Podcast-Boom: Reden ist Gold

Jederzeit hören, was einen interessiert. Seit Jahren wächst das Angebot an Podcasts auf vielen unterschiedlichen Plattformen. Für die Macher geht es darum, ihre Launen und Leidenschaften einzubringen, sagt der Journalist und Podcaster Philip Banse im Deutschlandfunk. Mit ihm habe ich für @mediasres gesprochen.

Eine Studie, die Angst macht

(Quelle: R+V Versicherung)
(Quelle: R+V Versicherung)

Schon Anfang September hat die R+V Versicherung wieder ihre jährliche Umfrage über die „Ängste der Deutschen“ vorgestellt. Sie schreibt darüber selbst:

Terroranschläge, verheerende Unwetter oder Zuwanderung: Wie stark beeinflussen aktuelle Themen die Ängste der Deutschen? Das Infocenter der R+V Versicherung hat zum 26. Mal rund 2.400 Menschen nach ihren größten Sorgen rund um Politik, Wirtschaft, Umwelt, Familie und Gesundheit befragt. 2017 jagen Sicherheitsprobleme den Bürgern am meisten Angst ein.

„Langzeitstudie“ nennt die Versicherung ihre Erhebung, dabei ist es eigentlich nicht mehr als eine Umfrage. Erhoben werden also nicht objektive Daten, sondern persönliche Einschätzungen der Befragten.

Insofern unterscheidet sich diese Umfrage nicht von hunderten bis tausenden anderen, die jedes Jahr durchgeführt und von Lobbyverbänden und Unternehmen veröffentlicht werden. Die Angst-Umfrage dient der Versicherung dabei gleichermaßen als PR-Instrument als vermutlich auch als Datenschatz, in welchem Bereich sich möglicherweise weitere Versicherungen verkaufen ließen.

An der Umfrage lässt sich viel Kritik äußern – aber die diesmal genauer als sonst bei Studien. Denn die Versicherung hat die Daten zur Erhebung genau dokumentiert. Die Ergebnisse leider nicht, aber dazu später.

Umfragedesign ist transparent

Bei der Erhebung heißt es zum Beispiel, dass die Menschen persönlich befragt wurden – in „strukturierten persönlichen Interviews mit geschlossenen Fragen“. Geschlossene Fragen heißt, es wurde eine Reihe von möglichen Ängsten abgefragt, die Befragten konnten also nicht selbst nennen, was sie gerade besonders ängstigt. Felicitas Kock fragt deshalb in der Süddeutschen Zeitung zurecht, ob es da nicht konkretere Ängste gebe als ausgerechnet die vor Terror:

Die Angst, dass ausgerechnet dem Menschen etwas zustößt, der einem auf der Welt am nächsten ist, zum Beispiel. Oder die Angst, morgens vom Auto überfahren zu werden, weil es statt eines Fahrradwegs nur einen schlecht markierten Seitenstreifen gibt.

Doch danach wird gar nicht gefragt. Ängste sind sehr individuell. Sie auf ein paar mögliche einzugrenzen und anschließend zu behaupten, das seien „Die Ängste der Deutschen“, greift doch sehr kurz. Man müsste eher sagen: „Die Ängste der Deutschen unter denen, nach denen wir sie gefragt haben“. Als da wären:

