Soll man über jedes der berühmten Stöckchen springen, das einem die AfD hinhält? Am Wochenende haben viele Kollegen in Artikeln und Tweets darüber diskutiert, wieviel Aufmerksamkeit man der Äußerung von AfD-Fraktionschef Alexander Gauland schenken sollte.
Ich gebe zu, dass ich da lange unentschieden war und auch jetzt noch nicht völlig überzeugt von einer der beiden Extrempositionen: entweder die Aussage komplett zu ignorieren, um ihm keine unnötige Aufmerksamkeit zu geben, oder sie als nicht hinnehmbar zu skandalisieren. Tatsächlich spricht viel für letzteres, denn ein Skandal sind die Äußerungen ja. Dass Gauland sich schon zuvor rassistisch und geschichtsvergessen geäußert hat, sollte dabei keine Rolle spielen: Nur weil seine Aussagen in der Substanz nicht neu sind, sind sie nicht weniger skandalös.
Mir geht es im Rahmen der Diskussion um einen Aspekt, der eher am Rande vorkommt, wenn überhaupt: Gehen wir Journalisten richtig mit der Aussage um? Auslöser für den Skandal waren ja diese Worte Gaulands am Wochenende:
Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über tausend Jahre erfolgreicher deutscher Geschichte.
Wenn ich das richtig mitbekommen habe, sind sie durch einen Tweet der Deutschen Welle in dieser Kurzform zuerst in die Welt gesetzt worden.
Gauland hat diesen Satz aber nicht losgelöst gesprochen, sondern sie waren eingebettet in eine Rede. Gibt man dem Ausschnitt etwas mehr Kontext, lautete die Aussage so:
Wir haben eine ruhmreiche Geschichte. Daran hat vorhin Björn Höcke erinnert. Und die, liebe Freunde, dauerte länger als die verdammten zwölf Jahre. Und nur, wenn wir uns zu dieser Geschichte bekennen, haben wir die Kraft, die Zukunft zu gestalten. Ja, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die zwölf Jahre. Aber, liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über tausend Jahre erfolgreicher deutscher Geschichte.
Dass die AfD-Fraktion dieses Zitat in einer Mitteilung auf ihrer Homepage verfälscht, ist die eine Sache. Aber sollten wir Journalisten Gauland nicht in Gänze zitieren, um unserer Verantwortung einer sachlich zutreffenden Berichterstattung gerecht zu werden? Das führt nicht zwangsläufig dazu, ihn von den Vorwürfen zu entlasten, denn auch die Einbettung in größeren Kontet macht die Aussage nicht besser. Aber es entlastet Journalisten vom Vorwurf, eben nicht korrekt oder nicht in Gänze zitiert zu haben.
Das längere Zitat relativiert die Aussage nicht
Denn natürlich muss man auch Gaulands geäußertes Bekenntnis „zu unserer Verantwortung für die zwölf Jahre“ erwähnen. Das relativiert meines Erachtens die anderen Worte Gaulands gar nicht, es entlarvt sie nur noch deutlicher, weil sie die Widersprüchlichkeit aufzeigt. Man kann sich nämlich nicht zu einer Verantwortung bekennen, die man im nächsten Satz gleich wieder implizit zurückweist. Es zeigt meines Erachtens eher, dass die vorausgehenden Worte nur deshalb gewählt werden, um sich nicht angreifbar zu machen und um im Zweifel darauf verweisen zu können, missverstanden worden zu sein.
Die Skandalisierung der wenigen Worte führt nämlich auch dazu, dass der restliche Kontext auch ansonsten nicht ausreichend betrachtet wird. Von einer tausendjährigen deutschen Geschichte zu sprechen, ist nach Ansicht von Historikern nämlich gar nicht haltbar; vielmehr knüpft der Begriff sprachlich an das tausendjährige Reich an, das die Nationalsozialisten propagiert haben. Dieses Framing mag viel wichtiger sein als das einzelne Zitat Gaulands.
Auch in den 988 übrigen Jahren ist dieses „Deutschland“ übrigens natürlich keineswegs durchgehend ruhmreich gewesen (wie auch immer man diesen Begriff definieren mag); angefangen damit, dass es in dieser nur rund 90 Jahre Demokratie gab, wie Matthias Quent feststellt, geschweige denn einen Einheitsstaat, fortgesetzt mit Dutzenden Kriegen, Hungersnöten, Krankheiten und Seuchen, worauf Alexander Nabert hinweist.
So sprechen wir aber nur über dieses eine Zitat, das dann – in der Form, in der es gefallen ist – von AfD-Politikern leicht umgedeutet werden kann. Nicht nur durch die Verfälschung vom „Vogelschiss“ zum „Fliegenschiss“, wie ich hier dargestellt habe. AfD-Pressesprecher Christian Lüth verteidigt die Aussage zum Beispiel so:
Was einen gewissen Witz hat, denn auf ein Missverständnis legt es Gauland ja in der Regeln an. Er selbst verteidigte sich (zitiert nach FAZ) so:
Ich habe den Nationalsozialismus als Fliegenschiss bezeichnet. Das ist eine der verachtungsvollsten Charakterisierungen, die die deutsche Sprache kennt. Das kann niemals eine Verhöhnung der Opfer dieses verbrecherischen Systems sein
Mal von der Verschiebung von Wortlaut und Wortbedeutung – „Vogelschiss“ zu „Fliegenschiss“ – und der Einlassung, dass sei „eine der verachtungsvollsten Charakterisierung“, abgesehen, zeigt sich hier genau das erwähnte Muster, Kritik zurückzuweisen, indem auf eine andere Bedeutung verwiesen hat.
Auf der Suche nach einem längeren Redeausschnitt bei YouTube bin ich auf ein Dutzend Videos gestoßen, in denen Medien die Verkürzung vorgeworfen wird. Nun geht es mir nicht darum, den dahinter stehenden Verschwörungstheoretikern entgegenzukommen, denen man auch mit einem vollständigen Zitat genug Anhaltspunkte gegeben hätte, sich zu beklagen. Aber Sie haben Recht damit, dass das Zitat verkürzt wurde.
Aussagen transportieren doppelte Botschaft
Ich glaube, dass man mit solch einer unsauberen Arbeit nicht um Vertrauen wirbt, das Medien bei vielen AfD-Anhängern verloren haben. Sie werden nur allzu leicht von der Partei darauf hingewiesen, dass das Zitat unzulässig verkürzt wurde. Das wird der Strategie der Partei nur allzu gerecht. Sie legt es ja darauf an, ihre Provokationen so zu setzen, dass die Botschaft an ihre Anhänger klar wird, gegenüber der kritischen Öffentlichkeit allerdings darauf verwiesen werden kann, dass man es nicht so gemeint habe. Man kann das so gut an diesem Beispiel sehen wie an Björn Höckes Rede vom „Mahnmal der Schande“.
Während Gauland im aktuellen Fall den Begriff „Fliegenschiss“ in der Rede verwendet, um den Nationalsozialismus zu einer unbedeutenden Episode der Geschichte zu erklären, deutet er ihn nach der Kritik um zu einer verachtenswerten Episode.
Ähnlich ging damals Björn Höcke vor. Im Januar 2017 sagte er, übrigens ebenfalls auf einer Veranstaltung der „Jungen Alternative“, wie gerade Gauland, mit Blick auf das Berliner Holocaust-Mahnmal: