„Die taz wendet sich gegen jede Form der Diskriminierung“ – im Redaktionsstatut

Journalisten sollten keine Haltung haben dürfen, ist eine unter einigen Kollegen verbreitete Meinung. Objektiv und neutral sollten sie sein (wenngleich das verschiedene Dinge sind) und sich „mit keiner Sache gemein machen“, womit der legendäre Tagesthemen-Moderator und Korrespondent Hanns-Joachim Friedrichs gerne verkürzt und damit sinnentstellend zitiert wird.

Ich halte das für falsch. Journalismus geht nicht ohne Haltung, wie ich hier schon mal ausführlicher beschrieben habe.

Zum Glück halten es viele Kollegen aber auch nicht so – und noch mehr Verlage und Sender und ihre Redaktionen auch. In einer kleinen losen Reihe will ich daher ein paar dieser Dokumente vorstellen, in denen sich Redaktionen auf Werte verständigt haben, nach denen sie arbeiten wollen.

Mit am berühmtesten ist vermutlich das Redaktionsstatut der Tageszeitung taz. Es „regelt die Beziehungen zwischen Redaktion, Redaktionsrat und Chefredaktion sowie zwischen Chefredaktion und taz-Gruppe“, wie es in Paragraph 1 heißt – und:

Das Statut ist in seiner jeweiligen Fassung Bestandteil der Arbeitsverträge der fest angestellten RedakteurInnen, fest angestellten KorrespondentInnen und fest angestellten AutorInnen (im folgenden: RedakteurInnen) einschließlich der Chefredaktion

Dass sich die taz-Mitarbeiter Werten verpflichtet fühlen, zeigt vor allem Paragraph 2, in dem es unter anderem heißt:

(2) Die taz engagiert sich für eine kritische Öffentlichkeit.

(3) Sie tritt ein für die Verteidigung und Entwicklung der Menschenrechte und artikuliert insbesondere die Stimmen, die gegenüber den Mächtigen kein Gehör finden.

Damit stellt sich die taz eindeutig auf die Seite bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, die in der öffentlichen Debatte sonst unterrepräsentiert sind, weil sie zum Beispiel zu klein sind oder keine Lobby haben. Man kann davon ausgehen, dass damit nicht (große) Parteien gemeint sind, Unternehmen, Unternehmensverbände und große Nichtregierungsorganisationen.

Würde man einer strengen Forderung nach Objektivität folgen, würde die taz damit verstoßen, schließlich haben auch und vielleicht sogar gerade die großen Organisationen genauso einen Anspruch darauf, in der öffentlichen Debatte angemessen dargestellt zu werden. Ich finde die Haltung der taz aber legitim, schließlich bekommen die großen Organisationen schon allein aufgrund ihrer Größe und der unterschiedlichen Schwerpunktsetzung anderer Redaktionen in der Regel genug Aufmerksamkeit. Außerdem verfügen sie wegen ihrer Größe oft auch über genug eigene publizistische Macht, um ihre Anliegen in die Öffentlichkeit zu bringen.

Ich erinnere mich an eine Äußerung der damaligen AfD-Chefin Frauke Petry, die einmal gefordert hatte, auch die Positionen ihrer Partei in der öffentlichen Debatte gleichberechtigt darzustellen – dazu gehörten auch rassistische Positionen, die den Menschenrechten und dem Grundgesetz widersprechen. Solche Positionen haben meiner Meinung nach aber keinen Anspruch darauf, als gleichberechtigt dargestellt zu werden.

(4) Die taz wendet sich gegen jede Form von Diskriminierung.

Entsprechend ist auch dieser Satz im taz-Redaktionsstatut zu sehen, in Verbindung mit den folgenden Absätzen:

(5) Für die Redaktion ist Freiheit die Freiheit der Andersdenkenden, entscheidet sich Demokratie an den demokratischen Rechten jedes einzelnen Menschen.

