Der Umgang mit Fehlern – immer noch eine schwierige Übung für Journalisten

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Es ist erstaunlich, wie ausführlich immer noch darüber diskutiert wird, ob Journalisten Fehler machen. Als es auf der Jahrestagung des Netzwerks Recherche in Hamburg um eine neue Fehlerkultur ging – also die Frage, wie Journalisten mit Fehlern umgehen sollten – wurde überraschend lange darüber diskutiert, ob sie überhaupt Fehler machen und was eigentlich als Fehler angesehen wird. Das zeigt, wie wenig entwickelt diese Fehlerkulturen in vielen Redaktionen eigentlich sind.

Zwar gab es recht schnell Einigkeit in der Frage, ob sachliche Fehler, Rechtschreibfehler, Vertauschungen, falsche Fernsehbilder, falsch übersetzte fremdsprachliche O-Töne korrigiert werden müssen. (Ja, müssen sie.) Wie das passiert, war allerdings umstritten. Medienkritiker Stefan Niggemeier fordert schon seit Langem, dass Journalisten damit an die Öffentlichkeit gehen sollten. Ihre Situation habe sich geändert, findet er; heute müssten die Leute nicht mehr glauben, was ihnen Journalisten erzählen, sie könnten sich stattdessen aus den besten und schlechtesten Quellen informieren. „Das ist das Dramatischste, was sich verändert, dass dieses Monopol weg ist“, sagte Niggemeier in Hamburg. Medien müssten darauf mit mehr Transparenz und einer Fehlerkultur reagieren.

Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke zeigte sich skeptisch, dass diese Offenheit wirklich zielführend ist und belohnt wird. Angesprochen auf das Tagesschau-Bild von der falschen Deutschlandflagge sagte Gniffke, manche Fehler ließen sich nur schwer kaschieren. Allerdings würden alle Fehler analysiert, berichtigt und transparent gemacht. Man müsse jedoch aus taktischen Gesichtspunkten überlegen, ob das insgesamt zum Erfolg führe, sagte Gniffke. Er ist gegen einen Transparenzkult, denn durch das öffentliche Eingeständnis selbst kleinster Fehler würden diese erst richtig groß gemacht.

Selbstkritik wird nicht belohnt

Tatsächlich haben öffentlich-rechtliche Sender damit in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen gemacht. So hatte Gniffke laut Focus eingeräumt:

„Wenn Kameraleute Flüchtlinge filmen, suchen sie sich Familien mit kleinen Kindern und großen Kulleraugen aus.“ Tatsache sei aber, dass „80 Prozent der Flüchtlinge junge, kräftig gebaute alleinstehende Männer sind“.

Ein Eingeständnis, für das Gniffke geprügelt wurde, so dass er heute sagt: „Fehler muss man korrigieren, man muss sie aber auch nicht zelebrieren.“ Man müsse immer abwägen: Wie schwer ist der Fehler, der gemacht wurde? Wie schwer ist das Geschütz, das wir dann auffahren? Gniffke sieht sich nicht belohnt durch das öffentliche Eingeständnis von Fehlern. Er sagte, je öfter wir über unsere Glaubwürdigkeit und unsere Fehler redeten, desto mehr würden die Leute ihre Zweifel bekommen.

Auch ZDF-Chefredakteur Elmar Theveßen hat eine Welle von Kritik abbekommen. Nachdem die Hauptausgabe von „heute“ am 4. Januar nicht über die Silvesterübergriffe in Köln berichtet hatte, obwohl deren Dimension durch eine Pressekonferenz am Nachmittag offenbar geworden war, entschuldigte sich Theveßen öffentlich – und wurde dafür angegriffen. Er sprach in Hamburg von einer seltsamen Situation.

Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hatte die Berichterstattung von ARD und ZDF damals kritisiert – und bezog sich ausgerechnet auf die beiden Beispiele, in denen Fehler eingestanden wurden. Stefan Niggemeier schrieb daraufhin:

(…) Eigentlich wollen wir doch, dass Medien sich endlich zu mehr Selbstkritik durchringen. Dass sie öffentlich einräumen, wenn sie Fehler gemacht haben; dass sie sich gegebenenfalls entschuldigen; dass sie zu ihren Versäumnissen stehen.

Was ist aber, wenn diese Eingeständnisse ausschließlich als Munition gegen diejenigen verwendet werden, die sie äußern? Wenn sie nicht als Indiz dafür genommen werden, dass sich die Verantwortlichen kritisch mit ihrer eigenen Arbeit auseinandersetzen, sondern als vermeintlichen Beleg dafür, dass die Situation so schlimm ist, dass selbst die Verantwortlichen nicht mehr alles leugnen können?

In Hamburg sagte er jetzt, da müssten die Medien jetzt erst mal durch. Was als Selbstkritik gedacht war, wie bei Gniffke, sei als Eingeständnis genommen worden, dass die Zuschauer belogen werden, sagte Niggemeier in Hamburg. Er glaube trotzdem, dass das der einzige Weg sei – die einzige Chance, dass man Medien trauen kann. Langfristig helfe das.

Es versendet sich nichts mehr

Der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo, der heute das Recherchebündnis von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung leitet, stimmt zu. Alte Journalistenweisheiten wie „Nichts ist älter als die Zeitung von gestern“ und „Das versendet sich“ stimmten heute einfach nicht mehr. Mascolo gab sich beschämt für die gesamte Branche und sein eigenes berufliches Leben, dass sich viele Journalisten nie dazu verpflichtet sahen, Fehler transparent zu korrigieren. Dabei könnten wir Journalisten davon nur profitieren.

