Umfragen sind äußerst beliebt bei Journalisten. Viele Redaktionen starten gerne eigene im Internet. Besonders aussagekräftig sind die Ergebnisse aber nicht und gefährden damit die journalistische Glaubwürdigkeit. Der Presserat hat jetzt eine manipulierbare Online-Umfrage des Münchner Merkurs beanstandet, wie ich für @mediasres im Deutschlandfunk berichtet habe.
Monat: März 2018
Presserat rügt „Schmutzkampagne“ der Bild
Die Bild-Zeitung hat Ansehen und Glaubwürdigkeit der Presse beschädigt. Sagt der Presserat und bezieht sich damit konkret auf die Berichterstattung der Bild über eine angebliche Schmutzkampagne der SPD, die sich später als Satireaktion der Titanic herausstellte (#miomiogate).
Obwohl die SPD in dem Artikel die angeblichen Mails ihres Juso-Chefs mit offensichtlichen Argumenten wie der falschen Endung der Email-Adresse dementierte, veröffentlichte BILD die Geschichte trotzdem
schreibt der Presserat (PDF) – und weiter:
Der Presserat sieht darin einen schweren Verstoß gegen das Wahrhaftigkeitsgebot in Ziffer 1 des Pressekodex. Diese Irreführung der Leser beschädigt Ansehen und Glaubwürdigkeit der Presse, so der Presserat, der deshalb eine öffentliche Rüge erteilte.
Chefredakteur Julian Reichelt hat mal gesagt:
Es fällt mir grundsätzlich leicht, mich zu entschuldigen, wenn wir Fehler gemacht haben.
Es stellte sich dann aber heraus, dass er nur Fehler meinte, die er selbst auch so einschätzt. Bei der Titanic-Aktion sah er die nicht so richtig. Es bleibt also abzuwarten, wie er mit der öffentlichen Rüge des Presserats umgeht. Zu der schreibt der Presserat grundsätzlich:
Die öffentliche Rüge ist die härteste Sanktion der Beschwerdeausschüsse. Sie muss von der Redaktion in einer ihrer nächsten Ausgaben veröffentlicht werden.
Für den „Groko-Hund Lima“ gab es übrigens eine Missbilligung des Presserats, weil die Bild gegen Grundsätze der Recheche und das Wahrhaftigkeitsgebot verstoßen habe. Die „Krawall-Barbie“ der Bild fand der Rat dagegen in Ordnung.
„Der Tag“ im Deutschlandfunk: Wie entsteht eine Podcast-Episode?
Was steckt hinter den Nachrichten und Eilmeldungen des Tages? Das versucht der Deutschlandfunk seit September werktäglich im Podcast „Der Tag“ zu beantworten. Wie die Themen ausgewählt werden und wie daraus eine Ausgabe des Podcasts entsteht, stellt Sandro Schroeder in einer Sonderausgabe dar. Ein gutes Beispiel für Transparenz im Journalismus.
Warum Verallgemeinerung fast immer falsch ist
Wir brauchen Medienkritik. Warum sollte ausgerechnet die Arbeit von Journalisten der Kritik entzogen sei, wo doch sonst alles und jeder sich der öffentlichen Beurteilung stellen müssen?
Natürlich gibt es keine Pflicht für denjenigen, der kritisiert, dabei auch fundierte Kritik zu liefern, rein sachliche oder auch nur konstruktive Kritik. Jeder darf kritisieren, wie er will.
Wenn er aber etwas erreichen möchte, nutzt es wenig, pauschal zu kritisieren und alle Medien über einen Kamm zu scheren. Wenn er nicht Ross und Reiter nennt, fühlt sich niemand angesprochen und wird seine Berichterstattung dementsprechend nicht ändern.
Daran musste ich denken, als ich heute diesen Tweet gelesen habe:
So eine Kritik an „den Medien“ kann natürlich nur falsch sein. Wer pauschal wird, liegt damit fast immer falsch.
Man muss den Satz nicht haarklein analysieren, um ihn zu widerlegen. Er soll auch nur als Beispiel dafür dienen, dass der Ärger über ein paar Berichte gleich zu einer Generalkritik ausarten kann, die gleich auch all das mitmeint, was man eigentlich gut findet.
Natürlich gab es Berichte über die Outfits der neuen Ministerinnen, aber es gab eben auch mehr: Berichte über die Wahl der Kanzlerin, über die Vereidigung der Minister, über den Arbeitsbeginn der neuen Bundesregierung. Und auch über die Debatte über §219a und das Urteil des Bundesgerichtshof habe ich diese Woche gelesen. Es ist also weder so, als hätten sich „die Medien“ ausschließlich auf das Kleiderthema gestürzt, noch haben sie die anderen Themen vernachlässigt.
Wer so pauschal argumentiert, sieht höchstens die eigene Meinung nicht ausreichend repräsentiert, aber das kann kein Argument für Journalismus sein.
Und so entwertet eine solche Verallgemeinerung das beste Argument. Auch wenn sich der Kritiker nur mal Luft verschaffen wollte, hilfreich ist so etwas nicht.
Die unseriösesten Umfragewerte der Woche
WDR2 hat die richtige Antwort gefunden auf die Flut von Umfragen, die vorgaukeln, abzubilden, was „die Deutschen“ denken und wollen. Tom Beinlich von Infam, dem Institut für angewandte Meinungsmache, präsentiert jeden Mittwoch „die unseriösesten Umfragewerte der Woche“ – in der „Meinung am Mittwoch“. Wenngleich ich mir noch unseriösere Werte vorstellen kann…
FAZ versteckt eigene „Staatsfunk“-Wortwahl hinter der AfD
Die Comedyredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat wieder zugeschlagen.