(6) Die Zeitung ist der wahrheitsgetreuen Berichterstattung verpflichtet; sie bekennt sich zur Tradition ihrer publizistischen Sprache, sie widersteht dem Druck der Stereotype und des sprachlichen und thematischen Konformismus, sie gibt den Beiträgen ihrer RedakteurInnen, KorrespondentInnen und AutorInnen besonderes Gewicht.

Dass solche Grundsätze nun ausgerechnet bei der taz zu finden sind, ist vielleicht keine große Überraschung, tritt sie doch dezidiert links auf und wird von ihren Gegnern entsprechend abklassifiziert. Sie ist deswegen möglicherweise nicht das beste Beispiel, um zu zeigen, dass sich Redaktionen durchaus Werten verpflichtet fühlen. In den folgenden Wochen (oder vielleicht auch Monaten) werde ich jedoch ein paar weitere Redaktionen nennen, die sich wenn auch nicht so explizit und ausführlich, aber durchaus zu Werten bekennen.

Breaking News in Delmenhorst

Wie weit darf man als Journalist gehen? Die NDR-Doku „Breaking News in Delmenhorst“ begleitet Reporter, die Unfälle filmen, Brände, Katastrophen überhaupt. Dabei filmen sie nicht nur verunglückte Lastwagen, sondern kommen auch den Verletzten und Toten nahe – und deren Angehörigen. Sie drehen Bilder, die dann später im Fernsehen laufen – in Boulevardmagazinen in privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern, aber auch in der Tagesschau. Kein Job für jedermann.

Der Reporter Julian Amershi arbeitet mit als Blaulichtfilmer und erlebt berührende, aber auch skurrile Momente in einer Welt, in der der Ausnahmezustand der Alltag ist. Eine interessante Reportage aus einer Welt, die auch viele Journalistenkollegen nicht kennen.

Journalismus als Frage der Haltung

Wie viel Haltung brauchen Journalistinnen und Journalisten? Über diese Frage wird in der Branche seit Jahren diskutiert. Kritiker sagen: Ein Journalist mit Haltung berichte nicht mehr objektiv. Andere finden: Journalismus ohne Haltung werde seiner gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht. Beim Frankfurter Tag des Online-Journalismus habe ich dazu Stimmen gesammelt – von Zeit-Redakteurin Mariam, Medienjournalist Stefan Niggemeier und den Youtubern Mirko Drotschmann und Franziska Schreiber. Lesen und hören kann man ihn bei @mediasres im Deutschlandfunk.

Medienethikerin hält Bild-Zeitung für mitschuldig an Anschlägen von Christchurch

Die Debatte über die Berichterstattung über die Anschläge von Christchurch in Neuseeland geht weiter. Im Medienmagazin von B5 aktuell stellt die Medienethikerin Johanna Haberer, Professorin für christliche Publizistik an der Universität Erlangen-Nürnberg, fest, dass sich etwa die Bild-Zeitung zur Mittäterin der Anschläge gemacht hat, indem sie das Video des Attentäters verbreitet hat.

Haberer sagte, die mediale Verbreitung von Terroranschlägen könne dazu führenm, dass Menschen, die ohnehin eine Tendenz dazu haben, sich animiert fühlen könnten, eine ebensolche Tat zu begehen; das hätten Studien gezeigt.

Journalisten müssten den Reflex, sich nicht zum Mittäter zu machen, indem sie die Tat nicht weiterverbreiten, ganz neu einüben, sagte Haberer. Das müssten Journalisten auch als journalistische Ethik an junge Menschen weitergeben.

 

Zum Thema

Medien als Mittäter von Christchurch: ein paar Reaktionen

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#Christchurch: Warum es falsch ist, die Namen der Täter und ihr Manifest zu veröffentlichen

Medien als Mittäter von Christchurch: ein paar Reaktionen

Am Montag habe ich im Deutschlandfunk kommentiert, dass Medien sich zu Mittätern machen, wenn sie den Namen des Attentäters von Christchurch nennen und sein Pamphlet unreflektiert und reflexartig verbreiten.

Der Kommentar hat ein bisschen Widerhall gefunden. So hat sich Matthias Finger für das WDR5-Meinungsmagazin „Politikum“ damit auseinandergesetzt.

