Zensur: Warum es selbst in den USA keine ganz freie Rede gibt

Funkhaus, im Vordergrund das Logo von OPB
Das Funkhaus von OPB in Portland im US-Bundesstaat Oregon.

Scheiße. Pisse. Ficken. Fotze. Schwanzlutscher. Motherfucker. Titten.

Oder im englischen Original: Shit. Piss. Fuck. Cunt. Cocksucker. Motherfucker. Tits.

Verzeihung, dass ich Sie mit diesen Begriffen belästigen musste. Aber sie sind wichtig für das öffentliche Radio und Fernsehen in den USA. Es sind Wörter, die auf keinen Fall fallen dürfen.

Wer schon mal US-amerikanische Fernsehshows gesehen hat, ist an das Piepsen gewöhnt, das manchmal über einzelne Begriff gelegt wird, wenn ein Moderator, Comedian oder Talkshowgast spricht. Dann ist es in den meisten Fällen eines der sieben schmutzigen Wörter gewesen. Es gilt als anständig, solche Begriffe auszupiepsen, selbst wenn sie auf vielen Sendern erlaubt sind. Man kann sich ohnehin denken, was gerade gesagt wurde.

Richtiggehend verboten sind diese sieben Wörter sowie Teile von ihnen oder Kombinationen daraus in jedem Fall im öffentlich-rechtlichen Radio.

Bullshit on air

Ein Tag im April 2016. Beim Radiosender OPB in Portland (Oregon) interviewt Moderator Dave Miller zwei Studenten einer örtlichen Hochschule. Sie setzen sich dafür ein, dass Donald Trump Präsident der USA wird. Damals war Trump noch im Vorwahlkampf und es keineswegs so ausgemacht wie heute, dass er Kandidat der Republikaner wird. Trump hat im Wahlkampf schon einiges an Beschimpfungen losgelassen. Als der Student But Kolychev aber plötzlich im Interview so etwas wie „bullshit“ sagt, herrscht Aufregung in der Regie.

Eine Redakteurin überlegt jetzt aufgeregt, ob sie die Stelle zensieren soll. Sie hat den Finger schon auf dem Knopf, der für solche Fälle vorgesehen ist. Drückt man darauf, werden wenige Sekunden aus der Live-Übertragung herausgeschnitten. Der sogenannten Live-Übertragung. Denn die Sendung wird tatsächlich nicht live ausgestrahlt, sondern live on tape, mit wenigen Sekunden Verzögerung. Für Fälle wie diesen.

Tatsächlich sagt Kolychev aber nicht “bullshit”. Der Student hat ukrainische Wurzeln, sein Amerikanisch einen leichten Akzent. Er sagte „Bolshevik“, worauf der Moderator hinweist, wie man in diesem längeren Ausschnitt hören kann.

Dave Miller: What do you mean by that?

But Kolychev: Demonstrating to the world that these people are totalitarian. They don’t subscribe to any sort of liberal democratic values. They’re aspiring Bolshevik commissars.

Miller: “…aspiring Bolshevik commissars.” I have to say for people who haven’t seen: At the bottom of a Williamette Week interview with you from earlier this week there is an amazing correction that cannot be read on the air because the FCC rules… The word “Bolshevik” was misinterpreted as a word the FCC doesn’t like. I recommend folks checking out that correction at the bottom of that interview.

Tatsächlich kann man die Korrektur auf der Webseite der Zeitung nachlesen.

Quelle: Williamette Week (http://www.wweek.com/news/2016/04/13/four-questions-for-psu-students-for-trump-founder-volodymyr-kolychev/, abgerufen am 22.05.2016)
Quelle: Williamette Week (http://www.wweek.com/news/2016/04/13/four-questions-for-psu-students-for-trump-founder-volodymyr-kolychev/)

Die FCC, das ist die Federal Communications Commission, eine Behörde, die für die öffentlichen Radio- und Fernsehsender in den USA zuständig ist. Sie schreitet ein, wenn sie erfährt, dass eins dieser Wörter oder ein Teil davon on air gegangen ist:

Shit. Piss. Fuck. Cunt. Cocksucker. Motherfucker. Tits.