Mascolo verwies auf Kritik von Zuschauern, die fragen würden: Legt Ihr die gleichen harten Maßstäbe, die Ihr an andere anlegt, auch an Euch selbst an? Für den Unwillen, mit eigenen Fehlern umzugehen, habe unser Publikum ein ganz gutes Gespür. Das Korrigieren von Fehlern müsse eine Verpflichtung gegenüber dem Publikum sein, so Mascolo, aus Liebe zum eigenen Beruf und handwerklichen Standards. „Das darf in Zukunft nicht mehr verhandelbar sein“, egal wie die Reaktionen ausfallen.

Mascolo und Niggemeier brachten das Amt eines Ombudsmanns ins Spiel. In den USA haben einige Medien Ansprechpartner für ihre Nutzer benannt, die deren Fragen an die Redaktion weitergeben können. So hat etwa Margret Sullivan bei der New York Times vier Jahre lang Anregungen und Kritik der Nutzer aufgenommen und in der eigenen Redaktion recherchiert, wie mit Themen umgegangen wurde, warum so und nicht so berichtet wurde, wie es zu Fehlern kam. Mascolo fordert, dass so ein Ombudsmann oder eine Ombudsfrau intern nach denselben Maßstäben recherchieren müsste, mit denen Journalisten sonst außerhalb auch recherchierten.

Niggemeier als Ombudsmann beim Spiegel?

Als Mascolo Chefredakteur des Spiegel war, wollte er solch einen Ombudsmann installieren. In Hamburg verriet er, dass er dafür Stefan Niggemeier gewinnen wollte. Warum es nicht dazu kam, dazu haben beide allerdings unterschiedliche Erinnerungen.

Mascolo sagte, ein gut eingesetzter Ombudsmann könne der Glaubwürdigkeit des ganzen Systems dienen. Gniffke lehnte das für seine Redaktion allerdings ab. Er beschäftige ohnehin jeden Tag zwei Leute damit, Beschwerden nachzugehen. Theveßen verwies auf Entwicklungen im ZDF: Es gebe inzwischen eine Korrekturspalte auf heute.de, Programmbeschwerden seien einfacher geworden, seit sie auch per Mail eingereicht werden könnten, „unsere Antworten sind sachlicher geworden“ und auch selbstkritischer, sagte Theveßen. Man stelle sich per Talk und Chat dem Zuschauer, auf Wegen wie heute plus und Facebook. „Ich glaube, wir sind gar nicht so schlecht“, sagte er.

Moderator Peter Grabowski brachte eine Erfahrung ins Spiel, die ich als Journalist auch immer wieder mache: Leser, Hörer, Zuschauer, Nutzer sind ziemlich schnell in ihren Urteilen und, so Grabowski, sie maßen sich Urteile über hochkomplexe politische Dinge an, die sie etwa der Bundeskanzlerin über ihren eigenen Job nie zugestehen würden. Er habe das Gefühl, dass viele Leute nicht verstünden, wie dieses Land funktioniert, geschweige denn die Medien. Zwischen „würfeln“ und „die CDU ruft an und sagt, was wir berichten müssen“ sei alles dabei. Wir sollten vielleicht viel deutlicher erklären, was wir machen, so Grabowski. Und die freie Journalistin Andrea Hansen fügte aus dem Publikum hinzu, dass wir uns zum einen mehr in die Karten schauen lassen müssten, zum anderen aber auch zeigen, was uns immer noch zum Profi mache bei der Berichterstattung über sowie der Einordnung und Kommentierung von Ereignissen. Vorbildlich gelungen ist das übrigens bei der Featurereihe „Der Anhalter“, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe.

ZDF-Chefredakteur Elmar Theveßen sagte, sein Sender habe jeden Freitag bei heute plus und bei Facebook live gezeigt, wie sie was gemacht hätten. Moderator Daniel Bröckerhoff nimmt regelmäßig vor den Sendungen Zuschauer per Periscope mit in die Redaktion oder ins Studio.

Theveßen hält das aus zwei Gründen für notwendig, sagte er in Hamburg: Erstens sei es eine Frage des Anstands, und zweitens: „Es wird nicht besser werden, was das wachsende Misstrauen in Medien angeht durch die Vervielfältigung der Medien.“ Man müsse uns mehr vertrauen können als andere Medien, die genau das nicht täten.

Keine Diskussion über die eigentlichen Vorwürfe

Dennoch sieht Theveßen auch Grenzen: Die, die am lautesten schrien, schauten sich genau das eben nicht an, weil es nicht in ihren Kram passe. Die wollten gar nicht so genau wissen, wie wir arbeiten und wie sorgfältig das ist, weil es ihnen ihre Schreierei kaputt machen könnte.

Faktische Fehler sind das eine. Ihnen zu begegnen, halte ich trotz der langen Diskussion für vergleichsweise einfach. Schwerer wiegen für mich jedoch Vorwürfe von Nutzern, die in Hamburg höchstens gestreift wurden: die Kritik, Journalisten würden tendenziös berichten. Dass wir Akteure mit verschiedenen Maßstäben messen würden (Russland/Ukraine), dass wir bei den einen kritisieren, was wir den anderen durchgehen lassen (Russland/NATO), dass wir Fakten verdrehen, damit sie zu unserer Gesamtaussage passen, kurz: dass wir Propaganda betreiben und nicht neutral seien.