Peter Nowak hat den Kommentar bei Telepolis als Aufhänger genommen, um über verschiedene Positionen zum Thema zu berichten.

Schon vor dem Kommentar hatte mir Christopher Lemmer noch mal geantwortet auf meinen Blogpost vom vergangenen Freitag, der wiederum eine Reaktion auf seinen Blogpost war.

Anschläge von Christchurch: Medien machen sich zu Mittätern

Titelseite der Bild-Zeitung vom Samstag

Am Freitag habe ich hier auf Christopher Lemmer geantwortet, warum ich nicht finde, dass der Name des Attentäters von Christchurch genannt werden muss und warum man mit seinem Bekennerschreiben vorsichtig sein muss. Inzwischen hat sich gezeigt, dass einige Journalisten in der Berichterstattung über die Anschläge ihrer Verantwortung wieder nicht gerecht geworden sind und auch getan haben, was ich für problematisch halte. Das habe ich fürs DLF-Medienmagazin @mediasres kommentiert. Das ist naturgemäß keine detaillierte Auseinandersetzung mit Lemmer. Die reiche ich vielleicht noch nach.

#Christchurch: Warum es falsch ist, die Namen der Täter und ihr Manifest zu veröffentlichen

Berichterstattung auf bild.de (Screenshot: bild.de)
Berichterstattung auf bild.de (Screenshot: bild.de)

Der Kollege Christopher Lemmer hat sich durch einen meiner Tweets provozieren lassen und mich mehrmals angegriffen. Ich habe ein wenig überlegt, ob ich mit ihm in den Disput treten will, denn er hat mich an einigen Stellen falsch zitiert, Aussagen von mir falsch ausgelegt, mich und andere beleidigt.

Das ist eigentlich eine schwierige Grundlage für eine Diskussion mit Argumenten. Wenn man das Gegenüber diskreditiert und beleidigt, warum soll man sich also mit so jemanden auseinandersetzen?

Dass ich es trotzdem tue, liegt daran, dass ich mir selber noch mal im Detail darüber klar werden wollte, wie ich das meine und wie ich es vermitteln kann.

Täter verlangen Aufmerksamkeit – Journalisten geben sie ihnen

Ausgangspunkt war dieser Tweet:

Das konkrete Zitat, auf das ich mich beziehe, lautet so:

Der Haupttäter, von dem wissen wir sogar den Namen, es handelt sich um den (…)* Er lebte in Neuseeland, und er wollte, dass die ganze Welt seinen Namen erfährt, denn er hat das gesamte Attentat – die Anfahrt, den Gang in die Moschee, das Attentat selbst – nicht nur gefilmt, sondern auch noch live über seine Facebook-Seite im Internet gestreamt.

* An dieser Stelle nennt der Reporter Name und Details.

Es gibt auch Berichte darüber, dass der Täter ein Manifest ins Internet gestellt haben soll, in dem er seine Motivation darlegt. Hätten Journalisten darüber berichtet, wenn er es einfach so ins Netz gestellt hätte? Wohl nicht. Warum berichten Journalisten also darüber? Weil er Dutzende Menschen umgebracht hat. Was heißt das für andere Täter? Wenn sie ihre Ideen verbreiten wollen, sollten sie etwas tun, das ihnen entsprechende Aufmerksamkeit verschafft.

Ex-Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo und Terrorismusexperte Peter Neumann schrieben schon 2016 in der Süddeutschen Zeitung:

Beim Terrorismus geht es nicht in erster Linie ums Töten. Es geht vielmehr um das „Terrorisieren“, es ist eine spezielle Form der Provokation. Eine Tat, die keine Verbreitung findet, ist daher nutzlos. Schon die Anarchisten machten sich die im 19. Jahrhundert beginnende Massenproduktion von Zeitungen zunutze. In den Achtzigerjahren wurden Flugzeugentführungen für das Fernsehen geradezu inszeniert. Und Timothy McVeigh, der 1995 in Oklahoma ein Verwaltungsgebäude der US-Bundesbehörden in die Luft sprengte, gestand später, er habe dieses wegen des „guten Kamerawinkels“ ausgesucht. Al-Quaida schuf mit dem Einsturz der Twin Towers die bis heute einprägsamsten Bilder eines terroristischen Anschlags. Von Osama bin Laden soll der unter Islamisten geltende Lehrsatz stammen, dass ein Radiosender wichtiger sei als eine Atombombe. Der Anschlag auf die Londoner U-Bahn 2005 soll innerhalb der Organisation kritisch kommentiert worden sein: Unter der Erde gäbe es zu wenig Bilder.

