Knapp daneben ist gar nicht so sehr vorbei

Erinnern Sie sich noch daran, wie die Brexit-Gegner das Referendum gewonnen haben? Oder wie Hillary Clinton US-Präsidentin wurde? Oder wie im Saarland Annegret Kramp-Karrenbauer als Ministerpräsidentin abgewählt wurde? Nein?

Aber vor der Wahl waren sich ziemlich viele von uns sicher, dass es so kommen würde. Wir haben uns auf Zahlen von Demoskopen verlassen. Oder vielmehr darauf, was Journalisten darüber geschrieben haben. Einige von ihnen haben inzwischen daraus gelernt – und wollen künftig anders über Umfragen berichten. Mein Beitrag für das WDR5-Medienmagazin „Töne, Texte, Bilder“.

100 Bücher vom Neubeginn

Seit ein paar Jahren darf ich für den jährlichen WDR5-Literaturmarathon bei der Auswahl der Bücher mithelfen. Im März 2018 lesen Schauspieler, Schriftsteller und Prominente aus rund 100 Büchern, die WDR5-Hörer unter einem Oberthema auswählen durften. Dieses Mal: Neubeginn.

Das Thema gibt mehr her als ich anfangs dachte. Wahrscheinlich würde nicht jeder Mensch auf viele Momente des Neubeginns in seinem Leben kommen. Für mich schwang dabei anfangs so ein Gedanke mit, dass man sein Leben völlig umstellt und in eine andere Richtung marschiert.

Dabei ist vieles ein Neubeginn in unserem Leben. Man kann das auf immer kleinere Dinge herunterbrechen. Seien es die ersten Schritte, der erste Schultag, der Auszug zu Hause, die neue Ausbildung oder das Studium, eine neue Liebe – es muss keine dramatische Lebenswende sein, wie mir der Begriff zunächst suggerierte.

Die WDR5-Hörer haben schon viele schöne Bücher vorgeschlagen. Für mich ist das deshalb schön, weil es wie eine Must-read-Liste ist. Bücher, die unseren Hörern etwas bedeuten, die sie gerne von Schauspielern professionell vorgetragen hören wollen.

Und so arbeiten wir

Zusammen mit mehreren Kollegen und Kolleginnen stöbern wir in der Liste, lesen Dutzende Bücher und wählen dann eine Stelle aus, die vorgelesen gut funktioniert. Die man gut anmoderieren kann, ohne zu viel Kontext mitliefern zu müssen. Die nicht unüberschaubar ist, wenn man nicht hundert Seiten des Buchs vorher gelesen hat. Die in sich funktioniert, also einen definierten Anfang und einen definierten Schluss hat: eine Pointe, einen Cliffhanger, einen natürlichen Abschluss der Szene.

Manchmal muss man innerhalb der Szene kürzen. Da fliegen dann Figuren raus, die für die eigentliche Szene nicht so wichtig sind oder in der Kürze ablenken würden. Längliche Beschreibungen werden gekürzt, denn einer echten Handlung ist beim Hören leichter zu folgen, sie bringt die Geschichte stärker voran.

Nicht alles, was uns vorgeschlagen wird, eignet sich. Etwa, weil wir bereits einen ähnlichen Neubeginn im Programm haben. Oder weil es keine in sich abgeschlossene Szene gibt, auch wenn die Geschichte gut ist. Oder weil der Hörer mit der Geschichte persönlich einen Neubeginn verbindet, der aber nicht so gut erkennbar ist, vor allem nicht für unbeteiligte Zuhörer – und die wollen wir ja ansprechen und auf neue Literatur aufmerksam machen.

Wenn meine Auswahl steht, wandert der Text noch durch viele Hände. Lektoren prüfen, ob die Texte funktionieren, so wie ich sie bearbeitet habe. Die Dramaturgie sortiert die Texte und bündelt sie unter verschiedenen Aspekten zusammen. Mehrere Mitarbeiter engagieren passende Schauspieler und Sprecher, die die Texte kongeninal vortragen können. All das braucht Zeit. Deshalb ist es nicht zu früh, wenn wir schon im Sommer Texte für den März 2018 aussuchen.

Wenn die dann auf die Bühne kommen, Monate nachdem ich den letzten Text bearbeitet habe, ist das auch für mich noch mal ein besonderer Moment. Denn erst durch die Stimmen der Schauspieler beginnt der Text zu leben. Manche Texte lassen sich mit verteilten Stimmen vorlesen und werden dann zu einem reduzierten Live-Hörspiel.

Das besondere Gefühl, gemeinsam zu hören

Und etwas Besonderes ist es, wenn sich hunderte Hörer von WDR5 im Funkhaus am Wallrafplatz in Köln treffen, um den Sprechern zuzuhören – entweder direkt im Kleinen Sendesaal an der Bühne oder im Vorraum, wo die Lesung auf einer Leinwand übertragen wird.

Diesen Livestream gibt es auch im Internet, natürlich bei WDR5 und auch bei vielen Campusradios in Nordrhein-Westfalen. Auch bei Radio Q, dem Campusradio für Münster, für das ich mehrere Jahre gearbeitet habe. Ein witziger Randaspekt, dass meine Arbeit indirekt auch da wieder zu hören ist.

Ich bin gespannt auf das Ergebnis. Noch kann man es beeinflussen – einfach hier ein Lieblingsbuch eintragen, das vom Neubeginn handelt.

Hier kann man sich noch mal Teile des Literaturmarathons 2017 ansehen und anhören. Das Thema war dieses Jahr: Reisen.

100 Bücher über das Reisen – der Literaturmarathon 2017

Einmal im Jahr wird 24 Stunden nonstop vorgelesen: beim WDR5 Literaturmarathon. In diesem Jahr haben wir (mehr als) 100 Bücher über das Reisen ausgesucht. Wobei: Vorgeschlagen wurden die Bücher von WDR5-Hörern, daraus ausgewählt haben dann mehrere Autoren, zu denen auch ich gehöre. Wir haben geprüft, was vorgeschlagen wurde, überlegt, zu welchen Themen innerhalb des Oberthemas Reisen wir gerne Ausschnitte haben wollen, und dann Stellen aus diesen Büchern ausgewählt, die auch für Nicht-Leser funktionieren, wenn man sie ihnen vorliest.

Gelesen wird heute Abend ab 22 Uhr bis morgen Abend um 22 Uhr. Ich hatte die Freude, dabei Szenen aus diesen Büchern auszuwählen und zu bearbeiten:

Freitag, 22 bis 24 Uhr: „Das große Los“ von Meike Winnemuth, die ein Jahr lang in zwölf verschiedenen Städten auf der Welt gelebt hat

Samstag, 2 bis 4 Uhr: „180 Grad Meer“ von Sarah Kuttner über eine junge Frau, die gerne mit dem Zug fährt

Samstag, 10 bis 12 Uhr: „Der seekranke Walfisch“ von Ephraim Kishon über die kulturelle Begegnung mit Engländern

Samstag, 12 bis 14 Uhr: „Otherland“ von Tad Williams über Reisen in der Virtualität

Samstag, 14 bis 16 Uhr: „Russische Reise“ von John Steinbeck und Robert Capa über die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg, „Leise singende Frauen“ von Wilhelm Genazino über einen herumstreunenden Großstädter

Samstag, 16 bis 18 Uhr: „In eisige Höhen“ von Jon Krakauer über die Besteigung des Mount Everest

Es lohnt sich, möglichst viel der 24 Stunden mitzubekommen – auch direkt im WDR-Funkhaus in Köln. Das sieht dann so aus:

Es sind bewegende und berührende, lustige, traurige und abenteuerliche Geschichten dabei. Das Programm im Überblick gibt es hier, den genauen Sendeablaufplan hier.