Solche Vorwürfe sind es, die das Verhältnis zu einem bestimmten Teil der Nutzer ernsthaft belasten. Die einzelne, detailliertere Kritik hat teilweise durchaus ihre Berechtigung, allerdings ignorieren Journalisten selbst diese gerne. Manche davon ist durch Verweis auf weitere Fakten auszuräumen, manche durch ein Eingeständnis, zum fraglichen Zeitpunkt nicht die gesamte Lage überblicken zu können. Aber es sind auch Fehleinschätzungen darunter, die einzugestehen einen Journalisten nicht unglaubwürdig, sondern wesentlich glaubwürdiger machen würde.

Es sind zugegebenermaßen auch Vorwürfe darunter, die nicht auszuräumen sind, wenn die Gegenseite faktenfrei argumentiert und lediglich ihre Sicht auf die Dinge bestätigt haben möchte. In Hamburg blieb jedoch völlig offen, wie man sowohl diesen Nutzern begegnet als auch mit berechtigter Kritik in dieser Hinsicht umgeht. Von einer umfassenden Fehlerkultur scheinen zumindest die bei dieser Diskussion auf der Jahreskonferenz vertretenen Redaktionen noch entfernt zu sein.

Journalismus heute: An der Grenze

In Hamburg hat die Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche begonnen. Nachfolgend ein paar Tweets aus einigen Veranstaltungen.


In den kommenden Tagen werde ich möglicherweise einzelne Themen noch detaillierter aufgreifen.

Nicht mehr unter dem Radar

Vor vier Jahren sorgte der Bundestag für Aufregung. Aber es bekam keiner mit. Deutschland spielte bei der Fußball-EM gegen Italien. Das dauerte länger als 57 Sekunden. So schnell ging es aber mit einer folgenschweren Entscheidung, als das Meldegesetz geändert wurde.

Bundestagspräsident Norbert Lammert erinnerte sich noch daran, als er heute die Sitzung eröffnete, und bat die Abgeordneten darum, sich kurz zu fassen, damit alle rechtzeitig fertig werden. Derartige Entscheidungen wie 2012 sind also heute nicht geplant.

Böttinger vs. Podolski: So erfinden Kölner Zeitungen einen Streit

Es läuft gut beim Express. Lukas Podolski hat der Boulevardzeitung aus Köln neue Aufmerksamkeit verschafft. Weil er auf einen irreführenden Tweet reagiert hat. Der auf einen irreführenden Beitrag des Express verlinkt. Weil der wiederum ein Interview im Kölner Stadt-Anzeiger (aus demselben Verlag) sinnentstellend wiedergegeben hat. Peinlich ist das beim Express offenbar niemandem, stattdessen genießt man die Aufmerksamkeit und dreht die Geschichte weiter.

Am Anfang stand das Interview des Stadt-Anzeigers mit Bettina Böttinger, in dem sie über Köln und Düsseldorf sprach und beide Städte für einiges lobte und für einiges kritisierte. Insgesamt aber überwog das Lob für Köln, denn:

Ich habe mich ja als gebürtige Düsseldorferin nicht zufällig für Köln entschieden – und auch nicht nur, weil hier meine Arbeitsstätte ist. (…) Ich bin eine Frau, die gerne hier lebt, gerne hier arbeitet und gerne mit den Leuten zu tun hat. Die Atmosphäre macht’s.

Dem Express war das offenbar zu wenig krawallig – und er sorgte selbst dafür. In seiner Zusammenfassung des Interviews ließ er kurzerhand das Lob für Köln ebenso weg wie die Kritik an Düsseldorf und strickte daraus einen Beitrag mit folgender Überschrift:

Express Böttinger ÜberschriftIch habe gestern schon gezeigt, dass die Grundaussage des Interviews damit schon ziemlich verfälscht wurde. Entsprechend war auch der dazu passende Tweet:

Fußballnationalspieler Lukas Podolski, überzeugter Kölner, las den Tweet, vielleicht noch das Stück im Express, aber wahrscheinlich nicht das Originalinterview – und twitterte:

Anstatt das selbst ausgelöste Missverständnis aufzuklären, dreht der Express die Geschichte einfach weiter – und fragt bei Bettina Böttinger nach. Die muss jetzt also richtigstellen, was sie nie falsch gemacht hat – und führt noch einmal sehr ähnlich das Interview auf, das am Samstag im Stadt-Anzeiger erschienen war.

So sagte Böttinger etwa im Stadt-Anzeiger:

Wenn ich mir etwa die öffentlichen Verkehrsmittel angucke – da will mir manches nicht in den Kopf. Ich kann auch nicht begreifen, dass man keinen Plan B für die Oper hat. Es nervt mich wahnsinnig, dass Köln relativ dreckig ist. Da ist Düsseldorf nun wirklich mal weit voraus.

Und jetzt im Express zur Frage, was sie nervt:

Dass die Stadt so dreckig ist. Wenn ich in der Südstadt aus dem Haus rauskomme, ärgere ich mich jedes Mal, wie es in und an manchen Ecken aussieht. Das müsste die Stadt mal in Griff bekommen, anderswo ist es ja auch nicht so.

Und mich nervt sehr, dass die KVB vieles nicht auf die Reihe bekommt. In Berlin zum Beispiel komme ich mit S-Bahn und U-Bahn super zurecht, hier ist es oft die reinste Katastrophe.