Für Verbreitung aber sind die Täter immer noch auf die Massenmedien angewiesen. Klar, der offensichtliche Haupttäter von Christchurch hat seine Tat bei Facebook live gestreamt. Aber wenn ich ihm auf Facebook nicht folge und das niemand in meiner Facebook-Timeline teilt, bekomme ich es nicht mit. Wenn ich nicht auf Facebook bin, erst recht nicht. Die große Verbreitung erhält so etwas immer noch durch Massenmedien, also journalistische Medien. Denn sie berichten über die Taten.

Christopher Lemmer schreibt:

Die Täter wollen mit ihrer Tat in die Medien kommen? Mag sein, dass die das wollen. Aber was heißt das für Journalisten? Doch wohl sicher nicht, dass sie sich in irgendeiner Weise vom Willen der Täter beeindrucken lassen. Es ist völlig egal, was die Täter wollen. Wer als Journalist ernst genommen werden will, sollte seinen eigenen Willen haben und den auch durchsetzen.

Die Ironie dieser Aussage liegt ja darin, dass der Journalist hier eben nicht seinen eigenen Willen durchsetzt, sondern genau das tut, was der Attentäter beabsichtigt hat. Dieser erzwingt durch seine Tat Berichterstattung, weil sie den Nachrichtenkriterien entspricht, die wir alle gelernt haben und immer wieder anwenden.

Die Frage ist nicht, ob man berichtet, sondern wie

Um nicht missverstanden zu werden: Auf jeden Fall muss über die Taten berichtet werden. Deswegen stimme ich Christopher Lemmer auch zu, wenn er schreibt, dass Journalisten aufzuklären haben. Er schreibt weiter:

Sie sind nicht dazu da, Dinge für sich zu behalten. Wenn ein relevantes Ereignis passiert, ist es guter Journalismus, so viele Informationen über dieses Ereignis zu recherchieren und zu berichten wie möglich. Täter und Opfer, Tathergang, Vorbereitung, Hintergründe, Motive, Reaktionen, Schäden.

Richtig. Aber. Journalisten behalten ständig Dinge für sich. Sie recherchieren immer viel mehr als sie dann an ihre Nutzer weitergeben. Sie treffen nämlich eine Auswahl, ein wesentliches Merkmal ihrer Arbeit. Das heißt auch, dass sie über Täter und Opfer berichten sollen. Und das geht, ganz ohne dass man ihre Namen nennt und sie identifizierbar macht. Im Pressekodex gibt es dazu eine eigene Ziffer (Nr. 11), in der es heißt:

Bei der Berichterstattung über Gewalttaten, auch angedrohte, wägt die Presse das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegen die Interessen der Opfer und Betroffenen sorgsam ab. Sie berichtet über diese Vorgänge unabhängig und authentisch, lässt sich aber dabei nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen.

Und weiter:

Die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen findet ihre Grenze im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen. Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.

Damit will ich nur zeigen: Journalisten haben sich durchaus auf Maßstäbe verständigt, die sie an ihre Berichterstattung anlegen. Fälle wie die Geiselnahme von Gladbeck, der Amoklauf von Winnenden, die Berichterstattung über den Germanwings-Piloten usw. haben gezeigt, dass solche Regeln notwendig sind. Aber auch, dass immer wieder gegen sie verstoßen wird.

