Nur weil Gauland anderen die Würde nimmt, darf man ihm nicht seine nehmen

Und nochmal schreibe ich über Alexander Gauland, diesmal jedoch in anderer Angelegenheit. Heute wurde bekannt, dass Gauland schon vergangene Woche Dienstag bestohlen worden ist. Er war nach einem Bericht der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ) in der Nähe seiner Wohnung in Potsdam ins Wasser gegangen. Währenddessen habe ein Unbekannter am Ufer der wilden Badestelle Gaulands Kleidung bestohlen – mit dem Ruf „Nazis brauchen keinen Badespaß“, so Gauland. Jetzt ermittelt der Staatsschutz.

Problematisch ist das Foto, das die MAZ zum Beitrag veröffentlicht hat. Es zeigt nämlich Gauland in Badehose, aufgenommen von hinten und offenbar aus größerer Entfernung (zu schließen aus der Auflösung des Fotos), wie er von einer Polizistin begleitet nach Hause geht. Als Quelle des Fotos wird „privat“ angegeben. Offenbar hat ein Passant das Foto gemacht.

Ich finde es journalistisch nicht gerechtfertigt, das Foto zu veröffentlichen, weil es ehrverletzend ist. Gauland hat sich selbst nicht auf diese Weise öffentlich gezeigt, sondern ist durch den mutmaßlichen Diebstahl dazu genötigt worden. Auch wenn er öffentliche Person ist, gibt es keinen Grund, ein Foto von ihm aus dieser privaten Situation zu veröffentlichen. Da hat es schon eindeutige Urteile gegeben.

Bei Twitter habe ich dazu viel Häme gelesen. Selbst als Kollegen das Foto problematisierten, stellte sich bei den Kritisierten kein Unrechtsbewusstsein ein. Gespeist wurde es vor allem aus der Tatsache, dass Gauland selbst keine Probleme hat, sich öffentlich ehrverletzend (und schlimmer) über andere zu äußern, insofern dürfe sich niemand darüber beschweren, dass ihm seine Ehre hier genommen werde.

Auch nicht besser als Gauland

Aber: Wollen wir denn wirklich dieselben niederträchtigen Methoden nutzen wie Gauland? Wollen wir uns herablassen, auf eine Stufe mit ihm? Müssten wir nicht vielmehr gerade deshalb genau den Regeln des Anstands folgen, die wir bei Gauland vermissen?

Die Würde des Menschen ist unantastbar – und sie gilt auch für diejenigen, die nicht danach handeln und sie abschaffen wollen.

Das ist manchmal schwer zu akzeptieren, aber es ist eine große Errungenschaft unserer Demokratie, die wir nicht opfern sollten, nur weil ihre Feinde es wollen.

Ich bin gespannt, wie sich die Märkische Allgemeine Zeitung dazu äußert. Auf eine Anfrage per Twitter meinerseits haben weder Redaktion noch Chefredakteurin Hanna Suppah bisher geantwortet. Dafür hat die MAZ zwar einen Artikel mit Reaktionen verfasst und in den Teaser geschrieben: „es gibt aber auch kritische Töne“. Das kritische Foto thematisiert der Artikel allerdings nicht.

Es hätte nicht geschadet, Gauland ausführlicher zu zitieren – im Gegenteil

Soll man über jedes der berühmten Stöckchen springen, das einem die AfD hinhält? Am Wochenende haben viele Kollegen in Artikeln und Tweets darüber diskutiert, wieviel Aufmerksamkeit man der Äußerung von AfD-Fraktionschef Alexander Gauland schenken sollte.

Ich gebe zu, dass ich da lange unentschieden war und auch jetzt noch nicht völlig überzeugt von einer der beiden Extrempositionen: entweder die Aussage komplett zu ignorieren, um ihm keine unnötige Aufmerksamkeit zu geben, oder sie als nicht hinnehmbar zu skandalisieren. Tatsächlich spricht viel für letzteres, denn ein Skandal sind die Äußerungen ja. Dass Gauland sich schon zuvor rassistisch und geschichtsvergessen geäußert hat, sollte dabei keine Rolle spielen: Nur weil seine Aussagen in der Substanz nicht neu sind, sind sie nicht weniger skandalös.

Mir geht es im Rahmen der Diskussion um einen Aspekt, der eher am Rande vorkommt, wenn überhaupt: Gehen wir Journalisten richtig mit der Aussage um? Auslöser für den Skandal waren ja diese Worte Gaulands am Wochenende:

Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über tausend Jahre erfolgreicher deutscher Geschichte.

Wenn ich das richtig mitbekommen habe, sind sie durch einen Tweet der Deutschen Welle in dieser Kurzform zuerst in die Welt gesetzt worden.

Gauland hat diesen Satz aber nicht losgelöst gesprochen, sondern sie waren eingebettet in eine Rede. Gibt man dem Ausschnitt etwas mehr Kontext, lautete die Aussage so:

Wir haben eine ruhmreiche Geschichte. Daran hat vorhin Björn Höcke erinnert. Und die, liebe Freunde, dauerte länger als die verdammten zwölf Jahre. Und nur, wenn wir uns zu dieser Geschichte bekennen, haben wir die Kraft, die Zukunft zu gestalten. Ja, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die zwölf Jahre. Aber, liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über tausend Jahre erfolgreicher deutscher Geschichte.

Dass die AfD-Fraktion dieses Zitat in einer Mitteilung auf ihrer Homepage verfälscht, ist die eine Sache. Aber sollten wir Journalisten Gauland nicht in Gänze zitieren, um unserer Verantwortung einer sachlich zutreffenden Berichterstattung gerecht zu werden? Das führt nicht zwangsläufig dazu, ihn von den Vorwürfen zu entlasten, denn auch die Einbettung in größeren Kontet macht die Aussage nicht besser. Aber es entlastet Journalisten vom Vorwurf, eben nicht korrekt oder nicht in Gänze zitiert zu haben.

Das längere Zitat relativiert die Aussage nicht

Denn natürlich muss man auch Gaulands geäußertes Bekenntnis „zu unserer Verantwortung für die zwölf Jahre“ erwähnen. Das relativiert meines Erachtens die anderen Worte Gaulands gar nicht, es entlarvt sie nur noch deutlicher, weil sie die Widersprüchlichkeit aufzeigt. Man kann sich nämlich nicht zu einer Verantwortung bekennen, die man im nächsten Satz gleich wieder implizit zurückweist. Es zeigt meines Erachtens eher, dass die vorausgehenden Worte nur deshalb gewählt werden, um sich nicht angreifbar zu machen und um im Zweifel darauf verweisen zu können, missverstanden worden zu sein.

Die Skandalisierung der wenigen Worte führt nämlich auch dazu, dass der restliche Kontext auch ansonsten nicht ausreichend betrachtet wird. Von einer tausendjährigen deutschen Geschichte zu sprechen, ist nach Ansicht von Historikern nämlich gar nicht haltbar; vielmehr knüpft der Begriff sprachlich an das tausendjährige Reich an, das die Nationalsozialisten propagiert haben. Dieses Framing mag viel wichtiger sein als das einzelne Zitat Gaulands.

Auch in den 988 übrigen Jahren ist dieses „Deutschland“ übrigens natürlich keineswegs durchgehend ruhmreich gewesen (wie auch immer man diesen Begriff definieren mag); angefangen damit, dass es in dieser nur rund 90 Jahre Demokratie gab, wie Matthias Quent feststellt, geschweige denn einen Einheitsstaat, fortgesetzt mit Dutzenden Kriegen, Hungersnöten, Krankheiten und Seuchen, worauf Alexander Nabert hinweist.

So sprechen wir aber nur über dieses eine Zitat, das dann – in der Form, in der es gefallen ist – von AfD-Politikern leicht umgedeutet werden kann. Nicht nur durch die Verfälschung vom „Vogelschiss“ zum „Fliegenschiss“, wie ich hier dargestellt habe. AfD-Pressesprecher Christian Lüth verteidigt die Aussage zum Beispiel so:

Gauland: ist das, was ich von der Nazi-Zeit halte. Quantitativ auf die rund tausend Jahre deutsche Geschichte gesehen. Inhaltlich sowieso. Wer das missversteht, will es auch und der schaden.

Was einen gewissen Witz hat, denn auf ein Missverständnis legt es Gauland ja in der Regeln an. Er selbst verteidigte sich (zitiert nach FAZ) so:

Ich habe den Nationalsozialismus als Fliegenschiss bezeichnet. Das ist eine der verachtungsvollsten Charakterisierungen, die die deutsche Sprache kennt. Das kann niemals eine Verhöhnung der Opfer dieses verbrecherischen Systems sein

Mal von der Verschiebung von Wortlaut und Wortbedeutung – „Vogelschiss“ zu „Fliegenschiss“ – und der Einlassung, dass sei „eine der verachtungsvollsten Charakterisierung“, abgesehen, zeigt sich hier genau das erwähnte Muster, Kritik zurückzuweisen, indem auf eine andere Bedeutung verwiesen hat.

Auf der Suche nach einem längeren Redeausschnitt bei YouTube bin ich auf ein Dutzend Videos gestoßen, in denen Medien die Verkürzung vorgeworfen wird. Nun geht es mir nicht darum, den dahinter stehenden Verschwörungstheoretikern entgegenzukommen, denen man auch mit einem vollständigen Zitat genug Anhaltspunkte gegeben hätte, sich zu beklagen. Aber Sie haben Recht damit, dass das Zitat verkürzt wurde.

Aussagen transportieren doppelte Botschaft

Ich glaube, dass man mit solch einer unsauberen Arbeit nicht um Vertrauen wirbt, das Medien bei vielen AfD-Anhängern verloren haben. Sie werden nur allzu leicht von der Partei darauf hingewiesen, dass das Zitat unzulässig verkürzt wurde. Das wird der Strategie der Partei nur allzu gerecht. Sie legt es ja darauf an, ihre Provokationen so zu setzen, dass die Botschaft an ihre Anhänger klar wird, gegenüber der kritischen Öffentlichkeit allerdings darauf verwiesen werden kann, dass man es nicht so gemeint habe. Man kann das so gut an diesem Beispiel sehen wie an Björn Höckes Rede vom „Mahnmal der Schande“.

Während Gauland im aktuellen Fall den Begriff „Fliegenschiss“ in der Rede verwendet, um den Nationalsozialismus zu einer unbedeutenden Episode der Geschichte zu erklären, deutet er ihn nach der Kritik um zu einer verachtenswerten Episode.

Ähnlich ging damals Björn Höcke vor. Im Januar 2017 sagte er, übrigens ebenfalls auf einer Veranstaltung der „Jungen Alternative“, wie gerade Gauland, mit Blick auf das Berliner Holocaust-Mahnmal:

Wir Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.

Im Kontext war klar, wie er es gemeint hatte – als Schande, dass die Deutschen sich so zu ihrer Geschichte bekennen. Aber auch diese Aussage konnte man auf zwei Arten lesen – eine für die Anhänger, eine für die empörte Öffentlichkeit. Matthias Kamann wies in der „Welt“ auf das Spiel mit sprachlichen Doppeldeutigkeiten hin:

Der Genitiv hat im Deutschen viele Bedeutungen, und bei manchen Konstruktionen sind mehrere Bedeutungen gleichzeitig möglich. Doppeldeutig ist etwa die Wendung „Denkmal der Schande“. Bedeuten kann sie einerseits, dass es sich um ein „Denkmal zur Erinnerung an eine Schande“ handelt. Andererseits und genauso aber kann damit ein „schändliches Denkmal“ gemeint sein.

Kamann schreibt weiter, später habe sich Höcke für den Satz gerechtfertigt und ihn in einen anderen Kontext gestellt:

Hinterher jedoch, in einer am Mittwoch verschickten „Persönlichen Erklärung“, behauptete Höcke, es sei ihm nur um die Bedeutung „Denkmal zur Erinnerung an eine Schande“ gegangen. Er sei „erstaunt über die Berichterstattung“, schrieb Höcke. Denn tatsächlich habe er „den Holocaust, also den von Deutschen verübten Völkermord an den Juden, als Schande für unser Volk bezeichnet“.

