Machtkampf bei Brainpool

Brainpool ist einer der erfolgreichsten deutschen Fernsehproduzenten. Große Teile des Angebots gingen auf Ideen von Stefan Raab zurück. Er hat sich inzwischen nicht nur vom Bildschirm zurückgezogen, sondern will auch seine Anteile an Brainpool wieder zurücktauschen gegen solche seiner eigenen Produktionsfirma. Damit könnte die französische Firma Banijay die Mehrheit bei Brainpool übernehmen. Doch dagegen gibt es Widerstand. Geschäftsführer Jörg Grabosch, dem mit der Übernahme die Kündigung droht, hat gegen eine schnelle Entscheidung eine Einstweilige Verfügung erwirkt. So konnte die Übernahme nicht schon am Donnerstag über die Bühne gehen. Thorsten Zarges hat für das Branchenportal DWDL die Hintergründe recherchiert; ich habe mit ihm für @mediasres im Deutschlandfunk darüber gesprochen.

Warum Verallgemeinerung fast immer falsch ist

Wir brauchen Medienkritik. Warum sollte ausgerechnet die Arbeit von Journalisten der Kritik entzogen sei, wo doch sonst alles und jeder sich der öffentlichen Beurteilung stellen müssen?

Natürlich gibt es keine Pflicht für denjenigen, der kritisiert, dabei auch fundierte Kritik zu liefern, rein sachliche oder auch nur konstruktive Kritik. Jeder darf kritisieren, wie er will.

Wenn er aber etwas erreichen möchte, nutzt es wenig, pauschal zu kritisieren und alle Medien über einen Kamm zu scheren. Wenn er nicht Ross und Reiter nennt, fühlt sich niemand angesprochen und wird seine Berichterstattung dementsprechend nicht ändern.

Daran musste ich denken, als ich heute diesen Tweet gelesen habe:

So eine Kritik an „den Medien“ kann natürlich nur falsch sein. Wer pauschal wird, liegt damit fast immer falsch.

Man muss den Satz nicht haarklein analysieren, um ihn zu widerlegen. Er soll auch nur als Beispiel dafür dienen, dass der Ärger über ein paar Berichte gleich zu einer Generalkritik ausarten kann, die gleich auch all das mitmeint, was man eigentlich gut findet.

Natürlich gab es Berichte über die Outfits der neuen Ministerinnen, aber es gab eben auch mehr: Berichte über die Wahl der Kanzlerin, über die Vereidigung der Minister, über den Arbeitsbeginn der neuen Bundesregierung. Und auch über die Debatte über §219a und das Urteil des Bundesgerichtshof habe ich diese Woche gelesen. Es ist also weder so, als hätten sich „die Medien“ ausschließlich auf das Kleiderthema gestürzt, noch haben sie die anderen Themen vernachlässigt.

Wer so pauschal argumentiert, sieht höchstens die eigene Meinung nicht ausreichend repräsentiert, aber das kann kein Argument für Journalismus sein.

Und so entwertet eine solche Verallgemeinerung das beste Argument. Auch wenn sich der Kritiker nur mal Luft verschaffen wollte, hilfreich ist so etwas nicht.

Im „Handelskrieg“ bitte sprachlich abrüsten

In den letzten Tagen ist die Auseinandersetzung zwischen den USA und der EU über die Besteuerung von Waren offensichtlich außer Kontrolle geraten – in jedem Fall sprachlich. Plötzlich ist auf beiden Seiten von einem Handelskrieg die Rede. Also von einem Krieg.

Angefangen vom US-Präsidenten selbst, aber gerne aufgegriffen von Politikern in der EU und in Deutschland – weitgehend kritiklos weitergetragen von deutschen Medien. Nur ein paar Beispiele:

zeitung(Süddeutsche Zeitung)

zeitung

(Deutsche Welle)

zeitung(Handelsblatt)

zeitung

(tagesschau.de)

Und so weiter.

Besonders treffend ist diese Wortwahl nicht – und überdies äußerst wertend.

Um an die Definition des Duden zum Wort Krieg zu erinnern:

mit Waffengewalt ausgetragener Konflikt zwischen Staaten, Völkern; größere militärische Auseinandersetzung, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt

Nichts davon trifft auf eine Auseinandersetzung über Zölle zu. In der Wortwahl schwingt eine Bedrohung für Leib und Leben mit, die in Wirklichkeit nicht gegeben ist. Der Begriff ist aufmerksamkeitsheischend und soll eine besondere Dramatik in der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung zwischen beiden Seiten beschreiben. Dabei emotionalisiert er den Konflikt aber und schürt beim Rezipienten möglicherweise Angst.

Selbst wenn man diese Wortwahl aber grundsätzlich akzeptiert, ist sie im Moment auch abseits der Duden-Definition nicht sonderlich klug. Denn was soll jetzt noch kommen? Wir sprechen hier über Zölle auf Stahl und Motorräder. Das ist angesichts des Protektionismus zwischen Staaten noch vor ein paar Jahrzehnten nicht viel. Wird dann demnächst getitelt „Handelskrieg eskaliert“, wenn auch Autos und Whisky mit Zöllen belegt werden? Oder muss man dann von einem „nuklearen Handelskrieg“ sprechen, damit überhaupt noch deutlich wird, von welchen Dimensionen wir sprechen? Wohin soll das alles sprachlich noch führen, wenn man schon am Anfang sprachlich zum Äußersten greift?