Der Reichsbürger-Angriff: Wie berichten über diesen „Terror“?

Messen Medien bei Gewalttaten mit zweierlei Maß, abhängig davon, von wem diese verübt wurden?

Seit ein Reichsbürger in Georgensgmünd in Bayern auf vier Polizisten geschossen und sie zum Teil schwer verletzt hat (einer von ihnen ist inzwischen gestorben), wurde der Vorwurf in mehreren Tweets erhoben, zum Teil von Journalisten selbst.

Das ist nach meiner Wahrnehmung aber falsch. Tatsächlich war die Meldung die Top-Nachricht auf den größten Kanälen. Wer sich gestern ein wenig durch die Seiten geklickt hat, konnte das sehen. Wer bei Google News nach „Reichsbürger“ sucht, findet hunderte Ergebnisse.

Der entscheidende Unterschied in der journalistischen Einschätzung liegt vermutlich auch in der Frage begründet, ob es sich bei der Tat des Reichsbürgers um Terror gehandelt hat oder nicht.

Journalisten vertreten dazu unterschiedliche Auffassungen. heute-plus-Moderator Daniel Bröckerhoff etwa spricht nicht von Terror und begründet das in mehreren Tweets damit, dass Terror geplant und gezielt sei, um die Bevölkerung zu verunsichern, was hier augenscheinlich nicht vorliege.

Reichsbürger rechtfertigen die Tat als „Selbstverteidigung“. Terror wär z.B. gewesen, in eine Polizeistation zu gehen und dort Polizisten zu töten.

Den Aspekt der „Selbstverteidigung“ will NDR-Nachrichtenredakteur Michael Draeger dagegen nicht als Abgrenzung gelten lassen:

Mir fällt dabei als Begriff spontan „passiver Terror“ ein. Solange man sie in Ruhe lässt, gehen Reichsbürger dieser Kragenweite möglicherweise nicht gegen Menschen vor, die nicht ihrem fiktiven Staat angehören; wenn der deutsche Staat allerdings sein Recht einfordert, etwa wenn er Steuern eintreiben oder Waffen entziehen will, werden sie gewalttätig.

Dirk Wilking vom Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung würde die Reichsbürger nicht als Terroristen definieren. Er hat im Auftrag des Landes Brandenburg in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz dort ein Handbuch für Behörden (hier als PDF) geschrieben hat über den Umgang mit den sogenannten Reichsbürgern. Er sagte im Interview mit dem Deutschlandfunk:

Es sind keine terroraffinen Leute, sondern sie benutzen das, was ihnen zur Verfügung steht.

Wilking hält die Reichsbürger zwar für verfassungsfeindlich, weil sie den Staat ablehnten, spricht aber nicht von terroristischen Organisationen, weil sie dafür zu zersplittert seien (kein Wunder, wäre ein Zusammenschluss doch in ihrer Logik eine Art Staatenbund).

WDR-Reporter Kai Rüsberg hält die Einschätzung einer terroristischen Tat dagegen durchaus für zutreffend:

Tatsächlich aber ist die Einschätzung, ob es sich hierbei um Terror handelt, nicht entscheidend dafür, ob und wie Journalisten mit dem Thema umgehen. Nachrichtenkriterien orientieren sich schließlich nur zum Teil auch an juristischen, polizeilichen oder sonstwelchen Definitionen wie in diesem Fall der des Terrors. Man kann auch darüber berichten und den Begriff trotzdem vermeiden.

Aus meiner Sicht rechtfertigen vor allem zwei Aspekte eine ausführlichere und überregionale Berichterstattung: die gewaltsame Auseinandersetzung mit vier verletzten Polizeien, die in dieser Form selten ist, sowie der damit verbundene Fokus auf eine offensichtlich bisher unterschätzte Gruppe von Tätern mit einer bestimmten Ideologie, deren Gewaltpotenzial in der Öffentlichkeit so bisher kaum bekannt war oder zumindest nicht zum Tragen kam. Auch wenn dem bereits die Festnahme des Reichsbürgers Adrian Ursache vorausging, der dabei ebenfalls SEK-Beamte verletzte.

Wie ausführlich die Berichterstattung dann tatsächlich ist, ist allein mit Zahlen nicht zu fassen. Denn wie man anhand des eingangs zitierten Tweets mit dem „völlig durchdrehen“ sieht, geht es auch um Bewertungen.

Tatsächlich kann man aber kritisieren, dass über die üblichen Nachrichtensendungen und Informationsformate hinaus keine Sondersendungen ins Programm gehoben wurden, zumal ARD und ZDF unter anderen Umständen nicht gerade hohe Hürden dafür aufbauen. Allerdings brachte diesmal etwa das heute-journal im ZDF zum Reichsbürger nur eine Nachricht im Kurzmeldungsblock und keinen Film. Und das Erste verzichtete auf einen Brennpunkt.

Ob ein fehlender Brennpunkt allerdings wirklich so schlimm war, möchte ich angesichts der Qualität vieler Ausgaben bezweifeln.

Weiterführend:

Auf der Suche nach dem „Anhalter“ – eine transparente Recherche

Im Tagesgeschäft geben Journalisten eher selten Einblick in ihre Arbeitsmethoden. Wie sie auf ein Thema gestoßen sind. Warum sie entschieden haben, sich weiter damit zu beschäftigen. Welche Quellen sie angezapft haben. Was dabei herumgekommen ist.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens lässt ihnen dazu das journalistische Format oft keinen Raum. Eine Nachricht etwa soll kurz und knapp sein, das Wesentliche erzählen und nichts Unwesentliches etwa zur Entstehung der Meldung. Zweitens würde die genaue Wiedergabe des Rechercheweges die Ausspielung der Nachricht verzögern. Drittens ist es in vielen Fällen mehr oder weniger implizit klar oder irrelevant, wie ein Thema zu einem Thema geworden ist.

In manchen Fällen ist das anders. Die fünfteilige WDR5-Dokumentarserie „Der Anhalter“ von Sven Preger und Stephan Beuting macht vor, wie transparent man eine Recherche gestalten kann. In diesem Fall ist das nicht ganz überraschend, schließlich gehört die Recherche zur Geschichte, denn sie erzählt etwas über den Protagonisten der Reihe: Heinrich Kurzrock.

Preger und Beuting treffen ihn unabhängig voneinander, mit einem Jahr Abstand. Am selben Ort: einer Tankstelle am Kölner Verteilerkreis. Er erzählt ihnen, er habe seine Kindheit in der Psychiatrie verbracht, mehr als 14 Jahre lang. Weggesperrt, geschlagen, missbraucht – in den 1950er und 60er Jahren sei das gewesen. Nun will Heinrich nur noch Schluss machen und sucht eine Mitfahrgelegenheit.

Als die beiden Reporter sich zufällig davon erzählen, beschließen sie, sich auf die Suche zu machen: nach diesem Mann und nach der Wahrheit? Was ist, wenn nur ein Bruchteil von seinen Geschichten stimmt? Wenn er wirklich als Kind in einer Psychiatrie geschlagen und missbraucht wurde? Dann ist er eines von tausenden Kindern, die bis heute auf eine Entschädigung warten.

Schon im Ankündigungstext von WDR5 wird die Suche der Journalisten ausdrücklich angesprochen, die sie im Verlauf des Features immer wieder transparent machen. Man hört Preger beim Telefonieren mit Behörden, er erzählt, welche Auskünfte er rechtlich nicht bekommen kann, welche Recherchen in die Sackgasse führen. Anstatt Interviewpartner zu besuchen (was Journalisten für ein Feature bevorzugt tun), hört man sie auch mal am Telefon.

Als Preger und Beuting endlich Kontakt zu Heinrich Kurzrock bekommen und zu ihm fahren, hört man, wie sie sich im Auto über ihn unterhalten. Welche Gefühle und Gedanken sie mit dem bevorstehenden Treffen verbinden. Sie machen damit deutlich, dass auch Journalisten nicht rein objektiv an eine Geschichte herangehen können, sondern – wie alle Menschen – Gefühle damit verbinden.

Preger: Damals sagte er schon, dass er sozusagen Knochenkrebs im Endstadium hat, und jetzt ist es anderthalb Jahre später, wo ich genau wie du auch sagen würde: Dann kann er ja nicht mehr leben. Und jetzt lebt er. Was sofort die Frage auch danach stellt: Was davon war eigentlich wahr, was er mir damals erzählt hat?
Beuting: Ja, das ist die gute Frage. Wieviel erzählt er uns eigentlich, was wirklich wahr ist, wie gehen wir eigentlich damit um, wenn wir offensichtlich merken, dass was nicht wahr ist? Wieviel kann man Heinrich eigentlich gleich glauben? Das beschäftigt mich auch.

Sie machen zugleich deutlich, dass sie – trotz des menschlichen Interesses, das sie an Heinrich haben – ihm nicht alles glauben können. Und nicht alles glauben werden. Aber sie machen auch deutlich, worum es ihnen geht:

Wir wollen die Wahrheit, wittern eine Geschichte und wollen Heinrich helfen.

Immer wieder erzählen sie einer Kollegin von ihren Recherchen, die wertvolle Anregungen von außen liefert. Die sie zum Beispiel darauf hinweist, dass auch Heinrich sich von ihrem Treffen bestimmte Dinge verspricht, er also auch ein eigenes Interesse daran haben kann, dass über die reine Berichterstattung hinausgeht. In Folge 2 legen Preger und Beuting offen, dass sie Heinrich eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 300 Euro zahlen dafür, dass er ihnen ihre Geschichte erzählt. Dass sie das tun, halte ich in dem Zusammenhang für plausibel und vertretbar. Aber sie erwähnen auch, dass sie sich damit angreifbar machen.

Der erste von fünf Teilen endet damit, dass sie Heinrich wiedertreffen. Das macht Lust auf mehr.

Bisher sind von „Der Anhalter“ von Sven Preger und Stephan Beuting vier Folgen erschienen, die auf der Webseite von WDR5 und als Podcast abrufbar sind.

Disclaimer: Ich arbeite gelegentlich als freier Mitarbeiter für WDR5.

Drei Beispiele für einen fairen journalistischen Umgang mit der AfD

Die AfD weiß, wie sie Schlagzeilen produzieren kann. Und wir Journalisten neigen dazu, ihnen zu folgen. Berichten oder ignorieren? Eine schwierige Abwägung. Einerseits kann man sie kaum ignorieren, weil sie auch außerhalb der journalistischen Berichterstattung auf sich aufmerksam machen; andererseits kann man auch nicht über jedes Stöckchen springen, das sie einem hinhalten. Gestern und heute habe ich drei Beispiele gehört, in denen ein guter Weg für den Umgang mit ihr gefunden wurde.

DLF-Redakteur Dirk Müller hat heute früh in den „Informationen am Morgen“ thematisiert, dass in der Redaktion gestern lange darüber gestritten worden sei, ob man die angebliche Äußerung von AfD-Vizechef Alexander Gauland über Fußballnationalspieler Jérôme Boateng überhaupt thematisieren solle. Am Ende habe man sich dafür entschieden, zu berichten und ein Interview zu führen. Herausgekommen ist ein hervorragender Weiterdreh des Themas. Der Gesprächspartner Wolfram Eilenberger, Philosoph und Chefredakteur des Philosophie-Magazins, hat die Diskussion nämlich ausgehend von dieser Äußerung auf einen anderen interessanten Punkt gelenkt: Er nannte die „integrative Kraft des Sports“, die immer beschworen werde, einen Mythos. Außerhalb des Fußballs seien nämlich in fast alle anderen Nationalmannschaften längst nicht so viele Migranten wie im Fußball. Eine gute Entscheidung, wie man ein solches Thema anfassen und weiterdrehen kann. Zumal Eilenberger im Interview darauf hinweist, dass die Art und Weise, in der die Journalisten der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Gaulands Äußerung kolportiert haben, fragwürdig ist, und damit zugleich Journalismuskritik äußert, die die Diskussion darüber auch auf eine Metaebene hebt.

Auch Sabine Henkels Herangehensweise hat mich beeindruckt: Prägnant und ungewöhnlich mutig, wie WDR5 das Thema mit diesem Kommentar heute früh behandelt und damit auch klassische Formatvorgaben über Bord geworfen hat. Der Kommentar lief auch bei WDR2 – mit relativ umfassender Anmoderation. Natürlich ist das nicht die richtige Herangehensweise für jede Äußerung von AfD-Politikern, aber angesichts der schwierigen Faktenlage in diesem Fall finde ich es gerechtfertigt.

Schon gestern sendete der Deutschlandfunk das „Interview der Woche“ mit AfD-Chefin Frauke Petry. Der Leiter des Hauptstadtstudios, Stephan Detjen, hat dabei eine ganz einfache Taktik angewendet: Er war auf Inhalte aus, nicht darauf, Petry um jeden Preis zu entlarven.

So deckte Detjen zum Beispiel den Widerspruch auf, dass Petry einerseits Differenzierung einfordert, wenn es um die Beurteilung ihrer eigenen Partei geht, auf der anderen Seite aber jede Differenzierung vermissen lässt, wenn es um die Beurteilung des Zentralrats der Muslime geht.

Detjen: Man muss nochmal sagen: Also, eine Partei, die sich in ihr Programm schreibt, eine Religionsgemeinschaft, der in Deutschland knapp vier Millionen Menschen angehören, gehöre nicht hierher, die muss sich doch mit dem Vorwurf konfrontieren lassen, diese Gruppe pauschal ausgrenzen zu wollen. Und das hat es in der Bundesrepublik jedenfalls noch nicht gegeben.

Petry: Na, Herr Detjen, ich glaube, da trauen wir uns beiden doch ein bisschen mehr Differenzierungsmöglichkeiten zu. Wir grenzen niemanden aus, aber wir machen in unserem Programm ganz klar, dass der Islam in seinen wesentlichen Ausprägungen, wie sie nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit in allen muslimischen Ländern geprägt werden, große, große Diskrepanzen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufweist.

Wer die Rechte der Frau nach wie vor nicht umsetzt, wer die Intoleranz gegenüber religiösen, ethnischen und sexuellen Minderheiten zum Programm hat, wer Polygamie befürwortet, den deutschen Staat dafür sogar in die Pflicht nimmt, der muss sich vorwerfen lassen, dass er zumindest über diese Probleme diskutiert. Und …

Detjen: Frau Petry …

Petry: Warten Sie ganz kurz.

Detjen: Ja.

Petry: … die Differenzierung, die der Zentralrat ja überhaupt nicht bereit ist zu tun, die wir aber sehr wohl getan haben, ist zu sagen, dass wir Muslime, die diese Probleme erkannt haben und die spirituelle Welt ihrer Religion dennoch leben möchten und hier integriert sind, dass wir die sehr wohl fördern und anerkennen.

Detjen: Frau Petry, nur die Differenzierung, dass bestimmte Ausprägungen des Islam problematisch sind und in Konflikt mit Grundwerten unserer Gesellschaft geraten, ist wahrlich keine Entdeckung der AfD. Sie schreiben in Ihr Programm: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, das ist genau der Verzicht auf die Differenzierung, die Sie jetzt einfordern.

An einer anderen Stelle fragt er danach, welche Konsequenzen die von AfD-Funktionären geforderte Direktwahl des Bundespräsidenten analog zu Österreich für das politische System haben würde.

Detjen: Ja. Frau Petry, deshalb würde ich gerne an der Stelle nachfragen. Österreich hat eine andere Stellung. Und die Frage, die ich Ihnen stellen möchte, ist, ob Sie die Stellung des Bundespräsidenten, das Verfassungsgefüge der Bundesrepublik damit verändern wollen? Was geschehen würde, wenn der Bundespräsident ein direktes Mandat der Bevölkerung hätte.

Petry: Na, erst einmal müsste man dafür die Aufgaben des Bundespräsidenten in Deutschland neu definieren. Das haben …

Detjen: Und das wollen Sie tun?

Petry: Na ja, das haben wir erst einmal nicht getan. Wir haben vor allen Dingen erst einmal darüber geredet …

Detjen: Aber Sie fordern ja eine Direktwahl. Das würde die Stellung verändern. Also lassen Sie mich einfach mal fragen: Wünschen Sie sich einen Bundespräsidenten, einen direkt gewählten Bundespräsidenten, der aktiver in die Politik eingreift und nicht nur repräsentatives Staatsoberhaupt ist?

Petry: Schauen Sie, ich finde es immer erstaunlich, wie man …

Detjen: Eine wichtige, eine wesentliche Frage.

Petry: Herr Detjen, ja, wie man in unsere Worte und unser Programm dann Dinge reininterpretiert, die da gar nicht drinstehen – so, wie die Linke das auch vor Kurzem getan hat. Die hat zwar gesagt, das steht zwar nicht drin, aber die meinen das trotzdem. Lassen wir uns doch … also nehmen wir doch …

Detjen: Nein, wenn man …

Petry: Aber Herr Detjen, nehmen wir doch das Programm, wie es ist. Und im Programm steht, dass …

Detjen: Auf das Programm komme ich gleich noch.

Petry: … dass wir möchten …

Detjen: Nur, Sie stellen eine Forderung auf, die da im Programm gar nicht drinsteht in der Tat: nämlich den Bundespräsidenten direkt zu wählen. Und das hat Konsequenzen. Und ich möchte von Ihnen wissen, ob Sie die Konsequenzen bedacht haben.

Petry: Ja, Herr Detjen, noch einmal: Sie postulieren Konsequenzen, die wir in unserem Programm nicht gefordert haben.

Detjen: Ein direkt gewählter Bundespräsident hat eine andere Stellung, verändert die politische Landschaft, das Verfassungsgefüge der Bundesrepublik.

Petry: Ja, er hat vor allen Dingen …

Detjen: Sie fordern eine Direktwahl.

Petry: Ja, ein direkt gewählter Präsident, ein direkt gewählter Bundespräsident in Deutschland hätte vor allem tatsächlich mal das Mandat, das direkte Mandat der Bevölkerung. Gerade der Bundespräsident in Deutschland hat ja nun rein repräsentative Funktionen.

Detjen: Und das möchten Sie ändern?

Petry: Und deswegen bricht rund um die Wahl eines Bundespräsidenten in Deutschland immer wieder die Diskussion darüber auf, ob wir ihn überhaupt brauchen. Und in der Tat ist die Frage, ob wir einen Bundespräsidenten, der rein repräsentativ wirkt, tatsächlich in Deutschland benötigen. Aber diese Frage, Herr Detjen – und Sie machen das ganz geschickt und stellen mir die gleiche Frage immer wieder, diese Frage haben wir …

Detjen: Ganz genau.

Petry: … derzeit nicht aufgemacht. Und solange die Partei …

Detjen: Doch, Sie haben sie ja aufgemacht. Sie haben die Forderung der Direktwahl gestellt.

Petry: Na ja, also …

Interessant vor allem, wie Petry versucht, Detjens Nachfrage mit dem Hinweis darauf zu kontern, dass er versuche, etwas hineinzuinterpretieren, was nicht drinstecke – dabei hat er lediglich nach den Konsequenzen der AfD-Forderung gefragt.

Am Ende beantwortet Petry die Frage nicht und zeigt dadurch, dass sie keinerlei Konzept hat Es lohnt sich, sich das ganze Interview im Original anzuhören, weil es zeigt, wie man der AfD mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung beikommen kann, ohne sie offensiv anzuprangern.

Auch wenn Detjen schildert, wie er sich erfolglos darum bemüht hat, das beschlossene Grundsatzprogramm zu bekommen, behauptet Petry erst, dass es schon lange abrufbar ist, bis sie schließlich einräumt, dass es erst am Vorabend fertiggestellt worden ist.

Detjen hat damit im besten Sinne das getan, was Stefan Niggemeier neulich vorgeschlagen hat:

Ich glaube, dass die AfD einen Anspruch darauf hat, dass ihre Ansichten verbreitet werden, und dass die Bevölkerung einen Anspruch darauf hat, diese Ansichten zu erfahren. Es ist dann selbstverständlich auch das Recht und die Aufgabe von Journalisten, diese Ansichten einzuordnen und kritisch zu hinterfragen, ihre Folgen zu beschreiben, Widersprüche aufzuzeigen, mögliche verborgene Ansichten zu enthüllen – wie bei jeder anderen Partei, aber bei einer neuen, sich noch findenden Partei ganz besonders.

Ich glaube, dass diese Strategie die richtige für den Umgang mit der AfD ist. Wenn Journalisten ihr die Chance geben, sich und ihr Programm darzustellen, ihr dabei aber kritisch begegnen und ihre Vorstellungen hinterfragen, erfüllen Journalisten ihre Aufgabe, haben Leser, Hörer und Zuschauer die Chance, tatsächlich einschätzen zu können, ob sie der AfD ihre Stimme anvertrauen wollen, und kann sich die AfD nicht mehr in die Opferrolle einer Partei begeben, der kein Gehör geschenkt wird.

Es wäre schön, mehr Berichte, Interviews und Kommentare wie die angeführte Beispiele zu hören.

Update, 19.00 Uhr: In einer früheren Version habe ich lediglich zwei Beispiele genannt: das Interview in den „Informationen am Morgen“ und den Kommentar bei WDR5. Hinzugefügt habe ich die längere Passage als Auseinandersetzung mit dem „Interview der Woche“ im Deutschlandfunk. Der ursprüngliche Titel dieses Beitrags lautete: „Drei Beispiele, wie man der AfD nicht (ganz) auf den Leim geht“.

Disclaimer: Ich arbeite als freier Mitarbeiter für Deutschlandfunk und WDR.

Haben US-Journalisten Wahlkampfhilfe für Donald Trump geleistet?

Schriftzug an einem Trump-Building in New York
Schriftzug an einem Trump-Building in New York

Fragen von mir an Journalisten in den USA über das Dilemma, über Donald Trump zu berichten und ihn damit größer zu machen oder es sein zu lassen. Es ist kompliziert.

Donald Trump ist laut und unverschämt. Er ist immer für einen flotten Spruch zu haben, das ist gut für die Quote. Jetzt wird der umstrittene Milliardär wohl der republikanische Präsidentschaftskandidat. Viele Journalisten in den USA fragen sich nun, ob sie Wahlkampfhilfe geleistet haben – ohne es zu merken.

Ein paar Antworten im WDR5-Medienmagazin „Töne, Texte, Bilder“.

Lasst uns reden – aber wirklich reden!

Nach den vagen Äußerungen der WDR-Kollegin Claudia Zimmermann, die Politik nehme direkten Einfluss auf die Berichterstattung zum Thema Flüchtlinge, haben freie WDR-Kollegen eine virtuelle Unterschriftenliste im Netz ins Leben gerufen.

Auf einer weiteren Seite kann über das Thema diskutiert werden. Dabei finden sich ganz unterschiedliche Meinungsäußerungen. Die meisten davon sind leider wieder voller Vorwürfe, allerdings ohne (konkrete) Belege oder Hinweise darauf, wieso man das annimmt.

„Niemand gibt Euch politische Vorgaben. Muss die Redaktion doch auch gar nicht, denn viele von Euch wissen was die Redaktion von euch erwartet“

„Wenn es nicht so wäre, dass die Journalisten eine politischen Vorgabe bekommen würden, wieso dann dieser Brief, um die Bestätigung des Gegenteils.Man muss einfach mal zwischen den Zeilen lesen.“

„Bei letzteren müssten wir davon ausgehen, dass beim WDR ausschließlich freie Mitarbeiter beauftragt werden, die nach einer Gesinnungsprüfung aus intrensischen Bedürfnissen Tatsachen verdrehen, Blickwinkel manipulierend ausrichten und häufiger mal die Unwahrheit sagen.“

„es gibt glaube ich einen Druck/Erwartungshaltung so zu berichten wie der Chef (Intendant) es gut findet. Nur so macht man Karriere oder bekommt schöne Aufträge.“

Man müsste dem bei den wenigen, die sich in diesem Forum an der Diskussion beteiligen, vielleicht keine große Aufmerksamkeit schenken, wenn die Kommentare nicht exemplarisch wären für das, was Journalisten immer wieder vorgeworfen wird.

Es wäre schön, wenn man sachlich darüber diskutieren könnte – genau das ist es doch eigentlich, was Leser/Hörer/Zuschauer/Nutzer wollen. Allerdings erschweren zwei Dinge eine sachliche Diskussion:

  1. Die Beleidigungen und Unterstellungen, die statt sachlicher Fragen oder der Schilderung von persönlichen Eindrücken den ernsthaften Willen zur Auseinandersetzung fraglich erscheinen lassen.
  2. Das Fehlen jedeweden Belegs. Es wird selten mal konkret dargelegt, wieso man glaubt, dass in diesem oder jenem Fall Politiker Einfluss auf einen bestimmten Beitrag genommen haben. Was soll man darauf antworten? Journalisten berichten über Fakten und Meinungen und brauchen dafür Belege. Vermutungen sind keine Fakten, mehr liefern auch Nutzer leider nicht – weder zu Sachthemen noch zu diesem Metathema.

Viele Journalisten – definitiv nicht alle – sind dialogbereit. Aber man muss ihnen auch eine Chance für den Dialog geben: nicht mit Vorwürfen beginnen, konkret sein, Fragen stellen, die eigene Position hinterfragen. Ich versuche das auch.

Schweigekartell und Nachrichtensperren: Die CSU übernimmt Pegida-Argumente

Dass Pegida-Anhänger und AfD-Vertreter einen Großteil der deutschen Medien als “Lügenpresse” beschimpfen, ist nicht neu. Dass mit der CSU jetzt auch eine Regierungspartei die gleichen Vorwürfe äußert (freilich ohne den Begriff zu verwenden), allerdings schon – und es ist sehr bedenklich.

Als erstes erhob Generalsekretär Andreas Scheuer diese Vorwürfe. Im Deutschlandfunk etwa sagte er unter Bezugnahme auf die Berichterstattung rund um #koelnhbf:

Die Menschen wollen, dass Klarheit und Wahrheit berichtet wird. Und wenn dort Hunderte von gewaltbereiten Männern sich eingefunden haben, vielleicht verabredet über soziale Netzwerke, dann haben wir eine neue Qualität der Gewalt, und da appelliere ich an alle, dass wir über Klarheit und Wahrheit berichten. Die Menschen, die in Sorge sind in unserer Gesellschaft, wie sich unsere Gesellschaft entwickelt, die kritisieren genau das, dass es eine veröffentlichte Meinung teilweise gibt, die nicht die Realität widerspiegelt, weil man meint, man muss hier eine falsch verstandene Vorsicht an den Tag legen.

Scheuer bedient sich hier einer immer wieder von Rechtspopulisten verwendeten Methode: Er unterstellt, dass “die Wahrheit“ bewusst verschwiegen wird, obwohl sie bekannt ist. Allerdings gab es in Köln zum Zeitpunkt des Interviews am Mittwochmorgen zum einen schon genug Informationen für eine umfassende Berichterstattung, wie sie auch erfolgt ist, allerdings mehr einzelne Erlebnisberichte als belastbare Fakten.

Erst im Laufe des Donnerstags wurden Einsatzberichte von Polizisten an die Medien durchgestochen, die Zahl der Strafanzeigen stieg weiter an, Beweismittel wurden gefunden, Videos ausgewertet. Scheuer verlangt, dass Journalisten mehr wissen als alle anderen zusammen – und auch mehr als die Polizei. Er verlangt, dass über Fakten berichtet werden, die keiner kennt.

Er stellt zudem die “veröffentlichte Meinung” der “Realität” gegenüber. Diese Formulierung mag der Interviewsituation geschuldet sein, ich möchte aber darauf hinweisen, dass sich die Realität über Ereignisse wie die am Kölner Hauptbahnhof nicht über Meinungen abbildet, sondern über Fakten. Ich will nicht hoffen, dass Scheuer meint, die Meinung vieler Menschen müsse die Berichterstattung über die “Realität” bestimmen.

