Die AfD klein machen

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat eine Debatte angestoßen, die nach der Bundestagswahl zu erwarten war und die durchaus schon vor der Wahl geführt wurde: Welche Rolle spielen die Medien für den Erfolg der AfD?

Herrmann sagte in der „Berliner Runde“ (zitiert nach DLF):

Joachim Herrmann: Die Hälfte der Sendezeit beschäftigt sich schon wieder nur mit der AfD – die Hälfte der Sendezeit nur mit der AfD.

ZDF-Chefredakteur Peter Frey: Ich wollt grad nach was anderem fragen.

Herrmann: Es ist völlig… Ja, aber das ist ein völliger Unfug, und da kann ich Ihnen nur sagen – und darüber wird in den nächsten Wochen auch noch zu diskutieren sein – in welchem Ausmaß die beiden öffentlich-rechtlichen Sender in den letzten Wochen massiv dazu beigetragen haben, in der Tat nicht die AfD klein zu machen, sondern groß zu machen. In einer Art und Weise der Diskussion, die wirklich völlig fehl am Platze ist.

Neben der berechtigten Kritik von Herrmann ist dabei interessant, dass es ihm womöglich gar nicht darum geht, dass die Sender sich der AfD gegenüber mindestens neutral verhalten. Er findet offenbar sogar, dass die öffentlich-rechtlichen Sender, die er kritisiert, die Aufgabe haben, gegen die AfD zu arbeiten, wenn er sagt, dass die Sender nichts getan haben, um „die AfD klein zu machen“.

Und das ist dann doch ein fragwürdiges Medienverständnis und ein merkwürdiger Anstoß zu dieser Debatte.

Was können Umfragen im Wahlkampf-Endspurt noch aussagen?

Schulz-SPD rutscht ab auf 20 Prozent

titelt tagesschau.de gestern Abend.

Zehn Tage vor der Bundestagswahl geht es für die SPD weiter bergab. Im ARD-DeutschlandTrend erreicht die Partei von Martin Schulz noch 20 Prozent. Die AfD bleibt auf Platz drei. Knapp die Hälfte der Wähler ist noch unentschlossen.

Sogar als Eilmeldung hat die Tagesschau das Ergebnis der jüngsten Sonntagsfrage von Infratest Dimap verschickt.

Es ist übrigens die letzte Umfrage, die Infratest vor der Bundestagswahl veröffentlicht; das Unternehmen hält sich vorbildlich zurück, noch in den letzten Tagen vor der Wahl neue Umfrageergebnisse zu veröffentlichen, die die Wahl noch mehr beeinflussen könnten als diese es vermutlich ohnehin schon tun.

Es ist ein zwiespältiger Artikel von Ellen Ehni. Denn sie schreibt einerseits sehr ausführlich darüber, wie aussagekräftig die Umfragedaten sind, etwa so:

Bei dieser Umfrage handelt es sich ausdrücklich um keine Prognose, sondern um die politische Stimmung in der laufenden Woche.

(Außerdem wird unter dem Artikel ausführlich das Untersuchungsdesign abgedruckt, wie es auch vom Pressekodex gefordert wird.)

Der Alarmismus der Überschrift und die Eilbedürftigkeit der Meldung wird damit jedoch ein wenig konterkariert. Angesichts der Tatsache, dass die jüngste Veränderung bei der SPD innerhalb der Fehlertoleranz liegt und damit lediglich ein Messfehler sein kann, finde ich diese Zuspitzung nicht sonderlich hilfreich.

(Screenshot: http://www.tagesschau.de/multimedia/bilder/crbilderstrecke-423.html)
(Screenshot: http://www.tagesschau.de/multimedia/bilder/crbilderstrecke-423.html)

Zumal die Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF zu anderen Daten kommt, die sie nur einen Tag später, nämlich heute, veröffentlich hat. Demnach hat die SPD bei ihr sogar um einen Prozentpunkt zugelegt und kommt auf 23 Prozent – deutlich höher als bei Infratest Dimap mit 20 Prozent. Aber auch dieser Anstieg ist freilich innerhalb der Fehlertoleranz.

(Screenshot: http://www.heute.de/politbarometer-cducsu-verlieren-weiter-an-zustimmung-vorsprung-merkels-vor-schulz-bleibt-unveraendert-gross-47952050.html)
(Screenshot: http://www.heute.de/politbarometer-cducsu-verlieren-weiter-an-zustimmung-vorsprung-merkels-vor-schulz-bleibt-unveraendert-gross-47952050.html)

Außerdem hat in dieser Umfrage die Union leicht verloren, was fast zur gegenläufigen Überschrift bei heute.de führt:

Union verliert weiter an Zustimmung

Aber auch dabei liegt die Veränderung innerhalb der Fehlertoleranz.