Kriegsmetaphern sind grundsätzlich keine gute Wahl, wenn wir nicht über Krieg sprechen. Denn was unterscheidet den Bürgerkrieg sprachlich noch vom Handelskrieg? Warum sollte uns der Krieg in Syrien noch interessieren, wenn wir einen eigenen Krieg mit den USA führen?

Natürlich müssen Journalisten den Begriff transportieren, wenn er von Politikern benutzt wird, denn korrekt zitieren gehört ja dazu. Und deren Wortwahl deutet womöglich darauf hin, auf welcher Eskalationsstufe sie den Konflikt sehen. Aber Journalisten sollten sich einen solch wertenden Begriff nicht zu eigen machen und ihn tunlichst vermeiden.

Der Bild-Trick: Mit Fakes zur Anzeige anstiften und dann berichten

Ich will den vielen Berichten über das #miomiogate der Bild-Zeitung nichts Großes mehr hinzufügen. Das Bildblog hat die Sache schon gut zusammengefasst. Eine Beobachtung bloß, basierend auf der Verteidigung von Verlag, Zeitung und Chefredakteur Julian Reichelt selbst. Er schreibt in einem Thread, beginnend hier:

Einmal zur Einordnung der @titanic Geschichte: Wir haben nie von einer Kampagne VON @KuehniKev geschrieben, dafür aber von einer Kampagne GEGEN ihn. Berichtet haben wir, NACHDEM die @spdde Strafanzeige geprüft/gestellt hat. Titanic wollte @BILD in mehreren Versuchen…

…in eine klare Festlegung treiben, dass @KuehniKev mit russischen Personen kooperiert. Das haben wir nie getan, sondern immer die Position der @spdde dargelegt und explizit geschrieben, dass diese plausibel ist. Der SPD haben wir stets alle gewünschten Infos…

…zur Verfügung gestellt. Alle Details werde ich gleich auf @BILD dokumentieren. Meine Meinung: Natürlich darf Satire so etwas, aber sie versucht sich hier zu profilieren, indem sie journalistische Arbeit bewusst zu diskreditieren versucht. Unser Kollege @fpiatov

…hat in der Vergangenheit immer wieder großartige und wichtige Geschichten zum Thema Desinformation recherchiert und war aufgrund seiner Erfahrung von Beginn an skeptisch. Deswegen haben wir uns erst zu Berichterstattung entschieden, als die SPD Anzeige geprüft hat.

Aha. Das heißt also, die Redaktion hielt die Mails für gefälscht und hätte nicht berichtet. Wie schafft man sich also einen Anlass? Man informiert die SPD über die angeblichen Mails, die daraufhin eine Anzeige prüft. Was nicht ganz unverständlich ist. Und jetzt ist er endlich da, der Anlass zu berichten.

Mit dieser Methode lässt sich für jedes Gerücht, jede Verleumdung, jede Fälschung ein Anlass finden. Einfach den Betroffenen informieren und zu einer Anzeige anstiften, dann lässt sich mit diesem Grund über alles und jedes berichten, ohne es journalistisch prüfen zu müssen. Eine perfide Methode.

 

Anmerkung: In Vorbereitung auf die Datenschutzgrundverordnung habe ich Widgets, die sich ursprünglich im Text befanden, entfernt und sie teilweise durch Links ersetzt.

Weidel triggert erneut Journalisten

Eigentlich sollte die Masche von AfD-Politikern ja schon bekannt sein. Doch ich gebe zu, dass auch ich mich immer wieder triggern lasse von Äußerungen wie der von Alice Weidel.

Da fordert Weidel indirekt die Ausbürgerung Deniz Yücels, weil er ihr nicht deutsch genug ist, und bemüht mal wieder zwei seiner Texte, die angeblich deutschenfeindlich sind und Thilo Sarrazin beleidigen. Ich finde die Texte selbst nicht gelungen, aber sie sind Satire und vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Beides Dinge, die besonders die AfD für sich selbst in Anspruch nimmt, wie gerade wieder André Poggenburg, der die pauschale Beleidigung von Türken als Politsatire bezeichnet hat. Für Yücel wollen sie sie aber nicht gelten lassen.

Als Verteidiger des Grundgesetzes sollte Weidel eigentlich auch wissen, dass das Grundrecht auf Pressefreiheit jeder in Anspruch nehmen kann. Die AfD probiert es ja gerade selber mit ihrem angeblichen Newsroom. Yücel seinen Status als Journalist abzusprechen ist zudem genau das, was auch der türkische Präsident Erdogan macht.

Weidel weiß das natürlich. Aber sie triggert mit ihrer Stellungnahme die AfD-Mitglieder, ihre Wähler und Anhänger mit solchen Begriffen, die gerne gegen den Deutsch-Türken Deniz Yücel austeilen und Thilo Sarrazin gegen Kritik in Schutz nehmen, weil sie sich sicher sein kann, dass sie von den entsprechenden Leuten dafür Zuspruch erhält.

