Der Anhalter ist tot

Vor zweieinhalb Jahren hab ich hier die Feature-Reihe „Der Anhalter“ gelobt. Das kann man für viele Aspekte tun, mir ging es damals um den Aspekt der Transparenz. Denn die Autoren Sven Preger und Stephan Beuting haben nicht nur die Geschichte von Heinrich Kurzrock erzählt, sondern auch, wie sie dazu gekommen sind.

Das lag wohl vor allem auch daran, dass die Recherche zur Geschichte gehört, denn sie erzählt etwas über den Protagonisten der Reihe. Preger und Beuting treffen ihn unabhängig voneinander, mit einem Jahr Abstand. Am selben Ort: einer Tankstelle am Kölner Verteilerkreis. Er erzählt ihnen, er habe seine Kindheit in der Psychiatrie verbracht, mehr als 14 Jahre lang. Weggesperrt, geschlagen, missbraucht – in den 1950er und 60er Jahren sei das gewesen. Nun will Heinrich nur noch Schluss machen und sucht eine Mitfahrgelegenheit.

Schon damals erzählte Kurzrock, dass er Knochenkrebs im Endstadium hat. Am 7. Februar ist er gestorben. In einem Epilog zur Reihe teilen Sven und Stephan ihre Gefühle und Erinnerungen an Heinrich. (Hier die ganze Reihe.)

Zum Welttag des Radios: Wie hören Menschen in Indonesien, Kenia und Frankreich?

Am Mittwoch war Welttag des Radios. Unsere Korrespondentinnen für Indonesien, Kenia und Frankreich haben sich dazu angeschaut, welche Bedeutung Radio in den Ländern hat. So gehört etwa in Frankreich das Radio zum Aufstehen dazu (wie in Deutschland), in Indonesien wird es vor allem in den vielen Staus gehört, in denen die Leute stehen, und in Kenia ist es oft das einzige Medium, über das die Leute etwas von der Welt erfahren. Die Beiträge liefen in @mediasres vom Mittwoch.

Der Interviewer als Reibungspunkt

Ein Gesprächspartner/eine Gesprächspartnerin kann das eigene Argument immer besser verdeutlichen, wenn ich ihm oder ihr ein bisschen entgegensetze, ein bisschen einen Reibungspunkt gebe, ein bisschen ein Gegenargument in den Raum stelle.

Das ist Ann-Kathrin Büüskers Definition, welche Aufgabe ein Moderator bzw. ein Interviewer in einem kontroversen Interview hat. Es ist wichtig, sich das immer wieder zu verdeutlichen, um die Position des Fragenden nicht mit der persönlichen Position des Journalisten zu verwechseln, was manche Hörer gerne tun.

Wie Interviews vorbereitet und durchgeführt werden und wie eine Frühsendung im Deutschlandfunk entsteht, darüber hat Ann-Kathrin für eine Sonderausgabe des Podcasts „Der Tag“ mit Kollegen gesprochen – mit Tobias Armbrüster, der sie in der Definition bestätigt, und mit Mario Dobovisec, der erzählt hat, wie er sich auf eine Sendung der „Informationen am Morgen“ vorbereitet.

„Der Tag“ spart ja die Produktionsbedingungen journalistischer Arbeit selten aus, vor allem nicht, wenn sie sich aufdrängen. So explizit und ausführlich wie in der Ausgabe vom Freitag reden die Kollegen aber selten darüber. Ein gutes Beispiel für einen Blick in die eigene Arbeitspraxis, die nicht nur in dafür vorgesehenen Sendungen wie dem Medienmagazin @mediasres, für das ich abeite, Platz haben sollten, sondern überall – sofern es nötig ist und das Format auch ermöglicht.

Mit dem Radio um die Welt

Heute mal ein Linktipp: radio.garden – eine spannende Radioreise um die Welt. Wer die Webseite aufruft und nach Live-Radiostreams suchen lässt, kann über den Globus navigieren und die Sender an ihren Standorten aufrufen. Das ist ganz spannend, wenn man entdeckt, welche Webradios es noch gibt, etwa einen eigenen Sender für Musicals, der ganz in der Nähe angesiedelt ist. Oder wer auf einen russischen Sender klickt, der in Sachen Musik kaum von einem aus den USA zu unterscheiden ist (wäre mit deutschen ja kaum anders). Eine schöne Reise um die Welt, in die man immer mal wieder reinklicken kann.

