Journalistin heiratet Finanzminister: Verlag bestreitet Interessenkonflikt

Bundesfinanzminister Christian Lindner und die Politik-Chefreporterin des Senders „Welt“ Franca Lehfeldt heiraten. Die Partnerschaft zwischen der Journalistin und dem Politiker sei ein deutlicher Interessenkonflikt, findet Daniel Depper von Netzwerk Recherche. „Welt“ kann dagegen keinen erkennen. Ich habe für @mediasres im Deutschlandfunk mit Daniel Drepper darüber gesprochen.

Der Verlag Axel Springer hat sich auf unsere Anfrage geäußert – und verweist auf das journalistische Selbstverständnis (PDF). Darin heißt es:

Die Journalisten bei Axel Springer…
~ berichten grundsätzlich nicht über nahestehende Personen, insbesondere Familienangehörige, es sei denn, es liegt ein mit dem jeweiligen Vorgesetzten abgestimmter sachlicher Grund vor.

Wie deutsche Medien aus Russland berichten (können)

Nicht nur ARD, ZDF und das Deutschlandradio haben oder hatten ihre Berichterstattung aus dem Studio Moskau zeitweise eingestellt. Auch andere Medien haben ihre Korrespondenten teils abgezogen, teils nicht mehr arbeiten lassen. Im WDR5-Medienmagazin „Töne, Texte, Bilder“ habe ich einen Überblick gegeben.

Für Online extra scharf gemacht: Wie die „Welt am Sonntag“ mit einer Umfrage polarisiert

Welcher Einstieg in einen Artikel zieht Sie mehr an?

Variante 1:

Die Mehrheit der Deutschen lehnt es ab, die deutsche Sprache durch neue Regeln zu ergänzen, die zu einer stärkeren Berücksichtigung unterschiedlicher Geschlechter in der Grammatik führen sollen.

Variante 2:

Die Mehrheit der Deutschen lehnt es ab, die deutsche Sprache zwanghaft zu verweiblichen.

Egal, wie man zum Thema steht, Variante 2 wird die meisten von uns wohl stärker triggern.

Es sind zwei Varianten eines ansonsten weitgehend ähnlichen Textes, den die „Welt am Sonntag“ bereits Anfang Juni veröffentlicht hat. Sie hat Infratest Dimap eine Umfrage durchführen lassen, in der es um die Akzeptanz bestimmter Formen der geschlechtergerechten Sprache geht. Um die scheint es den Zahlen zufolge nicht gut bestellt, aber dazu später mehr.

Online-Fassung polarisiert

Interessant ist, dass sie ihre Ergebnisse in diesen zwei Varianten präsentiert: Die erste ist die Variante für die Print-Ausgabe der „Welt am Sonntag“, die zweite die Online-Fassung.

Unterschiede gibt es nicht nur beim Einstieg, sondern auch an weiteren Stellen, etwa bei der Überschrift. Im Print heißt es:

Mehrheit der Deutschen lehnt „Gender“-Sprache ab

Online mit Betonung eines anderen Aspekts:

Mehrheit der Frauen will keine Gendersternchen

Im Print lautet der Vorspann:

56 Prozent der Bevölkerung sind gegen Binnen-I und Gendersternchen. Talkmaster Markus Lanz: Solche Formalismen seien „Unfug“. Befürworter dagegen halten die deutsche Sprache für „ausgrenzend“

Online fehlen im Vorspann die Argumente der Befürworter, stattdessen vertritt die Redaktion die Argumente der Gegner:

Eine Umfrage im Auftrag der WELT AM SONNTAG zeigt: Die Mehrheit der Deutschen hält nichts von Binnen-I und Gendersternchen, mit denen politische Aktivisten ihre Mitbürger erziehen wollen. Kritiker sprechen von „Gender-Unfug“.