Wie sollten diejenigen damit umgehen, die dem nicht zustimmen? Sollten sie ihr Statement teilen und weiterverbreiten und damit laut drauf hinweisen: Schaut mal, die Weidel – pfui! Tragen sie damit nicht genau zu der Verbreitung bei, die sie sich wünscht? Schließlich kann man nicht davon ausgehen, dass diese Weiterverbreitung genau bei denen ankommt, die diese Haltung ebenfalls ablehnen. Es werden auch immer welche darunter sein, die ihr zustimmen – die das Statement aber nicht gesehen hätte, hätte sie nicht ein Gegner darauf hingewiesen. So geben ausgerechnet ihre Gegner Weidel mehr Öffentlichkeit.

Dieses Problem hat sich diese Woche auch bei den Äußerungen von André Poggenburg gezeigt. Ich habe mir die Rede nicht angesehen, ich habe keinen längeren Artikel darüber gelesen, ich kann aber sofort mindestens einen Begriff nennen, den er dort gesagt hat. Weil der nämlich immer und immer wieder in Artikeln, Beiträgen und Filmen erwähnt wird.

Aber selbst wenn er im Kontext der Empörung, des Dementis, der Abscheu, der Verurteilung daherkommt, wird er immer wieder genannt. Und zahlt damit auf Poggenburgs Absicht ein, seine Haltung weit zu verbreiten.

Ich weiß, dass man sich dem als Journalist kaum entziehen kann, weil ein Beitrag darüber, dass die AfD-Spitze Poggenburg für seine Äußerungen verurteilt hat, auch erwähnen muss, welches die Äußerungen eigentlich waren. Und dass Nutzer, wenn man diese Äußerungen nicht ausdrücklich nennt, erst recht wissen wollen, welches sie waren – und im Netz auch schnell fündig werden. Aber wir spielen damit das Spiel der AfD mit.

Das sieht auch der Politikwissenschaftler Robert Feustel so, der im Interview bei faz.net sagte:

Mit der Aufregung über die Aussagen wird das Thema plaziert – man spricht dann trotzdem, wie jetzt im Fall Poggenburg, über die „Kameltreiber“. Die Begriffe werden weitergetragen, bekommen eine große Reichweite, auch wenn viele, die sie aufgreifen, das tun, um Kritik zu üben. (…) Solche Skandalisierungen bewirken, dass alles, was davor gesagt wurde und nicht ganz so krass war, schnell zum normalen Ausdruck gehört. Indem die Grenzen ständig erweitert werden, werden andere Ausgrenzungen so ein stückweit normalisiert.

Und er plädiert dafür:

Es wäre sicher zielführender, nicht über jedes Stöckchen zu springen, das die AfD einem hinhält. Denn in dem Moment, wo ich eine bestimmte provokante, ausgrenzende Aussage wiederhole, kann ich mich zwar kritisch davon distanzieren, bediene aber trotzdem das Thema und setze es auf die Agenda.

Das ist kein neues Plädoyer. So was schreiben Journalisten auch gerne immer wieder mal, fallen dann aber doch erneut darauf herein, wenn die AfD die Grenzen ein weiteres mal stückweise verschiebt. Und wir helfen dabei.

P.S.: Ich weiß natürlich, dass auch ich Weidel vielleicht zu mehr Öffentlichkeit verhelfe. Aber das auf einer Meta-Ebene zu kritisieren geht nicht ohne.

Nachtrag (19.50 Uhr): Einige Journalisten teilen meine Auffassung. Unter einigen Tweets wird darüber diskutiert.

 

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Journalisten erledigen Pressearbeit für AfD

„AfD will eigenen Newsroom starten“

berichtet der Focus am Freitag. Dort heißt es weiter:

Die Bundestagsfraktion der Alternative für Deutschland will ab April ihre Kommunikation im Wesentlichen über einen eigenen „Newsroom“ steuern.

Der Deutschlandfunk formuliert es so:

Die Bundestagsfraktion der Alternative für Deutschland will ab April ihre Kommunikation im Wesentlichen über ein eigenes Nachrichtenbüro steuern.

Die Welt schreibt:

AfD plant Pressearbeit mit Newsroom und Schichtbetrieb

Das klingt danach, als würde die AfD jetzt tatsächlich in Journalismus machen, zumal sie selbst das auch entsprechend ankündigt, wie die Welt weiter schreibt:

Die Arbeitsweise des Newsrooms werde der in journalistischen Redaktionen ähneln. (…) Laut Bericht sollen die Mitarbeiter im Schichtbetrieb rund um die Uhr tätig sein. Drei von ihnen würden sich auf Recherche spezialisieren und Themen ausfindig machen, die laut Weidel „unter den Teppich gekehrt werden, und sie journalistisch sauber für die Öffentlichkeit aufbereiten“.

Das ist natürlich irgendwie auch lustig. Denn die AfD war in ihrer Öffentlichkeits- und Pressearbeit bisher wenig an dem interessiert, was man als „journalistisch sauber“ bezeichnen könnte.