Im Artikel über eine Umfrage zu ARD und ZDF tut sie so, als würden nur Spitzenpolitik der AfD von „Staatsfunk“ sprechen, dabei machen das Autoren der FAZ in ihren Artikeln selbst so (zum Beispiel hier). Der ungenannte Autor dieses Artikels hätte hinzufügen sollen, dass es nicht nur die Spitzenpolitiker sind, sondern auch die FAZ, die diesen Begriff benutzt.
Es fällt wirklich schwer, die FAZ in ihrer Berichterstattung zu Medienthemen noch ernstzunehmen.
Im „Handelskrieg“ bitte sprachlich abrüsten
In den letzten Tagen ist die Auseinandersetzung zwischen den USA und der EU über die Besteuerung von Waren offensichtlich außer Kontrolle geraten – in jedem Fall sprachlich. Plötzlich ist auf beiden Seiten von einem Handelskrieg die Rede. Also von einem Krieg.
Angefangen vom US-Präsidenten selbst, aber gerne aufgegriffen von Politikern in der EU und in Deutschland – weitgehend kritiklos weitergetragen von deutschen Medien. Nur ein paar Beispiele:
Und so weiter.
Besonders treffend ist diese Wortwahl nicht – und überdies äußerst wertend.
Um an die Definition des Duden zum Wort Krieg zu erinnern:
mit Waffengewalt ausgetragener Konflikt zwischen Staaten, Völkern; größere militärische Auseinandersetzung, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt
Nichts davon trifft auf eine Auseinandersetzung über Zölle zu. In der Wortwahl schwingt eine Bedrohung für Leib und Leben mit, die in Wirklichkeit nicht gegeben ist. Der Begriff ist aufmerksamkeitsheischend und soll eine besondere Dramatik in der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung zwischen beiden Seiten beschreiben. Dabei emotionalisiert er den Konflikt aber und schürt beim Rezipienten möglicherweise Angst.
Selbst wenn man diese Wortwahl aber grundsätzlich akzeptiert, ist sie im Moment auch abseits der Duden-Definition nicht sonderlich klug. Denn was soll jetzt noch kommen? Wir sprechen hier über Zölle auf Stahl und Motorräder. Das ist angesichts des Protektionismus zwischen Staaten noch vor ein paar Jahrzehnten nicht viel. Wird dann demnächst getitelt „Handelskrieg eskaliert“, wenn auch Autos und Whisky mit Zöllen belegt werden? Oder muss man dann von einem „nuklearen Handelskrieg“ sprechen, damit überhaupt noch deutlich wird, von welchen Dimensionen wir sprechen? Wohin soll das alles sprachlich noch führen, wenn man schon am Anfang sprachlich zum Äußersten greift?
Kriegsmetaphern sind grundsätzlich keine gute Wahl, wenn wir nicht über Krieg sprechen. Denn was unterscheidet den Bürgerkrieg sprachlich noch vom Handelskrieg? Warum sollte uns der Krieg in Syrien noch interessieren, wenn wir einen eigenen Krieg mit den USA führen?
Natürlich müssen Journalisten den Begriff transportieren, wenn er von Politikern benutzt wird, denn korrekt zitieren gehört ja dazu. Und deren Wortwahl deutet womöglich darauf hin, auf welcher Eskalationsstufe sie den Konflikt sehen. Aber Journalisten sollten sich einen solch wertenden Begriff nicht zu eigen machen und ihn tunlichst vermeiden.
Neubeginn
In einer Woche läuft wieder der Literaturmarathon bei WDR5. Ausschnitte aus rund 100 Büchern, vorgeschlagen von Lesern, ausgewählt von Kollegen und mir. Diesmal das Thema: Neubeginn.
Geschichten, die vom Loslassen, Neudenken, Mutfassen, 180-Grad-Wendungen erzählen. (…) Quer durch die Literatur haben sich Autorinnen und Autoren mit dem Thema „neu beginnen“ befasst. Vorgeschlagen von Literaturfans aus dem ganzen Land, lesen starke Stimmen Passagen aus 100 Büchern, die von diesen Zäsuren handeln. Darunter Sabine Postel, Wilfried Schmickler, Sabine Heinrich, Heikko Deutschmann, Christine Westermann, Mark Benecke, Günter Wallraff, Frank Plasberg, Susanne Pätzold, Jan-Gregor Kremp, Nina Vorbrodt, Jonas Baeck, Ranga Yogeshwar, Jochen Busse und Mitglieder des WDR Sprecherensembles.
Die 24-stündige Lesung läuft von Freitag, dem 9. März um 22 Uhr bis Samstag, den 10. März um 22 Uhr. Diesmal von mir mit dabei:
zwischen 0 und 2 Uhr
Nick Hornby: A Long Way Down
zwischen 2 und 4 Uhr
J.K. Rowling: Harry Potter und der Stein der Weisen
zwischen 4 und 6 Uhr
Claudia Schreiber: Emmas Glück
Joël Dicker: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
zwischen 10 und 12 Uhr
Didier Eribon: Rückkehr nach Reims
zwischen 12 und 14 Uhr
Erich Kästner: Drei Männer im Schnee
zwischen 18 und 19 Uhr
Hanns Dieter Hüsch: Hagenbuch und die Geschichte
zwischen 20 und 22 Uhr
Ursula Krechel: Landgericht
Pressegroßhandel: „Freier Markteintritt ist gewährleistet“
Seit heute gelten neue finanzielle Rahmenbedingungen für den Pressevertrieb. Die Handelsspannen aller gut verkaufenden Titel wurden deutlich abgesenkt. Darüber habe ich in @mediasres im Deutschlandfunk mit Kai Christian Albrecht gesprochen, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Presse-Grosso. Er sagte: „Unser System ist hocheffizient“.