Wieso wussten wir anfangs noch nicht so viel? Der Journalist Thomas Knüwer hat das bei “Eine Stunde Was mit Medien”* bei DRadio Wissen am Donnerstag so eingeordnet:

Ich glaube am Ende nicht und sehe das auch anders als viele andere. Am Tag danach hat die Polizei gesagt: Da war nix. So sehr wir die Medien mögen: Sie können nicht an jeder Ecke in einer Silvesternacht Journalisten stellen.

Wenn schon die Polizei überfordert war, alle Strafanzeigen in dieser Nacht entgegenzunehmen und die Situation zu befrieden – wie sollen Journalisten dazu in der Lage sein, alle relevanten Informationen zu sammeln?

Andreas Scheuer bedient sich hier rechtspopulistischer Ressentiments. In die gleiche Kerbe schlägt sein Parteifreund Hans-Peter Friedrich. “Es ist ein Skandal, dass es Tage gedauert hat, bis die öffentlich-rechtlichen Medien die Berichte aufgegriffen haben”, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Er äußerte den Verdacht, “dass die gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Medien ihrem Informationsauftrag nur noch unzureichend nachkommen“. Friedrich sprach über ein „Schweigekartell“ und fabulierte über „Nachrichtensperren“, wenn es um Vorwürfe gegen Ausländer gehe. Zumal er wenig konkret wird, wie auch die taz bemerkt:

Von wem sollen die vermeintlichen „Nachrichtensperren“ ausgegangen sein? Wer ist Teil des „Schweigekartells“? Schon sind wir in der wunderbaren Welt der Verschwörungstheorien – powered by H.-P. Friedrich.

Friedrich urteilt a posteriori über eine Situation, die selbst die Kölner Polizei offenbar zunächst verschleiert hat. Erst nach und nach wurde das Ausmaß der sexuellen Übergriffe deutlich. Friedrich schneidet seine Kritik geschickt auf die öffentlich-rechtlichen Medien zu und lässt dabei zum einen private Lokalmedien in Köln außen vor. Denn die haben ja sehr schnell nach Bekanntwerden der ersten Vorwürfe berichtet. Zum anderen verkennt Friedrich, dass die öffentlich-rechtlichen Medien nur über Ereignisse von überlokaler Bedeutung berichten, denn sie sind als Landessender angelegt, nicht als Lokalsender. Erst das Ausmaß der Übergriffe hat das Thema aber überhaupt zu einem überregionalen gemacht, und dieses Ausmaß war erst nach Tagen bekannt. Daneben hat Friedrich unrecht: Der WDR hat bereits am 2. Januar um 16.44 Uhr mit einem Tweet berichtet.

 

Der verwies auf diese Meldung:

Die Kölner Polizei ermittelt in einer Reihe von Belästigungen von Frauen in der Silvesternacht. Viele der sexuellen Übergriffe sollten wohl von Diebstählen ablenken. Nachdem es am Sonntagmorgen (03.01.2016) schließlich ähnliche Vorfälle gegeben hat, hat die Polizei fünf Männer festgenommen. Derzeit wird geprüft, ob die Männer an den Taten in der Silvesternacht beteiligt gewesen sein könnten.

(Dass dort als Stand der 3.1.2016, 12.40 Uhr angegeben ist, liegt an der letzten Aktualisierung der Seite.)

Auch wenn man sich wünschen mag, dass es mehr und eine frühere Berichterstattung gegeben hätte: Zum einen geht die nicht ohne Recherche, zum anderen sind Redaktionen angesichts des Jahreswechsels und des Wochenendes nicht übermäßig besetzt, was angesichts der Lage im Nachhinein zu bedauern, aber nicht ungewöhnlich ist.

Die Vorwürfe von Hans-Peter Friedrich treffen also nicht zu – obwohl er es besser hätte wissen müssen. Ich finde: Es ist ein Skandal, dass Friedrich nicht gemerkt hat, dass die öffentlich-rechtlichen Medien die Berichte aufgegriffen haben. Ich habe den Verdacht, dass der steuernfinanzierte Politiker Friedrich seiner Informationspflicht nur noch unzureichend nachkommt.

Die CSU hat mit ihrer Medienkritik bereits Nachahmer im Ausland gefunden. Der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro schrieb in einem offenen Brief von „medialer Zensur der deutschen Medien“ im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Übergriffe in Köln und anderen Städten.

Das müsste man inhaltlich nicht weiter ernst nehmen, weil es Ziobro lediglich um die Verteidigung des polnischen Mediengesetzes geht. Es beschädigt aber den Journalismus, wenn sich weitere Politiker den hanebüchenen CSU-Vorwürfen anschließen.

 

* In der ersten Fassung hatte ich versehentlich „Eine Stunde Medien” geschrieben.

Können wir aus #koelnhbf lernen? Müssen wir es überhaupt?

Wahrscheinlich liegt mein Fehler schon darin, dass ich glaube, dieser Text könne irgendetwas bei denen ändern, die sich ohnehin schon ihre Meinung gebildet haben. Die glauben, dass Medien heute tatsächlich in der Lage seien, Vorfälle wie die in Köln zu „vertuschen“. Also Ereignisse aus den Schlagzeilen zu halten, bei denen es wahrscheinlich mehr als hundert Opfer gegeben hat (von mehr als 90 Anzeigen wissen wir bisher), bei denen es noch mehr Zeugen gegeben haben muss, bei denen mehr als hundert Polizisten im Einsatz waren, die in sozialen Medien und in Videos dokumentiert wurden.Wer so etwas tatsächlich „vertuschen“ wollen würden, bräuchte deutlich andere Mittel als die, die Medien zur Verfügung stehen – der müsste staatliche Zensur ausüben und nicht nur Medienberichte unterbinden, sondern auch das Internet kontrollieren und in der Lage sein, die Meinungsäußerung von Bürgern zu unterbinden.Leider scheint es Menschen zu geben, die genau das annehmen und dabei Medien lieber bewusste „Manipulationen“ zu unterstellen als anzunehmen, dass es plausible Gründe dafür gibt, dass die Berichterstattung nur schleppend anlief.Eins noch vorweg: Die Diskussion hat sich in den vergangenen Tagen stärker um die Täter und die Rolle der Medien gedreht und zu wenig um die Opfer. Deswegen will ich kurz Sabine Henkel zu Wort kommen lassen, die u.a. bei hr-info, im WDR und im NDR kommentierte:

Die Übergriffe von Männerhorden auf Frauen in Köln haben auch etwas – Achtung – Gutes! Ja, richtig gehört. Gut ist, dass den Opfern geglaubt wird. Einfach so. Ohne Nachfrage, wie sonst so oft. Ob sie, die Frauen, denn nicht vielleicht auch irgendwie selbst Schuld haben könnten und so weiter und so fort. Nein, diesmal der Aufschrei durch Polizei und Politik: Frauen wurden sexuell belästigt! Unmöglich. Das ist ohne Zweifel ein Kollateralgewinn dieser abscheulichen Vorfälle.

Auch ich lehne die Taten ab und bin beunruhigt, dass so etwas passieren kann. Da es in diesem Blog aber um Medien gehen soll, konzentriere ich mich auf die Berichterstattung über die Vorfälle.

Was ist “die Wahrheit”?

