Es gibt Bücher, die zu guten Freunden werden. Sie begleiten einen durch die Jugend, in Krisen oder erinnern an schöne Momente. Um diese „Freunde“ dreht sich der WDR 5 Literaturmarathon 2019. Das Motto: „Bücher fürs Leben“.
Der Marathon läuft von morgen (Freitag, 22. März) bis übermorgen (Samstag, 23. März) von 22.05 Uhr bis 22 Uhr – live im WDR-Funkhaus Wallrafplatz in Köln, bei WDR5 und im Netz im Livestream auf wdr5.de.
Ich durfte wieder ein paar Bücher beisteuern. Aus Vorschlägen der WDR5-Hörer habe ich aus den folgenden Büchern Ausschnitte ausgewählt und sie für die Lesung bearbeitet:
Freitag, 22 bis 24 Uhr
Markus Zusak: Die Bücherdiebin
Samstag, 0 bis 2 Uhr
Inger Edelfeldt: Jim im Spiegel
Samstag, 2 bis 4 Uhr
Wilhelm Genazino: Das Glück in glücksfernen Zeiten
Samstag, 8 bis 10 Uhr
Isabel Allende: Das Geisterhaus
Samstag, 10 bis 12 Uhr
Catherine Clément: Theos Reise
Samstag, 14 bis 16 Uhr
Janwillem van de Wetering: Der leere Spiegel
Stewart O’Nan: Emily, allein
Samstag, 16 bis 18 Uhr
Maj Sjöwall/Per Wahlöö: Die Terroristen
Aber natürlich sind auch die Texte der beteiligten Kollegen hörenswert.
Vor zweieinhalb Jahren hab ich hier die Feature-Reihe „Der Anhalter“ gelobt. Das kann man für viele Aspekte tun, mir ging es damals um den Aspekt der Transparenz. Denn die Autoren Sven Preger und Stephan Beuting haben nicht nur die Geschichte von Heinrich Kurzrock erzählt, sondern auch, wie sie dazu gekommen sind.
Das lag wohl vor allem auch daran, dass die Recherche zur Geschichte gehört, denn sie erzählt etwas über den Protagonisten der Reihe. Preger und Beuting treffen ihn unabhängig voneinander, mit einem Jahr Abstand. Am selben Ort: einer Tankstelle am Kölner Verteilerkreis. Er erzählt ihnen, er habe seine Kindheit in der Psychiatrie verbracht, mehr als 14 Jahre lang. Weggesperrt, geschlagen, missbraucht – in den 1950er und 60er Jahren sei das gewesen. Nun will Heinrich nur noch Schluss machen und sucht eine Mitfahrgelegenheit.
Schon damals erzählte Kurzrock, dass er Knochenkrebs im Endstadium hat. Am 7. Februar ist er gestorben. In einem Epilog zur Reihe teilen Sven und Stephan ihre Gefühle und Erinnerungen an Heinrich. (Hier die ganze Reihe.)
Seit Angela Merkel ihren Rückzug als CDU-Chefin angekündigt hat und drei prominenten Kandidaten für ihre Nachfolge bereitstehen, hat es mehrere Umfragen gegeben, wen „die Bürger“ als Nachfolger bevorzugen. Am Anfang war es oft Friedrich Merz, wahrscheinlich, weil ihn noch niemand kannte – im Gegensatz zu Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn. Einige Umfragen widersprachen sich auch. Seitdem haben sich die Mehrheiten – wie erwartet – auch wieder verändert, was die ursprünglichen Umfragen etwas sinnlos erscheinen lässt.
Wer den Posten wirklich bekommt, konnte man aus den Daten ohnehin nicht schließen. Denn die Entscheidung treffen nicht die deutschen Wähler, nicht mal die CDU-Mitglieder, sondern lediglich 1.001 CDU-Delegierte beim Parteitag. Welche Präferenz soll man also aus solcherlei Umfragedaten ablesen können?
Für den ARD-Deutschlandtrend hat der WDR jetzt Infratest Dimap zum ersten Mal nicht „die Bürger“ befragen lassen, sondern nur CDU-Anhänger. Mal davon abgesehen, dass das eine Selbstbezeichnung der Befragten ist, die sich nicht überprüfen lässt* (es wurden nicht mal CDU-Wähler befragt, sondern lediglich Anhänger), kommt das der möglichen Stimmung innerhalb der Partei aber sicherlich schon näher. Und siehe da: Der angebliche Vorsprung von Merz ist gleich dahin.
