angesprungen, war der Täter in Reutlingen doch ein Flüchtling aus Syrien, der einen Asylantrag gestellt hatte.

Jede Gewalttat weltweit scheinen wir offenbar erst mal als weiteren Anschlag einzustufen, bis das Gegenteil bewiesen ist. Das zeigte sich nicht nur an Reutlingen, sondern auch an Fort Myers in Florida. Dort hatte es eine Schießerei mit zwei Toten gegeben, die zugegebenermaßen an den Anschlag auf einen schwulen Club in Orlando erinnerte, aber nach derzeitigem Stand keinen terroristischen Hintergrund hat. Dennoch klingelten die Eilmeldungen und suggerierten einen solchen Zusammenhang. Denn die Tat fügt sich in das Narrativ dieser Tage ein, dass es überall Terrorismus gibt. Dabei sterben in den USA jedes Jahr mehr als 30.000 Menschen durch Schusswaffen, und die Tat von Fort Myers ist nach derzeitigem Ermittlungsstand wohl nur eine weitere in dieser Reihe. Wäre sie uns wirklich eine Eilmeldung wert, wenn sie nicht nach anderen Taten passiert wäre?

Ich finde, indem Journalisten bei jeder neuen dieser Taten erst mal hyperventilieren, ohne weitere Hintergründe zu kennen, ihn per Eil- oder Pushmeldung in die Welt blasen und ihn damit indirekt in das Narrativ einbauen, bauen sie ein Bedrohungsszenario auf, das mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat. Selbst wenn innerhalb der Meldungen differenzierter argumentiert wird. Die Relevanz solcher Meldungen – zumindest als Eilmeldung – ist für mich fraglich. Damit verfallen wir in das Narrativ von Terroristen, die Angst und Schrecken verbreiten wollen – und wir Journalisten komplettieren ihre Angstmache mit Taten, die damit nichts zu tun haben.

Nach dem Amoklauf von München: Lieber zurückhaltend berichten?

Eigentlich hatte sich ein Großteil der Journalisten mal darauf geeinigt, wie über Suizide berichtet werden soll. Gegossen wurde das in Richtlinie 8.7 des Pressekodex:

Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände.

Der Hauptgrund dafür liegt im sogenannten Werther-Effekt. Demzufolge gehen Wissenschaftler davon aus, dass nach ausführlicher Berichterstattung über einen Suizid Nachahmer angeregt werden. Zahlen belegen das – wie im Fall des Fußballtorwarts Robert Enke, der sich im November 2009 das Leben nahm.

Was aber tut man, wenn die „näheren Begleitumstände“ so gravierende Ausmaße angenommen haben wie am Freitag in München?

Als die ersten Meldungen über Schüsse am Olympia-Einkaufszentrum eingingen, war die Lage völlig unklar. Später am Abend ging die Münchener Polizei von einer „akuten Terrorlage“ aus. Bei einer Pressekonferenz am Samstag sprach Polizeipräsident Hubertus Andrä dann schließlich davon, dass es sich wahrscheinlich um einen Amoklauf gehandelt habe. Ein Kennzeichen vieler Amokläufe ist auch, dass die Täter Öffentlichkeit herstellen wollen; sie enden oft damit, dass sich der Täter selbst tötet und das auch von Anfang an vorhatte. Auch im Fall von München war das so.

Marlene Halser schreibt heute in der taz:

Auswertungen zeigen, dass fast die Hälfte aller Amokläufe innerhalb von zehn Tagen nach einer ausführlichen Berichterstattung über einen anderen Amoklauf geschehen. Ist dieser „Werther-Effekt“ mit Grund für die hohe Schlagzahl an Schreckensereignissen, die wir erleben? Möglich ist das auf jeden Fall.

Damit geraten zwei Interessen in Konflikt: Einerseits sollen Journalisten im Fall eines Selbstmords Zurückhaltung üben, andererseits war die Öffentlichkeit durch den Fall so massiv beeinträchtigt, dass ein berechtigtes Interesse an Information besteht. Folgt man ersterer Maxime, hätte man die Berichterstattung am Samstag sofort auf ein Minimum beschränken müssen, um keine Nachahmer anzuregen.