Interessant ist, dass viele Webseiten hier teilweise eins zu eins die Wortwahl der Partei übernehmen und sich damit ihrem Framing ausliefern. Denn mit Journalismus hat die Ausweitung der Pressearbeit der AfD natürlich nichts zu tun. Eine Partei ist gar nicht in der Lage, journalistisch sauber zu arbeiten, denn dann müsste sie einen neutraleren Standpunkt einnehmen und auch die eigene Partei kritisieren können. Damit ist aber nicht zu rechnen.

Der Kommunikationsberater Johannes Hillje hat das am Montag im Deutschlandfunk so formuliert:

Der Begriff wird hier völlig falsch, aber auch bewusst falsch verwendet von der AfD. Der Begriff kommt aus dem Journalismus, eigentlich aus dem amerikanischen Journalismus, hat aber natürlich Einzug mittlerweile in deutsche Medienorganisationsformen auch gefunden. Das sind Räume, wo die neuesten Meldungen verarbeitet und tagesaktuelle Nachrichten produziert werden. Aber was eine politische Partei wie die AfD macht, das ist Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und kein Journalismus. Und deshalb sollten wir der AfD auch nicht den Gefallen tun und diese Erweiterung ihrer PR-Arbeit mit dem journalistischen Etikett Newsroom versehen. Wir sollten diesen Begriff von der AfD schlichtweg nicht übernehmen.

Leider haben das viele Kollegen getan. Ironie der Geschichte, dass sie damit schon genau die Pressearbeit der AfD erledigen, die sie mit ihrem „Journalismus“ erledigt sehen will.

 

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Das Ende der „Großen Koalition“

(Foto: Stefan Fries)
(Foto: Stefan Fries)

Nach der Bundestagswahl 1990 verfügte die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP im Bundestag über 60,1 Prozent der Sitze.

Im Jahr 2018 werden CDU/CSU und SPD mit ihrer möglichen Koalition über 56,3 Prozent der Sitze verfügen.

Die Preisfrage:

Welche dieser Konstellationen nennt man Große Koalition?

Das Beispiel zeigt, dass der Begriff im Jahr 2018 nicht mehr zutreffend ist.

In Deutschland hatte es sich eingebürgt, ein Zusammengehen der damaligen großen Volksparteien CDU/CSU (als Schwesterparteien) und SPD als Große Koalition zu bezeichnen. Auf Bundesebene sind sie bis heute die mandatsstärksten Parteien. So definiert auch Wikipedia den Begriff – und ergänzt:

Für westeuropäische Staaten wird der Begriff in der Regel verwendet, um eine Koalition zwischen den beiden größten in einem von zwei so genannten Volksparteien dominierten Parteiensystem zu beschreiben, bei dem rechnerisch auch kleinere Koalitionen möglich gewesen wären.

Nun sind zunehmend kleinere Koalitionen nicht mal mehr rechnerisch möglich. Eine Koalition aus CDU/CSU, FDP und den Grünen hätte zwar weniger Sitze gehabt als eine aus CDU/CSU und SPD, wäre aber in gewisse Weise wieder größer gewesen, weil mehr Parteien beteiligt gewesen wären.

Der Begriff „Große Koalition“ jedenfalls passt nicht mehr. Wurde schon bei einer Koalition in der Regel davon ausgegangen, dass sie eine Mehrheit im Parlament besitzt, also mehr als 50 Prozent der Sitze, so suggeriert „Große Koalition“, dass es sich um eine besonders große Mehrheit handelt.

Bis 2017 war das auch der Fall. Damals hielten CDU/CSU und SPD rund 80 Prozent der Sitze. Das war so viel, dass die Opposition aus Grünen und Linkspartei nicht mal all die Rechte ausüben konnte, die eine Opposition sonst eigentlich hat. Das machte die Macht der Koalition noch größer, weswegen der Begriff angemessen war.

Keine #GroKo mehr, bitte

Doch das liegt hinter uns, und es ist an der Zeit, den Begriff „Große Koalition“ für das möglicherweise kommende Bündnis nicht mehr zu verwenden, ebenso wie die nach Kindergarten klingende Abkürzung GroKo, die 2013 Wort des Jahres wurde und die die Jury damals animierte, es mit einem kleinen Krokodil zu bebildern.

Der Begriff verschleiert, wie klein die Koalition tatsächlich ist, obwohl sie aus den ehemals so genannten Volksparteien gebildet wird (die zwischen 1966 und 1969 sogar über knapp 91 Prozent der Sitze im Bundestag verfügte). Auch wenn der Begriff deutlich macht, dass die Koalition eine Mehrheit hat, unterschlägt er, wie groß die Opposition (310 Sitze) im Vergleich zur Koalition (399 Sitze) inzwischen ist.

Es gibt ja durchaus andere Begriffe, die das Bündnis beschreiben: die schwarz-rote Koalition oder die Koalition aus CDU/CSU und SPD etwa. Im Bemühen, die Realität richtig abzubilden, sollten Journalisten wertende Adjektive wie „groß“ nur verwenden, wenn die Sachlage eindeutig dafür spricht. Bei der „Großen Koalition“ tut sie das nicht.