Den Zahlen zufolge sind 46 Prozent für Kramp-Karrenbauer, 31 für Merz und 12 Prozent für Spahn. Die Frage ist nur, wieviele Leute dabei befragt wurden. Dem Umfragedesign zufolge wurden 1.006 Leute befragt. Wie viele davon ihre Parteipräferenz für die CDU ausgedrückt haben, ist unklar. Wenn es etwa die 26 Prozent sind, die sich bei der Sonntagsfrage zur Union (also auch zur CSU) bekannt haben, waren es höchstens rund 260 Befragte. Also auch das höchstens ein Stimmungbild ohne Anspruch auf Wahrhaftigkeit.
* Das ist natürlich ein gängiges Problem bei der Meinungsforschung.
Offenlegung: Ich arbeite als freier Mitarbeiter für den WDR.
Es war ja zu erwarten. Für den Deutschlandfunk habe ich noch vor zwei Wochen über den Umfrage-Hype für Friedrich Merz, der CDU-Vorsitzender werden will, geschrieben:
Die Werte halten ohnehin nicht lang. Sie sind höchstens ein Blitzlicht, die die Thesen des Tages stützen, und werden sich verändern. Denn die Kandidaten werden sich öffentlich zu ihren Plänen äußern. Je mehr die Bürger über sie erfahren, desto stärker kann sich ihre Wahrnehmung ändern. Von Friedrich Merz haben die meisten seit über einem Jahrzehnt nichts mehr gehört. Dass sich im Moment also Mehrheiten für ihn aussprechen, kann auch bloß daran liegen, dass er ihnen nicht negativ aufgefallen ist.
Und schon ist es soweit: In einer neuen Umfrage liegt nicht mehr Merz vorne, sondern Annegret Kramp-Karrenbauer. Die FAZ schreibt dazu den absurden Satz:
32 Prozent der Befragten würden die CDU-Generalsekretärin zur Nachfolgerin von Angela Merkel wählen, berichtete die „Bild am Sonntag“ unter Berufung auf eine Umfrage des Emnid-Instituts.
Ja, und 98 Prozent „der Deutschen“ würden Micky Maus zum US-Präsidenten wählen. Dummerweise tritt weder Micky an noch dürfen die Deutschen den US-Präsidenten wählen. Aber man kann ja einfach mal fragen, auch wenn die Befragten überhaupt nicht wahlberechtigt sind – das sind nämlich nur die 1.001 CDU-Delegierten beim Parteitag.
Deswegen sagt es überhaupt nichts über die Chancen der Kandidaten aus, wie eine Gruppe von Befragten sie sieht, die überhaupt nicht wahlberechtigt ist. Und dass solche Umfragen uns als Bürger keinerlei Gefühl dafür geben können, wer Favorit bei den CDU-Mitgliedern ist, geschweige denn bei den CDU-Delegierten.
Nur ein Gedankenspiel: Wen würden denn, sagen wir mal, die Wähler der Linkspartei gerne als CDU-Chef sehen? Doch nicht unbedingt jemanden, den sie für fähig halten, ein guter CDU-Chef und möglicherweise auch Kanzler zu werden? Sondern doch eher jemanden, der ihnen als Linkspartei möglichst viele Wähler zutreibt.
Wieso sollte also so jemand einen Kandidaten nennen, den er gut findet – nennt er nicht vielmehr jemanden, den er für seine Partei für möglichst ungefährlich hält? Das zeigt, wie wichtig es ist, dass man die Gruppe der Befragten sinnvoll wählt. Ich frage ja auch nicht eine Gruppe von 1.000 Nichtrauchern nach ihren Lieblingszigaretten.
Es wird nicht die letzte Umfrage zum Thema CDU-Vorsitz gewesen sein. Und am Ende heulen dann wieder Journalisten, dass sie den Ausgang der Wahl nicht haben kommen sehen – so wie schon bei der von Ralph Brinkhaus zum CDU-Fraktionsvorsitzenden. Warum gab es dazu eigentlich keine Umfragen?
Ich hab mich hier immer wieder mit Hass und Hetze beschäftigt. Wer mal eine andere Herangehensweise als eine journalistische haben will, kann sich das Hörspiel „Die Kommentare sind frei“ von James Fritz anhören, das der WDR inszeniert hat. Darum geht’s laut Klappentext:
Alistair Cooper ist Kolumnist und politischer Kommentator. Mit seinen aufpeitschenden Statements dominiert er hochkochende gesellschaftliche Debatten. Zunehmend gerät die Spirale der Emotionen in den sozialen Netzwerken außer Kontrolle. Cooper erntet Hass, vielstimmigen Hass. Bis alles eskaliert und die öffentliche Meinung kippt.
Das Hörspiel setzt Dynamiken medialer Ereiferung in Szene, schreibt der Sender dazu, und stellt die Frage nach unserer Verantwortung für das, was aus Kommentarfeldern erwachsen kann.
