Wenn nicht die Meinung interessiert, sondern die Meinung über andere Meinungen

Es gibt Umfragen, die lassen mich ratlos zurück. Der Spiegel fragt zum Beispiel gerade online:

„Video-Assistenten bei Fußballspielen: Schadet die Überprüfung der Beliebtheit des Sports?“

Da weiß man gar nicht, was man antworten soll. Werde ich gefragt, ob der Sport dadurch bei mir unbeliebter wird? Das hätte man direkter machen können. Der Wortlaut legt aber etwas anderes nahe. Demnach werde ich gefragt, ob ich finde, dass der Sport dadurch insgesamt unbeliebter wird. Das heißt, der Spiegel fragt nicht nach meiner Meinung, sondern er fragt mich, wie wohl die Meinung der anderen aussieht.

Das ist natürlich eine beknackte Frage, die weniger Erkenntnis bringt als die von mir zuerst formulierte Deutung der Frage. Außerdem zweifle ich daran, dass den meisten Befragten überhaupt klar ist, welche Frage da beantwortet werden soll – die einen mögen auf die eine Deutung antworten, die anderen auf die andere. Aussagekräftige Ergebnisse bringt solche eine komplizierte Fragestellung nicht. (Mal davon abgesehen, dass sie ohnehin nicht repräsentativ sind.)

Royaler Nestbeschmutzer

Buch und Interviews von Prinz Harry sorgen vor allem bei der Boulevardpresse für großes Echo – hier wird er als royaler Nestbeschmutzer eingeordnet. Dabei verblasst die politische Dimension der Vorwürfe von Rassismus, Kolonialismus und rückständiger britischer Monarchie in einem desolaten Großbritannien. Meine Medienkolumne für Politikum in WDR5.

Wie neutral können Journalist*innen sein?

Eigentlich wollte ich mich mal wieder dem Thema Neutralität im Journalismus widmen. Anlass war eine Diskussion, die in der Spiegel-Redaktion geführt und von ihr öffentlich gemacht wurde.

Auslöser dieser Diskussion war wiederum, dass der Chef der Meinungsseiten der New York Times nach einem Streit über eine abgedruckte Meinung gekündigt hatte. Dass sie das problematisch findet, hat ARD-New-York-Korrespondentin Antje Passenheim vorige Woche im Deutschlandfunk kommentiert.

Spiegel-Redakteur Philipp Oehmke kommentierte daraufhin bei spiegel.de: „Die Zeit der Neutralität ist vorbei“. Sein Kollege Florian Gathmann erwiderte darauf: „Wir müssen so neutral sein wie möglich“.

Interessanterweise schreibt Gathmann dann etwas, das der Überschrift widerspricht:

Aber es gehört zu unserer Arbeit, über die AfD zu berichten. Das kann nicht unvoreingenommen erfolgen, wenn sich ein Teil der Partei außerhalb der Grenzen des Grundgesetzes bewegt.

Das heißt, er sieht doch Anlass für eine gewisse Unvoreingenommenheit gegen Positionen außerhalb des demokratischen Spektrums. Was ich richtig finde. Denn Journalismus findet nicht im luftleeren Raum statt. Pressefreiheit ist nur in Demokratien möglich, und wenn wir die Demokratie schon nicht um ihrer selbst willen verteidigen, dann sollten wir es für die Pressefreiheit tun. Insofern ist eine bestimmte Haltung gegenüber unseren Berichtsgegenständen nicht falsch.

Den besten Text dazu hat aktuell Samira el Ouassil für Übermedien geschrieben. Gleich zu Anfang heißt es dort:

Man kann als Journalist objektiv sein – ohne neutral sein zu müssen.

Beides sind unterschiedliche Werte des Handwerks Journalismus. Und in manchen Fällen darf man gar nicht neutral in Bezug auf das zu Berichtende sein, wenn man seine journalistische Integrität bewahren möchte. Denn Journalisten sollten, um ihrem Beruf gerecht zu werden, natürlich parteiisch sein: Sie müssen immer auf der Seite der Wahrheit sein.