Sie kann dann Bußgelder von bis zu 325.000 Dollar verhängen.

Eine Zensur findet statt

Das überrascht, wenn man davon ausgeht, dass in den USA die Rede- und Meinungsfreiheit sehr viel weiter ausgelegt wird als in Deutschland. Wer schon mal versucht hat, bei Facebook einen rassistischen oder volksverhetzenden Kommentar sperren zu lassen, hat vermutlich auch schon erlebt, was Facebook so alles als von der Redefreiheit gedeckt durchgehen lässt.

Klar, hier geht es nicht um Facebook, sondern um öffentliche Fernseh- und Radiosender. Dennoch überraschend, wie widersprüchlich die Grenzen dieser Rede- und Meinungsfreiheit ausgelegt werden.

Die Sender und Redakteure dort haben keine Wahl. Wenn eines der Trigger-Wörter fällt, müssen sie schnell reagieren. Durch einen Druck auf einen Knopf kann die entsprechende Stelle herausgepiepst werden. Das klingt dann zum Beispiel so wie in dieser OPB-Sendung vom Oktober 2015, in der die Schriftstellerin und Pulitzer-Preisträgerin Jane Smiley sich aus dem Fundus der „Seven Dirty Words“ bediente.

Es hilft dann auch mal, wenn der Moderator wie hier Geoff Norcross dazwischengeht. Denn wenn in der Live-Sendung geflucht wird, kann die verantwortliche Redakteurin einen zwar „Dump“-Knopf drücken, der die vorausgegangenen fünf Sekunden herausnimmt. Deswegen die Aufregung in der Senderegie, denn man hat nur wenige Sekunden Zeit, seine Entscheidung zu fällen. Aber: Unbegrenzt oft kann man den Knopf nicht drücken. Denn nach dem zweiten Mal sind die insgesamt zehn Sekunden Delay aufgebraucht. In der Regel sollte das reichen, damit der Redakteur die Live-Situation bei fortgesetzter Flucherei aus der beenden kann.

Ein massiver Eingriff in die redaktionelle Unabhängigkeit und damit in die Pressefreiheit. Und gleichzeitig ein Beweis für eine widersprüchliche Gesetzgebung in den USA: Aufrufe zu Gewalt, Rassismus, Sexismus sind okay – aber bitte nicht mit Schimpfwörtern.

Die Sendungen in ganzer Länge:

Das komplette Interview mit But Kolyev aus der OPB-Sendung „Think Out Loud“ findet sich hier (der Ausschnitt stammt von Minute 4´44):

Die ganze Sendung mit der Lesung von Jane Smiley ist hier nachzuhören (der Ausschnitt stammt von Minute 11´23):

Reden wir über Fehler von Journalisten

Denn die gibt es. Geredet darüber wird aber immer noch viel zu wenig von Journalisten selbst. In gewisser Weise nicht verwunderlich, denn ausgerechnet dann, wenn Journalisten sich selbstkritisch zu dem äußern, was sie recherchiert, veröffentlicht und kommentiert haben, bekommen sie besonders harsche Kritik, wie sie etwa der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer im „Spiegel“ geäußert hat.

„Spiegel“: Warum sind in letzter Zeit bei Ihnen immer die Medien schuld, wenn etwas schiefläuft?

Seehofer: Weil es ein Problem bei den Medien gibt, vor allem bei den öffentlich-rechtlichen. Überspitzt gesagt: Wenn die nicht Livesendungen hätten, dann hätten sie wenige der Lebenswirklichkeit entsprechende Programminhalte. Das ZDF musste wegen der Berichterstattung über Köln sein Bedauern zum Ausdruck bringen. Die ARD hat erklärt, ja, es stimmt, wir haben viele flüchtende Frauen und Kinder gezeigt, aber nicht im selben Maße die Männer, die viel häufiger nach Deutschland kamen. Zum Teil gab es eine Berichterstattung, die wenig mit der Realität zu tun hatte.

