Häppchenjournalismus bleibt nicht ohne Folgen

Jeden Tag lesen wir Nachrichten: auf dem Smartphone, elektronischen Werbetafeln oder in den Sozialen Netzwerken. Die Formate dafür werden immer kürzer. Immer öfter fehlt der Kontext, mitunter auch das journalistische Handwerk. Das zeigt sich besonders beim Umgang der Journalisten mit Zitaten. Mein Beitrag fürs WDR5-Medienmagazin „Töne, Texte, Bilder“.


„Kühnert warnt vor GroKo-Ausstieg“

„Kühnert macht Kehrtwende“

„Kühnert warnt vor Bruch mit der Union“

Drei Schlagzeilen Anfang Dezember, kurz vor dem Parteitag der SPD. Sie beruhen auf einem Interview, das Juso-Chef Kevin Kühnert der Rheinischen Post gegeben hatte. Darin sagt er:

„Wer eine Koalition verlässt, gibt einen Teil der Kontrolle aus der Hand, das ist doch eine ganz nüchterne Feststellung. Auch das sollten die SPD-Delegierten bei ihrer Entscheidung berücksichtigen.“

Kühnert zitiert sich in diesem Twitter-Video selbst, in dem er die angebliche 180-Grad-Wende dementiert, die ihm Zeitungen und Agenturen unterstellen.

„…und da hab ich Sachen zum Thema Große Koalition gesagt, die sag ich ehrlich gesagt schon seit anderthalb Jahren, und die sind jetzt in einer Agenturmeldung aus meiner Sicht falsch dargestellt worden…“

Nicht der einzige Fall in diesem Jahr, in dem eine Interviewäußerung aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Oliver Georgi, Politikredakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, beobachtet diese Entwicklung schon seit Längerem:

„Da wird dann ein Zitat, ein Satz oder eine Stellungnahme herausgepickt. Die wird dann bei den sozialen Netzwerken aufgegriffen, und dann wird innerhalb von wenigen Stunden oder sogar Minuten nur noch über einen Satz aus dem Interview debattiert, und der verbreitet sich dann sehr schnell, und die Erregung nimmt mit jeder weiteren Verbreitung noch zu. Und am Ende hat dann die Aufregung über das Interview mit dem eigentlichen Interview gar nichts mehr zu tun.“

Denn nicht nur im Fall Kevin Kühnert folgte dem Interview ein Dementi. Im August gab CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer der Funke-Mediengruppe ein Interview. Die twitterte und titelte anschließend, Kramp-Karrenbauer habe dem ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen mit einem Parteiausschlussverfahren gedroht. Auch das eine Formulierung, die die CDU-Chefin noch am selben Tag dementierte:

„Ich habe weder im Interview noch an anderer Stelle ein Parteiausschlussverfahren gefordert.“

FAZ-Redakteur Georgi macht vor allem Sorge, dass Journalisten mit solchen Verkürzungen Empörungsspiralen in Gang setzen, die keinerlei Grundlage hätten.

Verbreitet werden sie nicht nur in sozialen Netzwerken, sondern auch in anderen journalistischen Kurzformaten, die es heute gibt: auf Bildschirmen in Bahnhöfen und Bussen, auf Werbetafeln an der Straße und in Pushnachrichten aufs Handy.

„In der Art der Zuspitzung, da findet diese Differenzierung aber keinen Platz mehr. Das führt dazu, dass wir alle, auch die Medien, die dann über Twitter, Shitstorm und über die Empörung berichten, dass wir den dann noch weiterverbreiten. Und man hat als Politiker es sehr schwer, eine solche Äußerung, die bei Twitter mal läuft oder auch in den traditionellen Medien aufgegriffen wurde, nochmal einzuholen.“

Georgi glaubt, dass diese Art der Berichterstattung langfristig dafür sorgt, dass Bürgerinnen nicht nur das Vertrauen in die Politik verlieren, sondern auch in die Medien. Denn auch wenn Politiker redlich argumentieren würden, könne es doch passieren, dass Journalistinnen ihre Aussagen wiederum verkürzen.

Der FAZ-Journalist hat aber auch beobachtet, dass Politikerinnen ihre Aussagen bewusst vage halten, um nicht auf allzu Konkretes festgelegt zu werden.

Aber auch Politiker der – sagen wir mal – der etablierten Parteien machen das, nicht immer mit Vorsatz, dass sie eine Äußerung bewusst vage formulieren, dann können sie sozusagen darauf nicht festgenagelt werden, weil das ja eben nicht klar und prägnant gesagt haben, aber die Botschaft, die sie damit vermitteln wollen – Kritik allgemein oder einem Kollegen nahezulegen, dass er sein Amt niederlegen muss, ohne ihn hart und klar kritisiert zu haben.“

Dann ist es ein Spiel für die Medien, die mitunter auch bereitwillig mitmachen. Denn auch wenn eine skandalöse Äußerung zurückgenommen wird, sorgt das wieder für neue Schlagzeilen.