Der Plan von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) ist offenbar aufgegangen. Fast alle Medien haben berichtet, er habe sich für seine umstrittene Äußerung vom Mittwoch entschuldigt. Und das, ohne dass er sich wirklich entschuldigt hat.
Nach zwei Tagen hat NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) zumindest eingesehen, dass seine Justizschelte nicht sonderlich klug war. In der Rheinischen Post hatte Reul am Donnerstag das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster im Fall Sami A. kritisiert:
Die Unabhängigkeit von Gerichten ist ein hohes Gut. Aber Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen. (…) Wenn die Bürger Gerichtsentscheidungen nicht mehr verstehen, ist das Wasser auf die Mühlen der Extremen.
Reul forderte also indirekt, dass sich Gerichte nicht nach den Gesetzen richten sollten, die Politiker wie er selbst zuvor selbst gemacht hatten, sondern sich nach einer Art Meinung der Masse richten sollten. Dass Reul für diese fragwürdige Haltung stark kritisiert wurde, sollte ihn nicht verwundern.
Am Freitag veröffentlichte er eine Erklärung, in der er sich scheinbar von seinen früheren Worten distanzierte. Wenn man sich die Erklärung im Wortlaut (zu finden u.a. hier) durchliest, merkt man aber, dass er das nur begrenzt tut.
„Die Unabhängigkeit von Gerichten ist ein hohes Gut.“ – so lautet der erste Satz meiner Aussage. Das bedeutet für mich natürlich, dass Richter ihre Entscheidungen nach Recht und Gesetz treffen müssen und sich die Verwaltung an diese Gerichtsentscheidungen hält. Diese Grundsätze des Rechtsstaatsprinzips sind für mich selbstverständlich. Mir ist inzwischen klar geworden, dass meine Erklärung in dieser Hinsicht missverstanden werden konnte. Das bedauere ich.
Mir ging es bei meiner Äußerung darum, auf die öffentliche Wirkung des Beschlusses des Gerichtes zur Rückholung eines ausreisepflichtigen Gefährders und seine möglichen Folgen für die gesellschaftspolitische Debatte hinzuweisen. Ich habe die große Sorge, dass die Bürgerinnen und Bürger die Entscheidungen staatlicher Institutionen immer weniger verstehen. Alle staatlichen Gewalten sollten daher mehr Aufmerksamkeit darauf verwenden, ihr Handeln zu erklären.
An keiner Stelle entschuldigt sich Reul ausdrücklich für seine Äußerung oder nimmt sie zurück. Er bedauert nicht seine Worte, sondern deren Wirkung, wenn er sagt:
Mir ist inzwischen klar geworden, dass meine Erklärung in dieser Hinsicht missverstanden werden konnte.
Seine grundsätzliche Kritik an den Richtern gießt er nur in andere Worte.
Die Journalisten vieler Medien gehen aber einen Schritt weiter und machen daraus eine Entschuldigung, die Reul aber nie abgegeben hat. Teils basierten die Meldungen sicher auch auf einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa, die Reuls Erklärung ebenfalls als Entschuldigung gedeutet hat und schrieb:
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) hat sich für seine Gerichtsschelte im Fall Sami A. entschuldigt. Ihm sei inzwischen klar geworden, dass seine heftig umstrittene Äußerung über Gerichtsentscheidungen, die möglicherweise nicht im Einklang mit dem Rechtsempfinden der Bürger stünden, «missverstanden werden konnte», erklärte Reul am Freitag in einer Mitteilung. «Das bedaure ich.»
Sie rückte von dieser Interpretation auch auf Nachfrage nicht ab.
Lieber Herr Fries, für uns ist das in dem Kontext eine Entschuldigung: Er bedauert seine missverständliche Erklärung. (rom)
Immerhin machen es einige Medien durchaus besser, indem sie das Spiel offenlegen, das Reul spielt: Sie legen seine Erklärung nicht so weit aus, sondern ordnen sie stattdessen ein. Exemplarisch will ich aus dem Online-Artikel des WDR zitieren (ich arbeite für den Sender). Dort heißt es schon in der Überschrift:
Im Text steht dann:
In seiner Erklärung vom Freitag nahm Reul seine Kritik am höchsten NRW-Gericht nicht zurück, sondern formulierte sie nur anders…
Welche Themen kommen in die Medien? Diese Frage entscheidet sich oft, wenn freie Autoren ihren Redaktionen Ideen vorschlagen. Ein sehr sensibler Prozess, denn unbewusst haben sich fü beide Seiten – die der freien Autoren und die der Redaktionen – Regeln eingespielt, die es zu überwinden gilt. Meinen Beitrag für das WDR5-Medienmagazin Töne, Texte, Bilder gibt es hier zu hören – und nachfolgend zu lesen:
Die Arbeit als freie Autorin für den Hörfunk besteht nicht nur aus Recherche und Texten. Die Autorin muss in der Regel jedes Thema einzeln bei einer Redaktion anbieten – und dazu ein Angebot schreiben: je nach Länge des Beitrags mehr oder weniger viele Sätze, die das Thema interessant machen. Dabei muss sie schon vorher einige Zeit in die Vorrecherche stecken, die ihr nicht bezahlt wird. Ein Redakteur prüft dieses Angebot dann und gibt das Thema in Auftrag – oder auch nicht. Falls nicht, war die Arbeit der Autorin umsonst.
