Messen Medien bei Gewalttaten mit zweierlei Maß, abhängig davon, von wem diese verübt wurden?
Seit ein Reichsbürger in Georgensgmünd in Bayern auf vier Polizisten geschossen und sie zum Teil schwer verletzt hat (einer von ihnen ist inzwischen gestorben), wurde der Vorwurf in mehreren Tweets erhoben, zum Teil von Journalisten selbst.
Das ist nach meiner Wahrnehmung aber falsch. Tatsächlich war die Meldung die Top-Nachricht auf den größten Kanälen. Wer sich gestern ein wenig durch die Seiten geklickt hat, konnte das sehen. Wer bei Google News nach „Reichsbürger“ sucht, findet hunderte Ergebnisse.
Der entscheidende Unterschied in der journalistischen Einschätzung liegt vermutlich auch in der Frage begründet, ob es sich bei der Tat des Reichsbürgers um Terror gehandelt hat oder nicht.
Journalisten vertreten dazu unterschiedliche Auffassungen. heute-plus-Moderator Daniel Bröckerhoff etwa spricht nicht von Terror und begründet das in mehreren Tweets damit, dass Terror geplant und gezielt sei, um die Bevölkerung zu verunsichern, was hier augenscheinlich nicht vorliege.
Reichsbürger rechtfertigen die Tat als „Selbstverteidigung“. Terror wär z.B. gewesen, in eine Polizeistation zu gehen und dort Polizisten zu töten.
Den Aspekt der „Selbstverteidigung“ will NDR-Nachrichtenredakteur Michael Draeger dagegen nicht als Abgrenzung gelten lassen:
Mir fällt dabei als Begriff spontan „passiver Terror“ ein. Solange man sie in Ruhe lässt, gehen Reichsbürger dieser Kragenweite möglicherweise nicht gegen Menschen vor, die nicht ihrem fiktiven Staat angehören; wenn der deutsche Staat allerdings sein Recht einfordert, etwa wenn er Steuern eintreiben oder Waffen entziehen will, werden sie gewalttätig.
Dirk Wilking vom Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung würde die Reichsbürger nicht als Terroristen definieren. Er hat im Auftrag des Landes Brandenburg in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz dort ein Handbuch für Behörden (hier als PDF) geschrieben hat über den Umgang mit den sogenannten Reichsbürgern. Er sagte im Interview mit dem Deutschlandfunk:
Es sind keine terroraffinen Leute, sondern sie benutzen das, was ihnen zur Verfügung steht.
Wilking hält die Reichsbürger zwar für verfassungsfeindlich, weil sie den Staat ablehnten, spricht aber nicht von terroristischen Organisationen, weil sie dafür zu zersplittert seien (kein Wunder, wäre ein Zusammenschluss doch in ihrer Logik eine Art Staatenbund).
WDR-Reporter Kai Rüsberg hält die Einschätzung einer terroristischen Tat dagegen durchaus für zutreffend:
Tatsächlich aber ist die Einschätzung, ob es sich hierbei um Terror handelt, nicht entscheidend dafür, ob und wie Journalisten mit dem Thema umgehen. Nachrichtenkriterien orientieren sich schließlich nur zum Teil auch an juristischen, polizeilichen oder sonstwelchen Definitionen wie in diesem Fall der des Terrors. Man kann auch darüber berichten und den Begriff trotzdem vermeiden.
Aus meiner Sicht rechtfertigen vor allem zwei Aspekte eine ausführlichere und überregionale Berichterstattung: die gewaltsame Auseinandersetzung mit vier verletzten Polizeien, die in dieser Form selten ist, sowie der damit verbundene Fokus auf eine offensichtlich bisher unterschätzte Gruppe von Tätern mit einer bestimmten Ideologie, deren Gewaltpotenzial in der Öffentlichkeit so bisher kaum bekannt war oder zumindest nicht zum Tragen kam. Auch wenn dem bereits die Festnahme des Reichsbürgers Adrian Ursache vorausging, der dabei ebenfalls SEK-Beamte verletzte.
Wie ausführlich die Berichterstattung dann tatsächlich ist, ist allein mit Zahlen nicht zu fassen. Denn wie man anhand des eingangs zitierten Tweets mit dem „völlig durchdrehen“ sieht, geht es auch um Bewertungen.
Tatsächlich kann man aber kritisieren, dass über die üblichen Nachrichtensendungen und Informationsformate hinaus keine Sondersendungen ins Programm gehoben wurden, zumal ARD und ZDF unter anderen Umständen nicht gerade hohe Hürden dafür aufbauen. Allerdings brachte diesmal etwa das heute-journal im ZDF zum Reichsbürger nur eine Nachricht im Kurzmeldungsblock und keinen Film. Und das Erste verzichtete auf einen Brennpunkt.
Ob ein fehlender Brennpunkt allerdings wirklich so schlimm war, möchte ich angesichts der Qualität vieler Ausgaben bezweifeln.
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