Ich habe gar keine Angst … sehr große Angst davor, dass

  • ich schwer erkranke
  • ich von Arbeitslosigkeit betroffen werde
  • ich im Alter meinen Lebensstandard nicht halten kann
  • meine Partnerschaft zerbricht
  • meine Kinder drogen- und / oder alkoholabhängig werden
  • Nahrungsmittel immer stärker mit Schadstoffen belastet sind
  • die Anzahl an Naturkatastrophen zunimmt
  • die Arbeitslosigkeit in Deutschland weiter steigt
  • die Lebenshaltungskosten stark steigen
  • sich die Wirtschaftslage in Deutschland verschlechtert
  • sich der politische Extremismus ausbreitet
  • ich Opfer einer Straftat werde
  • das Zusammenleben zwischen Deutschen und den hier lebenden Ausländern durch einen weiteren Zuzug von Ausländern / Asylanten beeinträchtigt wird
  • Deutschland mit kriegerischen Auseinandersetzungen konfrontiert wird
  • terroristische Vereinigungen Anschläge verüben
  • die Politiker von ihren Aufgaben überfordert sind
  • die Schuldenkrise einiger EU-Staaten den Euro gefährdet
  • die Schuldenkrise einiger EU-Staaten für den deutschen Steuerzahler teuer wird
  • die große Zahl der Flüchtlinge die Deutschen und ihre Behörden überfordert

Natürlich kann man das so abfragen. Aber mit mancher Nennung aktiviert man möglicherweise erst eine Angst, die überhaupt nicht vorhanden oder nicht bewusst ist. Angst vor Krieg? Was, muss ich die denn haben? (So einen merkwürdigen Versuch startete neulich auch #DeineWahl2017 zum YouTube-Interview mit der Bundeskanzlerin).

Den Befragten wurde vorab diese Basisfrage gestellt:

Es gibt viele Risiken und Gefahren im Leben. Einige davon haben wir zusammengestellt. Uns interessiert nun, inwieweit Sie sich davon bedroht fühlen. Bitte geben Sie uns – rein aus dem Gefühl – eine Bewertung, die aussagt, für wie bedrohlich Sie dieses Ereignis halten. Eine „1“ drückt aus, dass Sie keine Angst davor haben. Mit einer „7“ geben Sie zum Ausdruck, dass Sie sehr große Angst davor haben. Denken Sie aber bitte auch an die Zwischenstufen von „2“ bis „6“.

Arno Orzessek bemängelt zurecht in der WDR5-Sendung „Politikum“:

Dabei ist es zweifelhaft, ob jemand bei der Befragung jene Angst verspürt, deren Größe er bewerten soll. Noch zweifelhafter ist das Insistieren auf einer rein gefühlsmäßigen, unreflektierten Antwort.

Kock bringt den Aspekt des Unreflektierten klarer zum Ausdruck, wenn sie schreibt:

Die Teilnehmer sollten angeben „für wie bedrohlich“ sie ein Ereignis halten. Wobei auch die Frage offen bleibt, ob man vor einem Ereignis, das man mit 7 bewertet, nun sehr viel Angst hat – oder ob man nur für sehr wahrscheinlich hält, dass es eintritt.

Jeder Befragte hat als möglicherweise auf andere Rahmenbedingungen der Frage Bezug genommen.

Auswertung ist weitgehend geheim

Die Auswertung ist dagegen nicht so transparent wie das Umfragedesign. Die Skala umfasst sieben Stufen; die Versicherung fasst in der Auswertung aber gleich drei davon, nämlich 5, 6 und 7, unter dem Stichwort „große Angst“ zusammen. Sie gibt aber nicht die Daten heraus, wie viele Befragte im Einzelnen jeweils die Skalastufen 5, 6 und 7 genannt haben. Das ist relativ großzügig und berücksichtigt die von den Befragten gemachten Abstufungen meiner Meinung nach nicht angemessen.

Angenommen, die Versicherung nennt 100 Menschen, die entweder Stufe 5, 6 oder 7 genannt haben, so bleibt doch offen, ob alle 100 Stufe 5 oder alle 100 Stufe 7 genannt haben. Das macht aber bei der Einschätzung der Antwort einen Unterschied.

Wie genau die Verteilung war, will die Versicherung auch auf meine Nachfrage nicht herausgeben – und macht damit die eigene Umfrage größtenteils unbrauchbar.