„Also es wird schon genauer hingeschaut, welche Themen man nimmt und welche nicht“
sagt Thomas Korte. Er berichtet seit 28 Jahren für den Hessischen Rundfunk als Regionalkorrespondent aus dem Landkreis Waldeck-Frankenberg in Nordhessen. Er findet, dass sich die Zusammenarbeit mit Redaktionen in den letzten Jahren verändert habe, weil weniger Geld da sei für weniger Programm, so dass die Redaktionen sagten:
„Was ist denn wichtig? Emotional, emotional zu berichten, Emotionen der Menschen zu erreichen, also dass, was auf den Fingernägeln brennt, aber möglichst auch Knallerthemen, Themen, wo es um Streit geht, wo Auseinandersetzungen zu spüren sind, wo man merkt, da sind Leute, denen gefällt irgendetwas nicht und die lehnen sich auf.“
Früher seien 90 Prozent der Themen von ihm gekommen, sagt Korte, in zehn Prozent der Fälle hätten ihn Redaktionen mit einer Idee losgeschickt. Heute sei es umgekehrt.
Der feste Redakteur Adrian Feuerbacher schätzt die Zusammenarbeit mit Freien. Er leitet beim Radiosender NDR Info in Hamburg die aktuelle Redaktion:
„Ich würde sagen, dass das ein ganz wichtiges Korrektiv ist. Es ist ein Sicherheitsnetz, dass wir nicht zu sehr im eigenen Saft kochen, sondern immer wieder Impulse von außen bekommen.“
Feuerbacher macht ausschließlich inhaltliche Gründe geltend für Fälle, in denen Themen abgelehnt werden:
„Ich glaube, man muss sich ein bisschen davon lösen, dass das immer was zu tun hat mit ‚Ist uns zu bunt‘ oder ‚Ist uns zu boulevardesk‘ oder ‚Ist uns viel zu schwere Kost‘ oder so. Ganz oft hat das ja auch einfach formale Gründe. Vielleicht haben wir eine Woche davor einen Schwerpunkt gesendet zu eben dem Thema, vielleicht haben wir einfach eine andere Umsetzungsform bereits gefunden, von der wir finden, dass sie diesem Thema gerechter wird.“
Auch der freien Autorin Franziska Walser sind immer wieder Themenvorschläge abgelehnt worden. Sie arbeitet vor allem für das Kulturradio des Rundfunks Berlin-Brandenburg. Gerade weil der Kulturjournalismus sehr termingetrieben sei und von Theaterpremieren und Ausstellungseröffnungen abhinge, sei es schwierig, darüber hinaus Beiträge zu verkaufen, sagt sie.
„Also diese Mühe mir zu machen, mir Themen auszudenken, die dann überhaupt nicht reinpassen, auch in diese Formate, mach ich mir eigentlich gar nicht mehr.“
Walser beklagt, dass viele Redaktionen zu unflexibel seien, nur in Terminen und in kleinen Kästchen und Formaten dächten. Was thematisch und vom Format her nicht reinpasse, werde abgelehnt. Diese Beobachtung hat Adrian Feuerbacher in seiner Redaktion bei NDR Info nicht gemacht, sagt er.
„Ich würde die These, dass wir freie Mitarbeiter womöglich so ein bisschen dazu erziehen, nur noch ein bestimmtes Themenbouquet anzubieten, die würde ich so auch nicht unterschreiben. Ich glaube, wo wir freien Kolleginnen und Kollegen versuchen zu vermitteln, was für uns besonders reizvoll ist, dass ist die Form, das ist der Denkansatz.“
Walser: „Meine Aufgabe als Freie ist eigentlich, ein Thema irgendwo an der Pforte abzugeben und zu sagen: Hier, ich find das wichtig. Und dann muss das eigentlich innerhalb der Redaktion weiterverteilt werden. Und dann muss jemand auch Verantwortung übernehmen und sagen: Das ist ne gute Autorin, die kenn ich, die macht guten Journalismus, das Thema find ich wichtig. Wo kann’s denn landen? Und ich finde, es ist nicht meine Aufgabe, fünf verschiedene Redaktionen anzurufen und da das rumzureichen.“
Redaktionen sind unterschiedlich offen für solche Themenvorschläge. Manche Redakteure lassen sich auf Diskussionen ein, um ein Thema auf der Grundlage einer Vermutung oder These gemeinsam zu entwickeln. Andere nehmen nur Themen, die die Autorin fertig konzipiert anliefert; hier kann es für diese mitunter anstrengend sein, auch mal neue Sichtweisen unterzubringen – oder etwas mehr Aufwand und auch Geld zu investieren.