Problematisch finde ich solche Zahlen vor allem, weil sie möglicherweise demobilisierende Wirkung haben können. Das findet sich auch immer wieder in der journalistischen Behandlung der Umfragen, indem Journalisten sinngemäß behaupten, die Wahl sei bereits entschieden. Das blendet zum einen ganz offensichtlich aus, dass die Wahl erst am 24. September ist und jeder Wähler seine Stimme erst noch abgeben muss – vor allem aber verlässt es sich auf die Daten der Sonntagsfrage, die jedoch längst nicht so zuverlässig sind wie es Überschriften und Artikel oft behaupten. Schließlich werden darin auch die relativ vielen unentschlossenen Wähler jeweils Parteien zugeschlagen, wenngleich man über deren Wahlentscheidung oder auch Wahlenthaltung in der Zeit zunehmend volatilerer Parteienbindungen immer weniger sagen kann.

In einem kleinen Rant habe ich mich dazu am Mittwoch bei Twitter ausgelassen:

Dabei habe ich folgendes geschrieben – redaktionell heute nicht mehr verändert:

Ich werde zunehmend sauer, je mehr Politik nur noch als Wettrennen betrachtet wird.

Es geht nur noch um Gewinnen und Verlieren, nicht mehr um den demokratischen Austausch von Argumenten und Positionen.

Jetzt wird Martin Schulz dafür geschmäht, er wolle auch mal ein TV-Duell gewinnen. Dabei kann niemand so ein Duell gewinnen.

Es gibt nämlich keine Zielmarke, die ein Teilnehmer zuerst erreichen kann. Und keinen Schiedsrichter.

Politik ist kein Rennen. Deswegen nutzen auch die angeblichen Zwischenstände in Form von Umfragen nichts. Sie sagen nämlich nichts aus.

Die Fixierung darauf suggerieren, die eigentliche Wahl sei nur eine weitere Sonntagsfrage in der Abfolge hunderter Umfragen.

Und wer zufällig am Wahlsonntag vorne liegt, darf die nächsten vier Jahre regieren. Die eigentliche Wahl wird damit heruntergespielt.

Und von vielen Journalisten und Politikern als bereits entschieden abgestempelt: Zeigen ja angeblich die Umfragen. Wozu also noch wählen?

Daraus spricht eine Verachtung der Wahl und auch der Wähler, die davon abgehalten werden, überhaupt noch wählen zu gehen.

Wieso sollte ein CDU-Wähler hingehen, wenn die CDU doch angeblich vorne liegt? Wie kann ein SPD-Wähler der Partei noch helfen?

Warum Grüne wählen, wenn die Stimme „verschwendet“ sein könnte? Warum die FDP helfen, wenn sie mit der CDU eh keine Mehrheit hat?

All das verhindert, dass die Wähler sich nach ihrer Überzeugung richten und wählen, wen sie für richtig halten.

Stattdessen werden sie verleitet, taktisch zu denken, weil ihre Stimme verfallen könnte oder angeblich ohnehin nicht hilft.

Das verzerrt den eigentlichen Wählerwillen. Das Wahlergebnis ist das Abbild taktischer Überlegungen und nicht innerer Überzeugungen.

Es gibt genug Beispiele, in denen Demoskopen falsch lagen, zuletzt bei der LTW Saarland, ganz enorm bei der BTW 2005.

Aber auch Beispiel Brexit: Demoskopen legten sich auf Remain fest, viele gingen nicht wählen – und standen am Ende dumm da.

Wir haben die Wahl. Wir sollten sie uns nicht von Politikern, Journalisten, Demoskopen nehmen lassen.

Die begrenzte Aussagekraft von Blitzumfragen

Ziemlich schnell nach dem TV-Duell zwischen CDU-Chefin Angela Merkel und SPD-Chef Martin Schulz gab es schon neue Umfragewerte.

Die ARD hat Infratest Dimap, das ZDF die Forschungsgruppe Wahlen gebeten, möglichst schnell Wähler anzurufen, die hoffentlich auch Zuschauer waren, und nach ihrer Einschätzung des Duells zu befragen. Außerdem hat Civey Nutzer online befragt.

Wie wertvoll diese Daten sind, zeigen die Ergebnisse. Bei Infratest Dimap:

(Screenshot: tagesschau.de)
(Screenshot: tagesschau.de)

Bei der Forschungsgruppe Wahlen:

(Screenshot: zdf.de)
(Screenshot: zdf.de)

 

Beide Fragen ähneln sich zwar, sind aber nicht gleich. Dennoch werden sie vom jeweiligen Sender als das Gesamtergebnis ausgegeben.

Schon der Unterschied in der Fragestellung kann für die verschiedenen Ergebnisse ausschlaggebend sein, aber auch die zusätzliche Möglichkeit des ZDF, mit „kein Unterschied“ zu antworten, während die Befragten bei Infratest wohl gezwungen war, eine klarere Entscheidung zu treffen oder aktiv „weiß nicht“ zu antworten (die fehlenden 10 Prozent).

Ich hoffe, Infratest bzw. ARD liefern die fehlenden Metadaten dazu noch nach.