Dabei gilt das nicht nur für Amokläufer, sondern auch für Terroristen, wie der Politikwissenschaftler Matthias Hermann im Schweizer Tagesanzeiger vorige Woche schrieb:

Längst ist bekannt, dass immer umfänglicher bebilderte terroristische Taten und Amokläufe nur noch mehr Nachahmungstäter auf den Plan rufen. Dazu kommt, dass mit der Bilderflut jeder nächste Täter von seinen Vorgängern lernen kann, ohne selbst vor Ort gewesen zu sein.

Wenn es Amokläufern wie Terroristen um Öffentlichkeit geht – ist es dann nicht die Aufgabe von Journalisten im Dienste der Öffentlichkeit, ihnen diese Medienpräsenz vorzuenthalten? Nur, wenn die Täter wissen, dass sie mit ihrer Tat nichts erreichen, verzichten vielleicht einige von ihnen darauf. Dann könnte man Matern Boeselager folgen, der bei VICE schrieb, die Medien müssten ihre Berichterstattung über Anschläge wie den in Nizza auf ein Minimum zurückfahren und nach kurzer Zeit sofort aufhören zu berichten.

Es ist eine schwierige Abwägung, die zu treffen ist. Wie viele Taten müssen noch folgen, bis wir Journalisten den Zusammenhang so klar sehen, dass wir handeln?

Update, 08.40 Uhr: Hinweis auf Artikel in der taz eingefügt.

Weiterführend:

#Muenchen und die Verantwortung jedes Einzelnen

Seitdem jeder, der mit Smartphone und Internetverbindung unterwegs ist, jederzeit öffentlich machen kann, was er sieht und erlebt, trägt er und sie auch die Verantwortung dafür. Es ist eine Verantwortung, wie sie lange Zeit lediglich Journalisten hatten, weil sie auch aus technischen Gründen das Monopol auf eine breite Öffentlichkeit hatten. Die Zeiten sind vorbei.

In der Nacht von Freitag auf Samstag habe ich leider nicht viel von dieser Verantwortung gesehen – und die Polizei München auch nicht.

Es ist erst 19.37 Uhr an jenem Abend, als die Pressestelle diesen Tweet absetzt. Etwa zwei Stunden vorher hat das begonnen, was die Polizei mittlerweile einen Amoklauf nennt, auch wenn es zwischenzeitlich nach einem Terrorangriff aussah. Dass dieser Tweet nötig war, hatte man schon die Stunden vorher sehen können. Immer wieder tauchten in meiner Timeline bei Twitter Fotos und Videos vom Tatort auf – und auch vom Polizeieinsatz. Getwittert wurden sie auch von Journalisten.

So veröffentlichte etwa Richard Gutjahr mehrmals im Laufe des Abends Bilder. Eins davon zeigte eine Gruppe von Polizisten, die offenbar vor einem Eingang des Olympia-Einkaufszentrums in München standen. Ein unverantwortliches Bild, hätte es dem Täter doch einen Hinweis geben können, wo die Polizei das Gebäude bereits gesichert hat, und seine Flucht begünstigen können.

Natürlich gibt es ein Interesse der Öffentlichkeit an Berichterstattung. Aber es gibt auch ein Interesse der Öffentlichkeit an Sicherheit – und die sollte vorgehen. Deswegen sollten wir Journalisten uns nicht in Polizeieinsätze einmischen. Das sollte spätestens seit der Geiselnahme von Gladbeck klar sein.

Dass Gutjahr später twitterte, die Bilder seien 30 Minuten zeitversetzt getwittert worden, macht meiner Meinung nach keinen großen Unterschied. Allerdings löschte er später reumütig die Fotos.

Ich halte ihm zugute, dass er innerhalb von wenigen Tagen gleich dreimal in außergewöhnlichen Situationen war, in der sofort journalistische Reflexe anspringen. Die kenne ich auch von mir, auch wenn ich nicht am Tatort bin und aufgrund meiner Jobs in Nachrichten- und Onlineredaktionen von Radiosendern immerhin noch die Möglichkeit für ein wenig mehr Reflexion habe, die am Tatort tatsächlich schwierig zu bekommen ist. Die technischen Möglichkeiten verleiten außerdem dazu, diese auch zu nutzen.