Diesen Satz allerdings hatte er in seiner mehr als 40-minütigen Dresdner Rede nicht gesagt. Genauso wenig wie einen weiteren Satz seiner späteren „Erklärung“, nämlich, „dass wir Deutsche diesem auch heute noch unfassbaren Verbrechen, also dieser Schuld und der damit verbundenen Schande mitten in Berlin, ein Denkmal gesetzt haben“.

Problematisch an den Aussagen Gaulands wie Höckes ist so gut wie alles. Mir geht es auch nicht darum, sie in Schutz zu nehmen vor einer verkürzten Zitierung. Ich glaube bloß nicht, dass es in der Auseinandersetzung um solche Zitate hilfreich ist, diese so stark zu verkürzen, dass sich sowohl der Zitatgeber als seine Parteikollegen und Wähler am Ende darauf berufen können, er sei falsch oder verkürzt zitiert worden.

AfD verfälscht Gauland-Zitat

Die AfD hat einen Teil der Rede ihres Fraktionschefs im Bundestag, Alexander Gauland, transkribiert – und dabei verfälscht. Wie man hier nachhören kann, sagte Gauland tatsächlich folgendes:

Wir haben eine ruhmreiche Geschichte. Daran hat vorhin Björn Höcke erinnert. Und die, liebe Freunde, dauerte länger als die verdammten zwölf Jahre. Und nur, wenn wir uns zu dieser Geschichte bekennen, haben wir die Kraft, die Zukunft zu gestalten. Ja, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die zwölf Jahre. Aber, liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über tausend Jahre erfolgreicher deutscher Geschichte.

Nun ist der Begriff Vogelschiss nicht im Duden zu finden. Es ist aber offensichtlich, dass damit eine Verharmlosung einhergehen sollte. Als könne man Geschichte allein in Jahreszahlen messen und nicht in Taten.

Der Auszug auf der Homepage der AfD-Fraktion entspricht allerdings nicht dem, was Gauland tatsächlich gesagt hat. Ich habe im nachfolgenden Zitat die Änderungen markiert:

Wir haben eine ruhmreiche Geschichte (Auslassung), die länger dauerte als (Auslassung) 12 Jahre. Und nur wenn wir uns zu dieser Geschichte bekennen, haben wir die Kraft, die Zukunft zu gestalten. Ja, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die 12 Jahre. Aber, liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Fliegenschiss (Verfälschung) in unserer über 1000-jährigen Geschichte.

Es ist eben nicht der Wortlaut der umstrittenen Passage, wie die Überschrift behauptet. Es ist eine Verfälschung, die aus dem Vogelschiss einen Fliegenschiss macht – einen Begriff, den es wiederum im Duden gibt. Dort wird er definiert als

<in übertragener Bedeutung>: reg dich bloß nicht über jeden Fliegenschiss (über jede Kleinigkeit) auf!

Selbst wenn das Gaulands Aussage in den Augen seiner Kritiker wahrscheinlich nicht besser macht – die AfD verfälscht sie hier. Die ersten Medien zitieren Gauland inzwischen ebenfalls schon falsch – zum Teil unter Berufung auf ihn selbst. In einer persönlichen Stellungnahme erklärte er am Sonntagabend (zitiert nach FAZ):

Ich habe den Nationalsozialismus als Fliegenschiss bezeichnet.

Genau das hat er eben nicht.

 

Nachtrag (12.10 Uhr): Inzwischen hat die AfD die Transkription auf der Homepage teilweise korrigiert – vor allem aus „Fliegenschiss“ wieder „Vogelschiss“ gemacht, aber immer noch nicht an den Originalwortlaut der gesprochenen Rede angeglichen. Sie zitiert Gauland jetzt so:

Wir haben eine ruhmreiche Geschichte (Auslassung bleibt), die länger dauerte als (Auslassung bleibt) 12 Jahre. Und nur wenn wir uns zu dieser Geschichte bekennen, haben wir die Kraft, die Zukunft zu gestalten. Ja, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die 12 Jahre. Aber, liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss (korrigiert) in unserer über 1000-jährigen Geschichte.

Hier zum Abgleich das Original als Screenshot:

(Quelle: https://www.afdbundestag.de/wortlaut-der-umstrittenen-passage-der-rede-von-alexander-gauland/)

ZDF zur Royal Wedding: „Eine Mischung aus Sexismus und Rassismus“

Am Samstag haben mehrere Medien Kritik auf sich gezogen, weil sie ausufernd die afroamerikanische Herkunft von Meghan Markle thematisiert haben. Die US-Schauspielerin hatte an dem Tag in England einen britischen Prinzen geheiratet.

Von „afroamerikanischem Esprit“ und „Exotik“ wurde in der ZDF-Sendung gesprochen (Zusammenschnitt bei Übermedien). Damit seien „ganz alte rassifizierende Bilder“ von schwarzen und weißen Menschen bedient worden, sagte mir die Journalistin Hadija Haruna im Deutschlandfunk. Haruna arbeitet für Fernsehen und Radio und ist Mitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und der Neuen deutschen Medienmacher.

Journalisten sollten nicht ständig wiederholen, was sie eigentlich anprangern wollen

Es hat etwas Widersprüchliches, wie sich manche öffentlich über Rassismus, Sexismus, Homophobie, Menschenfeindlichkeit allgemein aufregen, während sie sie gleichzeitig weiterverbreiten. Wenn die Empörung über die AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Alice Weidel, jetzt auch berechtigt ist und sie sich dagegen wehrt, so hat sie doch ihr Ziel erreicht. Denn das, was sie im Bundestag gesagt hat, wird in der Öffentlichkeit wieder und wieder erwähnt und damit immer weiter verbreitet.

Damit wiederholt sich, was mich schon bei der Berichterstattung über die rassistischen Äußerungen von AfD-Politiker André Poggenburg bei seiner Aschermittwochsrede gestört hat. Nicht nur bei der ersten Empörung und der Kritik daran wurden die ursprünglichen Äußerungen in einem Großteil der Fälle erneut zitiert. Sie erledigen damit genau das, das die AfD möchte:

Erstens werden die Äußerungen damit viel stärker verbreitet als die AfD das selbst auf ihren Kanälen könnte.