Online wird im Vorspann die geschlechtergerechte Sprache ausschließlich negativ dargestellt; Formulierungen wie „zwanghafter Verweiblichung“, Erziehung durch politische Aktivisten und „Gender-Unfug“ finden sich dagegen im Print-Artikel nicht. Online fehlt außerdem ein Absatz mit Argumenten für eine geschlechtergerechte Sprache der Schriftstellerin und Übersetzerin Andrea Paluch, der den Print-Artikel ausgewogener macht.

Problematische Fragestellung

Mal davon abgesehen, dass die „Welt am Sonntag“ mit ihrem Artikel gegen den Pressekodex verstößt (Richtlinie 2.1), weil sie die Metadaten der Umfrage nicht veröffentlicht, ist die Interpretation der Ergebnisse nicht von der Umfrage selbst gedeckt. Wie man bei Infratest Dimap nachlesen kann, wurde gefragt:

Nun eine Frage zur geschlechterneutralen Sprache, also der sogenannten Gendersprache. Dafür wird beispielsweise beim ‚Binnen-I‘ nicht von Wählerinnen und Wählern, sondern in einem Wort von ‚WählerInnen‘ gesprochen, d.h. mit kurzer Pause vor dem ‚i‘. Außerdem werden beispielsweise aus den Zuhörern die Zuhörenden. Wie stehen Sie zur Nutzung einer solchen Gendersprache in Presse, Radio und Fernsehen sowie bei öffentlichen Anlässen? Befürworten Sie dies voll und ganz, eher, lehnen Sie dies eher ab oder voll und ganz ab?

(Quelle: Infratest Dimap, https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/umfragen/aktuell/vorbehalte-gegenueber-genderneutraler-sprache/)

Welche Antworten Befragte geben, hängt immer auch von der Wortwahl der Fragestellung ab (und von den Antwortmöglichkeiten, die hier keine neutrale Position zulässt, nur eine Enthaltung). Dabei lässt es sich nicht immer komplett vermeiden, über die Wortwahl eine bestimmte Sicht zu transportieren. Hier wurden „geschlechterneutrale Sprache“ und „Gendersprache“ als Begriffe gewählt; man hätte auch von „geschlechtergerechter Sprache“ reden können und den Begriff „Gendersprache“, der gerade bei ablehnenden Kreisen ein gewisses Triggerpotenzial hat, vermeiden können.

Problematischer finde ich, dass hier einerseits ganz allgemein nach der Verwendung solcher Formen gefragt wird, aber dann nur zwei davon tatsächlich benannt werden, obwohl es sehr viele Varianten geschlechtergerechter Sprache gibt. Ich gehe davon aus, dass, je nachdem, welche Varianten man zur Auswahl stellt, man unterschiedlich viel Zuspruch für die Formen bekommen könnte. Alle über einen Kamm zu scheren, heißt aber, dass die Befragten ihre Meinung anhand einiger der polarisierendsten Varianten äußern sollen, wenngleich sie durchaus einige Formen begrüßen würden.

Zu weitgehende Interpretation

Aber selbst, wenn wir diesen Aspekt außen vor lassen, begeht die „Welt am Sonntag“ m.E. einen Fehler in der Interpretation dieser Ergebnisse. Denn die Frage wurde sehr spezifisch gestellt: nach geschlechterneutraler Sprache im Allgemeinen und zwei Varianten davon im Speziellen. Im Text heißt es aber:

Demnach halten 56 Prozent der Bevölkerung nichts vom „Gendern“ von Begriffen durch ein großes Binnen-I, ein Gendersternchen oder einen Unterstrich in journalistischen und literarischen Texten sowie in politischen Reden.

Dabei wurde nach dem Gendersternchen oder einem Unterstrich überhaupt nicht gefragt, und es ist auch nicht erkennbar, ob den Befragten diese Varianten bekannt waren. Deswegen ist schon der Einstiegssatz (hier zitiert aus Print, nicht zu schweigen von Online, s.o.) eine zu weitgehende Interpretation:

Die Mehrheit der Deutschen lehnt es ab, die deutsche Sprache durch neue Regeln zu ergänzen, die zu einer stärkeren Berücksichtigung unterschiedlicher Geschlechter in der Grammatik führen sollen.