Schon solche kleinen Unterschiede bei Frage und Antwortmöglichkeiten scheinen größere Unterschiede bei den Ergebnissen auszumachen. Noch deutlicher aber wird es, wenn man die zwei Umfragen mit fast derselben Fragestellung, aber verschiedenen Erhebungsmethoden nebeneinanderlegt. Dazu vergleiche man die Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen mit denen von Civey (Ergebnisse gibt es nach Teilnahme).

Stand Montag um 10 Uhr kam Angela Merkel auf 44,9 Prozent, Martin Schulz auf 32,2 Prozent, „Beide gleich gut“ sagten 15,3 Prozent, „Weiß nicht“ 7,6 Prozent der Befragten. Weil die Umfrage noch läuft, ist eine Rückwirkung der anderen Umfragen und des sonstigen Spinning zu vermuten, dass also die Teilnehmer an der Civey-Umfrage nicht nur nach eigener Einschätzung urteilen, sondern auch die anderer einfließt.

Ein gutes Beispiel für die begrenzte Aussagekraft solcher Umfragen.

Danke an Sebastian Pertsch für den Hinweis.

 

Nachtrag, 4. September, 0.25 Uhr: Den Umfragen von ARD und ZDF habe ich noch Civey hinzugefügt.

Nachtrag, 4. September, 10.00 Uhr: Ich habe einen Zwischenstand bei Civey eingefügt – zum einen, weil sich das Ergebnis noch ändern kann, zum anderen, weil nicht alle Nutzer im eingebundenen Widget sofort das Ergebnis sehen können.

Nachtrag, 4. September, 13.40 Uhr: Die Umfrage bei Civey ist mittlerweile beendet. Die Werte haben sich nicht mehr verändert.

Hauptstadt oder Hochburg? Die Sensibilität des Übersetzers

Als Donald Trump noch nicht Präsident war, nannte er Belgien einmal eine „beautiful city“.

Daran fühlte ich mich erinnert, als ich gestern vom Zitat des türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu las. Er soll die Niederlande als „Hauptstadt des Faschismus“ bezeichnet haben, berichten zum Beispiel die Rheinische Post und das ZDF.

Vom Inhalt mal abgesehen – wurde hier richtig übersetzt?

Die Cosmo-Kollegin Evren Zahirovic bestätigt die Übersetzung und sagt, dass dieser Ausdruck im Türkischen geläufig sei. Allerdings erinnert er mich in seiner wortwörtlichen Übersetzung doch zu sehr an Trumps „Belgium is a beautiful city“ und lässt den Urheber etwas schräg dastehen. Statt Übersetzung wäre also eine Übertragung notwendig.

So macht es zum Beispiel der Deutschlandfunk, der „Hochburg des Faschismus“ schreibt. Gerade jetzt, in der Schärfe der Auseinandersetzung, ist es wichtig, auch in der Übersetzung genau zu sein, vor allem bei Beleidigungen und den damit verbundenen Konnotationen, damit der Streit nicht unnötig eskaliert. Auch Medien sollten sich dessen bewusst sein.

Offenlegung: Ich bin freier Mitarbeiter beim Deutschlandfunk.

Der Reichsbürger-Angriff: Wie berichten über diesen „Terror“?

Messen Medien bei Gewalttaten mit zweierlei Maß, abhängig davon, von wem diese verübt wurden?

Seit ein Reichsbürger in Georgensgmünd in Bayern auf vier Polizisten geschossen und sie zum Teil schwer verletzt hat (einer von ihnen ist inzwischen gestorben), wurde der Vorwurf in mehreren Tweets erhoben, zum Teil von Journalisten selbst.

Das ist nach meiner Wahrnehmung aber falsch. Tatsächlich war die Meldung die Top-Nachricht auf den größten Kanälen. Wer sich gestern ein wenig durch die Seiten geklickt hat, konnte das sehen. Wer bei Google News nach „Reichsbürger“ sucht, findet hunderte Ergebnisse.

Der entscheidende Unterschied in der journalistischen Einschätzung liegt vermutlich auch in der Frage begründet, ob es sich bei der Tat des Reichsbürgers um Terror gehandelt hat oder nicht.

Journalisten vertreten dazu unterschiedliche Auffassungen. heute-plus-Moderator Daniel Bröckerhoff etwa spricht nicht von Terror und begründet das in mehreren Tweets damit, dass Terror geplant und gezielt sei, um die Bevölkerung zu verunsichern, was hier augenscheinlich nicht vorliege.

Reichsbürger rechtfertigen die Tat als „Selbstverteidigung“. Terror wär z.B. gewesen, in eine Polizeistation zu gehen und dort Polizisten zu töten.

Den Aspekt der „Selbstverteidigung“ will NDR-Nachrichtenredakteur Michael Draeger dagegen nicht als Abgrenzung gelten lassen:

Mir fällt dabei als Begriff spontan „passiver Terror“ ein. Solange man sie in Ruhe lässt, gehen Reichsbürger dieser Kragenweite möglicherweise nicht gegen Menschen vor, die nicht ihrem fiktiven Staat angehören; wenn der deutsche Staat allerdings sein Recht einfordert, etwa wenn er Steuern eintreiben oder Waffen entziehen will, werden sie gewalttätig.