Nachrichten aus der Zukunft (2): „Die Augenzeugen übernehmen die Nachrichten“

Und dann bin ich auch noch auf eine Kulturpresseschau gestoßen, die ich im Jahr 2008 für hr2-kultur zusammengestellt habe. Als der Moderator eins meiner Themen anmoderiert, zögert er plötzlich einen Moment, weil er nicht weiß, wie er das wohl richtig aussprechen soll: „Twittern“.

So weit weg war Twitter damals und hatte sich noch längst nicht etabliert. Deswegen musste ich erst mal erklären, was „to tweet“ überhaupt heißt (an das Zeichentrickvögelchen Tweety erinnerte sich damals offenbar schon keiner mehr). „Twitter, das sind heute kleine Einträge in Weblogs, also in diesen Internet-Tagebüchern“, versuchte ich dem hr2-Hörer „dieses Internet“ nahezubringen.

Damals gab es noch keine Smartphones oder sie hatten sich jedenfalls noch nicht auf breiter Ebene durchgesetzt, man konnte Tweets noch per SMS absetzen, was sich besonders im Fall der Terroranschläge von Bombay gezeigt hat, von denen unzählige Nutzer getwittert haben. Das war auch der Anlass für den Bericht in der Süddeutschen Zeitung. Sie zitierte einen Journalisten vom „Guardian“ mit den Worten: „Die Augenzeugen übernehmen die Nachrichten“.

Allerdings glaubte SZ-Autor Niklas Hofmann nicht so wirklich daran, wie er schrieb, denn die Twitter-Nutzer berichteten ohnehin nur über das, worüber auch Journalisten berichteten – wie eben in Bombay. Das seien nur die Dinge, die in dicht besiedelten Regionen passierten, mit Internetanschluss. An den Orten jedoch, an denen die Welt wirklich ihre schwarzen Löcher besitze, da sehe es ganz anders aus – also aus den Kampfgebieten des Kongo, aus Darfur, Nordkorea oder Birma würden wohl auch in Zukunft selten Twitteralarme erklingen.

Nachrichten aus der Vergangenheit: Bayerns Ministerpräsident von 1919 schickt Whatsapp-Nachrichten

Um mit den Toten zu reden, braucht man ein Medium: Ein Projekt des Bayerischen Rundfunks lässt die Nutzer über WhatsApp mit dem 1919 ermordeten ersten Ministerpräsidenten Bayerns, Kurt Eisner, kommunizieren. „Wir wollen den Menschen erfahrbar machen“, hat mir Projektleiter Matthias Leitner in @mediasres im Deutschlandfunk gesagt.

Nachrichten aus der Zukunft (1): „Bundeskanzler Kretschmann kommt aus dem Trudeln nicht mehr heraus“

Viel zu selten werden Vorhersagen für die Zukunft überprüft – vor allem dann, wenn der vorausgesagte Termin erreicht wurde. Heute stoße ich zufällig auf so eine, aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 5. April 2011. Zwei Tage zuvor war Guido Westerwelle als … und … zurückgetreten, und die FAZ beginnt ihr Märchen aus der Zukunft mit diesen Worten:

Wir schreiben das Jahr 2015. Die grün-schwarz-gelbe Regierung unter Bundeskanzler Kretschmann kommt aus dem Trudeln nicht mehr heraus. Der bayerische Ministerpräsident Guttenberg hat einen Stromausfall auf seinem fränkischen Schloss genutzt, um den sofortigen Wiedereinstieg in die Atomenergienutzung zu fordern. Bundestagspräsidentin Claudia Roth befindet sich im Redestreik, weil der Papst auch bei seinem vierten Berlin-Besuch keine Christopherusplaketten an die Prunkwagenfahrer vom Christopher Street Day ausgeben will.

Damals fanden sie das wahrscheinlich absurd lustig. Dabei ist einiges tatsächlich fast wahr geworden. Nur zwei Jahre später, 2017, wurde über eine grün-schwarz-gelbe Regierung verhandelt – wenn auch ohne Kretschmann. Von Guttenbergs plagiierter Doktorarbeit war noch keine Rede. Und Claudia Roth ist tatsächlich inzwischen Bundestagspräsidentin, wenn auch nur Vize.

Hätte der FAZ-Autor damals so richtig übertreiben wollen, hätte er offenbar noch eins drauflegen müssen.