Denken wir beispielsweise an Korruptionsfälle. Nehmen wir mal diesen einen aktuellen um einen jungen CDU-Abgeordneten. JournalistInnen decken diesen auf und sind schon allein durch ihre Haltung „Korruption ist schlecht“ automatisch in dieser Geschichte nicht neutral, dennoch macht das ihre Berichterstattung nicht minder objektiv.

Und später konstatiert sie: „Gleiche Distanz zu allen? Funktioniert nicht.“

Das ist der Text, den ich hätte schreiben wollen, aber nicht konnte. Insofern verweise ich gerne auf Übermedien.de.

Weiterer Lesehinweis: Sonja Zekri bei sueddeutsche.de über die Illusion von Neutralität

In Schleswig-Holstein ist gegebenenfalls jemand zurückgetreten. Weiß man aber nicht so genau. Können wir aber schon mal melden.

Ist der Innenminister von Schleswig-Holstein jetzt eigentlich noch Mitglied der Landesregierung? Man würde es gerne wissen, jetzt, wo die Frage im Raum steht.

Aber der „Spiegel“ zeigt mal wieder, dass es gar nicht so leicht ist, das genau herauszufinden, denn wie fast immer bei einem Rücktritt machen Journalist*innen nicht unbedingt klar, wie eigentlich der Stand der Dinge ist.

In seiner Eilmeldung (von mir abgerufen um 14.40 Uhr, beim Klicken wahrscheinlich schon aktualisiert) stehen drei Informationen, die nicht alle gleichzeitig richtig sein können:

  1. bietet Rücktritt an
  2. hat Rücktritt eingereicht
  3. ist zurückgetreten

Im Text heißt es:

Hat Grote seinen Rücktritt nur informell angeboten? Hat er ihn formell eingereicht? Braucht er überhaupt die Zustimmung des Ministerpräsidenten, um aus dem Amt zu gehen? Würde er unter Umständen im Amt bleiben? Ist er doch zurückgetreten und schon raus?

Ich weiß es nicht – und die Meldung hilft mir auch nicht weiter.

Gute Zusammenarbeit: Wie Medien Maaßens Framing vom „Rückzug aus dem Wahlkampf“ übernehmen

Welchen Einfluss bestimmte Personen auf die öffentliche Debatte haben, hängt auch davon ab, wie Medien mit ihnen umgehen. Ein gutes Beispiel dafür ist in diesen Wochen der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. Was immer er sagt oder twittert, wo er auftritt oder wo er angesprochen wird – Medien machen was draus.

Das ist an sich schon problematisch, hat Maaßen doch keinerlei Amt mehr inne, ist kein Mitglied irgendeines Parlaments, hat innerhalb der CDU keine bestimmte Aufgabe. Dafür sorgt er mit krawalligen Statements für Aufmerksamkeit, von denen Medien profitieren wollen. Politisch relevant ist das selten.

Ein schlechtes Beispiel dafür haben Maaßen und Medien gestern gegeben. Maaßen hatte getwittert, er ziehe sich aus dem Wahlkampf in Sachsen zurück.

Nach Recherchen der Deutschen Presse-Agentur waren aber gar keine Wahlkampfauftritte Maaßens in Sachen geplant – wovon könnte sich Maaßen also zurückziehen? Dennoch hatte die Agentur diesen Dreh übernommen. Sie schrieb:

Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen zieht sich aus dem Landtagswahlkampf der sächsischen CDU zurück. Er schrieb am Sonntagabend auf Twitter (…).

Dem Vernehmen nach waren in Sachsen jedoch sowieso keine Auftritte mit Maaßen mehr vereinbart.

In der Meldung wird also richtigerweise dementiert, was in der Überschrift noch behauptet wurde. Inhaltlich ergibt das aber keinerlei Sinn – man kann sich nicht von etwas zurückziehen, von dem man ohnehin kein Teil (mehr) war. Mit derselben Logik könnte ich mich aus dem sächsischen Wahlkampf zurückziehen.

Unter anderem die Süddeutsche Zeitung hat gestern in diesem Artikel diesen Dreh übernommen. Mittlerweile hat die Redaktion die Überschrift geändert und den Artikel überarbeitet und durch weitere Informationen ergänzt. Die alte Fassung lässt sich aber noch in der Artikelvorschau bei Twitter sehen.