Zweitens weisen die AfD-Politiker auf angebliche Missverständnisse und falsche Auslegungen hin, wie jetzt auch wieder Alice Weidel, während sie selbst Falschinformationen über die Rüge verbreitet.

Drittens kann man sich gleich wieder über eine angebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit beschweren.

Natürlich ist es wichtig, solche Äußerungen publik zu machen und sie zu zitieren, um sie zu skandalisieren. Aber müssen wir Journalisten das bei jeder weiteren Erwähnung des Falls tun? Reicht es nicht, wenn wir später paraphrasieren oder einordnen? Etwa so:

„Poggenburg hatte sich beim Politischen Aschermittwoch rassistisch geäußert.“

oder

„Weidel war für eine diskriminierende Äußerung von Bundestagspräsident Schäuble zur Ordnung gerufen worden.“

oder

„Bundestagspräsident Schäuble hatte Weidel wegen einer diskriminierenden Äußerung zur Ordnung gerufen.“

Andernfalls drängen wir jedem Nutzer die Äußerungen immer und immer wieder auf – über Tage hinweg – und bedienen das Narrativ der AfD.

Die taz hat das Problem übrigens zumindest für sich gelöst. Sie schreibt heute:

Was genau die AfD-Fraktionsvorsitzende an Hass und Vorurteilen von sich gegegen hat, entnehmen Sie bitte anderen Medien.

Heiterkeit im Hohen Hause: Welche Rolle das Lachen im Bundestag spielt

Die Süddeutsche Zeitung hat sich mit der AfD im Bundestag beschäftigt. Sie hat Zwischenrufe gezählt und bewertet und hat sich auch das Lachen der Abgeordneten angesehen – nicht nur das der AfD-Abgeordneten, sondern das aller. Wer lacht über wen und warum?

Dieser Frage, die nur einen Teil der Recherche ausmacht, bin ich schon vor zweieinhalb Jahren mal ausführlicher nachgegangen. Für SWR2 habe ich das Feature „Heiterkeit im Hohen Hause – Das Lachen in der Politik“ produziert.

Mein liebster Gesprächspartner dabei war Roger Willemsen, der sich im Jahr 2013 alle Bundestagssitzungen angeschaut hat und deshalb gut beurteilen konnte, welche Rolle das Lachen im Bundestag spielt. Er hat verschiedene Arten des Lachens erkannt und beurteilt. So sagte er zum Beispiel:

Wenn Volker Kauder am Pult steht und er muss beantworten, was die NSA alles abgehört hat nach den Edward-Snowden-Enthüllungen, und dann möchte ein Linksabgeordneter sagen, dass er hoch empört ist über das, was passiert, und dann antwortet Kauder: weil dem Gregor seins abgehört wird, und alles lacht. So mit den Rechten des Volkes umzugehen, das sich geschützt wissen will vor den Abhörinitiativen der Amerikaner, beweist eigentlich, dass man Schießübungen im Pantheon der Menschenrechte vornimmt, indem man mit solchen Rechten, solchen berechtigten Ansprüchen lachhaft umgeht, sie verlächerlicht, sie dem Lachen preisgibt, und dieses Lachen bliebe mir im Halse stecken.

Ich erkenne also Herrn Kauder in seinem Lachen in dem Augenblick besser als in seiner Rhetorik, und insofern muss ich das, was Sprache ist im Bundestag, weit über das, was gesagt wird, hinaus verlängern, und muss gucken: Welche Fraktionszugehörigkeit hat ein Applaus? Welche Vereinzelung haben bestimmte Applausgebärden? Was bedeutet ein Zwischenruf? Was bedeutet ein höhnisches Gelächter, ein Abwinken usf.

Grundsätzlich hat Willemsen damals beobachtet:

Das Lachen wird eingesetzt, um die Empörung des Gegenübers der Nichtigkeit zu überführen. Um zu sagen: Du beeindruckst mich nicht, deine Empörung bedeutet mir gar nichts. (…)

Es wird Humor im Bundestag auch eingesetzt als Zusatzstoff, sei es, um die Kollegen zu verlächerlichen, sei es, um Unterhalterqualitäten zu beweisen, und es gibt auch Reden, die fast nur noch von Humor zusammengehalten werden, wie zum Beispiel die Rede des Alterspräsidenten zur Eröffnung der neuen Legislaturperiode.

Das Schönste am Feature sind aber die vielen O-Töne aus sechs Jahrzehnten Bundestag, die ich habe finden können. Mit Franz Josef Strauß, Helmut Kohl, Herbert Wehner, Helmut Schmidt, Norbert Lammert, Gregor Gysi und vielen anderen.

Intendant von Radio Bremen wirft Verlagen Propaganda vor

Der Intendant von Radio Bremen, Jan Metzger, hat Verlagen vorgeworfen, ihre Zeitungen propagandistisch gegen die öffentlich-rechtlichen Sender zu nutzen. Bei einem Kongress freier Rundfunkmitarbeiter in Bremen sagte er, was auf deren Medienseiten passiere, habe streckenweise nichts mehr mit Journalismus zu tun, sondern sei Verlagspropaganda.

Metzger räumte ein, dass die öffentlich-rechtlichen Sender nicht gut darin seien, offensiv für sich zu werben – vor allem in den eigenen Prorgammen. „Versuchen Sie mal, auch nur eine bedeutende Unternehmensnachricht in der Tagesschau unterzubringen, da scheitern Sie am orthodoxen Verständnis der Kolleginnen und Kollegen, was den Nachrichtenwert von solchen Dingen angeht“, sagte Metzger. So wie die Verlage wolle man aber auch nicht arbeiten. „Wir haben nicht dieselbe propagandistische Power und Skrupellosigkeit, die die Verleger haben.“

Das Zitat im Wortlaut:

„Wir sind in der Selbstdarstellung nicht besonders gut, um es freundlich zu sagen. Wir sind gerade dabei, uns ein bisschen zusammenzuraufen, mal über uns selbst zu reden, aber versuchen Sie mal, auch nur eine bedeutende Unternehmensnachricht in der Tagesschau unterzubringen, da scheitern Sie am orthodoxen Verständnis der Kolleginnen und Kollegen, was den Nachrichtenwert von solchen Dingen angeht, also beschränkt sich die Sache am Ende auf Zapp.