Hinzu kommt der Erhebungszeitraum. Erhoben wurde vom 23. Juni bis 28. Juli 2017. Das ist mit fünf Wochen ein relativ langer Befragungszeitraum. Vier Tage vor Beginn hatte es einen Anschlag auf eine Moschee in London gegeben. Am 14. Juli wurden zwei Deutsche bei einer Messerattacke in Hurghada getötet. Am 28. Juli tötete ein Mann in einem Supermarkt in Hamburg einen Menschen. Es wäre nicht verwunderlich, hätten die am Anfang und Ende Befragten aufgrund der aktuellen Vorfälle größere Angst geäußert als diejenigen, die relativ lange nach einem Anschlag befragt wurden. Hätte man die Umfrage nach dem 17. August durchgeführt, den Anschlägen von Barcelona und Cambrils, hätte man sicher wiederum andere Ergebnisse bekommen. Arno Orzessek kommentiert:

Und dass etwa Terror, je nach Datum und Opferzahl der jeweils jüngsten Anschläge mehr oder weniger große Ängste auslöst, ist eine Banalität. Terrortote haben noch nie Sorglosigkeit gefördert.

Fazit

So bleibt am Ende die ernüchternde Erkenntnis, dass trotz aller Transparenz, was die Erhebung der Umfrage angeht, diese bei den Ergebnissen fehlt. Was freilich Journalisten nicht daran hindert, die Ergebnisse und damit auch Werbung für die Versicherung in die Berichterstattung zu heben.

Deutschlandfunk startet persönliche Podcasts

In den vergangenen Monaten hat der Deutschlandfunk, für den ich auch arbeite, zwei sehr gute neue Podcasts gestartet. Es sind die ersten beiden, die nicht eins zu eins lediglich die im Radio gelaufene Sendung sind.

Die Kollegen aus dem Hauptstadtstudio in Berlin tauschen sich seit einigen Monaten in unregelmäßigen Abständen über Entwicklungen in der Bundespolitik aus („Der Politik-Podcast“); seit drei Wochen blicken die Kollegen der sogenannten Zeitfunk-Redaktion in Köln, die vor allem für die aktuellen Sendungen „Informationen am Morgen/Mittag/Abend“ und für „Das war der Tag“ verantwortlich sind, auf eben jenen Tag zurück („Der Tag“).

Beide Formate bieten einen neuen Zugang zu tagesaktuellen Themen an. Und vor allem sind beide viel persönlicher als die Moderatoren und Korrespondenten im Radio sein könnten – ein Markenzeichen erfolgreicher Podcasts. In beiden werden Themen aus einer persönlichen Perspektive behandelt – und zwar ausschließlich im Gespräch. Zwischen Redakteuren, mit Korrespondenten, im Austausch zwischen beiden und mit Interviewpartnern. So scheint in den Gesprächen auch immer wieder eine persönliche Ebene durch – und die drückt sich nicht nur darin aus, dass sich die meisten Kollegen eigentlich untereinander duzen, auch wenn in der strengen Form im Radio das Sie verwendet wird.

Vor allem machen beide Formate redaktionelle Arbeit transparent. Denn auch wenn immer wieder gefordert wird, Journalisten sollten möglichst objektiv mit Themen umgehen, so gibt es doch in der ersten Begegnung mit ihnen immer einen persönlichen Aspekt. Den machen die Kollegen auch immer wieder deutlich – besonders in „Der Tag“.

„Was heißt das?“ und „Warum passiert das?“ sind die Leitlinien unseres neuen Podcasts „Der Tag“. Darin greifen wir die zwei bis drei wichtigsten Themen des Tages auf und schauen auf das, was hinter der Nachricht steckt. (…)

„Aber Moment, das machen Sie doch schon im Programm!“ Stimmt, auch da packen wir die Themen hintergründig an. Aber in „Der Tag“ wollen wir es uns erlauben stärker gemeinsam nachzudenken. Unterschiedlicher Ansicht zu sein, uns vielleicht sogar mal zu streiten. „Der Tag“ ist persönlicher als unser Radioprogramm.