Dirk Wilking vom Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung würde die Reichsbürger nicht als Terroristen definieren. Er hat im Auftrag des Landes Brandenburg in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz dort ein Handbuch für Behörden (hier als PDF) geschrieben hat über den Umgang mit den sogenannten Reichsbürgern. Er sagte im Interview mit dem Deutschlandfunk:

Es sind keine terroraffinen Leute, sondern sie benutzen das, was ihnen zur Verfügung steht.

Wilking hält die Reichsbürger zwar für verfassungsfeindlich, weil sie den Staat ablehnten, spricht aber nicht von terroristischen Organisationen, weil sie dafür zu zersplittert seien (kein Wunder, wäre ein Zusammenschluss doch in ihrer Logik eine Art Staatenbund).

WDR-Reporter Kai Rüsberg hält die Einschätzung einer terroristischen Tat dagegen durchaus für zutreffend:

Tatsächlich aber ist die Einschätzung, ob es sich hierbei um Terror handelt, nicht entscheidend dafür, ob und wie Journalisten mit dem Thema umgehen. Nachrichtenkriterien orientieren sich schließlich nur zum Teil auch an juristischen, polizeilichen oder sonstwelchen Definitionen wie in diesem Fall der des Terrors. Man kann auch darüber berichten und den Begriff trotzdem vermeiden.

Aus meiner Sicht rechtfertigen vor allem zwei Aspekte eine ausführlichere und überregionale Berichterstattung: die gewaltsame Auseinandersetzung mit vier verletzten Polizeien, die in dieser Form selten ist, sowie der damit verbundene Fokus auf eine offensichtlich bisher unterschätzte Gruppe von Tätern mit einer bestimmten Ideologie, deren Gewaltpotenzial in der Öffentlichkeit so bisher kaum bekannt war oder zumindest nicht zum Tragen kam. Auch wenn dem bereits die Festnahme des Reichsbürgers Adrian Ursache vorausging, der dabei ebenfalls SEK-Beamte verletzte.

Wie ausführlich die Berichterstattung dann tatsächlich ist, ist allein mit Zahlen nicht zu fassen. Denn wie man anhand des eingangs zitierten Tweets mit dem „völlig durchdrehen“ sieht, geht es auch um Bewertungen.

Tatsächlich kann man aber kritisieren, dass über die üblichen Nachrichtensendungen und Informationsformate hinaus keine Sondersendungen ins Programm gehoben wurden, zumal ARD und ZDF unter anderen Umständen nicht gerade hohe Hürden dafür aufbauen. Allerdings brachte diesmal etwa das heute-journal im ZDF zum Reichsbürger nur eine Nachricht im Kurzmeldungsblock und keinen Film. Und das Erste verzichtete auf einen Brennpunkt.

Ob ein fehlender Brennpunkt allerdings wirklich so schlimm war, möchte ich angesichts der Qualität vieler Ausgaben bezweifeln.

Weiterführend:

Der Fall Böhmermann: Mit dem Zweiten sieht man besser

Wer sich Jan Böhmermanns sogenanntes Schmähgedicht gegen den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in seinem gesamten Kontext angesehen hat, dürfte bemerkt haben, dass es Böhmermann nicht wirklich darum ging, Erdogan zu beleidigen. Jedenfalls nicht so, wie er es offensichtlich durch das Gedicht getan hat.

Die Satire ist mehr als das Gedicht. Das Gedicht lässt sich nicht so einfach aus ihr herauslösen und separat behandeln, es ist Teil eines größeren Kunstwerks. Böhmermann und sein Sidekick Ralf Kabelka weisen in einem Dialog ausdrücklich darauf hin, dass es ihnen darum geht, die Grenzen von Satire auszuloten.

Böhmermann: „Also, das Gedicht. Das, was jetzt kommt, das darf man nicht machen?“
Kabelka: „Darf man NICHT machen.“

Das Landgericht Hamburg hat in einer bemerkenswerten Entscheidung Teile des Gedichts verboten, andere jedoch erlaubt, und schreibt dazu:

Diese Grenze sei nach Auffassung der Kammer durch bestimmte Passagen des Gedichts überschritten worden, die schmähend und ehrverletzend seien. Zwar gelte für die Einkleidung eines satirischen Beitrages ein großzügiger Maßstab, dieser berechtige aber nicht zur völligen Missachtung der Rechte des Antragstellers.

Auch das Gericht beschränkte sich in seiner Entscheidung offensichtlich auf das Gedicht. Absurderweise verbot es bestimmte Passagen daraus nicht, was sich in einem lustigen Anhang nachlesen lässt.

(Screenshot: http://justiz.hamburg.de/contentblob/6103298/6b1b7ae264e23809630af9d7716ef2fd/data/schmaehgedicht-jan-boehmermann-pdfanhang.pdf)
(Screenshot: Justiz Hamburg)

Als zweites befasste sich jetzt die Staatsanwaltschaft Mainz mit dem Fall. Sie hat die strafrechtlichen Ermittlungen im Hinblick auf Paragraph 170 Abs. 2 Strafprozessordnung geführt – und sieht den Fall völlig anders. Vor allem sieht sie den gesamten Kontext und nicht nur das Gedicht. Davon zeugt ihr bemerkenswert klares Statement.