Dabei gibt es durchaus mehr Varianten „geschlechtergerechter Sprache“, mit denen die Befragten vielleicht mehr anfangen könnten, wie ein Blick zum Beispiel auf genderleicht.de zeigt. Neben Doppelformen („Lehrer und Lehrerinnen“) sind das auch neutrale Formen („Team“, „Personal“) oder eine Umformulierung des Satzes.

Die Polemik in der Online-Variante zeigt m.E. aber, worauf es der „Welt am Sonntag“ ankam: eine Verächtlichmachung dieser Varianten der geschlechtergerechten Sprache, gestützt durch eine Umfrage, die das Ergebnis nicht hergibt.

Die Ironie der Gegner

Nebenbei bemerkt: In beiden Texten kommt die Schriftstellerin Monika Maron zu Wort, die so zitiert wird:

Die politische Bereinigung der Sprache ist eine geradezu diktatorische, auf jeden Fall eine ideologische Anmaßung, die nur Leute mit Hoheitsgewalt durchsetzen können: in Behörden, Rathäusern, Universitäten, öffentlich-rechtlichen Sendern

Woher die Hoheitsgewalt in öffentlich-rechtlichen Sendern kommt, erschließt sich mir nicht. Aber die Ironie solcher Äußerungen liegt ja darin, dass Gegner solcher Entwicklungen in der Sprache beklagen, dass andere ihnen angeblich vorschreiben wollen, wie sie zu reden haben. Sie dagegen tun nichts anders: Sie wollen den Befürwortern solcher Entwicklungen vorschreiben, wie sie zu reden haben – auf jeden Fall nicht so.

bild.de korrigiert klammheimlich falschen Artikel

Am Dienstag habe ich für den Deutschlandfunk aufgeschrieben, wie bild.de und welt.de falsch (teilweise mindestens irreführend) über die Fake-Vorwürfe gegen Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf berichten. Auch zwei Tage später hatte bild.de noch nicht auf die Kritik reagiert. Mittlerweile hat sie – zu erkennen unter anderem an der neuen Überschrift:

Fake-Vorwürfe gegen TV-Moderatoren: Was bei Joko und Klaas alles schief lief

Zuvor hieß es da:

Nach Fake-Vorwürfen gegen Joko und Klaas: Kein Grimmepreis für „Late Night Berlin“

Der Artikel wurde gestern komplett überarbeitet, es gibt allerdings keinen Hinweis auf die Überarbeitung und die ursprüngliche Falschberichterstattung, und sogar das Datum wurde gefälscht. Dort ist die Rede vom 03.03.2020 Uhr um 19.30 Uhr, dabei war die Seite bis zum 05.03.2020 auf dem ursprünglichen Stand von vor der Änderung.

Inhaltlich wird jetzt zutreffend kein Zusammenhang mehr hergestellt zwischen dem Grimme-Preis für „15 Minuten“ und den Fake-Vorwürfen gegen zwei andere Sendungen der beiden Unterhalter. Der Preis wird jetzt das erste Mal in den letzten beiden Abstätzen erwähnt:

Nicht unter Fake-Verdacht steht dagegen ihre Pro7-Sendung „Joko und Klaas LIVE – 15 Minuten“. Deshalb sollen sie dafür auch mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet werden.

Wie geht das Grimme-Institut jetzt weiter mit den Vorwürfen um? Institutsleiterin Dr. Frauke Gerlach zu BILD: „Die Vorwürfe gegenüber Joko und Klaas sind genereller Natur, da wird man erstmal genau prüfen müssen, was davon zutrifft und was nicht. Wir zeichnen die beiden Entertainer sowie Thomas Martens und Thomas Schmitt (für Idee und Redaktion) für das Format ‚Joko und Klaas LIVE – 15 Minuten‘ aus.“

Jetzt könnte man noch darüber streiten, ob sie „dafür“ mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet werden sollen, dass sie in „15 Minuten“ nicht gefaket haben. Aber das würde zu weit führen.