Dort erzählen die vier sich abwechselnden Moderatoren Ann-Kathrin Büüsker, Sarah Zerback, Philipp May und Dirk-Oliver Heckmann immer wieder, warum sie jene zwei oder drei Themen ausgewählt haben, auch wenn es nicht zwangsläufig die zwei oder drei von den meisten anderen Journalisten als wichtigste Themen erachtet werden. Oft ist es eine Irritation, eine Verwunderung, ein Auftauchen von Fragen, dass man sich dafür entscheidet. Manchmal auch ein weiterführender Gedanke oder eine Parallele, etwa wenn anlässlich des Unabhängigkeitsreferendums in Katalonien auf Abspaltungstendenzen in Bayern geschaut wird.

Und es wird auch mal gelacht, wenn aktuelle Ereignisse Anlass dazu bieten. Beide Formate sind hörenswert und meine Empfehlung zum Wochenende (auch wenn die jeweils neuesten Ausgaben einen bis mehrere Tage alt sind).

Journalisten können nicht erkennen, was Merkel anders machen will

(Screenshot: Phoenix)
(Screenshot: Phoenix)

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist nach der so halb verlorenen Bundestagswahl von vielen Journalisten gescholten worden – für eine Aussage, die seitdem immer wieder zitiert wird:

Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten.

Die FAZ schreibt unter Zuhilfenahme von dpa-Material:

„Trotzdem halte ich die Grundentscheidungen, die getroffen wurden, und für die ich natürlich in ganz besonderer Weise verantwortlich bin (…) für richtig“, betonte die Kanzlerin zu ihrer Entscheidung von 2015, Flüchtlinge und Migranten nach Deutschland zu lassen. Die Bundesregierung habe in der Flüchtlings- und Migrationspolitik eine große Entwicklung gemacht, zugleich aber noch viel Arbeit vor sich, sagte Merkel.

Merkel sagte, sie könne nicht erkennen, „was wir jetzt anders machen müssten“. Sie habe diesen Wahlkampf gut durchdacht.

Berthold Kohler zitiert Merkel später in der FAZ und kommentiert:

Die Unerschütterliche aber sagte: „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssen“. Das kann man, wenn man zu den treuen Fans der Kanzlerin zählt, protestantische Standhaftigkeit nennen. Wenn die Wähler darin aber, was wahrscheinlicher ist, eher Uneinsichtigkeit und Starrköpfigkeit im Spätstadium einer langen Kanzlerschaft erkennen, dann werden die Probleme der CDU noch zunehmen, und die der CSU – mitgegangen, mitgehangen – auch.

Im Teaser ist das sogar noch etwas zugespitzter:

Angela Merkel hätte, nachdem der Union so viele Wähler davongelaufen sind, Grund genug, ihre Politik zu ändern. Doch die Kanzlerin will das nicht erkennen.

Anja Günther kommentiert im NDR:

Schade nur, dass Merkel aus dem Wahlergebnis scheinbar keine inhaltlichen Konsequenzen für die Union ziehen will. „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten“, hat Merkel gesagt. Das ist das Gegenteil von „wir haben verstanden“.

Auf ntv.de schreibt Hubertus Volmer:

Auf die Frage, was sie falsch gemacht habe, sagt Merkel, dieses Mal ironiefrei: „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten.“ Das gilt ausdrücklich auch für ihre Flüchtlingspolitik.

Jan Fleischhauer kommentiert bei Spiegel online:

Sie könne nicht erkennen, was man hätte anders machen können, hat Angela Merkel nach Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses erklärt. Das hat sie wörtlich so gesagt. „Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten.“ Die Bundeskanzlerin mag mir meine Anmaßung verzeihen, aber mir fiele einiges ein.

Er suggiert damit ebenso wie es in den anderen zitierten Artikel gemacht wird, Merkel zeige sich vom Wahlergebnis einigermaßen unbeeindruckt und würde daraus keine Konsequenzen für ihre Politik ziehen wollen. Nach dem Motto: Hier stehe ich, ich kann nicht anders.