Entstehungsgeschichte, aktuelle zeitgeschichtliche Einbindung und die konkrete über das bloße Vortragen des so genannten „Schmähgedichts“ hinausgehende Gestaltung des Beitrages ziehen in Anwendung dieser verfassungsrechtlichen Prinzipien die Verwirklichung des objektiven Straftatbestandes in Zweifel.

Der Anwalt Udo Vetter kommentiert aus juristischer Perspektive:

Sehr deutlich ordnet die Staatsanwaltschaft das Schmähgedicht auch als Kunst ein, weil es eben den wesentlichen Stilelementen der Kunstgattung Satire genügt: Übertreibung, Verzerrung und Verfremdung.

Zum einen kann Erdogan gegen die Entscheidung noch Beschwerde einlegen. Zum anderen läuft noch seine Privatklage gegen Böhmermann, die am 2. November in Hamburg verhandelt werden soll. Ganz aus dem Schneider ist dieser also noch nicht. Immerhin sollte in Hamburg die Chance bestehen, dass das Gericht sich nicht auf das Gedicht beschränkt, sondern sich den ganzen Kontext anschaut. Denn mit dem Zweiten sieht man besser.

Auch wenn die Satire im Moment noch nicht vollständig beim ZDF abrufbar ist – der Deutschlandfunk hat das Gedicht in voller Länge dokumentiert.

Ein Hoeneß muss nicht gewählt werden

Gut, gut, offenbar gibt es wenige Zweifel daran, dass Uli Hoeneß demnächst wieder Präsident des FC Bayern München sein wird. Allerdings haben sich manche Journalisten heute dermaßen überschlagen, dass ganz durcheinander ging, wie das eigentlich ablaufen soll. Kandidatur? Wahl? Offenbar nicht nötig.

So war sich die Sportschau etwa schon sehr sicher, dass Hoeneß zurückkehrt – laut Tweet und Überschrift des Artikels in jedem Fall. Sogar der ersten Satz im Text lautete „Honeß wird sich (…) wählen lassen.“ Das ist kühn. Auch MDR Aktuell formulierte das so, als sei Hoeneß soeben gewählt worden.

ZDF heute schrieb zwar zuerst richtig, dass Hoeneß kandidiere, rutschte dann aber später wieder teilweise in den Indikativ ab.

Während die Süddeutsche Zeitung sich zumindest sprachlich ein wenig distanzierte.

Vielleicht haben sich einige Journalisten auch zu sehr auf die Formulierung der Nachrichtenagentur SID verlassen. Der Sport-Informationsdienst etwa meldete die Kandidatur ebenfalls als praktisch unnötig.

SIDSehr schön hat die ganze Geschichte SPIEGEL online zusammengefasst.

Am Ende gilt aber in jedem Fall:

Keine gute Figur – über die taz zur Putsch-Nacht

20160718_191714Jürn Kruse (@taz_kruse) kritisiert in der taz die Berichterstattung von ARD und ZDF in der Nacht des Putschversuchs in der Türkei. Er mag dabei nicht Unrecht haben; ich habe die Berichterstattung nicht verfolgt. Und für ihn bin ich jetzt wahrscheinlich auch nur so einer wie die Moderatoren, die er erwähnt, die in den sozialen Netzwerken „die eigenen Sender loben und immer wieder das gleiche Argument abfeuern: Wir recherchieren erst, bevor wir senden!“ Diese Kritik irritiert mich doch ein wenig. Wie arbeitet Kruse denn als Journalist?

Er nennt das Argument „in vierfacher Hinsicht ärgerlich und frech“. Weil es impliziere, dass alle anderen nur ungeprüften Schwachsinn hinausposaunen würde. Wenn er das so sieht…

„Zweitens macht nicht erst die offizielle ARD-ZDF-Verifikation eine Nachricht zu einer Nachricht.“

Aber bitte: Was denn sonst? Berichtet die taz etwa über Dinge, die sie nicht selbst verifiziert hat? Und unter Verifikation verstehe ich auch die Prüfung von Meldungen verschiedener Agenturen, auf die ich mich dann beziehe. Sicherlich macht das auch die taz, und nicht anders arbeiten nach meiner eigenen Erfahrung ARD und ZDF. Es ist eben nicht so, dass sie immer auf die Bestätigung eines eigenen Reporters warten.

„Warum lasst ihr die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht teilhaben an diesem Prozess des Sortierens und Einordnens?“

fragt Kruse weiter – und landet damit einen Punkt. Das, finde ich, ließe sich durchaus machen. Obwohl ich dabei unterscheiden würde, über welches Sujet eigentlich berichtet wird. Geht es um einen Terroranschlag, habe ich meine Bedenken über die atemlose Vor-Ort-Berichterstattung schon gestern hier deutlich gemacht.