Wir haben nicht dieselben Plattformen wie die Zeitungsverleger, die diese in der Tat propagandistisch nutzen. Das ist eine meiner größten Auseinandersetzungen auch mit befreundeten Kollegen in Zeitungsverlagen, dass ich der Ansicht bin, dass, was auf den Medienseiten passiert, streckenweise mit Journalismus nichts mehr zu tun hat, sondern das ist Verlagspropaganda. Da kann man sich toll drüber fetzen. Aber erstens wollen wir so nicht arbeiten, und zweitens können wir so nicht arbeiten.

Das, was wir gerade noch hinkriegen, das ist das, was Herr Wilhelm (Intendant des Bayerischen Rundfunks und ARD-Vorsitzender, SF) im Moment macht, zu sagen: Leute, die Teuerung ist so, und unsere Mehreinnahmen sind anders, und deswegen: Wir schrumpfen schon die ganze Zeit. Ich meine, wir in Bremen können seit 15 Jahren da ein Lied von singen, andere haben das Sparen gerade erst kürzlich entdeckt und jammern umso mehr. Das hört man schon, aber wir haben nicht dieselbe propagandistische Power und Skrupellosigkeit, die die Verleger haben. Das geht uns ab.

Wir werden jetzt im Sommer ne Public-Value-Kampagne machen, das kommt bei uns immer so vornehm daher, und ist der Versuch, dem was entgegenzusetzen. Ich würde mir auch manchmal wünschen, dass das anders wäre, aber Holzen im eigenen Interesse gehört nicht zu unseren großen Fähigkeiten.“

Berichten, was nicht ist – so helfen Journalisten negativ beim „Framing“

In der vergangenen Woche sind mir zwei Schlagzeilen ins Auge gefallen, die aus dem Rahmen fallen – beide bei Zeitungen der Welt-Gruppe, also bei „Welt“ und „Welt am Sonntag“.

Die „Welt“ titelte am Montag nach der Amokfahrt von Münster:

Die Mordfahrt von Münster war kein islamistischer Terror

Und gestern hieß es in der „Welt am Sonntag“:

Das ist nicht der dritte Weltkrieg

Die „Welt am Sonntag“ vom 15. April 2018 (Foto: Stefan Fries)

Beide Schlagzeilen folgen einem interessanten Muster: Sie sagen nicht, was ist, sondern sie sagen, was nicht ist. Sie reagieren offenkundig auf unterstellte Erwartungen ihrer Leser: In Münster wurde über einen islamistischen Anschlag spekuliert, bei den Angriffen der USA, Großbritanniens und Frankreichs womöglich der Beginn einer militärischen Eskalation befürchtet, die zu einem Weltkrieg führen kann.

Dieses Muster kennen wir nicht von klassischen journalistischen Angeboten, sondern von Faktencheckern gegen Fake News, etwa den ARD-Faktenfindern bei tagesschau.de, dem Faktenfuchs beim Bayerischen Rundfunk und Echt Jetzt bei Correctiv. Auch dort finden sich Überschriften nach diesem Muster, zum Beispiel:

Kein Kurde namens „Jens R. Handeln“

Münster – YouTube-Video zeigt nicht die Täter

Nein, die Studie von Dr. Jones beweist nicht, dass Chemotherapie Krebspatienten früher sterben lässt

Gehen die Journalisten in diesen Fällen in der Regel davon aus, dass es sich um Fehlinformationen handelt, die richtiggestellt werden sollen, so folgen „Welt“ und „Welt am Sonntag“ mit ihren Überschriften auch in ihren Printausgaben abseits der Faktenchecks diesem Prinzip.

Ich halte das für gefährlich. Diese Haltung nimmt vorauseilend die Position derjenigen ein, die eine Fehlinformation und Lüge streuen, ein Gerücht ungeprüft weiterverbreiten, eine Angst artikulieren. Sie mag damit denjenigen entgegenkommen, die diese Haltung von sich aus oder verstärkt durch andere bereits selbst eingenommen haben. Sie trägt diese Haltung aber auch an diejenigen weiter, die von selbst nicht darauf gekommen wären.

Diese Haltung hilft den Urhebern beim Framing. Es werden Aspekte aktiviert, die tatsächlich nichts mit dem Thema zu tun haben. Wer „kein islamistischer Terror“ schreibt, aktiviert den Begriff „islamistischer Terror“. Wer schreibt „nicht der Dritte Weltkrieg“, der aktiviert den Begriff „Weltkrieg“. Mit Verneinungen kann unser Gehirn leider nicht gut umgehen. (Sie kennen ja das Beispiel „Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten.“ Denken Sie wirklich nicht dran?)

Anstatt also zu berichten, was ist (positiv), wird damit begonnen, zu berichten, was nicht ist (negativ). Anstatt von Fakten auszugehen, wird von Gerüchten ausgegangen. Damit löscht man diese Falschinformationen nicht aus, sondern streut sie größtmöglich breiter. Und man trainiert seine Leser darin, mit dieser Haltung an jede weitere Berichterstattung heranzugehen: Dann müssten Journalisten künftig erst mal alle Spekulationen zerstreuen, bevor sie über die eigentlichen Fakten berichten. Das kann nicht unsere Aufgabe sein.

Die Amokfahrt von Münster: Was von der großen Aufregung übrig ist

Münster (2010)
Münster (2010) (Foto: Stefan Fries)

Man denkt ja, dass Journalisten lernen, wenn es um die Berichterstattung über plötzliche Großereignisse geht heute vor einer Woche bei der Amokfahrt in Münster. Dass sie nicht sofort von einem Anschlag reden – wie beim Amoklauf in München. Dass sie nicht sofort von Islamisten reden – wie beim rechtextremen Anschlag in Oslo und Ütöya. Dass sie einfach mal abwarten, was die Polizei ermittelt. Denkste.