Am Ende steht also im Express genau jene differenzierte Meinung Böttingers über Köln, die ihr die Zeitung am Samstag abgesprochen hat. Und mit allem zusammen verarschen die beiden Zeitungen aus der Kölner DuMont-Mediengruppe ihre Leser.

Den Kölner Stadt-Anzeiger hat das alles übrigens nicht davon abgehalten, den künstlich angefachten Streit wiederum in einem eigenen Beitrag zu würdigen, ohne die Verfälschung der Kollegen zu thematisieren.

Klammheimlich ließ Markus Söder seinen Tweet wieder verschwinden

Da lag der bayerische Finanzminister Markus Söder mit einem Tweet etwas daneben. Nach dem Elfmeterschießen beim EM-Spiel Deutschland gegen Italien fordert er, unter anderem Mesut Özil an der Stelle künftig nicht mehr antreten zu lassen.

Originaltweet von Markus Söder
Originaltweet von Markus Söder

Viele Nutzer verstanden den Tweet rassistisch. Vor allem deshalb, weil Söder mit dem Alter ein Argument anführte, das nicht trug. Denn Mesut Özil, der verschossen hat, ist mit 27 ziemlich genau so alt wie die meisten anderen tatsächlich erfolgreichen Elfmeterschützen: Toni Kroos ist 26, Mats Hummels 27, Jerôme Boateng 27, Jonas Hector 26. Nur Joshua Kimmich (21) und Julian Draxler (22) sind „junge Spieler“, um Söders Terminologie zu folgen. Tatsächlich haben mit Thomas Müller (26) und Bastian Schweinsteiger (31) zwei weitere „Ältere“ auch nicht getroffen. Insgesamt aber ergibt die Begründung wenig Sinn.

Söder löschte den Tweet kurz darauf und setzte einen neuen ab, ohne die Korrektur zu thematisieren. Dabei erwähnte er nicht nur Özil, sondern auch Müller und Schweinsteiger.

Korrigierter Tweet von Markus Söder
Korrigierter Tweet von Markus Söder

Der neue Tweet macht die Sache allerdings kaum besser, denn die Statistik spricht weiter gegen Söder. Wer sich wie er immer wieder latent ausländerfeindlich äußert, darf sich über Kritik an einem solchen möglicherweise harmlos gemeinten Tweet nicht wundern.

 

Update, 13.45 Uhr: Später twitterte Söder übrigens noch mal.

Ich stehe vielleicht auf dem Schlauch, aber ich verstehe nicht, worauf er sich bezieht. Wollte er sagen, ausgerechnet die erfahrenen Spieler hätten verschossen? Was ist dann mit Kroos (70 Länderspiele), Hummels (50 Länderspiele), Boateng (64 Länderspiele)? Ab wann fängt Erfahrung an?

Wie der „Express“ ein Interview in sein Gegenteil verkehrt

 

Aha, Fernsehmoderatorin Bettina Böttinger mag also Köln nicht. Soso.

„Harte Worte von WDR-Moderatorin Bettina Böttinger: Sie findet #Koeln dreckig und #Duesseldorf viel schöner.“

Obwohl sie hier lebt.

„In einem Interview (…) spricht sie sich klar für Düsseldorf und gegen Köln aus.“

Ja gut. So hat der Express offenbar das Interview im Kölner Stadt-Anzeiger (der aus demselben Haus kommt wie der Express) gelesen. Im Text über das Interview wird schön allein das zusammengestellt, was der These entspricht.

Also sehen wir mal, was sie so sagt über Köln:

Ich habe mich ja als gebürtige Düsseldorferin nicht zufällig für Köln entschieden – und auch nicht nur, weil hier meine Arbeitsstätte ist. Der Kölner an sich ist ja gerne besoffen von sich selber. Das geht mir ein bisschen auf die Nerven. Aber nur ein bisschen. Gelegentlich saufe ich auch mit. Ich bin eine Frau, die gerne hier lebt, gerne hier arbeitet und gerne mit den Leuten zu tun hat. Die Atmosphäre macht’s.

Stimmt, das klingt sehr danach aus, als sei Böttinger für Düsseldorf.

Köln ist die viertgrößte Stadt Deutschlands, eine wunderbare Stadt mit unglaublich vielen Möglichkeiten und einer tollen Bevölkerung.

Oh ja, Düsseldorf.

Es mag unter Marketing-Gesichtspunkten sinnvoll sein, Eislaufen auf der Kö zu veranstalten. Das finde ich allerdings lächerlich.

Klar, sie ist für Düsseldorf, eindeutig und klar gegen Köln.

In der Tat kritisiert Böttinger auch Köln für Schludrigkeit etwa bei den öffentlichen Verkehrsmitteln, bei der Oper, beim Schmutz und der Architektur. Bezogen darauf sagt sie auch:

Düsseldorf ist – sorry, liebe Kölner – einfach schöner.

Aber findet sich ihre durchaus differenzierte Meinung im Tweet oder Text des Express wieder? Weder noch. Und auch die Schlussfolgerung, dass Böttinger sich für Düsseldorf und gegen Köln ausspreche, ist falsch. Ganz einfach falsch.

Die Kritik mag kleinlich sein, weil es beim Interview mit Böttinger um wenig geht. Aber der Bericht im Express ist ein gutes Beispiel dafür, wie man sich Aussagen so zurechtschnitzen kann, wie sie einem passen. Und das ist auch irgendwie gelogen.