Seehofer kritisierte damit ausgerechnet das, was in diesem Fall ARD und ZDF ohnehin schon selbstkritisch eingeräumt hatten. Stefan Niggemeier kommentierte das auf uebermedien.de so:

Denn eigentlich wollen wir doch, dass Medien sich endlich zu mehr Selbstkritik durchringen. Dass sie öffentlich einräumen, wenn sie Fehler gemacht haben; dass sie sich gegebenenfalls entschuldigen; dass sie zu ihren Versäumnissen stehen.

Was ist aber, wenn diese Eingeständnisse ausschließlich als Munition gegen diejenigen verwendet werden, die sie äußern? Wenn sie nicht als Indiz dafür genommen werden, dass sich die Verantwortlichen kritisch mit ihrer eigenen Arbeit auseinandersetzen, sondern als vermeintlichen Beleg dafür, dass die Situation so schlimm ist, dass selbst die Verantwortlichen nicht mehr alles leugnen können?

Im vorigen Jahr wurde das Kölner Forum für Journalismuskritik ins Leben gerufen. Einen Tag lang wurde darüber diskutiert, wie Journalisten mit Kritik an ihrer Arbeit umgehen können und was sie daraus lernen. In diesem Jahr geht die Veranstaltungsreihe in die zweite Runde. Am 10. Juni wird im Kölner Funkhaus des Deutschlandfunks darüber diskutiert – diesmal mit prominenten Gästen wie der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), der Journalistin und ehemaligen Oberbürgermeisterin von Kiel, Susanne Gaschke, und dem DJV-Vorsitzenden Frank Überall.

Haben US-Journalisten Wahlkampfhilfe für Donald Trump geleistet?

Schriftzug an einem Trump-Building in New York
Schriftzug an einem Trump-Building in New York

Fragen von mir an Journalisten in den USA über das Dilemma, über Donald Trump zu berichten und ihn damit größer zu machen oder es sein zu lassen. Es ist kompliziert.

Donald Trump ist laut und unverschämt. Er ist immer für einen flotten Spruch zu haben, das ist gut für die Quote. Jetzt wird der umstrittene Milliardär wohl der republikanische Präsidentschaftskandidat. Viele Journalisten in den USA fragen sich nun, ob sie Wahlkampfhilfe geleistet haben – ohne es zu merken.

Ein paar Antworten im WDR5-Medienmagazin „Töne, Texte, Bilder“.

Man kann nicht über Jan Böhmermann schreiben, ohne über Jan Böhmermann zu schreiben

Und aus diesem Dilemma kommt man auch nicht heraus, wenn man eigentlich sagen will, dass Jan Böhmermann jetzt genug Öffentlichkeit hatte. In dem Dilemma steckt aber offenbar Tagesspiegel-Redakteur Joachim Huber (@HuberJoachim), der (ausdrücklich) gegen Böhmermann polemisiert, weil der ihm wieder zu stark in die Öffentlichkeit drängt:

Mein Gott, Böhmermann, hast du es nicht eine Nummer kleiner? Halt doch mal die Klappe, schau doch mal über dich hinaus, schau doch mal in die Türkei.

Auch Huber bezieht sich auf das wahrscheinlich bekannteste Zitat aus Böhmermanns Interview in der ZEIT (kostenpflichtig), wenn er schreibt:

Seitdem sieht sich der Mimose als deutscher Ai Weiwei, als Opfer eines bös-doofen Despoten und einer kuschelnden Kanzlerin.

Damit zeigt Huber genauso wie Stern-Reporter Hans-Ulrich Jörges in seiner Videokolumne, dass er wenig Humor hat. Am Ende seiner Kolumne immerhin lässt Jörges zumindest anklingen, dass er erkannt hat, dass auch das Interview satirische Züge hat. Wer etwas mehr Humor und es einigermaßen aufmerksam gelesen hat, hätte das schon früher erkannt und auf den Kommentar verzichtet.