Wie so oft hat die Redaktion den dpa-Wortlaut inklusive Überschrift größtenteils übernommen. Die Süddeutsche hatte ihrer Meldung aber einen weiteren Absatz hinzugefügt, der nicht von der dpa stammte, es gab also eine redaktionelle Befassung.

Gleichlautend hatte am Abend auch ZEIT online berichtet. Die Artikelvorschau bei Twitter von gestern zeigt diesen Dreh noch:

Auch sie hat den Artikel inzwischen überarbeitet und ihm auch eine neue Überschrift gegeben.

Auch der Tagesspiegel hatte den Artikel von der dpa so übernommen. Er steht (Stand: 26.8.19, 10.45 Uhr) immer noch so online.

Spiegel online hat die Meldung nicht eins zu eins übernommen, sondern sie für einen längeren Artikel mit mehr Kontext verwendet. Aber auch hier hat es Maaßens Spin in die Überschrift geschafft.

Allein die „Welt“ hat noch eine Quelle aufgetan, derzufolge durchaus weitere Auftritte Maaßens in Sachsen hätten geplant sein können. Sie schreibt unter ausdrücklicher Berufung:

Laut Nachrichtenagentur dpa waren in Sachsen keine Auftritte mit Maaßen mehr vereinbart. Der Sprecher der Werteunion, Ralf Höcker, erklärte, es habe „kurzfristige Anfragen“ gegeben. Maaßen werde auch keine Stellungnahmen mehr zum Wahlkampf in Sachsen abgeben. Der Rückzug sei ein echter Rückzug.

Folgerichtig hat sie Maaßens Spin (in der aktuellen Online-Fassung, 26.8.19., 10.50 Uhr) auch nicht in Überschrift und Teaser gepackt.

Erneut hat es Maaßen damit mit Unterstützung von Medien geschafft, seine Botschaft zu transportieren. Mag schon die Werte-Union, die sich für den konservativen Flügel der CDU hält, die aber keine offizielle Gliederung der CDU ist und der Maaßen angehört, in der öffentlichen Darstellung überrepräsentiert sein, so ist es auch Maaßen.

Wie schon bei Trump scheint mittlerweile jedem Tweet eine umfangreiche Berichterstattung zu folgen. Mal davon abgesehen, dass die Relevanz zweifelhaft ist, sollten Redaktionen sich zumindest Maaßens Framing verweigern.

 

Betrugsfall beim „Spiegel“: Preisgekrönter Journalist räumt Fälschungen ein

Ein Journalist des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ ist als Fälscher enttarnt worden. Der mehrfach ausgezeichnete Claas Relotius hat zugegeben, Geschichten massiv manipuliert zu haben – in welchem Ausmaß, ist noch unklar. Wie der Stand der Dinge gestern war, habe ich in @mediasres im Deutschlandfunk erzählt.

Medien entschuldigen NRW-Innenminister Herbert Reul, der dafür selbst keinen Anlass sieht

Der Plan von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) ist offenbar aufgegangen. Fast alle Medien haben berichtet, er habe sich für seine umstrittene Äußerung vom Mittwoch entschuldigt. Und das, ohne dass er sich wirklich entschuldigt hat.

Zeit online schreibt:

Die Frankfurter Rundschau schreibt online:

Und die WAZ:

Spiegel online:

Bild Düsseldorf:

Freie Presse:

Nach zwei Tagen hat NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) zumindest eingesehen, dass seine Justizschelte nicht sonderlich klug war. In der Rheinischen Post hatte Reul am Donnerstag das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster im Fall Sami A. kritisiert:

Die Unabhängigkeit von Gerichten ist ein hohes Gut. Aber Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen. (…) Wenn die Bürger Gerichtsentscheidungen nicht mehr verstehen, ist das Wasser auf die Mühlen der Extremen.

Reul forderte also indirekt, dass sich Gerichte nicht nach den Gesetzen richten sollten, die Politiker wie er selbst zuvor selbst gemacht hatten, sondern sich nach einer Art Meinung der Masse richten sollten. Dass Reul für diese fragwürdige Haltung stark kritisiert wurde, sollte ihn nicht verwundern.