Leser gewinnen mit Kampagnenjournalismus?

Es ist wieder etwas ruhiger geworden in der Auseinandersetzung um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Kein Wunder, sind doch die entscheidenden Wochen erst mal vorbei. ARD, ZDF und das Deutschlandradio haben ihre Vorschläge für eine Strukturreform vorgelegt, die Ministerpräsidenten darüber beraten und sich erst mal auf März 2018 vertagt. Es gibt nicht mehr so viel tagesaktuell zu berichten, und die Öffentlich-Rechtlichen sind nicht mehr so stark im Fokus.

Der Vorwurf einer Medienkampagne ist ja in der Regel schlecht zu belegen. Dass bei einem großen Skandal alle Journalisten mit ähnlichen Argumenten hantieren ist nicht unbedingt ein Beweis, dass eine solche Kampagne läuft. Zumal Journalisten in solchen Fällen in der Regel kein Eigeninteresse inhaltlicher Art verfolgen, sondern höchstens den Interessen der Aufmerksamkeitsökonomie folgen.

In diesem Fall ist das aber anders. Denn hier sind fast alle Berichterstatter auch Partei. Wer bei den öfffentlich-rechtlichen Sendern arbeitet, kann sich nicht ganz davon freimachen, auch Gutes in diesem System zu sehen. Wer bei privaten Sendern und in der Printbranche arbeitet, wird dessen Produktionslogik auch prinzipiell unterstützen. Diese tendenzielle Voreingenommenheit macht die Auseinandersetzung so erbittert. Und teilweise dann doch so durchschaubar.

2017-10-09-14-08-24-kopieSo war etwa an der Titelstory des „Spiegel“ vor ein paar Wochen in vielerlei Hinsicht wenig auszusetzen. Vor allem deshalb, weil die Autoren sattsam Bekanntes zusammengetragen hatten. Und auch wenn ein paar Hasskommentare aus dem Netz nicht gerade große Beweiskraft hatten. Der Titel „Die unheimliche Macht“ allerdings wurde im Artikel nicht eingelöst. Und „Wie ARD und ZDF Politik betreiben“ leider auch nicht verraten. So wirkte der Text dann auf mich doch eher wie eine Art Auftragsarbeit so kurz vor den entscheidenden Sitzungen in Sendern und Politik.

Stefan Niggemeier hat seine Kritik an dem Artikel bei „Übermedien“ auf die schöne Formel gebracht:

Man muss nur ungenau genug hinsehen, dann erscheinen ARD und ZDF nicht mehr als reformbedürftig, sondern als unreformierbar.

Auch Dietrich Leder hat in der Medienkorrespondenz so einige Einwände gegen den Artikel:

Die „Spiegel“-Titelgeschichte kann das „Unheimliche“ denn auch nicht im geringsten belegen. Die Kritik an ARD und ZDF, die dort geübt wird, bedient sich beispielweise vieler öffentlicher Erklärungen, Daten und Materialien, die die beiden öffentlich-rechtlichen Institutionen zu Recht veröffentlichen müssen.

Dass die Verlage und mitunter auch ihre Redaktionen mit bestimmten Entwicklungen bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht zufrieden sind, ist die eine Sache. Die andere ist, wie sie damit in ihrer journalistischen Arbeit umgehen.

Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung und ihre Sonntagszeitung glänzen durchaus nicht nur mit Argumenten, sondern versuchen es mit Framing. Den Rundfunkbeitrag nennen sie gerne mal Zwangsgebühr oder inzwischen zumindest Zwangsbeitrag – auch wenn ihnen das nicht bewusst ist.

Dass FAZ-Medienredakteur Michael Hanfeld (vom Altpapier auch „Frankfurts Iron Mike“ genannt) keine solche Gelegenheit auslässt, wissen wir schon. Dass die FAZ aber nicht nur bei den möglichen, sondern auch bei den unmöglichen Gelegenheiten zuschlägt, war mir bis zu dieser Woche neu.

Auf der Titelseite des Feuilleton-Buchs heißt es in der von Stefan Niggemeier geposteten Bildunterschrift:

Um zu begreifen, dass Berlin viele ziemlich komische Vögel beheimatet, braucht der öffentlich-rechtliche Fernsehzuschauer nicht auf die Ausstrahlung einer von seinen Zwangsgebühren finanzierten, aber zunächst nur medialen Privatpatienten zugänglichen Fernsehserie über die röhrenden Zwanziger zu warten.

Zusammenhang zum Thema? Keiner.

Statt den Rundfunk außerdem öffentlich-rechtlich zu nennen, wie er verfasst ist, fällt in den Zeitungen öfter mal der Begriff Staatsrundfunk oder Staatsfunk. Nachdem meine @mediasres-Kollegin Brigitte Baetz die FAZ in einem oft missverstandenen offenen Brief dazu aufrief, den Begriff nicht zu verwenden, weil er falsch sei, holten einige FAZ-Journalisten zum großen Gegenschlag aus, um zu erklären, warum sie doch irgendwie Recht haben. (Ich habe hier was zur Vorgeschichte und hier was zu Reaktionen geschrieben.)