Es geht also nicht darum, nicht zu berichten. Es geht um das Wie. Die Kriminologen Frank J. Robertz und Robert Kahr appellieren (im konkreten Fall bei Amokläufen, die ja auch nichts anderes als Anschläge sind) an Journalisten, möglichst keine Porträts der Täter zu zeichnen, die eine Identifikation mit ihnen erleichtern, schreibt Ronen Steinke in der Süddeutschen Zeitung:

Vor allem aber geht es ihnen um etwas, das sie „Täter-PR“ nennen. Der Schulamokläufer im amerikanischen Blacksburg, Virginia, unterbrach 2007 seine Tat, um ein Paket mit Fotos, Texten und Videos für den Fernsehsender NBC in die Post zu geben. Ein finnischer Täter lud sein „Medienpaket“ hoch, zwanzig Minuten bevor er sein erstes Opfer erschoss. 2009 schrieb der Winnenden-Amokläufer über seine Ziele: „Also ich meine nur, man wird noch berühmt und bleibt anderen Menschen im Gedächtnis.“

In der Ankündigung des Sammelbandes von Robertz und Kahr heißt es:

Schulamokläufer und Terroristen sichern sich durch das kalkulierte Ausüben von Gewalt einen Platz in den Schlagzeilen der Weltpresse. Sie folgen damit einer bewährten Kommunikationsstrategie, die ebenso menschenverachtend wie durchschaubar ist. Dieses Kalkül der Täter geht insbesondere dann auf, wenn Medien die destruktiven Botschaften der Täter ungefiltert weitertragen. Sie verbreiten auf diese Weise Angst in der Gesellschaft, belasten die Opfer und liefern im schlimmsten Fall eine Inspiration für Nachahmer.

Auch eine Untersuchung von Jennifer Johnston und Andrew Joy von der Western New Mexiko University kam zu diesem Ergebnis, bezogen auf Amokläufer. Die FAZ zitiert sie so:

Die Identifikation mit früheren Tätern, die durch die extensive Berichterstattung berühmt geworden sind, einschließlich der Veröffentlichung ihrer Namen, Gesichter, Lebensgeschichten und Hintergründe, löst einen mächtigeren Schub in Richtung Gewalt aus als psychische Erkrankungen oder der Zugang zu Waffen.

Und sie gehen weiter:

Johnston und Joy wollen, dass man Amokläufern den Ruhm, den sie suchen, mit einer „Don’t Name Them“-Kampagne verweigert. „Wenn die klassischen und die sozialen Medien übereinkommen würden, die Namen der Täter, ihre Lebensgeschichten und ihre verqueren Ideen nicht mehr zu publizieren, würden wir schon in den kommenden ein oder zwei Jahren eine deutliche Abnahme dieser Tötungen sehen“, schreiben sie in einer Erklärung.

Wenn Journalisten ihre Arbeit machen, halten sie die Nutzer nicht für blöd

Was bringt mir als Nutzer der Name von jemanden, den ich sowieso nicht kenne? Er führt nur dazu, dass derjenige genau die Aufmerksamkeit bekommt, die er sich wünscht, und die er – ich wiederhole das bewusst – nur bekommt, weil er Menschen getötet hat. Er animiert Nachahmer, er wird zum Vorbild für weitere Täter, ebenso, wie er sich möglicherweise prominente Massenmörder zum Vorbild genommen hat.

Das Gleiche gilt für sein Bekennerschreiben.

Es geht nicht darum, dass Nutzer solche Dokumente nicht lesen sollen, weil sie sie nicht einschätzen können. Es geht darum, dass sie überhaupt darauf aufmerksam werden. Denn damit bekommen potenzielle Täter einen Anreiz, genau solche Taten zu begehen. Sie sehen, dass solche Dokumente verbreitet werden. Daran wirken Journalisten mit, wenn sie ihnen genau diese Berichterstattung bieten.

Deswegen verstehe ich auch dieses Argument von Christopher Lemmer nicht:

Und für wie bescheuert halten manche Journalisten eigentlich die Mehrheit der Nichtjournalisten, wenn sie glauben, die werden alle zu Nazis, wenn sie einen Nazi-Text lesen? Und kann irgendjemand erklären, warum diese Deppenlogik für Journalisten nicht gelten soll?