Am Freitag veröffentlichte er eine Erklärung, in der er sich scheinbar von seinen früheren Worten distanzierte. Wenn man sich die Erklärung im Wortlaut (zu finden u.a. hier) durchliest, merkt man aber, dass er das nur begrenzt tut.

„Die Unabhängigkeit von Gerichten ist ein hohes Gut.“ – so lautet der erste Satz meiner Aussage. Das bedeutet für mich natürlich, dass Richter ihre Entscheidungen nach Recht und Gesetz treffen müssen und sich die Verwaltung an diese Gerichtsentscheidungen hält. Diese Grundsätze des Rechtsstaatsprinzips sind für mich selbstverständlich. Mir ist inzwischen klar geworden, dass meine Erklärung in dieser Hinsicht missverstanden werden konnte. Das bedauere ich.

Mir ging es bei meiner Äußerung darum, auf die öffentliche Wirkung des Beschlusses des Gerichtes zur Rückholung eines ausreisepflichtigen Gefährders und seine möglichen Folgen für die gesellschaftspolitische Debatte hinzuweisen. Ich habe die große Sorge, dass die Bürgerinnen und Bürger die Entscheidungen staatlicher Institutionen immer weniger verstehen. Alle staatlichen Gewalten sollten daher mehr Aufmerksamkeit darauf verwenden, ihr Handeln zu erklären.

An keiner Stelle entschuldigt sich Reul ausdrücklich für seine Äußerung oder nimmt sie zurück. Er bedauert nicht seine Worte, sondern deren Wirkung, wenn er sagt:

Mir ist inzwischen klar geworden, dass meine Erklärung in dieser Hinsicht missverstanden werden konnte.

Seine grundsätzliche Kritik an den Richtern gießt er nur in andere Worte.

Die Journalisten vieler Medien gehen aber einen Schritt weiter und machen daraus eine Entschuldigung, die Reul aber nie abgegeben hat. Teils basierten die Meldungen sicher auch auf einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa, die Reuls Erklärung ebenfalls als Entschuldigung gedeutet hat und schrieb:

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) hat sich für seine Gerichtsschelte im Fall Sami A. entschuldigt. Ihm sei inzwischen klar geworden, dass seine heftig umstrittene Äußerung über Gerichtsentscheidungen, die möglicherweise nicht im Einklang mit dem Rechtsempfinden der Bürger stünden, «missverstanden werden konnte», erklärte Reul am Freitag in einer Mitteilung. «Das bedaure ich.»

Sie rückte von dieser Interpretation auch auf Nachfrage nicht ab.

Immerhin machen es einige Medien durchaus besser, indem sie das Spiel offenlegen, das Reul spielt: Sie legen seine Erklärung nicht so weit aus, sondern ordnen sie stattdessen ein. Exemplarisch will ich aus dem Online-Artikel des WDR zitieren (ich arbeite für den Sender). Dort heißt es schon in der Überschrift:

Im Text steht dann:

In seiner Erklärung vom Freitag nahm Reul seine Kritik am höchsten NRW-Gericht nicht zurück, sondern formulierte sie nur anders…

So ist es.

Keine eindeutige Mehrheit für CSU-Politik – Spiegel online interpretiert das aber anders

Die Überschrift ist natürlich ein Eyecatcher:

Mehrheit will CSU-Politik – aber mit Merkel als Kanzlerin

titelt Spiegel online. Der Text gibt das aber gar nicht her. Warum nicht?

Die Überschrift suggeriert, es gebe eine Mehrheit, die die CSU-Politik will und gleichzeitig Merkel als Kanzlerin. Darin liegt natürlich ein Widerspruch angesichts des derzeitigen Streits zwischen CDU und CSU, in dem ja ausgerechnet die CDU-Politikerin Angela Merkel die Position der CSU in der Migrationspolitik ablehnt.