Ja, vielleicht haben ARD und ZDF Fehler gemacht in dieser Nacht. Aber nicht alle Argumente dagegen ziehen, bloß weil man sich selbst ärgert. Nein, lieber Jürn Kuse, das haben Sie nicht ganz so gut gemacht.

Der Umgang mit Fehlern – immer noch eine schwierige Übung für Journalisten

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Es ist erstaunlich, wie ausführlich immer noch darüber diskutiert wird, ob Journalisten Fehler machen. Als es auf der Jahrestagung des Netzwerks Recherche in Hamburg um eine neue Fehlerkultur ging – also die Frage, wie Journalisten mit Fehlern umgehen sollten – wurde überraschend lange darüber diskutiert, ob sie überhaupt Fehler machen und was eigentlich als Fehler angesehen wird. Das zeigt, wie wenig entwickelt diese Fehlerkulturen in vielen Redaktionen eigentlich sind.

Zwar gab es recht schnell Einigkeit in der Frage, ob sachliche Fehler, Rechtschreibfehler, Vertauschungen, falsche Fernsehbilder, falsch übersetzte fremdsprachliche O-Töne korrigiert werden müssen. (Ja, müssen sie.) Wie das passiert, war allerdings umstritten. Medienkritiker Stefan Niggemeier fordert schon seit Langem, dass Journalisten damit an die Öffentlichkeit gehen sollten. Ihre Situation habe sich geändert, findet er; heute müssten die Leute nicht mehr glauben, was ihnen Journalisten erzählen, sie könnten sich stattdessen aus den besten und schlechtesten Quellen informieren. „Das ist das Dramatischste, was sich verändert, dass dieses Monopol weg ist“, sagte Niggemeier in Hamburg. Medien müssten darauf mit mehr Transparenz und einer Fehlerkultur reagieren.

Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke zeigte sich skeptisch, dass diese Offenheit wirklich zielführend ist und belohnt wird. Angesprochen auf das Tagesschau-Bild von der falschen Deutschlandflagge sagte Gniffke, manche Fehler ließen sich nur schwer kaschieren. Allerdings würden alle Fehler analysiert, berichtigt und transparent gemacht. Man müsse jedoch aus taktischen Gesichtspunkten überlegen, ob das insgesamt zum Erfolg führe, sagte Gniffke. Er ist gegen einen Transparenzkult, denn durch das öffentliche Eingeständnis selbst kleinster Fehler würden diese erst richtig groß gemacht.

Selbstkritik wird nicht belohnt

Tatsächlich haben öffentlich-rechtliche Sender damit in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen gemacht. So hatte Gniffke laut Focus eingeräumt:

„Wenn Kameraleute Flüchtlinge filmen, suchen sie sich Familien mit kleinen Kindern und großen Kulleraugen aus.“ Tatsache sei aber, dass „80 Prozent der Flüchtlinge junge, kräftig gebaute alleinstehende Männer sind“.

Ein Eingeständnis, für das Gniffke geprügelt wurde, so dass er heute sagt: „Fehler muss man korrigieren, man muss sie aber auch nicht zelebrieren.“ Man müsse immer abwägen: Wie schwer ist der Fehler, der gemacht wurde? Wie schwer ist das Geschütz, das wir dann auffahren? Gniffke sieht sich nicht belohnt durch das öffentliche Eingeständnis von Fehlern. Er sagte, je öfter wir über unsere Glaubwürdigkeit und unsere Fehler redeten, desto mehr würden die Leute ihre Zweifel bekommen.

Auch ZDF-Chefredakteur Elmar Theveßen hat eine Welle von Kritik abbekommen. Nachdem die Hauptausgabe von „heute“ am 4. Januar nicht über die Silvesterübergriffe in Köln berichtet hatte, obwohl deren Dimension durch eine Pressekonferenz am Nachmittag offenbar geworden war, entschuldigte sich Theveßen öffentlich – und wurde dafür angegriffen. Er sprach in Hamburg von einer seltsamen Situation.

Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hatte die Berichterstattung von ARD und ZDF damals kritisiert – und bezog sich ausgerechnet auf die beiden Beispiele, in denen Fehler eingestanden wurden. Stefan Niggemeier schrieb daraufhin:

(…) Eigentlich wollen wir doch, dass Medien sich endlich zu mehr Selbstkritik durchringen. Dass sie öffentlich einräumen, wenn sie Fehler gemacht haben; dass sie sich gegebenenfalls entschuldigen; dass sie zu ihren Versäumnissen stehen.

Was ist aber, wenn diese Eingeständnisse ausschließlich als Munition gegen diejenigen verwendet werden, die sie äußern? Wenn sie nicht als Indiz dafür genommen werden, dass sich die Verantwortlichen kritisch mit ihrer eigenen Arbeit auseinandersetzen, sondern als vermeintlichen Beleg dafür, dass die Situation so schlimm ist, dass selbst die Verantwortlichen nicht mehr alles leugnen können?

