Wenn zwei antreten, ist es eine Kampfkandidatur – wenn einer antritt, ist es eine Wahl

Wenn es in der CDU-Bundestagsfraktion am Dienstag um den Vorsitz geht, werden viele Journalisten wieder einen ihrer liebsten Begriffe auspacken: die Kampfkandidatur.

Denn schließlich hat Amtsinhaber Volker Kauder tatsächlich mal einen Gegenkandidaten – zum ersten Mal, seit er 2005 Fraktionsvorsitzender wurde: den Kollegen Ralph Brinkhaus aus Gütersloh. Schon als Brinkhaus seine Kandidatur ankündigte, lauteten die Schlagzeilen entsprechend, zum Beispiel bei tagesschau.de:

Die shz.de schrieb:

Und Focus online:

Und so weiter. „Kampfabstimmung“, „Kampfkandidatur“ – Journalisten lieben das Wort Kampf.

Das klingt dramatisch, unerhört, skandalös. Obwohl es so banal ist: Die Abgeordneten können tatsächlich mal ihr demokratisches Recht wahrnehmen und sich zwischen zwei Kandidaten entscheiden – zum ersten Mal seit 13 Jahren.

Klar, man kann natürlich von Kampfkandidatur schreiben, wenn man den Wettbewerb um einen Posten als demokratischen Kampf um ein Amt sieht. Dass der Begriff nicht wörtlich gemeint ist, ist auch klar. Das Problem ist nur, dass die Journalisten damit eine Dramatik hereinbringen und etwas Unerhörtes mitschwingen lassen: dass sich jemand erdreistet, den Amtsinhaber herauszufordern und ihm womöglich sein Amt wegnehmen könnte.

Was ist eine Kampfkandidatur, was eine Wahl?

Ich verstehe die Kollegen, die auf das Neue aus sind, auf Dramatik, auf Konflikt, auf Personen – so was funktioniert immer gut. Allerdings wird damit ein ganz normaler demokratischer Vorgang unnötig aufgeladen. Schließlich gibt es, legt man diese Logik zugrunde, ständig Kampfkandidaturen: Bei jeder Bundestagswahl treten in allen Wahlkreisen Kandidaten verschiedener Parteien gegeneinander an. All das müssten dann Kampfkandidaturen sein – weil eben nicht nur ein Kandidat gesetzt ist, der dann so oder so das Rennen machen wird.

Aber auch das wäre nicht so schlimm, wenn nicht gleichzeitig ein wesentlich weniger demokratischer Akt als „Wahl“ verbrämt würde – nämlich dann, wenn es nur einen Kandidaten gibt. Wenn Volker Kauder als einziger Kandidat für das Amt des Fraktionsvorsitzenden antritt, soll das eine Wahl sein? Wenn die Abgeordneten nur ihn wählen oder sich stattdessen enthalten oder ungültig wählen oder gar nicht teilnehmen können – das soll eine Wahl sein?

Dass sich Parteien und Fraktionen auf solche Verfahren festlegen, um den Eindruck von Zerstrittenheit zu vermeiden, ist mir natürlich bewusst. Gerade CDU und CSU lieben normalerweise die Geschlossenheit (von Alleingängen Seehofers in den letzten Jahren mal abgesehen), während SPD-Chefin Andrea Nahles eine Gegenkandidatin hatte und besonders bei den Grünen hart um Vorsitz und Spitzenkandidatur gerungen wurde.

Es bleiben genug Aufreger

Journalisten haben natürlich keinen Einfluss auf so etwas – oder etwa doch? Vermeiden Parteien solche echten Wahlen nicht vielleicht auch deswegen, weil sich Journalisten dann mit solchen Begriffen darauf stürzen? Dafür spricht, dass offenbar intern viel versucht wurde, um Ralph Brinkhaus von einer Gegenkandidatur abzubringen. Wohl um genau den Eindruck zu vermeiden, dass sich eine Fraktion aus 246 Abgeordneten mal nicht einig sein könnte.

Etwas Abrüstung täte so oder so gut. Demokratie ist der Streit mit Argumenten um Mehrheiten. Zu allem gibt es Alternativen, zu Themen genauso wie zur Besetzung von Posten. Also lasst uns doch lieber gelassener herangehen. Es bleiben genug Aufregerthemen.

 

Die Überschrift lehnt sich an einen Text von Volker Pispers an.