Darin liegen aber zwei Fehldeutungen: Zum einen wurde gar nicht explizit nach der CSU-Politik gefragt, sondern nach verschiedenen Aspekten, die durchaus unterschiedlich beurteilt wurden. Zum anderen handelt es sich nicht um eine deckungsgleiche Mehrheit von Menschen, die beides gleichzeitig wollen, sondern um eine Mehrheit für die CSU-Politik einerseits und um eine Mehrheit für die Kanzlerin andererseits.

Zahlen geben keine Mehrheit für CSU-Politik her

Erst mal zu Punkt 1: Die Redaktion leitet ihre Zusammenfassung, was CSU-Politik ist, aus Antworten zu verschiedenen Fragen ab: einmal 57 Prozent, die für einen erschwerten Zugang von Flüchtlingen nach Deutschland sind, einmal 61 Prozent, die genau wie die CSU Flüchtlingen an der Grenze zurückweisen wollen, die schon in einem anderen EU-Land registriert wurden. Wichtiges Element der CSU-Politik ist aber auch die Frage, ob Deutschland versuchen sollte, die Flüchtlingsproblematik eher auf nationaler Ebene oder gemeinsam mit den EU-Partnern zu lösen. Da teilen nur 25 Prozent die CSU-Linie, die Frage solle national gelöst werden; 68 Prozent sagen, dass dies nur auf europäischer Ebene möglich ist – was wiederum die Position Angela Merkels ist.

In zwei von drei Aspekten der CSU-Politik gibt es also eine Mehrheit, bei einem wichtigen Aspekt aber nicht. Daraus schlusszufolgern, eine Mehrheit sei für die CSU-Politik, wo es zumindest Widersprüche gibt, finde ich nicht zulässig.

Mehrheit für CSU-Politik und Merkel ist nicht deckungsgleich

Jetzt zum anderen Aspekt: Auf die Frage, ob Merkel Bundeskanzlerin bleiben soll, antworten 58 Prozent mit Ja – also in derselben Bandbreite wie bei den ersten beiden Fragen. Da liegt es nahe, zu denken, dass das fast dieselbe Gruppe sei wie die, die die CSU-Positionen unterstützen.

Das muss aber nicht so sein und lässt sich zumindest an dem veröffentlichten Zahlenmaterial nicht ablesen: Von den 58 Prozent für Merkel können rechnerisch 43 Prozentpunkte gegen einen erschwerten Zuzug sein – dann wären nur die übrigen 15 Prozentpunkte sowohl für eine CSU-Position als auch für Merkel. Der Widerspruch wäre also längst nicht so groß wie von Spiegel online suggeriert.

Interessant in dem Zusammenhang ist die Reihenfolge, in der Spiegel online die Ergebnisse präsentiert: zunächst die beiden Mehrheiten für CSU-Positionen, dann die Mehrheit für Merkel, dann eine Mehrheit gegen eine CSU-Position. Hätte man die Ergebnisse zu CSU-Positionen zusammen präsentiert, wäre der Widerspruch aufgefallen – aber die Überschrift nicht mehr möglich gewesen.

Umfragedesign transparent gemacht

Um zum Schluss zu loben: Spiegel online hat transparent (und ohne Nachfrage) das Umfragedesign offengelegt, also mitgeteilt, wann wie viele Leute befragt wurden, ob die Umfrage repräsentativ ist und wie Fragestellung und Antwortmöglichkeiten lauteten. Ohne diese Angaben, die größtenteils vom Pressekodex gefordert werden, hätte ich die Aussagekraft dieser Umfrage nämlich gar nicht auf diese Weise einschätzen können.

Spiegel online fragt nach Zweifeln am Journalismus und liefert gleich Anlass

Lügenpresse, Entfremdung, Elfenbeinturm: Die Zweifel an der journalistischen Arbeit sind immer noch hoch.

Schreibt Spiegel online. Und liefert sofort einen Grund, warum das wohl so sein könnte. Nämlich eine selbst durchgeführte Online-Umfrage, die keinerlei verlässliches Ergebnis hat und genau den Zweifel an der journalistischen Arbeit aufkommen lässt, den man eigentlich abfragen will.

DER SPIEGEL möchte wissen, was Sie denken: Über die deutschen Medien, über die Arbeit von Journalisten und die Berichterstattung des SPIEGEL. Was ärgert Sie, was finden Sie gut? Was vermissen Sie? Was müssen wir verbessern?