In Hamburg sagte er jetzt, da müssten die Medien jetzt erst mal durch. Was als Selbstkritik gedacht war, wie bei Gniffke, sei als Eingeständnis genommen worden, dass die Zuschauer belogen werden, sagte Niggemeier in Hamburg. Er glaube trotzdem, dass das der einzige Weg sei – die einzige Chance, dass man Medien trauen kann. Langfristig helfe das.

Es versendet sich nichts mehr

Der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo, der heute das Recherchebündnis von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung leitet, stimmt zu. Alte Journalistenweisheiten wie „Nichts ist älter als die Zeitung von gestern“ und „Das versendet sich“ stimmten heute einfach nicht mehr. Mascolo gab sich beschämt für die gesamte Branche und sein eigenes berufliches Leben, dass sich viele Journalisten nie dazu verpflichtet sahen, Fehler transparent zu korrigieren. Dabei könnten wir Journalisten davon nur profitieren.

Mascolo verwies auf Kritik von Zuschauern, die fragen würden: Legt Ihr die gleichen harten Maßstäbe, die Ihr an andere anlegt, auch an Euch selbst an? Für den Unwillen, mit eigenen Fehlern umzugehen, habe unser Publikum ein ganz gutes Gespür. Das Korrigieren von Fehlern müsse eine Verpflichtung gegenüber dem Publikum sein, so Mascolo, aus Liebe zum eigenen Beruf und handwerklichen Standards. „Das darf in Zukunft nicht mehr verhandelbar sein“, egal wie die Reaktionen ausfallen.

Mascolo und Niggemeier brachten das Amt eines Ombudsmanns ins Spiel. In den USA haben einige Medien Ansprechpartner für ihre Nutzer benannt, die deren Fragen an die Redaktion weitergeben können. So hat etwa Margret Sullivan bei der New York Times vier Jahre lang Anregungen und Kritik der Nutzer aufgenommen und in der eigenen Redaktion recherchiert, wie mit Themen umgegangen wurde, warum so und nicht so berichtet wurde, wie es zu Fehlern kam. Mascolo fordert, dass so ein Ombudsmann oder eine Ombudsfrau intern nach denselben Maßstäben recherchieren müsste, mit denen Journalisten sonst außerhalb auch recherchierten.

Niggemeier als Ombudsmann beim Spiegel?

Als Mascolo Chefredakteur des Spiegel war, wollte er solch einen Ombudsmann installieren. In Hamburg verriet er, dass er dafür Stefan Niggemeier gewinnen wollte. Warum es nicht dazu kam, dazu haben beide allerdings unterschiedliche Erinnerungen.

Mascolo sagte, ein gut eingesetzter Ombudsmann könne der Glaubwürdigkeit des ganzen Systems dienen. Gniffke lehnte das für seine Redaktion allerdings ab. Er beschäftige ohnehin jeden Tag zwei Leute damit, Beschwerden nachzugehen. Theveßen verwies auf Entwicklungen im ZDF: Es gebe inzwischen eine Korrekturspalte auf heute.de, Programmbeschwerden seien einfacher geworden, seit sie auch per Mail eingereicht werden könnten, „unsere Antworten sind sachlicher geworden“ und auch selbstkritischer, sagte Theveßen. Man stelle sich per Talk und Chat dem Zuschauer, auf Wegen wie heute plus und Facebook. „Ich glaube, wir sind gar nicht so schlecht“, sagte er.

Moderator Peter Grabowski brachte eine Erfahrung ins Spiel, die ich als Journalist auch immer wieder mache: Leser, Hörer, Zuschauer, Nutzer sind ziemlich schnell in ihren Urteilen und, so Grabowski, sie maßen sich Urteile über hochkomplexe politische Dinge an, die sie etwa der Bundeskanzlerin über ihren eigenen Job nie zugestehen würden. Er habe das Gefühl, dass viele Leute nicht verstünden, wie dieses Land funktioniert, geschweige denn die Medien. Zwischen „würfeln“ und „die CDU ruft an und sagt, was wir berichten müssen“ sei alles dabei. Wir sollten vielleicht viel deutlicher erklären, was wir machen, so Grabowski. Und die freie Journalistin Andrea Hansen fügte aus dem Publikum hinzu, dass wir uns zum einen mehr in die Karten schauen lassen müssten, zum anderen aber auch zeigen, was uns immer noch zum Profi mache bei der Berichterstattung über sowie der Einordnung und Kommentierung von Ereignissen. Vorbildlich gelungen ist das übrigens bei der Featurereihe „Der Anhalter“, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe.

ZDF-Chefredakteur Elmar Theveßen sagte, sein Sender habe jeden Freitag bei heute plus und bei Facebook live gezeigt, wie sie was gemacht hätten. Moderator Daniel Bröckerhoff nimmt regelmäßig vor den Sendungen Zuschauer per Periscope mit in die Redaktion oder ins Studio.

Theveßen hält das aus zwei Gründen für notwendig, sagte er in Hamburg: Erstens sei es eine Frage des Anstands, und zweitens: „Es wird nicht besser werden, was das wachsende Misstrauen in Medien angeht durch die Vervielfältigung der Medien.“ Man müsse uns mehr vertrauen können als andere Medien, die genau das nicht täten.

