Wahlwerbung im Radio: Eine Chance für die kleinen Parteien

Der Wahlkampf findet nicht nur auf Plakaten oder im Fernsehen statt, sondern auch im Radio. Bis zur Bundestagswahl dürfen die Parteien mit Radiospots auf sich aufmerksam machen – auch im Deutschlandfunk, der eigentlich werbefrei ist. Warum eigentlich? Mein Beitrag in @mediasres im Deutschlandfunk.

Wie die Wirklichkeit die Realität einholt: „House of Cards“ geht in die fünfte Staffel

Was ist Fiktion, was ist Wirklichkeit? CNN versucht, vom Erfolg von "House of Cards" zu profitieren (Foto: Stefan Fries)
Was ist Fiktion, was ist Wirklichkeit? CNN versucht, vom Erfolg von „House of Cards“ zu profitieren (Foto: Stefan Fries)

Wer den US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 verfolgt und gleichzeitig die vierte Staffel von „House of Cards“ gesehen hat, hat bereits Parallelen gesehen. Auch in der damaligen Staffel kämpften zwei Kandidaten um die Macht im Weißen Haus – unter anderem der amtierende Präsident Frank Underwood. Ausdrücklich wurde dabei das Jahr 2016 für die Wahl ausgegeben.

Inzwischen sind wir ein ganzes Jahr weiter. In der Realität ist die Machtfrage entschieden, in der fünften Staffel von „House of Cards“ noch nicht. Sie schließt nahtlos an das Ende der vierten Staffel an, die so endet (Achtung: Spoiler – und ausdrückliche Bilder):

In Interviews haben die Macher in den letzten Monaten immer wieder gesagt, wie schwierig es für sie war, die Geschichte weiterzudrehen. Schließlich ist inzwischen ein Mann Präsident geworden, der es in gewisser Weise mit Frank Underwood aufnehmen kann. Jemand, der Regeln verletzt, der Unsagbares ausspricht, der das System umstürzen will. Insofern sind sich die beiden Präsidenten – der echte und der fiktive – nicht unähnlich.

So geht es weiter:

Auch hier gibt es übrigens weitere Parallelen. Ohne zu viel zu verraten: In der ersten Folge der neuen Staffel (wird auch bereits in Trailern angedeutet) geht es um ein Einreiseverbot für Menschen aus bestimmten Ländern. Daran lassen sich die Schwierigkeiten ablesen, die die Macher hatten: Wäre das Thema zum ersten Mal fiktiv bearbeitet worden, hätte es noch ein gewisse Brisanz gehabt. Jetzt wirkt manches wie ein Nacherzählen der Wirklichkeit. Abzuwarten, wie das im Laufe der Staffel weitergedreht wird.

Trump greift nicht nur Journalisten an – aber wir tun nichts dagegen

Das Weiße Haus in Washington, April 2016 (Foto: Stefan Fries)
Das Weiße Haus in Washington, April 2016 (Foto: Stefan Fries)

Der Ausnahmezustand ist inzwischen zum Ritual geworden. Donald Trump behauptet etwas, übertreibt, leugnet, lügt, greift die Medien an – und wir Journalisten reagieren vorhersehbar: Wir empören uns, diskutieren darüber, befragen Experten, interviewen uns gegenseitig, machen Trumps Angriffe zum Thema, beklagen uns über mangelnde Pressefreiheit.

Was wir nicht tun: darauf angemessen reagieren.

Natürlich ist es wichtig, die Grenzverletzungen des US-Präsidenten zu thematisieren. Aber dabei belassen wir es meistens. Was mir fehlt, sind Ideen, wie wir Journalisten fernab dieser Berichterstattung auf ihn reagieren können.

Denn in diesem Spiel sind wir eben nicht mehr nur Beobachter. Eigentlich schon seit Längerem, aber ist es nie deutlicher geworden als am Wochenende. Wir waren Beobachter, als Trump sich abfällig über behinderte Menschen, über Immigranten, über Muslime, über Schwule, über Frauen geäußert hat. Als er wegen dieser Vorwürfe angegriffen wurde. Aber wenn er nun immer wieder Journalisten angeht und sogar von einem „Krieg mit den Medien“ spricht, hilft es nicht, wenn wir nur über diesen Krieg berichten – ganz gleich, ob wir die Kriegserklärung annehmen oder nicht. Wir sind zum Spielball geworden.