Eigentlich müsste jede Wahl wiederholt werden

Blick auf die Wiener Hofburg
Die Wiener Hofburg, Amtssitz des Bundespräsidenten. Wer auch immer das sein mag. (Foto: Stefan Fries)

Wer selbst einmal ehrenamtlich bei der Durchführung und Auszählung einer Wahl geholfen hat, mag sich über das Urteil des österreichischen Verfassungsgerichts zur Bundespräsidentenwahl wundern. Freilich hat es Pannen und Fehler gegeben – weil es die bei jeder Wahl gibt.

Ich habe bei mehreren Wahlen in Deutschland als Wahlhelfer gearbeitet, mal als Beisitzer, mal als Schriftführer. Es sind fast ausschließlich Ehrenamtliche, die sich um die Durchführung der Wahlen im Wahllokal kümmern, keine Profis. Selbst die Verwaltungsbeamten, die teilweise eingesetzt werden, um Lücken bei den Ehrenamtlichen zu stopfen, sind keine Profis in Sachen Wahl. Das heißt: Dort sitzt eine Gruppe von Bürgern mit wenig Expertise in Wahldurchführung.

Wer einmal in die Vorschriften für die Durchführung von Wahlen geschaut haben, weiß, wie viele Fallstricke es dabei und bei der Auszählung von Stimmen gibt. Was bei der Ausschilderung von Wahllokalen zu beachten ist. Wie Wahlkabinen aufgestellt werden müssen. Wie mit Äußerungen für oder gegen Parteien im Wahllokal umgegangen werden muss. In welchen Fällen die Polizei gerufen werden muss. In welchen Fällen die Wahlleitung.

Wer das mitgemacht hat, weiß auch, dass es bei vielen Fragen Ermessensspielraum gibt – auch bei der Auszählung von Stimmen. Wenn etwa ein Wähler sein Kreuz nicht in einem der vorgesehenen Felder gemacht hat, kann der Wahlvorstand die Stimme dennoch als gültig ansehen, wenn die Wahlentscheidung eindeutig getroffen wurde – etwa wenn der Name der Partei umrandet wurde.

Oft sitzen im Wahlvorstand Mitglieder von Parteien. Weil die sich politisch ohnehin engagieren, gehören sie auch zu denjenigen, die sich bereit erklären, als Wahlhelfer zu arbeiten. Sie könnten bei der Auszählung von Stimmen besonders unter Verdacht stehen, zu manipulieren.

Fehler sind nicht gleich Manipulationen

De facto ist das aber kaum möglich. Denn sie sind im Wahlvorstand nicht in der Mehrheit und haben diese Manipulationsmöglichkeit auch nicht. Mal davon abgesehen, dass eine Manipulation in einem von hunderten bis bundesweit zehntausenden von Wahlbüros wenig Effekt haben würde. Außerdem ist nicht nur die sogenannte Wahlhandlung öffentlich, das heißt jeder Bürger darf sich den ganzen Tag im Wahllokal aufhalten und auch die Auszählung beobachten.

In fast allen Fällen sind es einfach Fehler, die bei der Auszählung von Stimmen passieren. Einfach deswegen, weil sich damit Bürger beschäftigen, Laien. Weil die Regeln für die Auszählung kompliziert sind. Weil etwa bei der Bundestagswahl zwei Stimmen pro Wähler auszuzählen sind, die sich aber auf demselben Wahlzettel befinden, diese Zettel also bei der Auszählung in sehr verschiedene Stapel aufgeteilt werden.

Viele – nicht alle – der Fehler, über die jetzt von der Bundespräsidentenwahl in Österreich berichtet werden, scheinen mir in diese Kategorien zu fallen. Dass teilweise Briefumschläge zu früh geöffnet wurden, stundenweise unbeobachtet waren, ist vielleicht darauf zurückzuführen, dass es zumindest mir wenig sinnvoll erscheint, mit der Auszählung bis zum nächsten Tag zu warten. Wer sich ehrenamtlich engagiert, ist wahrscheinlich froh, wenn er möglichst früh wieder aus dem Wahllokal herauskommt. Ich will sie damit nicht von einem Fehler reinwaschen, aber möglicherweise sind es einfach wenig sinnvolle Vorschriften, die Wahlhelfer nicht gerade motivieren.

In Deutschland werden die Briefwahlstimmen übrigens zur selben Zeit ausgezählt wie die aus den Wahlurnen, so dass sie sofort ins vorläufige endgültige Wahlergebnis einfließen. Und dieses, übrigens, ist v.a. aus einem Grund vorläufig: Wenn die Stimmen in den Wahllokalen ausgezählt sind, gibt der Chef des Wahlvorstands diese Stimmen in einer sogenannten Schnellmeldung telefonisch an die Stadtverwaltung durch. Von dort werden sie durch die Instanzen nach oben gemeldet. Das heißt, das vorläufige amtliche Endergebnis beruht auf diesen Schnellmeldungen. Es gibt also eine ganze Reihe von Fehlerquellen: Auszählungsfehler, Übermittlungsfehler, Verständnisfehler, Tippfehler. Die gesammelten Stimmen werden deshalb zunächst behalten und dann physisch zur Verwaltung gebracht, wo sie erneut ausgezählt werden, bis das amtliche Endergebnis erklärt wird. Das heißt, wenn jemand ernsthaft manipulieren will, reicht es nicht aus, ins Wahlprotokoll einfach falsche Stimmenzahlen zu schreiben; in dem Fall müssten auch entsprechend viele falsche Stimmzettel ausgefüllt und den anderen Mitgliedern des Wahlvorstands untergejubelt werden.