Keine Diskussion über die eigentlichen Vorwürfe

Dennoch sieht Theveßen auch Grenzen: Die, die am lautesten schrien, schauten sich genau das eben nicht an, weil es nicht in ihren Kram passe. Die wollten gar nicht so genau wissen, wie wir arbeiten und wie sorgfältig das ist, weil es ihnen ihre Schreierei kaputt machen könnte.

Faktische Fehler sind das eine. Ihnen zu begegnen, halte ich trotz der langen Diskussion für vergleichsweise einfach. Schwerer wiegen für mich jedoch Vorwürfe von Nutzern, die in Hamburg höchstens gestreift wurden: die Kritik, Journalisten würden tendenziös berichten. Dass wir Akteure mit verschiedenen Maßstäben messen würden (Russland/Ukraine), dass wir bei den einen kritisieren, was wir den anderen durchgehen lassen (Russland/NATO), dass wir Fakten verdrehen, damit sie zu unserer Gesamtaussage passen, kurz: dass wir Propaganda betreiben und nicht neutral seien.

Solche Vorwürfe sind es, die das Verhältnis zu einem bestimmten Teil der Nutzer ernsthaft belasten. Die einzelne, detailliertere Kritik hat teilweise durchaus ihre Berechtigung, allerdings ignorieren Journalisten selbst diese gerne. Manche davon ist durch Verweis auf weitere Fakten auszuräumen, manche durch ein Eingeständnis, zum fraglichen Zeitpunkt nicht die gesamte Lage überblicken zu können. Aber es sind auch Fehleinschätzungen darunter, die einzugestehen einen Journalisten nicht unglaubwürdig, sondern wesentlich glaubwürdiger machen würde.

Es sind zugegebenermaßen auch Vorwürfe darunter, die nicht auszuräumen sind, wenn die Gegenseite faktenfrei argumentiert und lediglich ihre Sicht auf die Dinge bestätigt haben möchte. In Hamburg blieb jedoch völlig offen, wie man sowohl diesen Nutzern begegnet als auch mit berechtigter Kritik in dieser Hinsicht umgeht. Von einer umfassenden Fehlerkultur scheinen zumindest die bei dieser Diskussion auf der Jahreskonferenz vertretenen Redaktionen noch entfernt zu sein.

Man kann nicht über Jan Böhmermann schreiben, ohne über Jan Böhmermann zu schreiben

Und aus diesem Dilemma kommt man auch nicht heraus, wenn man eigentlich sagen will, dass Jan Böhmermann jetzt genug Öffentlichkeit hatte. In dem Dilemma steckt aber offenbar Tagesspiegel-Redakteur Joachim Huber (@HuberJoachim), der (ausdrücklich) gegen Böhmermann polemisiert, weil der ihm wieder zu stark in die Öffentlichkeit drängt:

Mein Gott, Böhmermann, hast du es nicht eine Nummer kleiner? Halt doch mal die Klappe, schau doch mal über dich hinaus, schau doch mal in die Türkei.

Auch Huber bezieht sich auf das wahrscheinlich bekannteste Zitat aus Böhmermanns Interview in der ZEIT (kostenpflichtig), wenn er schreibt:

Seitdem sieht sich der Mimose als deutscher Ai Weiwei, als Opfer eines bös-doofen Despoten und einer kuschelnden Kanzlerin.

Damit zeigt Huber genauso wie Stern-Reporter Hans-Ulrich Jörges in seiner Videokolumne, dass er wenig Humor hat. Am Ende seiner Kolumne immerhin lässt Jörges zumindest anklingen, dass er erkannt hat, dass auch das Interview satirische Züge hat. Wer etwas mehr Humor und es einigermaßen aufmerksam gelesen hat, hätte das schon früher erkannt und auf den Kommentar verzichtet.

Denn worüber regen sich beide auf? Dass ein Satiriker weiter sein Handwerk betreibt? Wird nach Anschlägen wie in Paris oder nach Polizeieinsätzen gegen Redaktionen nicht immer gefordert, jetzt müsse man erst recht weitermachen? Weiter in Bars und Konzerte gehen, weiter seine Arbeit als Journalist machen, um sich eben nicht einschüchtern zu lassen?

Genau das tut Jan Böhmermann. Er tritt wieder als Satiriker auf. Von diesem Job und seiner inneren Haltung ist er nicht zu trennen. Ihm das vorzuwerfen, finde ich unredlich und inkonsequent.

Wem Böhmermann auf die Nerven geht wie Huber und Jörges, der kann ihn ganz leicht ignorieren. Zum Beispiel, indem er kein Video aufnimmt und keinen Text darüber schreibt. Und indem er eben nicht ausdrücklich Böhmermanns „Medien-Kanäle“ anklickt wie Huber, um sich dann darüber zu beschweren, dass da Böhmermann ist. Man geht ja auch nicht in den Puff und beklagt sich dann, dass da nackte Frauen sind. (Jürgen Becker)