Man muss sich nicht in die sogenannte gute alte Zeit zurückwünschen, in der wir von solchen Einsätzen nicht live, sondern mit vielen Stunden Verzögerung erfahren haben, nicht mit der Ungewissheit, wie die Sache enden würde, sondern mit ihrem Ende. Aber abgesehen von Warnungen der Polizei, zu Hause zu bleiben, sich in Gebäude zu begeben und die Innenstadt zu meiden, sehe ich wenig Nutzen darin, ständig über jeden einzelnen Schritt des Einsatzes haarklein informiert zu werden.

Auch jeden anderen Augenzeugen, auch wenn er nicht Journalist ist, trifft allerdings eine große Verantwortung. Denn die Polizei München bezog sich auch auf die viele hundert anderen Smartphone-Nutzer rund um das Olympia-Einkaufszentrum, die immer wieder möglicherweise auch einsatzrelevante Informationen veröffentlichten. Auch sie tragen eine Verantwortung, sind sich dessen aber offenbar nicht bewusst. Und eine Verantwortung tragen auch diejenigen, die solche Informationen weiterverbreiten. Hinzu kamen falsche Beobachtungen etwa über angebliche Schüsse an anderen Stellen in der Stadt, bewusst veröffentlichte Fakes, die die Tat noch schlimmer erscheinen ließen und deren Ziel wohl ebenfalls das Verbreiten von Angst war, sowie das Schüren von Hass und Vorurteilen etwa durch AfD-Politiker, die noch vor dem Vorliegen von vorläufigen Erkenntnissen über Tat und Täter ihren politischen Nutzen ziehen wollten.

Ich habe mir vorige Woche schon Gedanken dazu gemacht, ob die Flut von Bildern der Öffentlichkeit alles in allem überhaupt noch nutzt. Denn nicht nur behindern sie möglicherweise einen Polizeieinsatz, sondern sie dienen im Falle von Terrorangriffen auch den Interessen der Terroristen, durch die Veröffentlichung Angst und Schrecken zu verbreiten. Daniel Fiene hat deshalb ganz recht, wenn er fordert:

In den letzten Monaten habe ich mich viel mit Periscope, Facebook Live und anderen Diensten beschäftigt. Es sind wunderbare Werkzeuge. In den letzten Tagen sind mir viele Szenarios bewusst geworden, in denen ich sie nicht im Einsatz sehen möchte. Das nehme ich zum Anlass, nicht nur über Live-Video, sondern auch um über normale Fotos und Videos zu reden. Mein Wunsch, an uns Social-Media-Intensivnutzer: Lasst uns in extremen Situationen zurück in den Textmodus wechseln.

Wir werden nicht verhindern können, dass Augenzeugen ihre Beobachtungen in Bildern weitergeben. Aber wir Journalisten können durchaus steuern, wie wir mit diesen Bildern umgehen.

Wer „Zensur“ brüllt, darf woanders weiterschreien

In Deutschland gilt das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das ist nicht umfassend, wie ich an anderer Stelle schon mal gezeigt habe. Aber es gilt und ist sehr weitreichend. Was ist nicht gilt, ist das Recht darauf, dass sich jemand meine Meinung anhören muss.

Wenn vor meinem Fenster herumgebrüllt wird, darf ich das Fenster schließen. Und wenn jemand in meinem Haus brüllt, darf ich ihn rauswerfen. Nichts anderes ist es, wenn jemand unter dem Facebook-Post eines Mediums kommentiert. Die Redaktion muss nicht alles dulden, und es liegt in ihrem Ermessen, was sie löscht. Wenn sie Interesse an einer Diskussion hat, wird das möglichst wenig sein. Und wenn sie Interesse an einer Diskussion hat, wird sie löschen, was diese Diskussion unangenehm macht.

Aber nur, weil ein Kommentar hier beiseitegefegt wird, ist das keine Zensur. Denn der Kommentator behält sein Recht, seine Meinung zu sagen. Er kann das auf seiner eigenen Facebook-Seite tun, er kann ein Blog eröffnen, er kann auf die Straße gehen. Dann darf er sein Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben. Aber er hat kein Recht darauf, dass ihm jemand zuhört.