Wahlwiederholung nicht nur bei Manipulation?

Dass durch solche Fehler eine Wahl wiederholt werden muss, findet der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger überflüssig und kontaproduktiv. Im Deutschlandradio Kultur sagte Haslinger, die Tatsache, dass einige Wahlkuverts schon am Sonntagabend, statt erst, wie vorgeschrieben, am Montagmorgen, geöffnet worden seien, habe „überhaupt keinen Einfluss auf ein Wahlergebnis. Es ist aber ein Formfehler, der nicht dem Gesetz entspricht. Also müsste man… vermutlich sogar das Gesetz ändern, damit das nicht solch absurde Ausmaße annimmt.“ Weil es keine Hinweise auf Wahlmanipulation gebe, sei ein Neuwahl nicht gerechtfertigt.

Wer ernsthaft von Manipulation spricht, sollte die erst einmal nachweisen statt Verschwörungstheorien zu bemühen. In Österreich haben die Richter solche Manipulationen nicht feststellen können, lediglich Verstöße gegen Vorschriften. Was durchaus nicht dasselbe ist. Wer genauer wissen will, wovon er eigentlich spricht, sollte sich einmal selbst als Wahlhelfer engagieren oder wenigstens einer Wahl und deren Auszählung selbst beiwohnen. Sicher sind Fehler gemacht worden, wie überall, wo Menschen beteiligt sind, vor allem wo Laien beteiligt sind, vor allem bei komplizierten Vorschriften, aber es sind eben das: Fehler, keine absichtlichen Manipulationen.

Eigentlich müsste deshalb jede Wahl wiederholt werden. Aber auch bei einer Wiederholung würde es erneute Fehler geben. Eine fehlerfreie Wahl ist einfach nicht denkbar. Gewisse Unsicherheiten müssen wir einfach hinnehmen.

Dennoch finde ich es richtig, dass die Bundespräsidentenwahl in Österreich wiederholt wird, denn bei einem Unterschied von am Ende nur rund 31.000 Stimmen können sich durch Fehler durchaus relevante Verschiebungen ergeben. Wenn die FPÖ das allerdings ausgerechnet im 2. Wahlgang anmerkt, als ihr Kandidat unterlegen war, nicht aber im 1. Wahlgang, wo ihr Kandidat vorne lag und wo es definitiv ähnliche Fehler gegeben haben wird, ist doch eindeutig, dass es der Partei nicht um Prinzipien der Demokratie geht, sondern darum, ihren Verlierer doch noch ins Amt zu haben. Denn in der Welt von Populisten ist es einfach nicht möglich, dass ihr Kandidat nicht gewinnt. Denn dann würde die Theorie von der schweigenden Mehrheit, die sie angeblich vertreten, in sich zusammenbrechen.

Auf der Suche nach dem „Anhalter“ – eine transparente Recherche

Im Tagesgeschäft geben Journalisten eher selten Einblick in ihre Arbeitsmethoden. Wie sie auf ein Thema gestoßen sind. Warum sie entschieden haben, sich weiter damit zu beschäftigen. Welche Quellen sie angezapft haben. Was dabei herumgekommen ist.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens lässt ihnen dazu das journalistische Format oft keinen Raum. Eine Nachricht etwa soll kurz und knapp sein, das Wesentliche erzählen und nichts Unwesentliches etwa zur Entstehung der Meldung. Zweitens würde die genaue Wiedergabe des Rechercheweges die Ausspielung der Nachricht verzögern. Drittens ist es in vielen Fällen mehr oder weniger implizit klar oder irrelevant, wie ein Thema zu einem Thema geworden ist.

In manchen Fällen ist das anders. Die fünfteilige WDR5-Dokumentarserie „Der Anhalter“ von Sven Preger und Stephan Beuting macht vor, wie transparent man eine Recherche gestalten kann. In diesem Fall ist das nicht ganz überraschend, schließlich gehört die Recherche zur Geschichte, denn sie erzählt etwas über den Protagonisten der Reihe: Heinrich Kurzrock.

Preger und Beuting treffen ihn unabhängig voneinander, mit einem Jahr Abstand. Am selben Ort: einer Tankstelle am Kölner Verteilerkreis. Er erzählt ihnen, er habe seine Kindheit in der Psychiatrie verbracht, mehr als 14 Jahre lang. Weggesperrt, geschlagen, missbraucht – in den 1950er und 60er Jahren sei das gewesen. Nun will Heinrich nur noch Schluss machen und sucht eine Mitfahrgelegenheit.

Als die beiden Reporter sich zufällig davon erzählen, beschließen sie, sich auf die Suche zu machen: nach diesem Mann und nach der Wahrheit? Was ist, wenn nur ein Bruchteil von seinen Geschichten stimmt? Wenn er wirklich als Kind in einer Psychiatrie geschlagen und missbraucht wurde? Dann ist er eines von tausenden Kindern, die bis heute auf eine Entschädigung warten.