Ich habe im Laufe des Dienstags u.a. die Facebook-Seite des Deutschlandfunks betreut. Dort erreichten uns Dutzendfach Vorwürfe, wir würden nicht über „die Wahrheit“ berichten und zum Beispiel nicht sagen, dass es sich bei den Tätern um Flüchtlinge handle.

Das ist bemerkenswert, denn offenbar werden an Medien Maßstäbe angelegt, an die sich viele Nutzer selbst nicht halten wollen. Wer glaubt, „die Wahrheit“ zu kennen, soll bei der Polizei Anzeige erstatten; viele Nutzer wissen offenbar mehr als Journalisten und Ermittler. Für viele Menschen stehen Tatsachen fest; sie akzeptieren nicht, dass Medien vorsichtig berichten, indem sie sich beispielsweise bei ihren Angaben auf die Polizei oder auf Zeugen berufen. Da bisher nachweislich keiner derjenigen Täter gefasst wurde, die bei den Übergriffen beteiligt gewesen sind (es gab zwar Festnahmen, allerdings zu anderen Zeitpunkten, so dass ein Zusammenhang möglich, aber eben nicht nachgewiesen ist), ist auch beispielsweise völlig offen, ob es sich um Flüchtlinge handelt.

Genau so hat auch der Deutschlandfunk berichtet: dass die Täter unbekannt seien. Dabei haben wir durchaus nicht verschwiegen, dass es sich bei den Tätern nach den Aussagen vieler Zeugen um nordafrikanisch oder arabisch aussehende Männer gehandelt habe. Dabei haben wir möglicherweise sogar den Pressekodex überstrapaziert, weil ein Zusammenhang zwischen der Herkunft der Täter und der Tat noch gar nicht nachgewiesen werden konnte.

In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.

Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Gerade der letzte Satz innerhalb dieser Richtlinie ist es, der Journalisten aus Erfahrung vorsichtig werden lässt. Denn, um nur einen von vielen Tweets zu zitieren, für die genannten Taten braucht es keinen Zusammenhang zur Nationalität der Täter.

Dass der Presskodex so strikt ist, hat seine Gründe. Wie man an den tatsächlichen Reaktionen sehen kann, seit Augenzeugenberichte über das Aussehen der Täter in der Welt sind, passierte genau das: Viele Kommentatoren im Netz machten aus „nordafrikanisch und arabisch aussehenden Männern“ gleich Flüchtlinge, stellten einen Zusammenhang zum anhaltenden Flüchtlingsstrom fest und forderten zum Teil Dinge, die strafbewehrt sind.

Doch die Standards des Pressekodex seien längst erodiert, schreibt Daniel Bax in der taz.

Denn in Zeiten von sozialen Medien und Internet ist es ohnehin eine Illusion zu glauben, bestimmte Informationen ließen sich außen vor lassen. Und unter dem Druck der rechten Gegenöffentlichkeit aus dem Netz, die schnell mit dem Vorwurf bei der Hand ist, „die Medien“ würden aus falsch verstandener Toleranz und „politischer Korrektheit“ die Verbrechen von Migranten verschweigen oder schönfärben, sind auch seriöse Medien im vorauseilendem Gehorsam dazu übergegangen, die Herkunft von Straftätern offensiv zu benennen – jedenfalls, so lange es sich um migrantische Straftäter handelt.

Dass seriöse Journalisten grundsätzlich zögern, Zusammenhänge herzustellen, wo sie nicht zutreffen, kommentierte das Prinzessinnenblog zutreffend:

Im Journalismus geht es nicht um Klicks, sondern um Fakten. (…)

Pro-Tipp: Fakten sind das, was gesichert feststeht. (…)

Einmal verbreitete Schlagzeilen können übrigens nicht ungeschrieben gemacht werden. Der Eindruck, dass 1000 Flüchtlinge in Köln Frauen mindestens belästigten, ist das, was bleibt. Für immer, egal, wie viele erklärende Artikel jetzt nachgeschoben werden.

Wieso hat es so lange gedauert?

Dass es drei Tage gedauert hat, bis die Ereignisse ihren Weg in die sogenannten überregionalen Medien gefunden haben, mag bedauerlich sein, hatte aber seine Gründe. Im Nachhinein zu sagen, dass es zu lange gedauert hat, ist verständlich, wird aber der Nachrichtenlage nicht gerecht.

“Die Welt“ hat die Informationspolitik der Polizei dokumentiert. In der ersten Pressemitteilung der Polizei am 1. Januar um 8.57 Uhr wurde noch von einer entspannten Einsatzlage gesprochen, auch wenn von einer Räumung des Bahnhofsvorplatzes die Rede war.

Kurz vor Mitternacht musste der Bahnhofsvorplatz im Bereich des Treppenaufgangs zum Dom durch Uniformierte geräumt werden. Um eine Massenpanik durch Zünden von pyrotechnischer Munition bei den circa 1000 Feiernden zu verhindern, begannen die Beamten kurzfristig die Platzfläche zu räumen.

Aus dieser Meldung lassen sich die Ereignisse nicht ablesen. Wer glaubt, dass Medien ständig und überall Journalisten im Einsatz haben, die hätten feststellen können, dass diese Informationen nicht stimmen, täuscht sich massiv über die finanziellen Mittel von Medien. Auch wer ihnen vorwirft, vermehrte Rückmeldungen von Frauen in sozialen Netzwerken ignoriert zu haben, verkennt die Möglichkeiten von Journalisten, den Überblick über die Flut von Postings zu haben, um daraus Zweifel an der oben genannten Darstellung zu haben.

Das Magazin “Cicero” hat sich mit einem Artikel zu Köln nicht mit Ruhm bekleckert, in einem anderen dagegen durchaus, in dem Petra Sorge die Abläufe zusammengefasst und einige Dinge richtig gestellt hat, die im Laufe der Zeit durcheinandergeraten sind:

Die Gruppe wuchs bis 23 Uhr auf 1000 Personen an. In keiner der drei bislang veröffentlichten Pressemitteilungen ging die Polizei auf diese große Zahl ein; die Aussage fiel lediglich mündlich auf der Pressekonferenz.

Vor und nach der Räumung des Bahnhofsplatzes durch die Polizei sei es aber zu den sexuellen Übergriffen gekommen, sagte ein Behördensprecher Cicero. „Ob diese Täter zu den 1000 Leuten gehören, wissen wir aber noch nicht“.

Tatsächlich taucht die Zahl von „1000 Feiernden“ in Pressemitteilungen der Polizei auf, auch in der oben zitierten. Es wurde aber nicht behauptet, dass nicht nur die Täter, sondern die gesamte Gruppe ein „nordafrikanisches oder arabisches Aussehen“ gehabt habe.

Diese Zahlen und Beschreibungen sind teilweise ineinander gerutscht, so dass zum Beispiel von “1000 Männern mit nordafrikanischem oder arabischem Aussehen” die Rede war. Das ist selbstverständlich nicht richtig. Auch handelte es sich nicht um 1000 Täter, sondern um Täter aus einer Gruppe von 1000 Menschen.

Der NDR-Nachrichtenkollege Michael Draeger hat in seinem Blog die Abfolge der Ereignisse dokumentiert. Auch er schreibt:

Wurde über die Angriffe nicht ausreichend berichtet? Die Medien bei solchen Themen immer auf die Informationen der Polizei angewiesen. Nur sie hat den Überblick, wie viele Anzeigen oder Vorkommnisse es gab. Die allgemeinen Lageberichte sind für die Presse dagegen nicht zugänglich.