Falls ich gemeint bin: Ich halte die Mehrheit der Nichtjournalisten nicht für bescheuert. Wenn sie das Dokument lesen sollen, bitte sehr. Aber warum muss ich als Journalist es ihnen denn zugänglich machen? Das finden sie schon selbst. Stattdessen sollte ich meine Arbeit machen? Solche Dokumente verlangen Einordnung, die Journalisten liefern können. Denn das ist ihr Job: Kontext liefern. Sie können mit ihrem Fachwissen Hintergründe berichten, Falsches als falsch bezeichnen, Richtiges als richtig, Widersprüchlichkeiten aufdecken, Zusammenhänge erklären. Man kann über den Täter berichten, ohne seinen Namen zu nennen. Ist ganz einfach.

Wenn sie einfach nur weiterreichen, was andere ihnen diktiert haben, machen sie ihren Job nicht. Dann unterwerfen sie sich der Agenda der Täter. Wenn Journalisten sagen, dass die Nutzer ja alles im Original kriegen können und wir das einfach nur weiterreichen, dann können wir unsere Arbeit auch einstellen.

Zwei Ansätze

Es sind in diesen beiden Punkten (Nennung des Namens, Veröffentlichung des Bekennerschreibens), zwei unterschiedliche Ansätze, die Christopher Lemmer und ich verfolgen. Auf eine etwas abstraktere Ebene gehoben, würde ich sagen, dass der Unterschied darin liegt, ob wir uns als außenstehende Berichterstatter verstehen oder als Teil des Spiels.

Die erste, Lemmers Position, geht nicht etwa davon aus, dass unsere Berichterstattung keinerlei Einfluss auf die Ereignisse in der Welt haben. Ich glaube, das ist ihr schon bewusst. Sie lässt sich vielmehr nicht für die Folgen dieser Berichterstattung in die Pflicht nehmen. Das verstehe ich sogar, denn es kann Berichterstattung einschränken, wenn man ständig mögliche Folgen antizipiert. Tut man das nicht, ist man völlig frei in seiner Arbeit – aber eben nicht bei den Konsequenzen.

Ich finde aber, dass wir bestimmte Ergebnisse unserer Berichterstattung durchaus antizipieren müssen. In vielen Situationen tun wir das schon, etwa indem wir eben nicht mehr Geiselnehmer und Geiseln während der Tat interviewen, wie im Fall Gladbeck passiert (siehe Richtlinie 11.2 Pressekodex). Oder indem wir über Selbsttötungen zurückhaltend berichten (Richtlinie 8.7 Pressekodex). Das heißt, wir übernehmen Verantwortung für unsere Berichterstattung.

Wenn wir das nicht tun, besteht eben die Gefahr, dass man von Terroristen instrumentalisiert wird. Terroristen, denen es um die Verbreitung von Terror geht, für die sie uns brauchen, tun das. Und das hat eben nichts mehr mit eigenem Willen der Journalisten zu tun.

 

Nachsatz: Ich mache mir keine Illusionen. Natürlich wird der Name des oder der Täter in so einem Fall immer bekannt. Und die Richtlinie 8.1 des Pressekodex hält das auch für zulässig. Und natürlich werden Kollegen anders entscheiden als ich. Aber das muss für meine eigene Arbeit kein Maßstab sein. Ich sehe das einfach anders, und es gehört zu einer guten Diskussionskultur, das anzuerkennen statt loszuschimpfen.

Und natürlich löst meine Haltung das zugrundeliegende Problem nicht.

Es ist aber auch sinnlos, sich den verantwortungslosen Entscheidungen anderer anzuschließen.