Das Problem ist: Merkel hat das so nicht gemeint. Aber wenn man den Kontext entfernt, klingt es so. Dann kann man aber, mit Verlaub, diese Aussage auf alles mögliche anwenden, was man ihr vorwirft.

Merkel antwortete tatsächlich auf eine Frage der ARD-aktuell-Reporterin Marie von Mallinckrodt. Diese fragte Merkel bei der offiziellen CDU-Pressekonferenz am Tag nach der Wahl:

von Mallinckrodt: Frau Bundeskanzlerin, ich möchte Sie noch mal bitten, einen Blick zurückzuwerfen auf den Wahlkampf. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse und der Wählerwanderung zur AfD: Ganz konkret, was haben Sie als Kanzlerkandidatin und die CDU vielleicht auch falsch gemacht, was hätte man anders machen müssen?

Merkel: Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten. Ich habe diesen Wahlkampf gut durchdacht, ich habe ihn so gemacht, wie ich ihn gemacht habe, und bin jetzt auch am Tag danach nicht der Meinung, dass das… dass ich das anders sehe als ich das gestern oder vorgestern oder vor zwei Wochen gesehen habe.

Wer sich die Pressekonferenz angesehen hat, sollte das mitbekommen haben. Hier der entsprechende Ausschnitt:

Merkel bezieht sich mit dieser Aussage also ausdrücklich auf den Wahlkampf und nicht auf den Inhalt ihrer Politik, die ihr in den Artikeln vorgeworfen wird. Das ist ein Unterschied. Selbst wenn Merkel der Meinung sein sollte, dass sie für ihre Politik nicht erkennen könne, was sie anders machen solle (wenngleich sie ja zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik, auf die n-tv dieses Zitat sogar ausdrücklich, aber falsch bezieht, längst eine Kehrtwende gemacht hat): Dieses Zitat gibt das nicht her.

Aber wie das so oft ist: Leider macht auch dieses Zitat wie schon andere zuvor eine eigene Karriere – gänzlich losgelöst von seinem Kontext.

Zum Höhepunkt des Reformationsjubiläums: „Da scheitert die PR der Kirche“

Die Kirche habe sich von dem Reformationsjahr sehr viel erhofft, sagte Hannes Leitlein im Dlf. Doch die Bedeutung der Reformation und des Glaubens seien zu kurz gekommen, so der Redakteur von „Christ und Welt“, mit dem ich für @mediasres im Deutschlandfunk über die Öffentlichkeitsarbeit der Kirche gesprochen habe.

Medien im Umbruch: „Früher waren die Journalisten die Schleusenwärter“

Die Medienwelt ist im Umbruch – das birgt nicht nur Gefahren für Verlage und Rundfunkanstalten, sondern auch für die Nutzer. Falschmeldungen, Propaganda und PR bedrohen die Demokratie, befürchtet der Medienwissenschaftler Stephan Ruß-Mohl von der Universität Lugano im Dlf-Interview. Ich habe in @mediasres im Deutschlandfunk mit ihm gesprochen.

„Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde“ heißt sein neues Buch. Feinde sind für ihn „Akteure, die entweder mit Fake News, mit Falschmeldungen Geld verdienen wollen, oder Akteure, die Falschnews nutzen zu Propagandazwecken, um politisch in irgendeiner Weise Gewinne zu erzielen“.

Ruß-Mohl sprach im Deutschlandfunk von einem massiven Problem. Vor 30 Jahren sei auf einen Journalisten ein PR-Experte gekommen, heute seien es in den USA fünf PR-Experten pro Journalist. „Es wird einfach sehr viel mehr Öffentlichkeitsarbeit, sehr viel mehr Selbstdarstellung getrieben als früher.“

Außerdem könne heute jeder selbst Medieninhalte erstellen, die Funktion des Schleusenwärters, der Informationen nach bestimmten Kriterien ausgewählt und an Leser und Zuschauer weitergeleitet hat, hätten Journalisten verloren.