Dass bild.de seinen falschen Artikel aber erst so spät korrigiert hat, obwohl es schon früh Hinweise auf die falsche Berichterstattung gab, zu einem Zeitpunkt, als der Artikel über die Startseite schon gar nicht mehr auffindbar war, es also mutmaßlich kaum noch Zugriffe gegeben haben könnte, das auch noch intransparent getan hat, weil es nirgendwo einen Hinweis auf die Überarbeitung gibt, der Artikel aber noch unter der alten URL erreichbar ist, und dafür auch ein falsches Datum angegeben hat, spricht für die journalistische Ethik der Redaktion.

Für Chefredakteur Julian Reichelt wäre es übrigens kein Problem, sich für so was zu entschuldigen, wie er mal dem Tagesspiegel gesagt hat:

Es fällt mir grundsätzlich leicht, mich zu entschuldigen, wenn wir Fehler gemacht haben.

Ich hab allerdings nicht mitbekommen, dass er es für diesen Artikel getan hat.

„Bild“ und „Welt“ berichten falsch über Joko und Klaas

Grimme-Preis für Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf – und gleichzeitig Vorwürfe, in ihren Sendungen sei betrogen worden. Obwohl beides nichts miteinander zu tun hat, verknüpfen bild.de und welt.de es miteinander.

Das habe ich für @mediasres im Deutschlandfunk aufgeschrieben.

Gute Zusammenarbeit: Wie Medien Maaßens Framing vom „Rückzug aus dem Wahlkampf“ übernehmen

Welchen Einfluss bestimmte Personen auf die öffentliche Debatte haben, hängt auch davon ab, wie Medien mit ihnen umgehen. Ein gutes Beispiel dafür ist in diesen Wochen der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. Was immer er sagt oder twittert, wo er auftritt oder wo er angesprochen wird – Medien machen was draus.

Das ist an sich schon problematisch, hat Maaßen doch keinerlei Amt mehr inne, ist kein Mitglied irgendeines Parlaments, hat innerhalb der CDU keine bestimmte Aufgabe. Dafür sorgt er mit krawalligen Statements für Aufmerksamkeit, von denen Medien profitieren wollen. Politisch relevant ist das selten.

Ein schlechtes Beispiel dafür haben Maaßen und Medien gestern gegeben. Maaßen hatte getwittert, er ziehe sich aus dem Wahlkampf in Sachsen zurück.

Nach Recherchen der Deutschen Presse-Agentur waren aber gar keine Wahlkampfauftritte Maaßens in Sachen geplant – wovon könnte sich Maaßen also zurückziehen? Dennoch hatte die Agentur diesen Dreh übernommen. Sie schrieb:

Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen zieht sich aus dem Landtagswahlkampf der sächsischen CDU zurück. Er schrieb am Sonntagabend auf Twitter (…).

Dem Vernehmen nach waren in Sachsen jedoch sowieso keine Auftritte mit Maaßen mehr vereinbart.

In der Meldung wird also richtigerweise dementiert, was in der Überschrift noch behauptet wurde. Inhaltlich ergibt das aber keinerlei Sinn – man kann sich nicht von etwas zurückziehen, von dem man ohnehin kein Teil (mehr) war. Mit derselben Logik könnte ich mich aus dem sächsischen Wahlkampf zurückziehen.

Unter anderem die Süddeutsche Zeitung hat gestern in diesem Artikel diesen Dreh übernommen. Mittlerweile hat die Redaktion die Überschrift geändert und den Artikel überarbeitet und durch weitere Informationen ergänzt. Die alte Fassung lässt sich aber noch in der Artikelvorschau bei Twitter sehen.

Wie so oft hat die Redaktion den dpa-Wortlaut inklusive Überschrift größtenteils übernommen. Die Süddeutsche hatte ihrer Meldung aber einen weiteren Absatz hinzugefügt, der nicht von der dpa stammte, es gab also eine redaktionelle Befassung.

Gleichlautend hatte am Abend auch ZEIT online berichtet. Die Artikelvorschau bei Twitter von gestern zeigt diesen Dreh noch:

Auch sie hat den Artikel inzwischen überarbeitet und ihm auch eine neue Überschrift gegeben.