Wie sich Hanns-Joachim Friedrichs mal mit einer Sache gemein machte

Dass der legendäre Tagesthemen-Moderator Hanns-Joachim Friedrichs seine Kollegen dazu aufgerufen hat, sich nicht mit einer Sache gemein zu machen, wird gerade von Zuschauern regelmäßig falsch zitiert. Klar, er hat gesagt:

Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten…

Das hat er aber nicht als Ideal eines guten und unabhängigen Journalisten gemeint, sondern es war konkret auf seine Haltung bezogen, wenn er im Fernsehen moderiert. Wenn man das Zitat im Kontext des gesamten Spiegel-Interviews liest, aus dem es stammt, versteht das.

SPIEGEL: Hat es Sie gestört, daß man als Nachrichtenmoderator ständig den Tod präsentieren muß?

Friedrichs: Nee, das hat mich nie gestört. Solche Skrupel sind mir fremd. Also, wer das nicht will, wer die Seele der Welt nicht zeigen will, in welcher Form auch immer, der wird als Journalist zeitlebens seine Schwierigkeiten haben. Aber ich hab es gemacht, und ich hab es fast ohne Bewegung gemacht, weil du das anders nämlich gar nicht machen kannst. Das hab ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein. Nur so schaffst du es, daß die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören.

Die Geschichte des Missverständnisses erzählt zum Beispiel Sandro Schroeder hier.

Ich komme auf das Friedrichs-Zitat zum einen, weil ich mich im Rahmen eines Seminars mit dem Thema Haltung von Journalisten beschäftigt habe, zum anderen, weil mich Anja Reschke mit ihrem neuen Buch „Haltung zeigen“ auf einen Song von Udo Jürgens aus dem Jahr 1988 gestoßen hat. Darin kritisiert Jürgens die Sexualmoral der katholischen Kirche, die dazu geführt habe, dass die Welt immer stärker bevölkert wird. Das Intro des Songs spricht ausgerechnet: Hanns-Joachim Friedrichs. Der sich die Kritik damit zu Eigen macht. Von wegen „nicht gemein machen“.

Politiker-Zitate im Netz: Ohne Einordnung geht es nicht

Das knackige Politikerzitat ist eine beliebte Form in sozialen Netzwerken. Dabei sind Journalisten nicht dafür da, deren Äußerungen einfach nur weiterzureichen, findet Stefan Fries. Ohne Einordnung und Differenzierung gehe es nicht. Mein Kommentar für @mediasres im Deutschlandfunk.

Haltung zeigen

Ich hab hier im Blog immer wieder über das Thema Haltung im Journalismus geschrieben. Darüber wird in der Branche gerade mehr oder weniger intensiv diskutiert: Ist man als Journalist nur ein möglichst neutraler oder zumindest objektiver Beobachter und dann auch Berichterstatter des Geschehens, der mehr oder weniger nur weiterreicht, was passiert ist? Oder muss er Verantwortung übernehmen für das, was seine Arbeit bewirkt?

Die NDR-Redakteurin Anja Reschke hat dazu eine klare Meinung. Spätestens seit sie 2015 sich in ihrem weltweit beachteten Tagesthemen-Kommentar gegen Hass und Hetze ausgesprochen hat – und genau die dafür geerntet hat – belebt sie mit ihren Äußerungen auch öffentlich die Debatte.

Was ihr dabei wichtig ist, hat sie in einem schmalen Bändchen aufgeschrieben, das vorige Woche veröffentlicht wurde – mit dem Titel: „Haltung zeigen“. Darin fasst Reschke nicht nur ihr eigene Meinung zusammen, sondern greift auch viele Punkte auf, um die es in der Debatte geht. Wer eine klare Meinung zum Thema Haltung lesen will, kann sie hier bekommen – und sich im Zweifel daran abarbeiten.

An mehreren Stellen zitiert Reschke übrigens auch Mails, die sie von Zuschauern bekommen hat, und die – wenn es nicht nur um Beleidigungen und Bedrohungen geht – durchaus interessant zu lesen sind. So zitiert sie einen Zuschauer, der den Zuzug von Flüchtlingen vehement ablehnt, damit, dass er durchaus wisse, was Flüchtlingselend sei – aus Erzählungen seiner Familie. Bloß ziehe er völlig andere Schlussfolgerungen daraus als die, in Deutschland Flüchtlinge aufzunehmen.