Vom Wahllokal zum Wahlergebnis: Wie Prognosen und Hochrechnungen entstehen

Am Sonntag ist der neue Bundestag gewählt worden. Umfragen sind am Wahlabend prägend für die Berichterstattung und geben schon recht früh Informationen über den voraussichtlichen Wahlausgang. Und: Sie sind häufig überraschend zuverlässig. Darüber habe ich am vergangenen Donnerstag für das DLF-Medienmagazin @mediasres und am Samstag für das WDR5-Medienmagazin „Töne, Texte, Bilder“ berichtet.

Die AfD klein machen

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat eine Debatte angestoßen, die nach der Bundestagswahl zu erwarten war und die durchaus schon vor der Wahl geführt wurde: Welche Rolle spielen die Medien für den Erfolg der AfD?

Herrmann sagte in der „Berliner Runde“ (zitiert nach DLF):

Joachim Herrmann: Die Hälfte der Sendezeit beschäftigt sich schon wieder nur mit der AfD – die Hälfte der Sendezeit nur mit der AfD.

ZDF-Chefredakteur Peter Frey: Ich wollt grad nach was anderem fragen.

Herrmann: Es ist völlig… Ja, aber das ist ein völliger Unfug, und da kann ich Ihnen nur sagen – und darüber wird in den nächsten Wochen auch noch zu diskutieren sein – in welchem Ausmaß die beiden öffentlich-rechtlichen Sender in den letzten Wochen massiv dazu beigetragen haben, in der Tat nicht die AfD klein zu machen, sondern groß zu machen. In einer Art und Weise der Diskussion, die wirklich völlig fehl am Platze ist.

Neben der berechtigten Kritik von Herrmann ist dabei interessant, dass es ihm womöglich gar nicht darum geht, dass die Sender sich der AfD gegenüber mindestens neutral verhalten. Er findet offenbar sogar, dass die öffentlich-rechtlichen Sender, die er kritisiert, die Aufgabe haben, gegen die AfD zu arbeiten, wenn er sagt, dass die Sender nichts getan haben, um „die AfD klein zu machen“.

Und das ist dann doch ein fragwürdiges Medienverständnis und ein merkwürdiger Anstoß zu dieser Debatte.

Eine Umfrage ist eine Umfrage ist eine Umfrage

Normalerweise weisen Demoskopen es barsch zurück, wenn ihre Sonntagsfragen als Prognose des Wahlergebnisses gesehen werden. Die Meinungsumfragen dazu, welche Partei man wählen würde, wäre am kommenden Sonntag Bundestagswahl, geben immer nur die momentane politische Stimmung wieder, sind aber keine Projektion des Ergebnisses.

Das Online-Umfrageunternehmen YouGov hat sich dieses Jahr jedoch mit einer neuen Methode nach vorne getraut, die sie sechs Tage vor der Wahl vorgestellt hat. Es hat tatsächlich eine Prognose abgegeben, wollte also möglichst genau sagen, wie die Wahl ausgeht.

„Wir sind uns bewusst, dass wir uns mit unserem neuen MRP-Modell noch aus dem Fenster lehnen“, sagte Holger Geißler, Forschungsleiter und Sprecher von YouGov Deutschland, laut der Pressemitteilung des Unternehmens. „Gleichzeitig wissen wir alle spätestens seit der Trump-Wahl und dem Brexit, dass die klassische Meinungsforschung vor großen Herausforderungen steht.“

Diese Herausforderung hat YouGov nicht abgeräumt, denn die Prognose war in mehreren Punkten falsch. So sah sie aus:

In unserer letzten Aktualisierung des Modells am heutigen Freitag, errechnen wir einen Stimmanteil von 36% für die CDU / CSU (mit einem Konfidenzintervall von 33% zu 39%). Das würde bedeuten, dass die CDU / CSU zwischen 239 und 274 Sitze im nächsten Bundestag erhält (mit 256 als Mittelwert). Wir schätzen, dass die SPD 25% der Stimmen erhalten wird (Intervall von 22% zu 28%) und sich damit 176 Sitze (155-199) sichern kann. Bzgl. der drittstärksten Partei erwartet das Modell entweder die AfD oder die Linke. Unsere Berechnungen sehen die AfD aktuell mit 12% (10%-14%) etwas vor der Linken mit 10% (9%-12%). Etwas schwächer werden nach unseren Schätzungen die FDP mit 7% (6%-9%) und die Grünen mit 7% (5% -8%) abschneiden.