Auch der Tagesspiegel hatte den Artikel von der dpa so übernommen. Er steht (Stand: 26.8.19, 10.45 Uhr) immer noch so online.

Spiegel online hat die Meldung nicht eins zu eins übernommen, sondern sie für einen längeren Artikel mit mehr Kontext verwendet. Aber auch hier hat es Maaßens Spin in die Überschrift geschafft.

Allein die „Welt“ hat noch eine Quelle aufgetan, derzufolge durchaus weitere Auftritte Maaßens in Sachsen hätten geplant sein können. Sie schreibt unter ausdrücklicher Berufung:

Laut Nachrichtenagentur dpa waren in Sachsen keine Auftritte mit Maaßen mehr vereinbart. Der Sprecher der Werteunion, Ralf Höcker, erklärte, es habe „kurzfristige Anfragen“ gegeben. Maaßen werde auch keine Stellungnahmen mehr zum Wahlkampf in Sachsen abgeben. Der Rückzug sei ein echter Rückzug.

Folgerichtig hat sie Maaßens Spin (in der aktuellen Online-Fassung, 26.8.19., 10.50 Uhr) auch nicht in Überschrift und Teaser gepackt.

Erneut hat es Maaßen damit mit Unterstützung von Medien geschafft, seine Botschaft zu transportieren. Mag schon die Werte-Union, die sich für den konservativen Flügel der CDU hält, die aber keine offizielle Gliederung der CDU ist und der Maaßen angehört, in der öffentlichen Darstellung überrepräsentiert sein, so ist es auch Maaßen.

Wie schon bei Trump scheint mittlerweile jedem Tweet eine umfangreiche Berichterstattung zu folgen. Mal davon abgesehen, dass die Relevanz zweifelhaft ist, sollten Redaktionen sich zumindest Maaßens Framing verweigern.

 

Wie die „Welt“ eine Umfrage schief darstellt

Statt eines Blogeintrags mein Twitter-Thread zum Thema. Es geht um diesen Artikel der „Welt“.

 

welt.de übernimmt ARD-Inhalte für eigene Webseite

Ein ARD-Journalist schreibt einen Kommentar – und Medien des Springer-Verlags drehen fast durch. So geschehen am Montag.

Da hat Malte Pieper, Hörfunk-Korrespondent in Brüssel, in einem Kommentar den Rücktritt von Bundeskanzlerin Merkel gefordert. So weit, so unspektakulär; das Kommentieren von Politik und Zeitgeschehen gehört schließlich zum journalistischen Alltag. bild.de und auch der gedruckten „Bild“ von heute war das jedoch einige Aufregung wert. Wie falsch die „Bild“ die Sache darstellt, hat Moritz Tschermak hier im Bildblog aufgeschrieben.

Und Klaus Raab hat sich bei Übermedien etwas grundsätzlicher mit dem Eifer auseinandergesetzt, mit dem die Springer-Medien gegen den Kommentar vorgehen und auch Bild-Chefredakteur Julian Reichelt sich mit ARD-Journalistinnen beschäftigt. Raab schreibt dort auch:

Bemerkenswert ist weniger die Dreistigkeit, den Kommentar eines nicht zum eigenen Verlag gehörenden Journalisten online hinter der Paywall zusammenzufassen, also dafür Geld zu nehmen, sondern vielmehr, dass „Bild“ ihn auch noch falsch ankündigt: „Hier ist das erste deutsche Fernsehen mit der Rücktrittsforderung! Ta-ta-Ta-ta-ta-taaaa!“, lautete der erste Satz des „Bild“-Texts.