Hilfreich ist es, wenn freie Mitarbeiter in redaktionelle Abläufe eingebunden sind. Falls nicht, sagt NDR-Redakteur Feuerbach, müsse man Freien vielleicht erklären, was zum Beispiel hinter neuen Formatideen stecke und welche Chancen, aber auch Erwartungen damit verbunden seien:
„Das, finde ich, ist ein interessanter Gedanke, und da kann ich durchaus sehen, dass wir vielleicht noch ein bisschen Luft nach oben haben.“
„Cancel the Apocalypse“ ist ein Ziel der Re:publica. Nach viel Negativem über die digitale Welt wie Überwachung, Datenklau und Internet- Trolle wollte die Republica eine positive Utopie für eine digitale Gesellschaft entwickeln. Für das WDR5-Medienmagazin „Töne, Texte, Bilder“ habe ich mich auf die Suche nach den guten Seiten des Internets begeben. Hier gibt es den Beitrag zum Nachhören – und hier zum Lesen:
Was schlecht läuft, steht in der Regel stärker im Fokus als das, was gut läuft. So ist es auch bei der Digitalisierung, findet Republica-Mitgründer Markus Beckedahl:
Veränderung erzeugt immer in Teilen der Gesellschaft Ängste, und man hat häufig das Gefühl, gesellschaftliche Debatten oder mediale Debatten, die vor allem von älteren Menschen geführt werden, haben immer die Angst als Schwerpunktthema.
Schon in den letzten Jahren sei es auf der größten deutschen Digitalkonferenz Republica immer auch um die positiven Aspekte gegangen, sagt Beckedahl, die habe man diesmal aber besonders in den Fokus gerückt. Zum Beispiel beim Thema Rechtsextremismus im Netz. Während Internetphilosoph Sascha Lobo im vorigen Jahr darüber sprach, wie er versucht hatte, mit Hetzern zu diskutieren, plädierte er dieses Jahr dafür, ihnen aktiv etwas entgegenzusetzen. Er berief sich auf den US-Psychologen John Bargh, demzufolge Angst und körperliche Bedrohungen Menschen rechter werden ließen.
Umgekehrt gibt es auch Bemühungen, Leute liberaler werden zu lassen, indem man versucht, ihnen diese Ängste zu nehmen. Auch das ist übrigens eine Erklärung, warum Rechte und Rechtsextreme in sozialen Medien so erfolgreich sind, denn Angst und Wut sind ganz selbstverstärkende normale Reaktionen auf Bedrohungen.
Lobo plädierte für etwas, das er „offensiven Sozial-Liberalismus“ nannte. Er forderte, in der öffentlichen Diskussion auch Fakten zuzulassen, die einem nicht passten. Er verlangte Leitwerte statt einer Leitkultur und Investitionen für ein soziales Europa. Damit könne man Menschen zurückholen, die sich vom Rest der Gesellschaft verabschiedet hätten.
Auf einer anderen Ebene arbeitet „Funk“, das junge Angebot von ARD und ZDF, mit Jan Böhmermanns „Neo Magazine Royale“ zusammen. Sie hatten vor einer Woche Recherchen zum rechtsextremen Troll-Netzwerk „Reconquista Germanica“ veröffentlicht.
Mit der Gegenaktion „Reconquista Internet“ sollen sich Nutzer in sozialen Netzwerken koordiniert gegen Hass- und Hetzkommentare wenden und bekommen dafür Informationen, wie Böhmermann im Neo Magazin erzählte.
Zum Beispiel eine Liste mit den Pseudonymen, Facebook-Accounts und Twitter-Handles der echten Reconquista-Germanica-Mitglieder, mit denen Ihr dann machen könnt, was Ihr wollt: blocken, melden, mit Liebe überschütten.
Auf der Republica berichtete Böhmermann per Skype zugeschaltet, wie sehr ihn der Rücklauf von Nutzern überrascht habe.