Tutzinger Radiotage: Rezepte für die Zukunft

(Foto: Stefan Fries)

Dass viele Menschen morgens vom Radio geweckt werden, ist Alltag in Deutschland. Genauso selbstverständlich könnte es werden, dass man sich mit seinem Radiogerät unterhält. Bei den Tutzinger Radiotagen wurde über aktuelle Trends diskutiert. Mein Beitrag über #tura18 in @mediasres im Deutschlandfunk.

Den Interviewpartner hörbar ins Schwitzen gebracht – die Vorzüge eines Radiointerviews

Das Radio lebt vom gesprochenen Wort. Vor allem ist es lebendig – oft lebendiger als Gedrucktes, weil hier Menschen direkt miteinander sprechen und nicht nur rüberkommt, was sie sagen, sondern auch, wie.

Gestern konnte man gut beobachten, was der Unterschied ist, weil da gleich zwei Interviews mit demselben Interviewpartner veröffentlicht wurden. Das eine bei @mediasres im Deutschlandfunk, für das ich auch arbeite, das andere bei Übermedien. In beiden Fällen wurde Bernhard Holfeld befragt, der Programmdirektor von MDR Sachsen. Es ging um die als rassistisch kritisierte Ankündigung einer Gesprächssendung im MDR-Radio, die Holfeld teilweise verteidigte.

Als ich mir das Übermedien-Interview durchgelesen habe, habe ich einen relativ aufgeräumten Programmdirektor wahrgenommen. Er hat sich zwar gewunden, sich klar von dem Text und der Intention der Sendung zu distanzieren, aber auch durch wiederholte Nachfragen scheint er nicht aus der Ruhe gebracht worden zu sein. Das lag aber offenbar vor allem an der Textform, die fast alles ausblendet, was so ein Gespräch noch so mit sich bringt: Zögern, längere Pausen, eine unsichere Stimme, Ähms, abgebrochene Sätze, ungeschickte Formulierungen usw.

Das ist der immanente Nachteil solcher Interviews, die später nur im Wortlaut wiedergegeben werden (gedruckt bzw. online). Im schriftlichen Text kommen alle die genannten Elemente (u.a. Prosodie) nicht rüber oder können nur unzureichend wiedergegeben werden. Der fragende Journalist kann zwar „lacht“ reinschreiben, aber so etwas wie „lacht unsicher“, „zögert länger“ oder „Stimme zittert“ beruht auf der eigenen Wahrnehmung und Interpretation und kann daher nicht als so zuverlässig richtig notiert werden wie das, was gesagt worden ist.

Das kann man beim Hörfunkinterview aber glücklicherweise dem Zuhörer überlassen. Dieser erlebt Bernhard Holfeld im Deutschlandfunk-Interview möglicherweise anders. Um von mir zu sprechen: Ich höre ihn anfangs im Hintergrund rascheln, was ich als Nervosität oder Unruhe interpretiere. Ich höre, wie er immer wieder „Ähm“ sagt – nicht nur bei seinen Antworten, sondern auch während ihm Fragen gestellt werden. Ich höre, wie er versucht auszuweichen, woraufhin Moderator Sebastian Wellendorf immer wieder nachfasst. Ich höre, wie Holfeld Sätze neu beginnt, die er zunächst anders formulieren wollte. Wie er langsamer spricht, weil er offensichtlich nach Worten sucht. Wie ihn Wellendorf durch beständiges Nachfragen nicht entkommen lässt, auf die gestellten Fragen zu antworten.

Lorenz Meyer formuliert es im Bildblog-Linktipp heute so:

Das vierminütige Gespräch lohnt in zweierlei Hinsicht: Weil es einen Programmchef zeigt, der sich in alle Richtungen dreht und windet und nach Ausschlüpfen sucht, und mit Sebastian Wellendorf einen Journalisten, der ihm dies nicht durchgehen lässt.

Auch wenn schriftliche Interviews nicht per se die schlechtere Umsetzungsform sind – ein Radiointerview mit einem langweiligen Gesprächspartner kann ermüdender sein als nachzulesen, was er gesagt hat: Dies hier ist ein gutes Beispiel für die Vorzüge des Radios, und selten lässt es sich so anschaulich zeigen.

 

Anmerkung: In Vorbereitung auf die Datenschutzgrundverordnung habe ich Widgets, die sich ursprünglich im Text befanden, entfernt und sie teilweise durch Links ersetzt.