Dabei sind die Bild-Medien sogar noch zurückhaltend gewesen. Denn auch dem Schwestermedium welt.de war der Kommentar einen Bericht wert. Und auch die Kollegen dort verhalten sich etwas merkwürdig und titeln ähnlich irreführend wie die Bild-Kollegen:

„ARD-Journalist fordert Merkels Rücktritt“

Warum dieser eine von täglich vielleicht einem Dutzend Kommentaren in den 64 Radioprogrammen von ARD, ZDF und dem Deutschlandradio (allein im Deutschlandfunk laufen werktäglich drei) welt.de einen eigenen Artikel wert ist, schreibt „jr“ (so das Kürzel unter dem Artikel) nicht deutlich.

Zumal der Artikel noch viel mehr als der bei bild.de über weite Strecken eine Art Plagiat des Original-Kommentars ist, also gar keine inhaltliche Auseinandersetzung damit stattfindet. Die Argumentation wird über große Strecken wörtlich und in Anführungszeichen übernommen, an anderen Stellen wird in indirekter Rede paraphrasiert.

Wie großflächig die Übernahme war, habe ich hier markiert. Das sind alle Stellen aus dem ARD-Kommentar, die sich entweder direkt oder indirekt bei welt.de finden.

Die Gegenprobe zeigt, dass der welt.de-Artikel nach einer Einleitung nur aus dem paraphrasierten oder wörtlich zitierten tagesschau-Kommentar besteht. Die Übernahmen sind gelb zitiert.

Nun ist es üblich, dass Journalisten sich auf die Arbeit von Kollegen berufen und fremde Erkenntnisse in eigene Artikel und Beiträge einarbeiten. Dass aber ein einziger Kommentar eines Autors, in dem noch nicht mal etwas Neues steht, praktisch zu einem anderen Kommentar umgearbeitet wird, ist ungewöhnlich.

Sieht so die Einigung zwischen Verlegern und öffentlich-rechtlichen Sendern aus, was das deren Online-Angebot angeht? Ein ARD-Korrespondent schreibt einen Kommentar, den dann anschließend welt.de fast vollständig übernimmt? Denn angesichts der Tatsache, dass vor allem Springer-Chef Mathias Döpfner die öffentlich-rechtlichen Sender immer wieder als „Staatsfunk“ bezeichnet hat, die durch Rundfunkgebühren bezahlt werden, ist es interessant, dass sich hier die welt.de-Redaktion an rundfunkbeitragfinanzierten Inhalten vergreift und diese wieder werbefinanziert an ihre Nutzer ausspielt.

Es scheint sich einzureihen in eine Reihe von neuen Attacken gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Haben die Redaktionen noch nicht mitbekommen, dass Döpfner inzwischen mit den ÖR-Chefs die Friedenspfeife geraucht hat?

„Die Welt“ nutzt Expertise von ARD-Experten, an deren Unabhängigkeit sie zweifelt

Es ist eine berechtigte Frage, die „Die Welt“ da heute stellt:

Die ARD hat ihre Experten für die Weltmeisterschaft in Russland vorgestellt. Drei von ihnen stehen auch beim Deutschen Fußball-Bund in Lohn und Brot. Können die wirklich objektiv sein?

Gemeint sind Philipp Lahm, Thomas Hitzlsperger und Stefan Kuntz, an deren unabhängigem Urteil zur deutschen Fußball-Nationalmannschaft Lars Wallrodt zweifelt:

Natürlich werden die drei nach bestem Wissen und Gewissen trennen zwischen ihren Verbandsverpflichtungen und ihrer Expertenexpertise. Doch die Frage muss schon gestattet sein, ob die drei tatsächlich mit der gebotenen Unabhängigkeit urteilen können – insbesondere, wenn es hart auf hart kommt und das deutsche Team wider Erwarten nicht brillieren sollte in Russland.

Andererseits ist sich „Die Welt“ aber auch nicht zu schade, die Expertise von zweien der drei zu nutzen. In einem Video auf der Seite  (gedreht vom Sport-Informations-Dienst SID) werden sie befragt.

Und was sagen sie so? Stefan Kuntz zum Beispiel:

Wir bekommen jetzt mit, wie akribisch das Team sich schon – nicht erst seit ein paar Monaten – schon über längere Zeit drauf vorbereitet; das ist schon beeindruckend. Insofern hab ich ein super Gefühl bei der deutschen Mannschaft

Total kritisch. Aber wenn es auf welt.de passiert statt in der ARD, ist das wohl okay.