„Fridays for future“ in Köln demnächst nicht mehr freitags

Ab kommender Woche wollen die Aktivisten nicht mehr jeden Freitag zum Schulstreik und zu Demonstrationen für mehr Klimaschutz aufrufen. Stattdessen wollen sie sich andere Protestformen überlegen, die sie für wirkungsvoller halten. Mein Beitrag für wdr.de.

Briten in NRW: Zwischen Tränen und Pragmatismus

Nach dem Wahlsieg der Tories im Vereinigten Königreich gilt der Brexit als nicht mehr zu verhindern. Premierminister Boris Johnson hat eine komfortable Mehrheit im Unterhaus, die ein Ausscheiden des Landes aus der Europäischen Union zum 31. Januar 2020 sehr wahrscheinlich macht.

Das hat Folgen auch für Briten, die außerhalb des Landes wohnen – auch in Nordrhein-Westfalen. Was jetzt auf sie zukommt, habe ich zusammen mit Nina Magoley für wdr.de aufgeschrieben.

Filme zwischen Fiktion und Wirklichkeit

„Der König von Köln“ heißt Josef Asch. Ein Bauunternehmer, der sich vom Polier hochgearbeitet hat und nach und nach einen großen Teil der Kölner Wirtschafts- und Politik-Elite in die Tasche steckt. In der Satire mauschelt Asch mit einem Kölner Bankier und bringt am Ende die Kölner Bürger um Millionensummen.

Vorbild des Fernsehfilms im Ersten, der noch in der Mediathek zu sehen ist, ist der Skandal um den Bau der KölnArena und des Kölner Stadthauses sowie die Pleite des damaligen Karstadt-Mutterkonzerns Arcandor.

Am Anfang des Films wird eingeblendet: „Die handelnden Figuren sind frei erfunden.“ Ich hab den Produzenten Michael Souvignier für @mediasres im Deutschlandfunk gefragt, wer ihm das abnehmen soll – schließlich geht Josef Asch ziemlich unverhohlen auf den Bauunternehmer Josef Esch zurück, der im Mittelpunkt des Kölner Immobilienskandals stand.

„Die Bücherdiebin“ beim WDR5-Literaturmarathon

Beim WDR5-Literaturmarathon hat NRW-Ministerpräsident Armin Laschet den Auftakt gemacht. Er hat aus dem Roman „Die Bücherdiebin“ von Markus Zusak gelesen, der in Deutschland zur Zeit des Zweiten Weltkriegs spielt. Es ist die Geschichte des Waisenmädchens Liesel. Erzähler ist der Tod persönlich.

„Die Terroristen“ beim WDR5-Literaturmarathon

Für den WDR5-Literaturmarathon am vergangenen Wochenende durfte ich acht Bücher bearbeiten. Von einigen Lesungen stehen Videos online – zum Nachschauen und Nachhören.

So zum Beispiel von „Die Terroristen“, dem letzten Band aus der Krimi-Reihe von Maj Sjöwall und Per Wahlöö, den „Eltern des skandinavischen Kriminalromans“. Darin soll ein Terroranschlag in Schweden verhindert werden. Anna Schudt, Meinhard Zanger, Hans Löw und Anna Drexler lesen aus dem berühmten Werk von 1975.

Medien als Mittäter von Christchurch: ein paar Reaktionen

Am Montag habe ich im Deutschlandfunk kommentiert, dass Medien sich zu Mittätern machen, wenn sie den Namen des Attentäters von Christchurch nennen und sein Pamphlet unreflektiert und reflexartig verbreiten.

Der Kommentar hat ein bisschen Widerhall gefunden. So hat sich Matthias Finger für das WDR5-Meinungsmagazin „Politikum“ damit auseinandergesetzt.

Peter Nowak hat den Kommentar bei Telepolis als Aufhänger genommen, um über verschiedene Positionen zum Thema zu berichten.

Schon vor dem Kommentar hatte mir Christopher Lemmer noch mal geantwortet auf meinen Blogpost vom vergangenen Freitag, der wiederum eine Reaktion auf seinen Blogpost war.

100 Bücher fürs Leben

Es gibt Bücher, die zu guten Freunden werden. Sie begleiten einen durch die Jugend, in Krisen oder erinnern an schöne Momente. Um diese „Freunde“ dreht sich der WDR 5 Literaturmarathon 2019. Das Motto: „Bücher fürs Leben“.

Der Marathon läuft von morgen (Freitag, 22. März) bis übermorgen (Samstag, 23. März) von 22.05 Uhr bis 22 Uhr – live im WDR-Funkhaus Wallrafplatz in Köln, bei WDR5 und im Netz im Livestream auf wdr5.de.