Auch nach der Amokfahrt in Münster, bei der ein Mann zwei Menschen und dann sich selbst tötete, wurde wieder spekuliert – zu viel und zu sehr in eine Richtung, wie etwa mein Kollege Christoph Sterz für @mediasres im Deutschlandfunk kommentiert hat:

Wie über die Tat in Münster berichtet wurde, ist Teil eines grundsätzlichen Problems. Aus Angst, etwas falsch zu machen, sich durch das Verschweigen von Gerüchten angreifbar zu machen, werden journalistische Grundsätze missachtet.

Und weil die Tat von Münster traurigerweise sicher nicht die letzte ihrer Art war, sollten sich Journalisten jetzt dringend hinsetzen und ihre Berichte intern kritisch aufarbeiten – damit sie sich beim nächsten Mal nicht wieder von Hetzern, von Extremisten treiben lassen.

Boris Rosenkranz hat für Übermedien zusammengestellt, wie unseriös die Fernseh-Nachrichtensender n-tv und Welt (früher N24) berichtet haben, und schreibt:

Fährt derzeit irgendwo ein Auto in eine Menschenmenge, liegt natürlich der Verdacht nahe, dass es sich um einen Terroranschlag handelt. Weil das schon so oft passiert ist. Aber gerade Taten wie die in Münster zeigen, dass nicht alles ist, wie es scheint, und dass es angebracht wäre, mit allergrößter Vorsicht zu berichten. Es hat auch immer wieder Fälle gegeben, in denen zwar Autos in Menschenmengen gesteuert wurden, aber nicht aus terroristischen Motiven.

Eine Woche danach

Wir sind jetzt eine Woche weiter – welche Erkenntnisse ziehen wir aus der Berichterstattung vorige Woche? Heute gibt es kaum noch Berichte über die Tat und ihre Hintergründe. Was prinzipiell in Ordnung ist; solange sich nichts tut und während ermittelt wird, gibt es eben nichts zu berichten. Aber war im Hinblick darauf die Aufregung damals gerechtfertigt?

Auf den ersten Blick fällt es leicht, darauf die Antwort zu geben: Nein. Auf den zweiten Blick würden aber womöglich viele Journalisten, die vor einer Woche in den Rausch der Berichterstattung verfallen sind, darauf sagen: Natürlich war die Aufregung gerechtfertigt, wussten wir doch nicht, worum es sich handelt. Für mich wird aber umgekehrt ein Schuh draus: Gerade weil wir noch nicht wussten, was dahinter steckt, ist jede übertriebene Aufregung fehl am Platz – und zwar aus journalistischen Gründen.

Unsere Aufgabe ist es, zu berichten, was passiert ist – und nicht mehr. Natürlich gehört es auch dazu, Hintergründe zu liefern. Das Problem besteht aber in der unzulässigen Verknüpfung beider Aspekte. Es ist die eine Sache, zu berichten: „In Münster ist ein Auto in eine Menschenmenge gefahren. Dabei kamen zwei Menschen ums Leben.“ Oder zu schreiben: „In Münster hat es (offenbar) einen Anschlag gegeben. Dort ist ein Auto in eine Menschenmenge gefahren.“ Das eine ist bereits eine Interpretation, während das erste bei der reinen Beschreibung der Wirklichkeit bleibt. Darauf sollten sich Journalisten gerade dann immer zurückziehen, wenn sie nicht mehr wissen.

Gegen das Triggern

Freilich denkt womöglich jeder, der von dem Ereignis an sich hört, daran, dass bereits vorher Fahrzeuge in Menschenmengen gefahren sind, etwa in Nizza und London. In diesen Fällen handelte es sich um islamistischen Terror. Aber dieser automatischen Verknüpfung im Gehirn sollten Journalisten nicht folgen. Sie können in diese Richtung recherchieren, aber sie müssen auch Belege dafür liefern. Solange sie diese nicht finden, verbietet es sich, darüber öffentlich zu spekulieren.

Ich habe die Berichterstattung selbst am Samstag nicht verfolgt. Ich habe bei einem sonnigen Nachmittag mit Freunden nur kurz gehört, als eine Freundin eine erste Eilmeldung vorlas, nach der das Auto in die Menschenmenge gefahren war.

Ich habe mich an dem Nachmittag und Abend bewusst ferngehalten von Nachrichten. Ich wusste, dass mich das Thema ansonsten stundenlang nicht loslassen würde. Im Hunger nach immer mehr Informationen, nach immer mehr Details, nach Erklärungen, Analysen und Hintergründen würde ich nicht nur bei redaktionellen Medien nachschlagen, sondern auch bei Twitter suchen.

Und ich wusste, ich würde nicht nur bei den einschlägigen Twitter-Accounts schnelle Erklärungen, einfach Deutungen und klare Schuldzuweisungen finden. Ich wusste, dass auch eigentlich seriöse Medien, dass Kollegen sich nicht würden zurückhalten können, sich in ihrer Berichterstattung nicht nur auf Fakten zurückziehen, sondern auch spekulieren würden. All das hätte genau zu der Art Halbwissen oder sogar Nichtwissen geführt, die ich selbst als Journalist nicht vermitteln möchte. Eine Blase, die nicht nur aus Fakten, sondern auch aus Vermutungen und Befürchtungen besteht, und in der am Ende das eine nicht mehr vom anderen zu unterscheiden ist.

Genau das ist eben nicht die Aufgabe von Journalisten. Sie sollen über Fakten berichten und sich nicht an unbegründeten Spekulationen beteiligen. Es ist deprimierend zu sehen, wenn Kollegen gegen solche Grundregeln ihres Handwerks verstoßen. Und es hilft mir auch als Konsument solcher Halbnachrichten nicht weiter, zu verstehen, was wirklich passiert ist.

Keine Stadt im Schock

Zumal Maren Urner von Perspective Daily, die in Münster wohnt und arbeitet, dort einen ganz anderen Blick auf die Ereignisse hatte als sie medial vermittelt wurden. Sie schreibt:

Die Welt hängt an den Bildschirmen und lernt: »An diesem Frühlingsabend ist Münster eine Stadt im Schock.«

Falsch! Es scheint eher umgekehrt: Die Welt, die auf Münster schaut, ist im Schock, während für die meisten Menschen in Münster der Alltag in Parks, Cafés und Straßen (einmal abgesehen vom direkten Umkreis des Unglücksorts) weitergeht.

