Die Pressekonferenz als Bühne (9): Die besondere Dynamik

Auf Pressekonferenzen ist die Möglichkeit von Journalistinnen und Journalisten, zu fragen, begrenzt. Oft ist zunächst immer nur eine Frage erlaubt, in der Bundespressekonferenz auch eine Nachfrage.

Es sind aber ausdrücklich keine Interviews, das heißt, man hat nicht durchgehend das Fragerecht, dementsprechend kann man nur begrenzt nachhaken, wenn einen die Antwort nicht zufriedenstellt. Gemeinsam kann es aber durchaus gehen, wenn Kolleginnen und Kollegen auf den Aspekt einsteigen und die Befragten in verteilten Rollen unter Druck gesetzt werden.

Für meine Sendung „Die Pressekonferenz als Bühne“ habe ich mal anhand eines Beispiels erklärt, wie so eine Dynamik entstehen kann. Es stammt von Mitte März 2021.

(Ich hab im Folgenden dasselbe Youtube-Video mehrmals eingebunden, aber mit unterschiedlichen Timecodes; je nach verlinkter Stelle beginnt die geschilderte Szene durch Klick auf den Play-Button im Video.)

In der Regierungspressekonferenz stellt Nikita Jolkwer von der Deutschen Welle die Frage, ob die Regierung den russischen Corona-Impfstoff Sputnik V bestellen will. Für das Bundesgesundheitsministerium antwortet Hanno Kautz, man wolle erst auf die europäische Zulassung warten. Jolkwer verweist darauf, dass andere Impfstoffe bereits vor der Zulassung bestellt wurden.

Der Journalist Tilo Jung, der vor allem bei Youtube für ein junges Publikum über Politik berichtet, greift die Vorlage seines Kollegen Jolkwer auf.

Tilo Jung: „Das versteh ich jetzt nicht. Warum wird Sputnik V nicht jetzt schon bestellt, wie alle anderen?“

Hanno Kautz: „Herr Jung. Also. Dieses Zulassungsverfahren ist gerade erst eingeleitet worden. Es ist ein Rolling-Review-Verfahren. Es ist mitnichten so gewesen, dass das bei allen anderen Impfstoffen dann zeitgleich bestellt wurde. Außerdem habe ich gerade schon betont, dass wir rund 300 Millionen Impfstoffdosen, glaube ich, insgesamt bestellt haben bei anderen Herstellern. Ob man noch weitere Impfstoffe bestellt, ob man Sputnik V bestellt, kann ich Ihnen im Moment nicht sagen.“

Jung: „Alle Experten, so wie ich sie verstanden habe, sagen: Jeder Impfstoff, der eine sehr gute Chance hat, jetzt zugelassen zu werden, muss jetzt massenhaft bestellt werden. Mich würde interessieren, wieviel… Weil: Sie müssen ja davon ausgehen, dass Sputnik V zugelassen wird: Wieviel haben Sie schon bestellt, wieviel werden Sie bestellen und wie bewerten Sie, dass der Impfstoff jetzt auch in Deutschland produziert werden soll?“

Kautz: „Herr Jung, ich hab doch gerade schon gesagt, dass ich Ihnen nicht sagen kann, ob der Sputnik V bestellt wird, ob wir mit dem Hersteller verhandeln.“

Wie üblich auf einer Regierungspressekonferenz, stellen Journalisten abwechselnd ihre Fragen; wollen Sie ein Thema verfolgen, müssen sie sich erneut melden. Erst rund neun Minuten später ist Nikita Jolkwer von der Deutschen Welle wieder dran.

Nikita Jolkwer: „Herr Kautz, noch mal ganz kurz zurück zu dem russischen Impfstoff. Können Sie ausschließen, dass bei der Entscheidung, ob der Impfstoff bestellt werden soll oder nicht, nachdem er zugelassen ist, politische Überlegungen nicht berücksichtigt werden?“

Kautz: „Ich werd hier nichts aus- oder einschließen.“

Jolkwer: „Also, es kann sein, dass aus politischen Überlegungen der…“

Kautz: „Das hab ich nicht gesagt, das haben Sie gesagt.“

Jolkwer: „Aber Sie können das nicht ausschließen.“

Kautz: „Ich schließe hier nie etwas aus noch ein.“

Weitere dreieinhalb Minuten später setzt Tilo Jung erneut nach.

Jung: „Ich hab trotzdem noch mal ne Lernfrage. Alle bisherigen zugelassenen Impfstoffe, da wurden immer vor der Zulassung bereits Impfmengen, also Produktionsstoffe bestellt. Korrekt?“

Kautz: „Herr Jung, ich glaube, das Thema hatten wir gerade abgehandelt. Ich kann Ihnen nicht mehr dazu sagen, als Sie jetzt fragen wollen.“

Jung: „Wir brauchen in diesem Land und in Europa so viele Impfstoffe wie möglich. Und jetzt machen Sie es zum ersten Mal so, dass Sie erst abwarten, bevor ein Impfstoff zugelassen wird, bevor Sie riesige Mengen bestellen. Ich versteh das nicht, warum Sie ausgerechnet bei diesem Impfstoff keine… dass Sie da keine Bestellung aufgegeben haben.“

Kautz: „Herr Jung, wenn, dann sprechen wir sowieso darüber, dass in kleinen Mengen Impfstoff für Europa zur Verfügung stehen könnte. Und außerdem, im Vergleich dazu, haben wir sehr viele Impfstoffe schon gesichert.“

Jung: „Aber nicht genug.“

Kautz: „300 Millionen. Ich weiß nicht, wie viele Einwohner Sie in Deutschland rechnen.“

Doch auch ein letzter Versuch eines Kollegen bringt nichts.

Kautz: „Herr Jessen, ich hab dem nichts hinzuzufügen.“