 

Anmerkung: In Vorbereitung auf die Datenschutzgrundverordnung habe ich Widgets, die sich ursprünglich im Text befanden, entfernt und sie teilweise durch Links ersetzt.

Berichten, was nicht ist – so helfen Journalisten negativ beim „Framing“

In der vergangenen Woche sind mir zwei Schlagzeilen ins Auge gefallen, die aus dem Rahmen fallen – beide bei Zeitungen der Welt-Gruppe, also bei „Welt“ und „Welt am Sonntag“.

Die „Welt“ titelte am Montag nach der Amokfahrt von Münster:

Die Mordfahrt von Münster war kein islamistischer Terror

Und gestern hieß es in der „Welt am Sonntag“:

Das ist nicht der dritte Weltkrieg

Die „Welt am Sonntag“ vom 15. April 2018 (Foto: Stefan Fries)

Beide Schlagzeilen folgen einem interessanten Muster: Sie sagen nicht, was ist, sondern sie sagen, was nicht ist. Sie reagieren offenkundig auf unterstellte Erwartungen ihrer Leser: In Münster wurde über einen islamistischen Anschlag spekuliert, bei den Angriffen der USA, Großbritanniens und Frankreichs womöglich der Beginn einer militärischen Eskalation befürchtet, die zu einem Weltkrieg führen kann.

Dieses Muster kennen wir nicht von klassischen journalistischen Angeboten, sondern von Faktencheckern gegen Fake News, etwa den ARD-Faktenfindern bei tagesschau.de, dem Faktenfuchs beim Bayerischen Rundfunk und Echt Jetzt bei Correctiv. Auch dort finden sich Überschriften nach diesem Muster, zum Beispiel:

Kein Kurde namens „Jens R. Handeln“

Münster – YouTube-Video zeigt nicht die Täter

Nein, die Studie von Dr. Jones beweist nicht, dass Chemotherapie Krebspatienten früher sterben lässt

Gehen die Journalisten in diesen Fällen in der Regel davon aus, dass es sich um Fehlinformationen handelt, die richtiggestellt werden sollen, so folgen „Welt“ und „Welt am Sonntag“ mit ihren Überschriften auch in ihren Printausgaben abseits der Faktenchecks diesem Prinzip.

Ich halte das für gefährlich. Diese Haltung nimmt vorauseilend die Position derjenigen ein, die eine Fehlinformation und Lüge streuen, ein Gerücht ungeprüft weiterverbreiten, eine Angst artikulieren. Sie mag damit denjenigen entgegenkommen, die diese Haltung von sich aus oder verstärkt durch andere bereits selbst eingenommen haben. Sie trägt diese Haltung aber auch an diejenigen weiter, die von selbst nicht darauf gekommen wären.

Diese Haltung hilft den Urhebern beim Framing. Es werden Aspekte aktiviert, die tatsächlich nichts mit dem Thema zu tun haben. Wer „kein islamistischer Terror“ schreibt, aktiviert den Begriff „islamistischer Terror“. Wer schreibt „nicht der Dritte Weltkrieg“, der aktiviert den Begriff „Weltkrieg“. Mit Verneinungen kann unser Gehirn leider nicht gut umgehen. (Sie kennen ja das Beispiel „Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten.“ Denken Sie wirklich nicht dran?)

Anstatt also zu berichten, was ist (positiv), wird damit begonnen, zu berichten, was nicht ist (negativ). Anstatt von Fakten auszugehen, wird von Gerüchten ausgegangen. Damit löscht man diese Falschinformationen nicht aus, sondern streut sie größtmöglich breiter. Und man trainiert seine Leser darin, mit dieser Haltung an jede weitere Berichterstattung heranzugehen: Dann müssten Journalisten künftig erst mal alle Spekulationen zerstreuen, bevor sie über die eigentlichen Fakten berichten. Das kann nicht unsere Aufgabe sein.