Es sind teils in sich widersprüchliche Äußerungen, wie Stefan Niggemeier im erwähnten Beitrag bei Übermedien herausgearbeitet hat. Er bezieht sich hier auf den Begriff „Staatsfunk“:

Ihre eigene Aussage aus der Vorwoche, dass es sich um einen schmähenden Kampfbegriff handele, dementierten sie ((die Autoren, SF)) nun plötzlich: Er beschreibe nur “völlig unideologisch die Realität”.

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(Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)

Die erwähnten Autoren sind Rainer Hank und Georg Meck, deren Artikel in der FAS Auslöser für die damalige Vorläuferdebatte war. Ich will so viele Wochen danach nicht detailliert auf den Artikel eingehen, aber zumindest kurz erwähnen, dass sich sich die Autoren darin gegen Behauptungen wehren, die nie aufgestellt wurden, etwa diese hier:

Als die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vor einer Woche über die finanziellen Begehrlichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks berichtete, ließt der Protest der Betroffenen nicht lange auf sich warten. Besonders in Rage bringt sie die von der F.A.S. benutzte Begrifflichkeit: Wer wie die F.A.S. von „Staatsfunk“ schreibt, der sich aus „Zwangsbeiträgen“ finanziert, gilt als schlimmer Ideologe, mutmaßlich rechtsradikal – zumindest von der AfD gesteuert.

Das ist vage genug formuliert, um den Vorwurf, rechtsradikal oder AfD-gesteuert zu sein, nicht dem Deutschlandfunk anzulasten. Ich habe diesen Vorwurf nirgendwo gehört. Und die AfD hatten übrigens vorher nur Hank und Meck selbst ins Spiel gebracht. Dass für die FAZ dann in diesem Kommentar von Herausgeber Jürgen Kaube zudem bestritt, den Begriff überhaupt zu benutzen, hat mich doch verwundert. Kaube schrieb:

Tatsächlich hat diese Zeitung das Wort „Staatsrundfunk“ in den vergangenen zwei Jahren für ARD und ZDF überhaupt nicht verwendet, nur einmal – als einen Spruch der AfD – zitiert.

Kann er nicht mal die Suchfunktion auf der Homepage seiner eigenen Zeitung benutzen?

Die zunehmende Verwendung der Begriffe Staatsrundfunk, Staatsfunk, Staatssender und Co. beobachtet WDR-Kollege Udo Stiehl mit Sorge:

Schritt für Schritt werden die Begriffe als Synonym für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eingeführt. Das ist von interessierter Seite durchaus geschickt gemacht. Die „Lügenpresse“-Rufer klingen plötzlich nicht mehr ganz so radikal und ziehen dabei die Argumentation heran, ARD, ZDF und Deutschlandradio seien doch „staatlich“ finanziert. Natürlich verschweigen sie dabei, dass das Geld nicht aus dem Haushalt der Bundesregierung kommt, sondern von den Bürgern. Diese Assoziation ist gewollt und fällt durchaus auf fruchtbaren Boden. Aus diesem Bild heraus folgt dann die Forderung, die öffentlich-rechtlichen Sender abzuschaffen, denn sie handelten doch nur auf Anweisung der Regierung. Das ist nichts anderes als eine unverhohlene Forderung nach Abschaffung der Pressefreiheit.

Es sind weder sachgerechte noch für die Diskussion hilfreiche Begriffe, die dennoch – bei gleichzeitiger Abstreitung jeder Kampagnenführung – immer öfter von Print-Journalisten in der Debatte benutzt werden. Nicht nur in den Medien selbst, auch in persönlichen Äußerungen zum Beispiel bei Twitter.

Und damit ähnlich ähnlich zusammenhangslos wie in der oben bereits zitierten Bildunterschrift in der FAZ. Dass eine Debatte, die die FAZ mit der subtilen Verwendung solcher Begriffe angefangen hat, dann aus dem eigenen Haus kritisiert wird, spricht zumindest für die Binnenpluralität der Redaktion.

Es bleibt jedenfalls ein merkwürdiger Eindruck zurück, der eine (wenn wohl nicht durchorchestrierte, aber auch nicht rein aus journalistischen Gründen geführten) Kampagne durchaus für möglich hält. Sicher haben einige Argumente der Gegner von öffentlich-rechtlichen Sendern ihre Berechtigung. Und dass sich private Rundfunksender und Zeitungen durch die bereits von den Beitragszahlern finanzierten Inhalte unter Konkurrenzdruck sehen, ist auch verständlich.

Wie man aber mit einem solchen Kampagnenjournalismus unter teilweiser Missachtung journalistischer Standards Leser gewinnen will, die dafür künftig dann Geld bezahlen, ist mir ein Rätsel.

 

Offenlegung: Ich arbeite als freier Journalist unter anderem für die beiden öffentlich-rechtlichen Sender WDR und Deutschlandfunk und schreibe in diesem Blog privat.

So deutet „Die Welt“ eine Mehrheit für eine ARD-ZDF-Fusion herbei

Die Mehrheit der Deutschen ist für eine Fusion von ARD und ZDF zu einem nationalen, öffentlich-rechtlichen Sender.