(Quelle: https://yougov.de/wahlmodell/)
(Quelle: https://yougov.de/wahlmodell/)

Das vorläufige amtliche Endergebnis zeigt, wo YouGov falsch lag.

Die Union erreichte mit 33 % gerade noch das untere Ende des Konfidenzintervalls. Die SPD erreichte dagegen lediglich 20,5 % und war damit sowohl vom Mittelwert 25 % als auch vom unteren Ende des Konfidenzintervalls von 22 % entfernt. Bei AfD und Linke lag YouGov richtig, bei der FDP wiederum nicht. Die leg mit 10,7 % weg vom Konfidenzintervall 6 bis 9 %. Auch bei den Grünen lag die Vorhersage außerhalb des Intervalls.

Bei drei von sechs Werten lag die Vorhersage also daneben. Das sieht mir nach einem Problem für die Qualität der Prognose aus. Mal davon abgesehen, dass solch eine Umfrage Rückwirkungen auf die Entscheidung einiger Wähler haben kann und damit genau jenes Eintreten der Vorhersage vereitelt, kann YouGov mögliches mangelndes Vertrauen in die Qualität seiner Arbeit hiermit nicht unbedingt wiederherstellen.

Mehr Podcast-Kritik, bitte

Auf Podcasts in Deutschland wird im Moment noch viel zu wenig geschaut. Zwar wurde verschiedentlich über das Format an sich berichtet, wie hier bei @mediasres:

Vor allem erfahren Preisverleihungen und Neustarts eine gewisse Aufmerksamkeit, wie etwa @mediasres über den Grimme Online Award berichtet hat (Podcast von einem anderen Planeten).

Was aber fehlt, ist eine fundierte Podcast-Kritik. Die versucht der Deutschlandradio-Kollege Sandro Schroeder seit ein paar Wochen zu liefern. Gestern hat er bereits bei Breitband die neuen Podcasts von ZEIT ONLINE rezensiert (dort werden im Übrigen schon seit vorigem Jahr hin und wieder Podcasts rezensiert). Und Sandro hat einen Newsletter gestartet, den man hier abonnieren kann.

Außerdem beobachter der Schweizer Journalist This Wachter die Podcast-Szene. Er hat in dieser Woche anlässlich der 13. Tutzinger Radiotage, die er besucht hat und die sich auch mit Podcasts beschäftigt haben, einen Blogpost zum Stand der Dinge geschrieben:

Das Jahr 2017 macht deutlich, dass sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkhäuser überlegen müssen, wie sie sich auf die neue Konkurrenz der „Zeitungs-Podcasts“ einstellen wollen. Audio ist nicht mehr ihr Monopol. (…) Konkurrenz schadet den Radiostationen nicht. Im positiven Fall macht es sie sogar besser. In den USA sind die besten Podcasts von Leuten kreiert worden, die ihr Rüstzeug beim National Public Radio geholt haben. Häufig sind diese Podcast nun wieder Teil des NPR-Programms. (…) So befruchtet sich die Audioszene gegenseitig. Wieso nicht auch im deutschsprachigen Raum?

Hinweise auf gute Podcasts gibt es im Moment hauptsächlich über persönliche Empfehlungen über soziale Netzwerke. Die fallen oft kurz aus und sind eher allgemein gehalten. Eine fundierte Podcast-Kritik tut Not, um in der zunehmenden Flut von Angeboten genauer herauszufinden, was man gerne hören möchte.