Denn worüber regen sich beide auf? Dass ein Satiriker weiter sein Handwerk betreibt? Wird nach Anschlägen wie in Paris oder nach Polizeieinsätzen gegen Redaktionen nicht immer gefordert, jetzt müsse man erst recht weitermachen? Weiter in Bars und Konzerte gehen, weiter seine Arbeit als Journalist machen, um sich eben nicht einschüchtern zu lassen?

Genau das tut Jan Böhmermann. Er tritt wieder als Satiriker auf. Von diesem Job und seiner inneren Haltung ist er nicht zu trennen. Ihm das vorzuwerfen, finde ich unredlich und inkonsequent.

Wem Böhmermann auf die Nerven geht wie Huber und Jörges, der kann ihn ganz leicht ignorieren. Zum Beispiel, indem er kein Video aufnimmt und keinen Text darüber schreibt. Und indem er eben nicht ausdrücklich Böhmermanns „Medien-Kanäle“ anklickt wie Huber, um sich dann darüber zu beschweren, dass da Böhmermann ist. Man geht ja auch nicht in den Puff und beklagt sich dann, dass da nackte Frauen sind. (Jürgen Becker)

Der Fall Böhmermann: Wir diskutieren über das Falsche

Als die kritische Ausgabe des „NEO Magazin Royale“ ausgestrahlt wurde, war ich gerade in den USA angekommen. Die Diskussionen über sein sogenanntes Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan habe ich seitdem nicht in allen Details verfolgt – und vor allem nicht in allen Wendungen, Rechtfertigungsversuchen, Kommentierungen und juristischen Details.

Eins scheint mir aber offensichtlich: dass unklar ist, worüber wir eigentlich reden. Das beginnt schon mit dem Begriff: Schmähgedicht. Tatsächlich kann man sich über das Gedicht beklagen. Es ist obszön, beleidigend, verleumderisch, verlogen, vielleicht auch rassistisch und homophob.

Allerdings steht das Gedicht nicht für sich selbst. Die Satire ist nämlich mehr als das Gedicht. Das Gedicht lässt sich nicht so einfach aus ihr herauslösen und separat behandeln, es ist Teil eines größeren Kunstwerks. Der Deutschlandfunk hat die gesamte Satire aus der Sendung transkribiert – hier nachzulesen. Darin weisen Jan Böhmermann und sein Sidekick Ralf Kabelka in einem Dialog ausdrücklich darauf hin, dass es ihnen darum geht, die Grenzen von Satire auszuloten. Verdichtet in diesen Sätzen:

Böhmermann: „Also, das Gedicht. Das, was jetzt kommt, das darf man nicht machen?“
Kabelka: „Darf man NICHT machen.“

Mit dieser Einordnung sagen beide ausdrücklich, dass sie die Grenzen dessen überschreiten werden, was Satire (ihrer Ansicht nach) erlaubt. Paradoxerweise verlassen sie die Ebene der Satire jedoch nicht – im Gegenteil: Sie wollen mit ihren eigenen Mitteln deren Grenzen aufzeigen.

Angesichts dieses Kontextes ist es schwer vorstellbar, dass Jan Böhmermann tatsächlich all das meint, was er damit sagt. Gerade die bewusste Überzeichnung lässt das als unwahrscheinlich bezeichnen. Es ist dabei allerdings durchaus diskussionswürdig, ob er mit der Satire insgesamt gegen Gesetze verstoßen hat. Das Schmähgedicht allein kann jedoch nicht Gegenstand dieser Auseinandersetzung sein.

Würde man so vorgehen, so könnte jedes Kunstwerk mit verschiedenen Ebenen jederzeit auseinandergepflückt werden. Allerdings würde es dann nicht mehr funktionieren. So ist es beispielsweise unmöglich, in Michael Endes Roman „Die unendliche Geschichte“ allein jenen Handlungsstrang zu erzählen, den die Hauptfigur Bastian in einem Buch liest – das geht spätestens dann nicht mehr, wenn diese Ebene mit der Rahmenhandlung zu verschmilzen beginnt. Wer David Mitchells sechs ineinander verschachtelte Geschichten in „Cloud Atlas“ separat erzählt, nimmt dem Buch den Clou, durch die feinen Verknüpfungen zwischen den Geschichten diese zu einer weiteren zusammenzusetzen.