Das schreibt die Springer-Tageszeitung „Die Welt“ auf ihrer gemeinsamen Webseite mit dem Springer-Fernsehsender „N24“. Ich bezweifle, dass das tatsächlich so ist. Denn die Umfrage, die das Umfrageunternehmen Civey für die beiden Medien online durchgeführt hat, ist so vage, dass die Antworten nur falsch sein können.

Das lässt sich schon an der Fragestellung ablesen, die die Welt glücklicherweise mit veröffentlicht hat:

Bei diesem WELT-Trend lautete die Frage: „Sollten die Fernsehsender von ARD und ZDF zu einem einzigen bundesweiten, öffentlich-rechtlichen Sender fusioniert werden?“

Im Artikel, in dem diese Umfrage eingebettet war, wurde vorher sogar noch eine etwas längere Frage gestellt:

Wir wollen von Ihnen wissen: Wie sehen Sie die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland? Soll alles so bleiben, wie es ist, und beide weiterhin gemeinsam nebeneinander bestehen? Oder plädieren Sie dafür, dass die Fernsehsender von ARD und ZDF zu einem einzigen bundesweiten öffentlich-rechtlichen Sender fusioniert werden?

Das sind streng genommen zwei verschiedene Fragen. Denn „beide“ gibt es so gar nicht. Gemeint sind wohl ARD und ZDF. Aber die ARD ist nur eine Arbeitsgemeinschaft, die aus neun verschiedenen Landesrundfunkanstalten und der Deutschen Welle besteht. Daneben gibt es noch das Deutschlandradio, somit also elf öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten in Deutschland (die Deutsche Welle wird nicht aus dem Rundfunkbeitrag finanziert, sondern aus Steuermitteln). In der zweiten Frage wird dann nach „Fernsehsendern von ARD und ZDF“ gefragt, womit schon mal alle Radioprogramme ausgenommen werden und beim Fernsehprogramm alles über einen Kamm geschert wird.

Die neun Landesrundfunkanstalten und das ZDF betreiben nämlich im Moment getrennt und gemeinsam insgesamt 21 Fernsehsender. Bei einer Fusion, nach der Civey gefragt hat, müssten also all diese 21 Sender zu einem verschmelzen. Die Zuschauer würden also nicht nur auf Das Erste und das ZDF in ihrer bisherigen Form verzichten müssen, sondern auch auf alle dritten Programme, 3sat, Kika, Phoenix, Arte, ARD alpha, tagesschau24, ARD one, ZDF info und ZDF neo. Programme, die von Millionen Menschen gesehen werden.

Nur als Beispiel: Das Erste hatte im September 2017 nach Zahlen der AGF Videoforschung einen Marktanteil von 11,2 Prozent, das ZDF 12,9 Prozent. Alle anderen genannten öffentlich-rechtlichen Programme kamen zusammen auf 21,7 Prozent. Das ist ein so diversifiziertes Programm und damit auch Publikum, das man auf keinen Fall mit einem einzigen gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Programm zufriedenstellen könnte. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass ein mehr oder weniger großer Teil der bisherigen Zuschauer das zentrale Programm nicht mehr einschalten würde.

Plädieren also tatsächlich 54 Prozent der Teilnehmer an der WELT-Umfrage für nur noch ein einziges Programm? Also mehr Programmeinfalt, um damit mehr Zuschauer gleichzeitig erreichen zu müssen? Warum sollten sie auf etwas verzichten wollen, das sie so intensiv nutzen?

Ich glaube, dass die meisten Teilnehmer der Umfrage die gestellte Frage gar nicht verstanden haben, weil sie viel zu unspezifisch formuliert wurde. Für viele ist ARD immer noch das erste Fernsehprogramm, auch wenn das offiziell „Das Erste“ heißt. Für viele ist ZDF das zweite Fernsehprogramm (wie der Name schon sagt), nicht aber deren Ableger Info und Neo. Und vor allem sind es nicht die gemeinsam veranstalteten Programme wie Arte und 3sat.

Hätten Welt und Civey nur nach den beiden Sendern „Das Erste“ und ZDF fragen wollen, wäre so eine Frage zielgenauer gewesen:

Sollten das erste und zweite Fernsehprogramm zu einem einzigen Sender zusammengelegt werden?

So aber kann WeltN24 das Ergebnis der missverstandenen Frage wieder auf die Anstalten an sich zurückdeuten und dann titeln:

(Screenshot: https://www.welt.de/kultur/medien/article169891258/Mehrheit-der-Deutschen-fuer-Fusion-von-ARD-und-ZDF.html)
(Screenshot: https://www.welt.de/kultur/medien/article169891258/Mehrheit-der-Deutschen-fuer-Fusion-von-ARD-und-ZDF.html)

Eine Frage missverständlich zu stellen und die Ergebnisse dann als scheinbar eindeutig auszugeben ist jedenfalls kein seriöser Umgang mit einer Umfrage.

Dass es der Springer-Vorstandsvorsitzende Matthias Döpfner war, der in seiner Funktion, aber auch als Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger immer wieder gegen die öffentlich-rechtlichen Sender polemisiert, sei nur zum Schluss kurz erwähnt.