Die Nutzer werden dazu aufgerufen, bei zwei Fragen abzustimmen. Die erste Frage lautet:

Wie ist Ihre Haltung zu deutschen Medien?

  • Ich vertraue ihnen weitgehend.
  • Ich misstraue ihnen eher.

Problematisch ist der unbestimmte Medienbegriff in der Frage. Denn bei vielen Umfragen zum Vertrauen in Medien hat sich gezeigt, wie breit der Medienbegriff der Nutzer ist. Viele verstehen darunter nämlich nicht nur redaktionelle Medien, sondern auch soziale, in die man zurecht weniger Vertrauen haben sollte. Das zeigt sich daran, dass ihr Vertrauen in „die Medien“ insgesamt viel geringer ist als wenn man sie nach konkreten Mediengattungen oder Marken fragt, etwa nach Zeitungen, öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern oder etwa der „Tagesschau“.

Beispielhaft dafür nur mal eine Infratest-Dimap-Umfrage für den WDR (pdf) im Januar 2017. Gefragt nach der „Glaubwürdigkeit der Informationen in den deutschen Medien“ nannten sie 57 Prozent glaubwürdig.

(Screenshot: wdr.de)
(Screenshot: wdr.de)

Aufgegliedert nach Mediengattungen im weiteren Sinne sah das Bild aber anders aus.

(Screenshot: wdr.de)
(Screenshot: wdr.de)

Da liegen also bis auf Privatfernsehen und Privatradio alle seriösen Medien oberhalb des Durchschnittswertes – weil viele Befragte eben auch soziale Medien und das „Internet im Allgemeinen“ ebenfalls als Medien ansahen.

Insofern ist der Begriff, den Spiegel online verwendet, äußerst vage. Das Abstimmungsergebnis verwundert daher nicht.

(Screenshot: spiegel.de)
(Screenshot: spiegel.de)

Die Frage von Spiegel online ist allerdings noch viel schwammiger, weil dort sogar die nötige Trennschärfe zwischen den Antworten gar nicht gegeben ist. Dort lauten Frage und Antwortmöglichkeiten:

Wie informieren Sie sich?

  • Ich lese vor allem klassische, etablierte Medien.
  • Ich schaue und höre vor allem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk.
  • Ich informiere mich vor allem über alternative Medien.
  • Ich lese vor allem, was bei Social Media gepostet wird.

Darin finden sich gleich mehrere Überschneidungen:

  1. Unter klassischen, etablierten Medien werden offenbar lediglich lesbare verstanden. Dass auch Radio und Fernsehen mehr als 100 bzw. 60 Jahre nach ihrer Einführung dazuzählen sollten, ist wohl keine Frage.
  2. In Zeiten des sogenannten Internets sind zudem auch öffentlich-rechtliche Rundfunksender lesbar.
  3. Was alternative Medien sind, wird nicht erklärt. Die Unterscheidung muss also der Befragte treffen. Was der eine für alternativ hält, kommt dem anderen als Begriff nicht mal in den Sinn.
  4. Bei der Frage nach „Social Media“ verschwindet die Quelle dessen, was man liest, dann ja völlig im Dunkeln. Dort posten Nutzer originalen Unsinn, dort wird genauso auf diese ominösen alternativen Medien verwiesen wie auf seriöse. Mithin kann man durch einen Klick darauf gleichzeitig auch alle anderen Fragen mit Ja beantworten. Auswählen kann man aber nur eine Antwort.

So lässt sich das Ergebnis der Abstimmung jedenfalls nicht verwenden.

(Screenshot: spiegel.de)
(Screenshot: spiegel.de)

An den Umfragen haben offenbar zwischen 37.000 und 62.000 Nutzer teilgenommen (sicherlich mit Schnittmengen). Repräsentativ macht diese für Umfragen hohe Teilnehmerzahl diese aber auch nicht. Das schreibt Spiegel online zugegeben auch selbst:

SPIEGEL-ONLINE-Votes sind keine repräsentativen Umfragen. Sie geben lediglich ein Stimmungsbild derjenigen wieder, die bei den Votes mitmachen. Die Teilnahme ist unverbindlich und freiwillig.