Wichtig ist es also, den gesamten Auftritt von Jan Böhmermann zu betrachten und nicht nur das Gedicht. Damit ist weder etwas über deren Qualität noch über eine mögliche Strafbarkeit gesagt. Aber es sollten eben nicht nur Richter in einem möglichen Prozess den gesamten Kontext berücksichtigen, sondern auch alle, die gerade darüber reden.

Die AfD will ARD und ZDF jetzt nicht mehr so sehr abschaffen wie noch neulich

Vorige Woche habe ich aus dem geleakten Entwurf für ein Parteiprogramm der „Alternative für Deutschland“ zitiert, in dem es um das Verhältnis der Partei zu den Medien und zur Pressefreiheit im Allgemeinen ging. Damals hatte die Parteispitze die Richtigkeit des Papiers bestätigt, allerdings betont, dass es ein Entwurf sei.

Mittlerweile liegt der „Leitantrag der Bundesprogrammkommission und des Bundesvorstandes“ vor, das heißt: Was dort drin steht, ist wirklich das, was die Parteispitze als offizielles Programm will. Die Forderungen sind im Gegensatz zum Entwurf abgeschwächt, aber im Kern noch dieselben. So lautet die Überschrift des Kapitels zu Medien jetzt nicht mehr

Vielfältige Medien statt gelenkter Meinung

sondern

Wider die politische Korrektheit: Reform des öffentlichen Rundfunks ist überfällig

Im ersten Absatz fordert die AfD-Spitze wie schon im geleakten Entwurf eine „vielfältige Medienlandschaft“ und dass Meinung und Information „klar erkennbar voneinander getrennt sein“ sollen. Katharina Nocun findet schon diese Unterscheidung schwierig.

Wer definiert, was „Information“ und was „Meinung“ ist? Und was passiert, wenn man dagegen verstößt? Wenn es als Staat möglich ist der Presse vorzuschreiben, unbequeme Berichterstattung als bloße „Meinung“ im Kontrast zu staatlich abgesegneter „Information“ abzustempelt, ist das ein Eingriff in die Pressefreiheit.

Weiter heißt es bei der AfD:

Tatsachen sollen als solche benannt und nicht aus politischen Gründen verschleiert werden. Die AfD fordert: Schluss mit „Politischer Korrektheit“. Was wahr ist, kann nicht „unkorrekt“ sein.

Es bleibt weiter offen, was genau sie den Rundfunkanstalten vorwirft: Was wird angeblich nicht benannt, was aus politischen Gründen verschleiert und von wem? Aus vagen Äußerungen in dieser Hinsicht und wegen des zumindest früher von Parteichefin Frauke Petry gern benutzten Begriffs „Pinocchio-Presse“, der lediglich den Pegida-Schlachtruf „Lügenpresse“ verniedlicht, liegt eine Antwort nahe. Aber auch die gibt die Partei so nicht selbst. Das hat System.

Der öffentlich‐rechtliche Rundfunk muss seinen Informations‐ und Bildungsauftrag parteipolitisch neutral und staatsfern erfüllen. Daher sind Programme, Finanzierung, Organisation und die Kontrolle durch Rundfunk‐ und Fernsehräte grundlegend zu reformieren sowie Entscheidungsprozesse transparent zu machen. Ein erster Schritt zur Reform kann es sein, die Staatsverträge zu kündigen, mit denen die Landesregierungen die Finanzen und die Kontrolle des Rundfunks regeln.

Wie genau so eine Reform aussehen soll, steht nicht im Leitantrag. Zudem ist lediglich von einem „ersten Schritt zur Reform“ die Rede. Wenn der darin besteht, die Staatsverträge zu kündigen, bedeutet das, dass den meisten Anstalten sofort die Existenz- und Arbeitsgrundlage genommen wird. Wie kann man darüber hinaus eine Reform fordern, ohne zu benennen, was im Argen liegt, was deswegen geändert werden soll und wie? Wie soll zudem ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk funktionieren, der nicht gesetzlich ermöglicht wird? Welche Entscheidungsprozesse sind nicht transparent, welche sollen es sein?