Journalisten können nicht erkennen, was Merkel anders machen will

(Screenshot: Phoenix)
(Screenshot: Phoenix)

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist nach der so halb verlorenen Bundestagswahl von vielen Journalisten gescholten worden – für eine Aussage, die seitdem immer wieder zitiert wird:

Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten.

Die FAZ schreibt unter Zuhilfenahme von dpa-Material:

„Trotzdem halte ich die Grundentscheidungen, die getroffen wurden, und für die ich natürlich in ganz besonderer Weise verantwortlich bin (…) für richtig“, betonte die Kanzlerin zu ihrer Entscheidung von 2015, Flüchtlinge und Migranten nach Deutschland zu lassen. Die Bundesregierung habe in der Flüchtlings- und Migrationspolitik eine große Entwicklung gemacht, zugleich aber noch viel Arbeit vor sich, sagte Merkel.

Merkel sagte, sie könne nicht erkennen, „was wir jetzt anders machen müssten“. Sie habe diesen Wahlkampf gut durchdacht.

Berthold Kohler zitiert Merkel später in der FAZ und kommentiert:

Die Unerschütterliche aber sagte: „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssen“. Das kann man, wenn man zu den treuen Fans der Kanzlerin zählt, protestantische Standhaftigkeit nennen. Wenn die Wähler darin aber, was wahrscheinlicher ist, eher Uneinsichtigkeit und Starrköpfigkeit im Spätstadium einer langen Kanzlerschaft erkennen, dann werden die Probleme der CDU noch zunehmen, und die der CSU – mitgegangen, mitgehangen – auch.

Im Teaser ist das sogar noch etwas zugespitzter:

Angela Merkel hätte, nachdem der Union so viele Wähler davongelaufen sind, Grund genug, ihre Politik zu ändern. Doch die Kanzlerin will das nicht erkennen.

Anja Günther kommentiert im NDR:

Schade nur, dass Merkel aus dem Wahlergebnis scheinbar keine inhaltlichen Konsequenzen für die Union ziehen will. „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten“, hat Merkel gesagt. Das ist das Gegenteil von „wir haben verstanden“.

Auf ntv.de schreibt Hubertus Volmer:

Auf die Frage, was sie falsch gemacht habe, sagt Merkel, dieses Mal ironiefrei: „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten.“ Das gilt ausdrücklich auch für ihre Flüchtlingspolitik.

Jan Fleischhauer kommentiert bei Spiegel online:

Sie könne nicht erkennen, was man hätte anders machen können, hat Angela Merkel nach Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses erklärt. Das hat sie wörtlich so gesagt. „Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten.“ Die Bundeskanzlerin mag mir meine Anmaßung verzeihen, aber mir fiele einiges ein.

Er suggiert damit ebenso wie es in den anderen zitierten Artikel gemacht wird, Merkel zeige sich vom Wahlergebnis einigermaßen unbeeindruckt und würde daraus keine Konsequenzen für ihre Politik ziehen wollen. Nach dem Motto: Hier stehe ich, ich kann nicht anders.

Das Problem ist: Merkel hat das so nicht gemeint. Aber wenn man den Kontext entfernt, klingt es so. Dann kann man aber, mit Verlaub, diese Aussage auf alles mögliche anwenden, was man ihr vorwirft.

Merkel antwortete tatsächlich auf eine Frage der ARD-aktuell-Reporterin Marie von Mallinckrodt. Diese fragte Merkel bei der offiziellen CDU-Pressekonferenz am Tag nach der Wahl:

von Mallinckrodt: Frau Bundeskanzlerin, ich möchte Sie noch mal bitten, einen Blick zurückzuwerfen auf den Wahlkampf. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse und der Wählerwanderung zur AfD: Ganz konkret, was haben Sie als Kanzlerkandidatin und die CDU vielleicht auch falsch gemacht, was hätte man anders machen müssen?

Merkel: Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten. Ich habe diesen Wahlkampf gut durchdacht, ich habe ihn so gemacht, wie ich ihn gemacht habe, und bin jetzt auch am Tag danach nicht der Meinung, dass das… dass ich das anders sehe als ich das gestern oder vorgestern oder vor zwei Wochen gesehen habe.

Wer sich die Pressekonferenz angesehen hat, sollte das mitbekommen haben. Hier der entsprechende Ausschnitt:

Merkel bezieht sich mit dieser Aussage also ausdrücklich auf den Wahlkampf und nicht auf den Inhalt ihrer Politik, die ihr in den Artikeln vorgeworfen wird. Das ist ein Unterschied. Selbst wenn Merkel der Meinung sein sollte, dass sie für ihre Politik nicht erkennen könne, was sie anders machen solle (wenngleich sie ja zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik, auf die n-tv dieses Zitat sogar ausdrücklich, aber falsch bezieht, längst eine Kehrtwende gemacht hat): Dieses Zitat gibt das nicht her.

Aber wie das so oft ist: Leider macht auch dieses Zitat wie schon andere zuvor eine eigene Karriere – gänzlich losgelöst von seinem Kontext.