Die Ergebnisse sind dann aber übrigens auch unverbindlich. Denn freilich ist die deutsche Bevölkerung darin nicht repräsentativ abgebildet. Aber nicht mal die aller Spiegel-online-Leser. Sondern nur die von denen, „die bei den Votes mitmachen“. Das zeigt dann noch mal sehr deutlich, wie wenig Aussagekraft diese Umfrage hat – nicht mehr als eine Voxpop-Umfrage für Radio und Fernsehen. Durch die hohe Teilnehmerzahl und die mit zwei Nachkommastellen scheinbar präzise ausgewiesenen Ergebnisse suggeriert sie aber Zuverlässigkeit. Welcher journalistische Mehrwert sich damit verbindet, erschließt sich mir nicht.

Begeisterung löst das aber freilich aus – die sollte aber nur für die Teilnehmerzahl gelten, nicht für die Ergebnisse.

Dass solche Umfragen leicht zu manipulieren ist, kommt noch als Gegenargument hinzu.

Und dann noch das hier: Spiegel online hat diese Frage im Anschluss an eine wissenschaftliche Studie zum Thema gestellt, über die es selbst berichtet hat – und stellt zwei Fragen aus dem Komplex dann noch mal schief bis falsch. Nach dem Motto: Hey, diese Ergebnisse kriegen wir mit unwissenschaftlichen Quatsch-Umfragen bestimmt zuverlässiger ermittelt.

Das schadet der Seriösität von Medien. Dass aber ausgerechnet die in dieser Umfrage abgefragt wird, ist die eigentliche Ironie der Geschichte.

Nur jede zweite Studie ist wirklich aussagekräftig – oder so ähnlich…

 

Journalisten lieben Umfragen. Sie geben vor, verlässlich die Stimmung unter denen abzubilden, für die die Befragten repräsentativ sind – wenn sie es denn sind. Denn nicht immer schreiben Journalisten das auch dazu. Obwohl sie es laut Pressekodex müssten.

Ein Beispiel von heute: Spiegel online berichtet über eine Umfrage aus den USA. Darin heißt es:

(Screenshot: spiegel.de)
(Screenshot: spiegel.de)

Ob die Umfrage repräsentativ ist oder nicht, schreibt Spiegel online nicht. Obwohl es für die Zuverlässigkeit der Daten wichtig ist. Wird es nicht erwähnt, sollte man davon ausgehen, dass die Umfrage nicht repräsentativ ist. Der Text ist aber in sich widersprüchlich. Dort heißt es zwar:

Demnach sagte nur etwa ein Viertel der Befragten, sie vertrauen allem oder fast allem, was sie aus der Kommunikationsabteilung des Weißen Hauses hören.

Das heißt, es wird nur auf die Befragten abgestellt, nicht auf die Amerikaner insgesamt. An anderer Stelle aber wird verallgemeinert:

US-Präsident Donald Trumps Regierung hat offenbar ein Glaubwürdigkeitsproblem beim amerikanischen Volk.

Das klingt doch nach Repräsentativität.

Medien, die sich dem Pressekodex verpflichtet haben, müssen eigentlich darüber aufklären, wie die Umfrage erhoben wurde – ganz gleich, ob sie von ihnen selbst in Auftrag gegeben wurde oder nicht. In Richtlinie 2.1 heißt es:

Bei der Veröffentlichung von Umfrageergebnissen teilt die Presse die Zahl der Befragten, den Zeitpunkt der Befragung, den Auftraggeber sowie die Fragestellung mit. Zugleich muss mitgeteilt werden, ob die Ergebnisse repräsentativ sind.

Sofern es keinen Auftraggeber gibt, soll vermerkt werden, dass die Umfragedaten auf die eigene Initiative des Meinungsbefragungsinstituts zurückgehen.

Spiegel online erwähnt lediglich CNN als Auftraggeber, verlinkt aber immerhin auf den CNN-Bericht. Wer kein Englisch versteht oder nicht auf den Link klickt, bleibt aber im Unklaren.