Schon im Ankündigungstext von WDR5 wird die Suche der Journalisten ausdrücklich angesprochen, die sie im Verlauf des Features immer wieder transparent machen. Man hört Preger beim Telefonieren mit Behörden, er erzählt, welche Auskünfte er rechtlich nicht bekommen kann, welche Recherchen in die Sackgasse führen. Anstatt Interviewpartner zu besuchen (was Journalisten für ein Feature bevorzugt tun), hört man sie auch mal am Telefon.

Als Preger und Beuting endlich Kontakt zu Heinrich Kurzrock bekommen und zu ihm fahren, hört man, wie sie sich im Auto über ihn unterhalten. Welche Gefühle und Gedanken sie mit dem bevorstehenden Treffen verbinden. Sie machen damit deutlich, dass auch Journalisten nicht rein objektiv an eine Geschichte herangehen können, sondern – wie alle Menschen – Gefühle damit verbinden.

Preger: Damals sagte er schon, dass er sozusagen Knochenkrebs im Endstadium hat, und jetzt ist es anderthalb Jahre später, wo ich genau wie du auch sagen würde: Dann kann er ja nicht mehr leben. Und jetzt lebt er. Was sofort die Frage auch danach stellt: Was davon war eigentlich wahr, was er mir damals erzählt hat?
Beuting: Ja, das ist die gute Frage. Wieviel erzählt er uns eigentlich, was wirklich wahr ist, wie gehen wir eigentlich damit um, wenn wir offensichtlich merken, dass was nicht wahr ist? Wieviel kann man Heinrich eigentlich gleich glauben? Das beschäftigt mich auch.

Sie machen zugleich deutlich, dass sie – trotz des menschlichen Interesses, das sie an Heinrich haben – ihm nicht alles glauben können. Und nicht alles glauben werden. Aber sie machen auch deutlich, worum es ihnen geht:

Wir wollen die Wahrheit, wittern eine Geschichte und wollen Heinrich helfen.

Immer wieder erzählen sie einer Kollegin von ihren Recherchen, die wertvolle Anregungen von außen liefert. Die sie zum Beispiel darauf hinweist, dass auch Heinrich sich von ihrem Treffen bestimmte Dinge verspricht, er also auch ein eigenes Interesse daran haben kann, dass über die reine Berichterstattung hinausgeht. In Folge 2 legen Preger und Beuting offen, dass sie Heinrich eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 300 Euro zahlen dafür, dass er ihnen ihre Geschichte erzählt. Dass sie das tun, halte ich in dem Zusammenhang für plausibel und vertretbar. Aber sie erwähnen auch, dass sie sich damit angreifbar machen.

Der erste von fünf Teilen endet damit, dass sie Heinrich wiedertreffen. Das macht Lust auf mehr.

Bisher sind von „Der Anhalter“ von Sven Preger und Stephan Beuting vier Folgen erschienen, die auf der Webseite von WDR5 und als Podcast abrufbar sind.

Disclaimer: Ich arbeite gelegentlich als freier Mitarbeiter für WDR5.

Günther Oettinger kommt auch künftig nicht ums Englische herum

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(Foto: Martin KraftEigenes Werk, CC BY 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35875097)

Der Englischkurs für EU-Kommissar Günther Oettinger lohnt sich weiterhin. Selbst wenn das Vereinigte Königreich austreten sollte, gibt es für ihn immer noch genug andere Länder, wegen denen sich die Weltsprache zu lernen lohnt. So lässt sich jedenfalls seine Antwort im Deutschlandfunk verstehen, als ihn Moderatorin Christine Heuer aus der Reserve locken wollte.

Heuer: Herr Oettinger, ganz kurz zum Schluss. Vielleicht hat ja der Brexit doch etwas Gutes. Wenn ich das richtig verstehe, dann ist Englisch als Gemeinschaftssprache eigentlich so gut wie erledigt. Freut Sie persönlich das?

Oettinger: Nein. Die Iren sind ja englischsprachig und bleiben drin. Und die Schotten kommen vielleicht rein. Damit haben wir weiter eine Reihe von Mitgliedsstaaten, die Englisch sprechen, und Englisch ist nun mal die Weltsprache, die wir alle akzeptieren.

 

Anmerkung (20.05.2018): Wegen der Datenschutzgrundverordnung habe ich Widgets, die sich ursprünglich im Text befanden, entfernt.

Lob der Kritik – aber zutreffen muss sie schon

Unter der Überschrift „Seid demütig“ (kostenpflichtig über Blendle) hat sich Frank A. Meyer im Cicero mit der Rolle von Journalisten beschäftigt. Ein durchaus lesenswerter Kommentar, weil er einige strukturelle Probleme im Journalismus anspricht.

Allerdings lässt er mich an einigen Stellen etwas ratlos zurück, weil Meyer sich Pauschalisierungen und Parolen zu eigen macht („Lügenpresse“), die nicht gerade dabei helfen, die Debatte zu versachlichen. So schreibt er zum Beispiel:

Die Medien – die Journalisten – müssen sich mit dem Begriff „Lügenpresse“ selbstkritisch auseinandersetzen: Ist da etwas dran, oder ist da nichts dran?

Es ist etwas dran. Die Debatte um Angela Merkels autoritär verordnete Flüchtlingspolitik hat es gezeigt: indem die Debatte von den Medien monatelang unterdrückt, weggedrückt und manipuliert wurde.