In dem Absatz finden sich außerdem mehrere Fehler: Längst nicht jede Anstalt wird auf der Grundlage eines Staatsvertrages betrieben. Der ist nur in Mehrländeranstalten wie zum Beispiel beim NDR nötig, den Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Niedersachsen gemeinsam betreiben. In Nordrhein-Westfalen etwa kann allein der Landtag über Regeln für den WDR bestimmen. Der Landtag. Nicht die Landesregierungen. Und die regeln Finanzen und Kontrolle des Rundfunks nur indirekt. Wieviel Geld die Anstalten bekommen, das empfiehlt die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, kurz KEF. Wie hoch der Rundfunkbeitrag schließlich ist, entscheiden auf dieser Grundlage eben nicht die Landesregierungen, sondern – genau: die Landtage. Dass die Besetzung der Rundfunkräte nicht in allen Fällen verfassungsgemäß ist, ist ohnehin schon per Urteil des Bundesverfassungsgerichts entschieden. Wer statt der benannten Gremien über Finanzierung und Kontrolle der Sender bestimmen soll, sagt die AfD nicht. Obwohl da durchaus Reformbedarf herrscht und neue Ideen willkommen sind.

Die Zahl der öffentlich‐rechtlichen Fernseh‐ und Rundfunkprogramme muss deutlich verringert werden, auch deswegen, um die Entwicklung einer leistungsfähigen privaten Medienlandschaft nicht durch unfaire Konkurrenz zu behindern.

Dass die AfD „für eine vielfältige Medienlandschaft“ eintritt, wie es im Leitantrag heißt, kollidierte im Entwurf noch mit der Forderung nach nur noch zwei Radio- und zwei Fernsehsendern. Der Leitantrag ist in dieser Hinsicht nicht mehr so konkret, sondern fordert nur noch eine deutliche Verringerung; ganz aufheben kann er die Widersprüchlichkeit jedoch nicht.

Einige Absurditäten fehlen zum Glück im Leitantrag: etwa die Forderung nach einer Abschaffung der Gebühreneinzugszentrale GEZ (die es in dieser Form ja schon nicht mehr gibt) und die nach einer Privatisierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten ab 2018; stattdessen sollte die „staatliche Informationsversorgung“ durch einen steuerfinanzierten Sender besorgt werden.

Frappierend finde ich trotz allem weiterhin, wie unpräzise der Leitantrag in der Medienpolitik ist und wie sehr er von Fehlern strotzt. Auch dass AfD-Chefin Frauke Petry in Interviews und öffentlichen Statements immer und immer wieder von einem steuerfinanzierten Rundfunk spricht (was er nicht ist), zeugt von Unkenntnis. Oder aber von Absicht.

Mir kommt das mittlerweile wie ein System vor. Denn einige der Forderungen der AfD ergeben nur dann Sinn, wenn die Realität etwas zurechtgebogen wird. Wer unterstellt, die Sender seien steuerfinanziert, insinuiert, dann würde auch der Staat über Inhalte bestimmen – also müsse gehandelt werden. Wer behauptet, die Landesregierungen (und nicht die Landtage) würden die Sender kontrollieren, unterstellt, eine Elite von Regierungspolitikern würde die Sender steuern – also müsse gehandelt werden.

Wer auf diese Weise Tatsachen verdreht, um Zustimmung für seine Forderungen zu bekommen, ist nicht weit von dem entfernt, was Frauke Petry selbst wohl eine Pinocchiopartei nennen müsste.

Update (30. März, 17.30 Uhr): Oliver Das Gupta hat sich für die Süddeutsche Zeitung das gesamte Parteiprogramm angesehen. Er schreibt unter anderem, die AfD geißele die Presse in ihrem Programm „immer wieder“, etwa dass sie Kampagnen für bestimmte Lebensentwürfe betreibe.