Dort steht jedenfalls, dass die Umfrage von SRSS durchgeführt wurde, und zwar zwischen dem 3. und 6. August 2017 unter 1018 Teilnehmern. Die Fehlerabweichung liegt demnach bei 3,6 Prozent. Einen Hinweis auf die Repräsentativität findet man dort nicht. Wie verlässlich die Umfragedaten also sind, ist offen.

Davon abgesehen, dass Spiegel online damit gegen den Pressekodex verstößt, ist fraglich, ob die Umfrage überhaupt eine Berichterstattung rechtfertigt. Wenn die Daten nicht zuverlässig sind, sagen sie nicht mal tendenziell etwas aus, sondern gar nichts.

Das ist leider kein Einzelfall. Gerade Online-Medien fliegen auf Umfragen. Sie sind leicht generierter Inhalt, der vermutlich auch auf viel Interesse stößt.

Leider produzieren auch eigentlich als seriös geltende Absender solche Umfragen. So heißt es in einer Pressemitteilung der Katholischen Universität Eichstädt-Ingolstadt von gestern:

KU-Studie: Großes Interesse von Erstwählern an der Bundestagswahl 2017

Fast jeder zweite Erstwähler interessiert sich sehr für Politik, 80 Prozent wollen wählen gehen, und Eltern haben einen deutlich größeren Einfluss auf das Wahlverhalten von Erstwählern als die Schule. Diese Erkenntnisse gehen aus einer nicht repräsentativen Befragung von Erstwählern durch ein Master-Seminar des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft der KU im Sommersemester hervor.

Dass eine nicht repräsentative Befragung durch Überschrift und Teaser so verallgemeinert wird, entspricht eigentlich nicht mehr dem Ergebnis der Studie. Das ist allerdings die Arbeit der Pressestelle und nicht die der Wissenschaftler selbst. Die Pressestelle antwortete mir darauf:

…aus unserer Sicht handelt es sich nicht um eine Verallgemeinerung, wenn wir unmittelbar nach dem von Ihnen zitierten Satz offen darauf hinweisen, dass es sich um eine nicht-repräsentative Studie handelt, die in einem Masterseminar entstand. Der erste Satz fasst lediglich kompakt die Ergebnisse dieser Erhebung zusammen. Im weiteren Verlauf des Textes wird zudem stets formuliert „befragte Erstwähler“ und nicht „die Erstwähler“. Vor diesem Hintergrund halten wir auch die Überschrift für legitim, welche zwangsläufig nicht so ausführlich geraten kann, dass man den kompletten Rahmen der Studie wiedergibt.

Meines Erachtens wäre die Pressemitteilung auch ohne die Verallgemeinerung ausgekommen, hätte man sie so formuliert:

Fast jeder zweite in einer Studie befragte Erstwähler interessiert sich sehr für Politik, 80 Prozent von ihnen wollen wählen gehen, und ihre Eltern haben einen deutlich größeren Einfluss auf das Wahlverhalten der Befragten als die Schule. Diese Erkenntnisse gehen aus einer nicht repräsentativen Befragung von Erstwählern durch ein Master-Seminar des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft der KU im Sommersemester hervor.

Natürlich klingt das weniger sexy, dafür stimmt es in jedem einzelnen Satz. Möglicherweise wäre es sonst aber auch keine Meldung geworden.

 

Nachtrag, 9. August: Der Autor des Spiegel-Artikels hat diesen nach der Kritik um die notwendigen Daten ergänzt. Dort heißt es jetzt im letzten Absatz:

Für die Umfrage befragte das Institut SSRS telefonisch 1018 US-Amerikaner. Die Meinungsforscher gewichteten das Ergebnis anhand des Zensus, damit ist die Umfrage repräsentativ für die erwachsene Bevölkerung der USA. Der statistische Fehler lag im Gesamtergebnis bei 3,6 Prozentpunkten.

Danke dafür. Das ermöglicht es den Lesern, die Umfrage besser einzuschätzen. Freilich bin ich mir bewusst, dass vielen dennoch die Aussagekraft solcher Umfragen nicht hundertprozentig bewusst ist. Es ist Aufgabe von Journalisten, darauf immer wieder hinzuweisen.