Wir haben tatsächlich, das stimmt schon, aus Versehen eine Bürgerrechtsbewegung ins Leben gerufen. Ich teile auch die Einschätzung der anderen auf dem Podium, dass das natürlich ernst ist und freundlich ist, und ich glaube aber nicht und bin da jetzt nicht so desillusioniert, dass ich denke, dass es nicht die Lösung ist.
Auch auf technischer Ebene sieht Judith Simon positive Entwicklungen im Netz. Simon ist Professorin für Ethik in der Informationstechnologie an der Universität Hamburg. Sie verweist auf die vielen Projekte, in denen sich Leute im Netz positiv unterstützen – etwa mit Solidarisierungskampagnen und Crowdfunding.
Positive Entwicklungen sind sicherlich auch davon zu erwarten, dass die jüngere Generation, die Studierenden, die Programmiererinnen und Programmierer, auch sehr viel sensibler sind in der Entwicklung von neuen Technologien und darüber nachdenken, welche Auswirkungen Technologien haben für Fragen der Gerechtigkeit, der Gleichheit, und dass eben auch schon bei Designfragen mitdenken.
Hoffnung fürs Netz hat auch Republica-Mitgründer Markus Beckedahl, der die Seite Netzpolitik betreibt. Gegen die Massenüberwachung gibt es auch einen Gegentrend auf technischer Seite, sagt er.
„…dass auf einmal überall Verschlüsselung eingebaut wird, dass der Datenschutz von Anfang an immer mehr mitgedacht wird, und dass auf einmal alternative Kommunikationslösungen entstehen, wo man dann durch die Nutzung von zum Beispiel sicheren, verschlüsselten Messengern den Schutz von eigenen Grundrechten selbst in die Hand nehmen kann, wo die Politik leider versagt.“
Man denkt ja, dass Journalisten lernen, wenn es um die Berichterstattung über plötzliche Großereignisse geht heute vor einer Woche bei der Amokfahrt in Münster. Dass sie nicht sofort von einem Anschlag reden – wie beim Amoklauf in München. Dass sie nicht sofort von Islamisten reden – wie beim rechtextremen Anschlag in Oslo und Ütöya. Dass sie einfach mal abwarten, was die Polizei ermittelt. Denkste.
Auch nach der Amokfahrt in Münster, bei der ein Mann zwei Menschen und dann sich selbst tötete, wurde wieder spekuliert – zu viel und zu sehr in eine Richtung, wie etwa mein Kollege Christoph Sterz für @mediasres im Deutschlandfunk kommentiert hat:
Wie über die Tat in Münster berichtet wurde, ist Teil eines grundsätzlichen Problems. Aus Angst, etwas falsch zu machen, sich durch das Verschweigen von Gerüchten angreifbar zu machen, werden journalistische Grundsätze missachtet.
Und weil die Tat von Münster traurigerweise sicher nicht die letzte ihrer Art war, sollten sich Journalisten jetzt dringend hinsetzen und ihre Berichte intern kritisch aufarbeiten – damit sie sich beim nächsten Mal nicht wieder von Hetzern, von Extremisten treiben lassen.
Boris Rosenkranz hat für Übermedien zusammengestellt, wie unseriös die Fernseh-Nachrichtensender n-tv und Welt (früher N24) berichtet haben, und schreibt:
Fährt derzeit irgendwo ein Auto in eine Menschenmenge, liegt natürlich der Verdacht nahe, dass es sich um einen Terroranschlag handelt. Weil das schon so oft passiert ist. Aber gerade Taten wie die in Münster zeigen, dass nicht alles ist, wie es scheint, und dass es angebracht wäre, mit allergrößter Vorsicht zu berichten. Es hat auch immer wieder Fälle gegeben, in denen zwar Autos in Menschenmengen gesteuert wurden, aber nicht aus terroristischen Motiven.
Eine Woche danach
Wir sind jetzt eine Woche weiter – welche Erkenntnisse ziehen wir aus der Berichterstattung vorige Woche? Heute gibt es kaum noch Berichte über die Tat und ihre Hintergründe. Was prinzipiell in Ordnung ist; solange sich nichts tut und während ermittelt wird, gibt es eben nichts zu berichten. Aber war im Hinblick darauf die Aufregung damals gerechtfertigt?
Auf den ersten Blick fällt es leicht, darauf die Antwort zu geben: Nein. Auf den zweiten Blick würden aber womöglich viele Journalisten, die vor einer Woche in den Rausch der Berichterstattung verfallen sind, darauf sagen: Natürlich war die Aufregung gerechtfertigt, wussten wir doch nicht, worum es sich handelt. Für mich wird aber umgekehrt ein Schuh draus: Gerade weil wir noch nicht wussten, was dahinter steckt, ist jede übertriebene Aufregung fehl am Platz – und zwar aus journalistischen Gründen.