Wird die Aufregung also tatsächlich umso größer, je weiter man vom Ort des Geschehens weg ist? Nach dem Motto: Die größte Angst habe ich vor etwas, das ich nicht kenne? Bilden Journalisten die Lage vor Ort also wirklich so ab, wie sie ist?

Tatsächlich habe ich mich ablenken können und mich erst am Sonntagmorgen über den Stand der Dinge informiert. Ich konnte Fakten lesen, musste mich nicht an Gerüchten und Wahrscheinlichkeiten entlanghangeln. Ich erfuhr etwas über den Tathergang und das wenige, was man an Hintergründen wusste. Das aber waren greifbare Informationen, die ich einordnen konnte, die keine unnötige Sorge ausgelöst oder unnötige Angst verbreitet haben.

Ich habe den Kollegen Zeit gegeben, ihre Arbeit zu machen. Das klingt pathetischer als es ist. Was ich damit meine: Ich habe als Nutzer nicht sofort nach Informationen gefragt und gesucht, die keiner liefern konnte und sich stattdessen in Spekulationen ergoss. Ich habe den Journalisten Zeit gegeben, zutreffende Informationen zu besorgen, die mir helfen, die Situation zu verstehen. Anstatt nach etwas zu fragen, das man mir so schnell nicht liefern kann und stattdessen etwas anderes zu bekommen. (Das merkt natürlich kein Kollege direkt. Aber es soll ein Signal sein, sich die nötige Zeit zu geben.)

Dass ich allein das so halte, hilft nicht dabei, die Situation zu verändern. Ich fürchte, dass man das Rad in gewisser Weise nicht zurückdrehen kann. Es ist unrealistisch, dass Medien nicht über einen solchen Vorfall berichten. Sie sollten aber zu jedem Zeitpunkt nur das erzählen, was sie wissen. Das ist gar nicht so schwer: Sie können zum Beispiel einfach schildern, was sie sehen und was ihnen berichtet wurde, sollten aber nicht Vermutungen darüber anstehen, was sie nicht sehen. Das ist der Unterschied zwischen „Auto in Menschenmenge gefahren“ und „offenbar Anschlag“.

Es ist wichtig, dass die Kollegen nicht ständig auf Sendung gehen müssen, sondern Zeit bekommen, zu recherchieren. Wer alle paar Minuten immer und immer wieder über den Stand der Dinge berichten muss, kommt gar nicht dazu, sich auf denselben zu bringen – und wiederholt sich damit.

Relevanz statt Erregungspotenzial

Zudem sollte Relevanz entscheiden, nicht Erregungspotenzial. Bei der Auswahl der Meinungsäußerungen sollte man das bedenken. Eine Stellungnahme des Münsteraner Bürgermeisters ist berichtenswert, weil er die Bürger der betroffenen Stadt vertritt. Ein Statement des nordrhein-westfälischen Innenministers ist es, weil er die Arbeit der Polizei verantwortet. Die Tweets einer uninformierten AfD-Politikerin, die weder eine Verantwortung trägt noch selbst am Ort ist, ist es nicht. Arno Frank schreibt bei Spiegel online unter Berufung darauf:

Solange wir soziale Netzwerke für legitime Foren diskursiver Auseinandersetzung halten, werden wir ihrer suggestiven Illusion erliegen und noch das galligste gedankliche Bäuerchen als Beitrag zur Debatte wahrnehmen, vielleicht sogar fürchten – wo es doch in Wahrheit nur erfreulich erhellende Rückschlüsse auf Gemüt und Intellekt der Absender zulässt.

Wer nichts dazu beiträgt, die Ereignisse zu verstehen, hat in Berichten erst mal nichts verloren. Schnellschüsse unbeteiligter und machtloser Politiker (aus der Distanz, aus der Opposition) in Form von Forderungen, die nicht auf Fakten basieren, weil die noch gar nicht geklärt sind, sollten Journalisten erst mal zurückstellen – ob sie per Tweet kommen oder als Pressemitteilung.

Solche Nachrichten sind irrelevant – und sollten von Medien auch so behandelt werden. Später kann man darauf immer noch einsteigen, wenn die politische Diskussion beginnt. Die kann aber erst anfangen, wenn wir wissen, was passiert ist. Das ist kurz nach der Tat selten der Fall.

Diese Erregungsmaschine erregt mich zunehmend. Wenn ich selbst im Dienst und für solche Ereignisse zuständig bin, versuche ich auf die Bremse zu treten und die Regeln zu befolgen, die ich gerade skizziert habe. Ich versuche, mich nicht mitreißen zu lassen von der Wucht des Ereignisses selbst und der daraufhin losrollenden medialen Lawine. Nur so kann ich meine Arbeit vor mir selbst verantworten und auch vor dem Nutzer, für den ich berichte. Das schließt nicht aus, dass es auch mir mal so gehen kann, wie ich es jetzt Kollegen vorwerfe. Dann hoffe ich, dass es jemanden gibt, der mich darauf hinweist. Das geht aber nur, wenn wir uns alle zusammen bewusst sind, worauf es gerade in solchen Krisensituationen im Journalismus ankommt – gerade in Zeiten „großer Gereiztheit“.

Nachtrag (16. April, 21.45 Uhr): Uwe Schulz hat sich in seiner Medienschelte im WDR5-Medienmagazin „Töne, Texte, Bilder“ auch noch mal der Berichterstattung über Münster angenommen.

Wie Jens Spahn Journalisten triggert

Im Triggern von Journalisten macht Jens Spahn, inzwischen Bundesgesundheitsminister, keiner so schnell was vor.

Diesmal sind es zwei, drei Antworten aus einem Interview, das er der Neuen Zürcher Zeitung gegeben hat. Ich verkürze mal ein Zitat von ihm. In dem Interview sagt er zum Beispiel:

Ich bin mit dem Teil des Journalismus unzufrieden, der Zitate verkürzt und den Zusammenhang ausblendet.