Auch er verweist auf die Tatsache, dass Journalisten eben nicht alles wissen können. Einzelfälle, die es schon nach der reinen Zahlen nach den ersten Anzeigen in Köln waren, haben, so verabscheungswürdig das ist, aber zunächst einmal keine überregionale Bedeutung, die eine Berichterstattung auch in bundesweiten Medien rechtfertigen würde. Erst die Dimension der Vorfälle machte die Vorfälle auch überregional relevant. Michael Draeger:

Augenzeugenberichte bei Facebook sind zwar ein guter Anfang für eine Recherche, mehr aber auch nicht. Wenn mehrere Leute dort von vielen schlimmen Szenen berichten, die Polizei aber nur einzelne Fälle bestätigen kann, ist für die Medien Zurückhaltung geboten. Sie können von einzelnen Fällen berichten, von überregionaler Bedeutung ist das Thema dann aber nicht. Die bekommt es erst durch die Dimension der Übergriffe.

Und diese Dimension wurde erst nach und nach bekannt, je mehr Anzeigen eingingen. Da die Taten am Hauptbahnhof stattfanden, ist es nicht überraschend, dass die Opfer nicht nur aus Köln stammen; es dauerte offenbar einige Zeit, bis die Anzeigen, die bei anderen Polizeidienststellen erstattet wurden, auch nach Köln gemeldet und in die Statistik aufgenommen werden konnten.

Tatsächlich ist die Berichterstattung nur schleppend angelaufen; wir sollten darüber nachdenken, welche Gründe es dafür gibt. Es ist sicherlich nicht nur der Informationspolitik der Polizei anzulasten, sondern auch der durch Erfahrung genährten journalistischen Skrupeln, dass einzelne Taten von Ausländern als repräsentativ für ihr Herkunftsland genommen werden. Auch dass Zahlen und Begriffe durcheinander geraten sind, darf nicht passieren, auch wenn es wegen oft vager Bezeichnungen (“nordafrikanischer Herkunft”, “Migranten”, “Flüchtlinge”) verständlich ist.

Unzweifelhaft ist aber auch, dass heutzutage eine andere Art der Berichterstattung eingefordert wird. Die Nutzer wollen sich selbst ihre Meinung bilden, welche Rolle die Herkunft der mutmaßlichen Täter für ihre Tat spielt. Dabei lässt sich nicht vermeiden, dass viele ihr Weltbild bestätigt sehen.

Wie kritisieren wir Medien?

Die Kritik an den Medien ist jedoch oft sehr undifferenziert und macht es Journalisten nicht leicht, damit umzugehen. Pauschale Anwürfe wie “Lügenpresse” helfen überhaupt nicht, Fehler zu beheben und auf Vorwürfe zu antworten. Viele Nutzer sind nicht in der Lage, ihre Kritik so zu formulieren, dass sie produktiv umgesetzt werden kann. Auch sie werfen Zahlen und Formulierungen durcheinander, zitieren ganze Sätze, auch wenn sie nur einzelne Wörter bemängeln, erinnern sich falsch an das, was sie im Radio gehört haben und reagieren beleidigt, wenn man sie darauf hinweist. Ein produktiver Umgang ist so nur selten möglich, auch wenn ich ihn wünschenswert finde. Genauso wie einzelne Formulierungen, die Nutzern aufstoßen, dazu führen, dass sie den ganzen ansonsten seriösen Beitrag oder gar das Medium nicht mehr ernst nehmen, führt undifferenzierte Kritik von Hörern dazu, dass Journalisten ihre berechtigten Punkte nicht mehr wahrnehmen.

Allerdings machen es Medienkritiker durchaus nicht immer besser. So schrieb der Publizist David Berger auf der Meinungsseite von Roland Tichy unter der ursprünglichen Überschrift „Wie Massenvergewaltigungen in der Silvesternacht zum deutschen Medien-Supergau wurden“. Eine Medienkritik, die selbst mit diesem fulminant gelogenen Titel beginnt, kann man nicht ernst nehmen. Die Seite ist noch über den Link dieses ehemaligen Titels zu erreichen, auch wenn dieser inzwischen geändert wurde.

Stefan Niggemeier hat den ursprünglichen Antext des Artikels dokumentiert*:

Niemand hatte eine Massenvergewaltigung verschwiegen – weil es sie nicht gab. In einer späteren Fassung wurde daraus “Massengewalt”. Von Verschweigen war weiterhin die Rede. Womit sich der Zirkel schließt: Als wenn “Vertuschen”, was den Medien vorgeworfen wird, heute noch möglich wäre.

Was wir jetzt tun könnten – können wir?

Was können wir aus der Berichterstattung über Köln lernen?

1.   Wir sollten unsere Arbeit von Anfang an transparent machen. Wenn wir ein solches Thema erst nach drei Tagen aufgreifen, müssen wir begründen, warum. Sei es, dass Tatsachen erst dann bekannt wurden, sei es, dass die Dimension des Themas (wie in diesem Fall) erst dann klar wurde.

2.   Wir sollten stärker vermitteln, dass es “die Wahrheit” nicht gibt. Die Dinge sehen unterschiedlich aus, je nachdem, von wo aus man sie betrachtet. Und ein Journalist kann genauso wenig seinen eigenen Standpunkt mit seinem Wissen, seinen Erfahrungen, seinen Haltungen verlassen wie er seinen eigenen Schatten abschütteln kann. Und jeder Nutzer kann das ebensowenig.

3.   Wir sollten stärker einfordern, dass unsere Standards auch für Nutzer gelten müssen. Einerseits bemängeln sie, dass wir gegen journalistische Grundsätze und den Pressekodex verstoßen, etwa wenn wir in der Berichterstattung über den Germanwings-Absturz Grenzüberschreitungen begangen haben, andererseits zögern sie selbst nicht, Gerüchte zu Tatsachen umzudeuten. Ob die Forderung des Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen, wir müssten zu einer “redaktionellen Gesellschaft” werden, wirklich eintrifft, wage ich dennoch zu bezweifeln.

4.   Wir sollten uns noch mal darüber klar werden, dass die Nennung der Herkunft von Tätern für viele Nutzer wichtig ist, auch wenn sie im Detail noch unklar ist und auch wenn sie nichts mit der Tat zu tun hat. Wie man trotzdem rassistischen Vorurteilen begegnet, weiß ich allerdings auch nicht. Wahrscheinlich kann man sie weder vermeiden, wenn man die Nationalität nennt, noch, wenn man sie nicht nennt.

5.   Wir sollten uns aus der Frontstellung zwischen Journalisten und Nutzern herausbringen und stattdessen einen partnerschaftlichen Dialog etablieren. Nur dann kann das verloren gegangene Vertrauen wiederhergestellt werden. Hinzu kommt, dass wir die Nutzer dazu anleiten sollten, differenzierte Kritik zu äußern. Wie das allerdings gehen soll – keine Ahnung.

Lasst uns weiter drüber reden.

* Im ursprünglichen Post auf stefanfries.tumblr.com war der Tweet nur als Bild eingefügt, hier jetzt eingebettet.