Unsere Aufgabe ist es, zu berichten, was passiert ist – und nicht mehr. Natürlich gehört es auch dazu, Hintergründe zu liefern. Das Problem besteht aber in der unzulässigen Verknüpfung beider Aspekte. Es ist die eine Sache, zu berichten: „In Münster ist ein Auto in eine Menschenmenge gefahren. Dabei kamen zwei Menschen ums Leben.“ Oder zu schreiben: „In Münster hat es (offenbar) einen Anschlag gegeben. Dort ist ein Auto in eine Menschenmenge gefahren.“ Das eine ist bereits eine Interpretation, während das erste bei der reinen Beschreibung der Wirklichkeit bleibt. Darauf sollten sich Journalisten gerade dann immer zurückziehen, wenn sie nicht mehr wissen.
Gegen das Triggern
Freilich denkt womöglich jeder, der von dem Ereignis an sich hört, daran, dass bereits vorher Fahrzeuge in Menschenmengen gefahren sind, etwa in Nizza und London. In diesen Fällen handelte es sich um islamistischen Terror. Aber dieser automatischen Verknüpfung im Gehirn sollten Journalisten nicht folgen. Sie können in diese Richtung recherchieren, aber sie müssen auch Belege dafür liefern. Solange sie diese nicht finden, verbietet es sich, darüber öffentlich zu spekulieren.
Ich habe die Berichterstattung selbst am Samstag nicht verfolgt. Ich habe bei einem sonnigen Nachmittag mit Freunden nur kurz gehört, als eine Freundin eine erste Eilmeldung vorlas, nach der das Auto in die Menschenmenge gefahren war.
Ich habe mich an dem Nachmittag und Abend bewusst ferngehalten von Nachrichten. Ich wusste, dass mich das Thema ansonsten stundenlang nicht loslassen würde. Im Hunger nach immer mehr Informationen, nach immer mehr Details, nach Erklärungen, Analysen und Hintergründen würde ich nicht nur bei redaktionellen Medien nachschlagen, sondern auch bei Twitter suchen.
Und ich wusste, ich würde nicht nur bei den einschlägigen Twitter-Accounts schnelle Erklärungen, einfach Deutungen und klare Schuldzuweisungen finden. Ich wusste, dass auch eigentlich seriöse Medien, dass Kollegen sich nicht würden zurückhalten können, sich in ihrer Berichterstattung nicht nur auf Fakten zurückziehen, sondern auch spekulieren würden. All das hätte genau zu der Art Halbwissen oder sogar Nichtwissen geführt, die ich selbst als Journalist nicht vermitteln möchte. Eine Blase, die nicht nur aus Fakten, sondern auch aus Vermutungen und Befürchtungen besteht, und in der am Ende das eine nicht mehr vom anderen zu unterscheiden ist.
Genau das ist eben nicht die Aufgabe von Journalisten. Sie sollen über Fakten berichten und sich nicht an unbegründeten Spekulationen beteiligen. Es ist deprimierend zu sehen, wenn Kollegen gegen solche Grundregeln ihres Handwerks verstoßen. Und es hilft mir auch als Konsument solcher Halbnachrichten nicht weiter, zu verstehen, was wirklich passiert ist.
Keine Stadt im Schock
Zumal Maren Urner von Perspective Daily, die in Münster wohnt und arbeitet, dort einen ganz anderen Blick auf die Ereignisse hatte als sie medial vermittelt wurden. Sie schreibt:
Die Welt hängt an den Bildschirmen und lernt: »An diesem Frühlingsabend ist Münster eine Stadt im Schock.«
Falsch! Es scheint eher umgekehrt: Die Welt, die auf Münster schaut, ist im Schock, während für die meisten Menschen in Münster der Alltag in Parks, Cafés und Straßen (einmal abgesehen vom direkten Umkreis des Unglücksorts) weitergeht.
Wird die Aufregung also tatsächlich umso größer, je weiter man vom Ort des Geschehens weg ist? Nach dem Motto: Die größte Angst habe ich vor etwas, das ich nicht kenne? Bilden Journalisten die Lage vor Ort also wirklich so ab, wie sie ist?
Tatsächlich habe ich mich ablenken können und mich erst am Sonntagmorgen über den Stand der Dinge informiert. Ich konnte Fakten lesen, musste mich nicht an Gerüchten und Wahrscheinlichkeiten entlanghangeln. Ich erfuhr etwas über den Tathergang und das wenige, was man an Hintergründen wusste. Das aber waren greifbare Informationen, die ich einordnen konnte, die keine unnötige Sorge ausgelöst oder unnötige Angst verbreitet haben.