Ach so, ja. Zusammenhang: Spahn antwortet auf die Frage, ob er mit „den Medien“ unzufrieden sei. Und als Beispiel für ein verkürztes Zitat… nee, das lest Ihr besser selber nach, damit ich da nichts aus dem Zusammenhang reiße.

Die interessantere Antwort, auf die viele angesprungen ist, ist aber die auf eine Frage, die gar nicht gestellt wurde. Da fragt die NZZ nämlich unter Bezugnahme auf die Zitatverkürzung:

Ist der öffentlichrechtliche Rundfunk besser?

Und Spahn antwortet u.a.:

Ein Beispiel: Es gibt Tweets von Redakteuren des öffentlichrechtlichen Rundfunks, die sind einfach nur politisch eindeutige Kommentare und sehr subjektiv. Da steht zur Absicherung drüber: privater Account. Soll ich jetzt auch immer sagen: «Das war Spahn privat»? Ich bin Mitglied der Regierung. Entsprechend werden Sie meine Zitate einsortieren. Die gleichen Massstäbe sollten für Journalisten gelten.

Das hat unter anderem unter Kollegen eine Reihe von Spekulationen ausgelöst, was Spahn eigentlich meint. Oder meinen könnte. Oder gesagt hat. Oder zwischen den Zeilen gesagt hat. Die FAZ formuliert trotzdem sehr deutlich:

Auch forderte er von Journalisten der Öffentlich-Rechtlichen Zurückhaltung auf Twitter.

DJV-Chef Frank Überall sagt:

Die von Herrn Spahn gewünschte Zurückhaltung ist nichts anderes als politisch verordnete Selbstzensur.

Der DJV hat aber offenbar auch nur den FAZ-Artikel gelesen, in dem er selbst zitiert wird. Ich fragte per Twitter:

Ich finde diese Forderung in Spahns Aussagen nicht. Könnt Ihr mir helfen?

Der DJV antwortete:

„Er fordert Zurückhaltung von Journalisten öffentlich-rechtlicher Medien bei privaten Meinungsäußerungen in Sozialen Netzwerken.“ (FAZ) Für uns ist das eine Aufforderung zur Selbstzensur. Für Sie nicht?

Meedia schreibt:

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn fordert Journalisten auf, im Netz weniger private Meinungen zu äußern.

Auch bei Twitter interpretieren ihn viele so.

Mal davon abgesehen, dass Spahns Antwort auf die ihm gestellte Frage keinerlei Sinn ergibt: Ich lese aus seinen Äußerungen weder, dass er direkt, noch, dass er indirekt fordert, dass Journalisten sich auf Twitter zurückhalten sollten oder dass sie dort gar ihre Meinungsfreiheit einschränken sollten. Er möchte lediglich, dass die Regeln, die für ihn gelten, auch für Journalisten gelten – nämlich dass all ihre Äußerungen, wo auch immer, ob bei Twitter oder in Berichten, auch ihnen als Journalisten zugerechnet werden. Es solle keine unterschiedlichen Maßstäbe geben, ob sie sich hier oder da geäußert haben.

Zugegeben, ganz eindeutig kann ich das auch nicht sagen. Denn alle drei Fragen und Antworten zum Thema Medien in diesem Interview sind etwas wirr, weil sie sich nicht logisch aufeinander beziehen. Das macht es so leicht, hineinzulesen, was man hineinlesen möchte. Von einer Forderung, die verurteilenswert wäre, lese ich da aber nichts.

Insofern sind viele von uns Journalisten mal wieder auf ihn reingefallen. Jens Spahn weiß halt, wie er uns triggern kann. Er ist uns voraus. Und führt die Journalisten von FAZ und Meedia vor, die fast genau das gemacht haben, was er im NZZ-Interview bemängelt hat:

Ich bin mit dem Teil des Journalismus unzufrieden, der Zitate verkürzt und den Zusammenhang ausblendet.

Chapeau!


Nachtrag (5. April, 16.45 Uhr): Meedia hat das Thema noch mal weitergedreht.

Spahns Aussage interpretiert Autor Alexander Becker so:

Fasst man den Absatz zusammen, steht da: Jens Spahn stört sich am Twitter-Verhalten öffentlich-rechtlicher Journalisten. Für einen Minister eine erstaunliche Aussage.

Ich finde die Auslegung – wie gesagt – nicht so eindeutig (s.o.). Auf der Grundlage dieser Interpretation hat Becker Reaktionen von prominenten Journalisten eingeholt: von Georg Restle, Anja Reschke und Dunja Hayali. Deren Aufregung verstehe ich nicht wirklich, denn Spahn hat nur Selbstverständlichkeiten ausgesprochen. Er hat weder die Meinungsfreiheit in Frage gestellt (nur genutzt) noch die Pressefreiheit. Die ganze Aufmerksamkeit haben seine Aussagen nicht verdient.


2. Nachtrag (6. April, 23.15 Uhr): Ach ja, Meedia. Da hat sich Alexander Becker festgebissen an Spahns Aussage. Sie ist aber auch zu schön, um sie einfach fallen zu lassen. Jetzt hat Becker auch noch den ARD-Chefredakteur Rainald Becker zur Spahn-Aussage befragt. Und das Interview lässt durchblicken, dass R. Becker die Original-Aussage Spahns auch nicht gelesen hat, sondern sich nur auf die Meedia-Interpretation bezieht, wenn er sagt:

Ich habe grundsätzlich ein Problem damit, wenn Politiker, insbesondere in Ministerrang, öffentlich Journalistenschelte betreiben.

A. Beckers zweite Frage:

Darf Jens Spahn öffentlich-rechtlichen Journalisten sagen, was sie wie wann zu twittern haben?

Kann man natürlich fragen. Hat aber nichts mit Spahns Interview zu tun, weil er da gar nicht vorschreiben wollte, wie getwittert wird. Naja, ich wiederhole mich. Lassen wir das. Ich freue mich auf den nächsten Weiterdreh dieser Nicht-Geschichte.

 

Anmerkung: In Vorbereitung auf die Datenschutzgrundverordnung habe ich Widgets, die sich ursprünglich im Text befanden, entfernt und sie teilweise durch Links ersetzt.