Belege dafür liefert Meyer nicht. Vor allem nicht für seine Behauptung, dass dies absichtlich und planvoll getan wurde. Wer von „unterdrückt, weggedrückt und manipuliert“ spricht, unterstellt, dass Journalisten die Realität nicht so dargestellt haben wie Meyer sie wahrnimmt. Es wäre hilfreich, würde er dafür Belege liefern.

Auch andere Verallgemeinerungen lassen mich ratlos zurück. Wenn er etwas polemisch schreibt, dass Journalisten sich befugt sähen,

Politik, Wirtschaft, Kultur, neuerdings auch den Sport zu observieren, also über die ganze Gesellschaft zu wachen – fürwahr ein elitärer Anspruch. Vor allem ein völlig unzulässiger.

Natürlich sind die Medien keine vierte Gewalt im Staat. Allerdings gibt es in Staaten mehr Akteure als die drei klassischen Gewalten, also Legislative, Exekutive und Judikative. Also nicht nur (zum Beispiel) Bundestag, Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht. Vor allem sie gestalten maßgeblich den politischen und gesellschaftlichen Rahmen für das Leben in Deutschland. „Die Medien“ gestalten diesen Rahmen nicht, aber natürlich prägen sie dessen Wahrnehmung. Dennoch ist das ein Unterschied und der Vergleich damit nicht treffend.

Aufgabe von Journalisten ist es, Missstände offenzulegen. Insofern kommt ihnen durchaus eine Wächterfunktion zu – das ist kein unzulässiger Anspruch, sondern immanenter Bestandteil ihrer Arbeit. Die immer wieder beschworene neutrale Darstellung von Ereignissen und Meinungsäußerungen kann schon allein deswegen nicht gelingen, weil immer eine Auswahl getroffen werden muss. Wer als Journalist ein Stück über eine Bundestagsdebatte anfertigt, muss auswählen, welche Meinungen er darstellt. Dafür gibt es journalistische Kriterien. Journalistische. Es sind freilich keine staatlichen. Denn, wie Frank Meyer selbst schreibt:

Die Medien (…) sind frei. Niemand wählt sie, niemand darf ihnen Aufträge erteilen.

Und zweitens ist es für demokratische Medien entscheidend, dass sie ihrer Arbeit unabhängig vom Staat nachgehen können, eingeordnet in die Rechtsordnung, aber ungebunden in Auftrag, Interesse und Haltung.

Doch was folgt daraus? Diese Frage beantwortet Meyer nicht.

Dabei stimme ich durchaus einigen seiner Schlussfolgerungen zu. Tatsächlich spiegelt sich die Gesellschaft nicht in den Lebensläufen der Medienarbeiter. Ein Problem, dass Medien mit dem Bundestag und anderen Vertretungen gemein haben. Auch die Schwarmmentalität ist ein durchaus bekannter Bias im journalistischen Betrieb.

Dass die Nähe zu Politik und Wirtschaft, „zu den Mächtigen der Gesellschaft“, wie Meyer schreibt (und dabei plötzlich ebenfalls unbemerkt einen mächtigen Akteur einbringt, den er weiter oben unterschlägt), wie ein Aphrodisiakum wirke, mag zutreffen; beurteilen kann ich es nicht, da ich selten im entsprechenden Dunstkreis gearbeitet habe. So geht es allerdings auch vielen anderen Journalisten, die nicht diese Nähe haben. Schließlich kommt nur ein Teil von ihnen mit „Politik und Wirtschaft“ in dem Maße in Kontakt, den Meyer suggeriert.

Viele Journalisten verarbeiten Wissen und Rechercheergebnisse, die an anderen Stellen gewonnen werden. Redakteure in Nachrichtenredaktionen von Radiosendern texten aus Agenturmeldungen und den Rechercheergebnissen eigener Korrespondenten radiogerechte Stücke und gehen dabei durchaus noch mal kritisch an das angelieferte Material heran. Dies ist eine interne Kontrollinstanz, die die Wahrnehmung und Fakten eben jener Journalisten überprüfen soll, die laut Meyer nah dran sind. Wer täglich in einem Funkhaus in Köln oder Leipzig arbeitet, ist nicht in Gefahr, sich von einer Nähe korrumpieren zu lassen, weil es die eben nicht gibt.

Wer nur auf die schnelle Erstberichterstattung in Form von Radio- oder Fernsehnachrichten schaut, mag in der Tat Meyers Eindruck haben. Allerdings sorgen Dutzende Radio- und Fernsehredaktionen dafür, tagesaktuelle Themen „weiterzudrehen“, also Fragen nachzugehen, die sich ausgehend von neuen Ereignissen stellen. Damit erfüllen sie das, was Meyer sich wünscht:

Sie sind eine Institution des Fragens. Journalisten haben die Aufgabe, ihrem Publikum Wissen zu liefern und Verstehen zu ermöglichen. (…) Die Journalisten stellen die Fragen, welche die Bürger in die Lage versetzen, ihrerseits Fragen zu stellen (…).

Wie soll das aber gehen, wenn sie es eben nicht als ihre Aufgabe verstehen, zu „wachen“, wie Meyer weiter oben schreibt?

Meyer vertritt gute Ansätze; ich würde mir aber noch weitere Ausführungen wünschen. Sie könnten dabei helfen, den Journalismus im Ganzen wirklich zu kritisieren. Vielleicht kann sich Meyer damit auch einen Preis verdienen, den er sich wünscht, den es aber tatsächlich schon gibt: den Günther-Wallraf-Preis für Journalismuskritik.