Ich habe den Kollegen Zeit gegeben, ihre Arbeit zu machen. Das klingt pathetischer als es ist. Was ich damit meine: Ich habe als Nutzer nicht sofort nach Informationen gefragt und gesucht, die keiner liefern konnte und sich stattdessen in Spekulationen ergoss. Ich habe den Journalisten Zeit gegeben, zutreffende Informationen zu besorgen, die mir helfen, die Situation zu verstehen. Anstatt nach etwas zu fragen, das man mir so schnell nicht liefern kann und stattdessen etwas anderes zu bekommen. (Das merkt natürlich kein Kollege direkt. Aber es soll ein Signal sein, sich die nötige Zeit zu geben.)
Dass ich allein das so halte, hilft nicht dabei, die Situation zu verändern. Ich fürchte, dass man das Rad in gewisser Weise nicht zurückdrehen kann. Es ist unrealistisch, dass Medien nicht über einen solchen Vorfall berichten. Sie sollten aber zu jedem Zeitpunkt nur das erzählen, was sie wissen. Das ist gar nicht so schwer: Sie können zum Beispiel einfach schildern, was sie sehen und was ihnen berichtet wurde, sollten aber nicht Vermutungen darüber anstehen, was sie nicht sehen. Das ist der Unterschied zwischen „Auto in Menschenmenge gefahren“ und „offenbar Anschlag“.
Es ist wichtig, dass die Kollegen nicht ständig auf Sendung gehen müssen, sondern Zeit bekommen, zu recherchieren. Wer alle paar Minuten immer und immer wieder über den Stand der Dinge berichten muss, kommt gar nicht dazu, sich auf denselben zu bringen – und wiederholt sich damit.
Relevanz statt Erregungspotenzial
Zudem sollte Relevanz entscheiden, nicht Erregungspotenzial. Bei der Auswahl der Meinungsäußerungen sollte man das bedenken. Eine Stellungnahme des Münsteraner Bürgermeisters ist berichtenswert, weil er die Bürger der betroffenen Stadt vertritt. Ein Statement des nordrhein-westfälischen Innenministers ist es, weil er die Arbeit der Polizei verantwortet. Die Tweets einer uninformierten AfD-Politikerin, die weder eine Verantwortung trägt noch selbst am Ort ist, ist es nicht. Arno Frank schreibt bei Spiegel online unter Berufung darauf:
Solange wir soziale Netzwerke für legitime Foren diskursiver Auseinandersetzung halten, werden wir ihrer suggestiven Illusion erliegen und noch das galligste gedankliche Bäuerchen als Beitrag zur Debatte wahrnehmen, vielleicht sogar fürchten – wo es doch in Wahrheit nur erfreulich erhellende Rückschlüsse auf Gemüt und Intellekt der Absender zulässt.
Wer nichts dazu beiträgt, die Ereignisse zu verstehen, hat in Berichten erst mal nichts verloren. Schnellschüsse unbeteiligter und machtloser Politiker (aus der Distanz, aus der Opposition) in Form von Forderungen, die nicht auf Fakten basieren, weil die noch gar nicht geklärt sind, sollten Journalisten erst mal zurückstellen – ob sie per Tweet kommen oder als Pressemitteilung.
Solche Nachrichten sind irrelevant – und sollten von Medien auch so behandelt werden. Später kann man darauf immer noch einsteigen, wenn die politische Diskussion beginnt. Die kann aber erst anfangen, wenn wir wissen, was passiert ist. Das ist kurz nach der Tat selten der Fall.
Diese Erregungsmaschine erregt mich zunehmend. Wenn ich selbst im Dienst und für solche Ereignisse zuständig bin, versuche ich auf die Bremse zu treten und die Regeln zu befolgen, die ich gerade skizziert habe. Ich versuche, mich nicht mitreißen zu lassen von der Wucht des Ereignisses selbst und der daraufhin losrollenden medialen Lawine. Nur so kann ich meine Arbeit vor mir selbst verantworten und auch vor dem Nutzer, für den ich berichte. Das schließt nicht aus, dass es auch mir mal so gehen kann, wie ich es jetzt Kollegen vorwerfe. Dann hoffe ich, dass es jemanden gibt, der mich darauf hinweist. Das geht aber nur, wenn wir uns alle zusammen bewusst sind, worauf es gerade in solchen Krisensituationen im Journalismus ankommt – gerade in Zeiten „großer Gereiztheit“.
Nachtrag (16. April, 21.45 Uhr): Uwe Schulz hat sich in seiner Medienschelte im WDR5-Medienmagazin „Töne, Texte, Bilder“ auch noch mal der Berichterstattung über Münster angenommen.