Ich durfte wieder ein paar Bücher beisteuern. Aus Vorschlägen der WDR5-Hörer habe ich aus den folgenden Büchern Ausschnitte ausgewählt und sie für die Lesung bearbeitet:

Freitag, 22 bis 24 Uhr

  • Markus Zusak: Die Bücherdiebin

Samstag, 0 bis 2 Uhr

  • Inger Edelfeldt: Jim im Spiegel

Samstag, 2 bis 4 Uhr

  • Wilhelm Genazino: Das Glück in glücksfernen Zeiten

Samstag, 8 bis 10 Uhr

  • Isabel Allende: Das Geisterhaus

Samstag, 10 bis 12 Uhr

  • Catherine Clément: Theos Reise

Samstag, 14 bis 16 Uhr

  • Janwillem van de Wetering: Der leere Spiegel
  • Stewart O’Nan: Emily, allein

Samstag, 16 bis 18 Uhr

  • Maj Sjöwall/Per Wahlöö: Die Terroristen

Aber natürlich sind auch die Texte der beteiligten Kollegen hörenswert.

Der Anhalter ist tot

Vor zweieinhalb Jahren hab ich hier die Feature-Reihe „Der Anhalter“ gelobt. Das kann man für viele Aspekte tun, mir ging es damals um den Aspekt der Transparenz. Denn die Autoren Sven Preger und Stephan Beuting haben nicht nur die Geschichte von Heinrich Kurzrock erzählt, sondern auch, wie sie dazu gekommen sind.

Das lag wohl vor allem auch daran, dass die Recherche zur Geschichte gehört, denn sie erzählt etwas über den Protagonisten der Reihe. Preger und Beuting treffen ihn unabhängig voneinander, mit einem Jahr Abstand. Am selben Ort: einer Tankstelle am Kölner Verteilerkreis. Er erzählt ihnen, er habe seine Kindheit in der Psychiatrie verbracht, mehr als 14 Jahre lang. Weggesperrt, geschlagen, missbraucht – in den 1950er und 60er Jahren sei das gewesen. Nun will Heinrich nur noch Schluss machen und sucht eine Mitfahrgelegenheit.

Schon damals erzählte Kurzrock, dass er Knochenkrebs im Endstadium hat. Am 7. Februar ist er gestorben. In einem Epilog zur Reihe teilen Sven und Stephan ihre Gefühle und Erinnerungen an Heinrich. (Hier die ganze Reihe.)

Zielgenauere Umfrage macht Kramp-Karrenbauer zur Favoritin (zumindest vorübergehend)

Seit Angela Merkel ihren Rückzug als CDU-Chefin angekündigt hat und drei prominenten Kandidaten für ihre Nachfolge  bereitstehen, hat es mehrere Umfragen gegeben, wen „die Bürger“ als Nachfolger bevorzugen. Am Anfang war es oft Friedrich Merz, wahrscheinlich, weil ihn noch niemand kannte – im Gegensatz zu Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn. Einige Umfragen widersprachen sich auch. Seitdem haben sich die Mehrheiten – wie erwartet – auch wieder verändert, was die ursprünglichen Umfragen etwas sinnlos erscheinen lässt.

Wer den Posten wirklich bekommt, konnte man aus den Daten ohnehin nicht schließen. Denn die Entscheidung treffen nicht die deutschen Wähler, nicht mal die CDU-Mitglieder, sondern lediglich 1.001 CDU-Delegierte beim Parteitag. Welche Präferenz soll man also aus solcherlei Umfragedaten ablesen können?

Für den ARD-Deutschlandtrend hat der WDR jetzt Infratest Dimap zum ersten Mal nicht „die Bürger“ befragen lassen, sondern nur CDU-Anhänger. Mal davon abgesehen, dass das eine Selbstbezeichnung der Befragten ist, die sich nicht überprüfen lässt* (es wurden nicht mal CDU-Wähler befragt, sondern lediglich Anhänger), kommt das der möglichen Stimmung innerhalb der Partei aber sicherlich schon näher. Und siehe da: Der angebliche Vorsprung von Merz ist gleich dahin.

Den Zahlen zufolge sind 46 Prozent für Kramp-Karrenbauer, 31 für Merz und 12 Prozent für Spahn. Die Frage ist nur, wieviele Leute dabei befragt wurden. Dem Umfragedesign zufolge wurden 1.006 Leute befragt. Wie viele davon ihre Parteipräferenz für die CDU ausgedrückt haben, ist unklar. Wenn es etwa die 26 Prozent sind, die sich bei der Sonntagsfrage zur Union (also auch zur CSU) bekannt haben, waren es höchstens rund 260 Befragte. Also auch das höchstens ein Stimmungbild ohne Anspruch auf Wahrhaftigkeit.

 

* Das ist natürlich ein gängiges Problem bei der Meinungsforschung.

 

Offenlegung: Ich arbeite als freier Mitarbeiter für den WDR.