Ich sehe aber nicht, dass wir uns darauf angemessen vorbereiten oder angemessen damit umgehen. Stattdessen wundern wir uns über jeden neuen Angriff und empören uns darüber. Und bedienen damit genau die Welle, die Trump auslöst.

Dabei wären bei solch gravierenden Angriffen auf die Pressefreiheit, wie sie Trump reitet, womöglich andere Reaktionen angemessener. Als er im Januar auf seiner ersten Pressekonferenz seit seiner Wahl den CNN-Reporter Jim Acosta angriff und sagte: „You are fake news“, reagierten die Kollegen im Saal nicht. Jeder wollte seine Frage stellen. Stattdessen hätten sie vielleicht gesammelt den Saal verlassen sollen. Oder jemand anderes hätte Acostas Fragen vorbringen sollen, wenn dieser es schon nicht durfte.

Nachdem Trumps Sprecher Sean Spicer ihnen am Wochenende vier Lügen auftischte, hätten sie einen Boykott künftiger Pressekonferenzen beschließen und verkünden sollen.

In der Berichterstattung über diese Äußerung bekamen erneut Trump-Leute das Wort. Im NBC-Interview sprach Trumps Beraterin Kellyanne Conway von alternativen Fakten. Und wieder bekam seine Seite die Deutungshoheit, so absurd diese Deutung auch sein mag.

Anstatt nur zu berichten, sollten Journalisten vielleicht ihre Leser, Hörer, Zuschauer, Nutzer aktivieren. Auf ihre Seite ziehen. Denn Trump greift ja nicht nur die Medien an, er zielt damit ja genauso auf deren Leser, Hörer, Zuschauer, Nutzer.

Trump ist nicht unverwundbar. Er braucht die Medien. Zwar erreichen seine Tweets und Posts Millionen. Aber ihre eigentliche Reichweite bekommen sie erst durch Journalisten, die sie aus dem Netz in Zeitung, Radio und Fernsehen bringen – und damit um ihre eigene Reichweite ergänzen.

Trump ist es wichtig, dass seine Amtseinführung als die größte in die Geschichte eingeht. Und das kann sie nur, wenn sie von klassischen Medien gecovert wird. Seine Reichweite im Netz ist begrenzt. Und die Ereignisse vom Wochenende zeigen, dass Trump die klassischen Medien nicht egal sind. Sonst würde er sich nicht bemühen, ihre Berichterstattung zu kritisieren. Sonst würde er nicht einen Pressesprecher vor die Reporter klassischer Medien schicken. Sonst würde er nicht seine Beraterin bei einem Fernsehsender auftreten lassen.

Journalisten sollten reagieren – auch wenn ich dafür keinen Masterplan habe. Mir ist bewusst, dass bestimmte Reaktionen zweischneidig sein können, etwa wenn Journalisten mit einem Boykott ihre Pflicht zur Berichterstattung verletzen würden. Allerdings verletzten sie ihre Pflicht auch, indem sie sich zum Spielball eines Präsidenten machen lassen und damit ihre eigene Unabhängigkeit gefährden. Eines Präsidenten, der in Sachen Medien durchaus nicht so unberechenbar ist wie man ihn auf anderen Feldern hält.

Müssen Journalisten über jedes Stöckchen springen, das ihnen Trump hinhält?

Schriftzug an einem Trump-Building in New York (Foto: Stefan Fries)
Schriftzug an einem Trump-Building in New York (Foto: Stefan Fries)

Das ist überspitzt formuliert, zugegeben. Stellt man die Frage so, kann man nur mit Nein antworten. Schließlich springen Journalisten auch nicht auf jede absurde Äußerung anderer Politiker an. Zumindest die Zeiten, in denen Vertreter der AfD mit einem provokanten Tweet, einer grenzverletzenden Interviewaussage oder einem Talkshowauftritt anschließend noch mehr mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten, sind offenbar vorbei. Ich nehme jedenfalls schon einen Rückgang medialer Beschäftigung mit solchen Provokationen wahr.

Verhält es sich mit Donald Trump anders? Da kommt es mir nicht so vor.

Zumindest in meiner persönlichen Twitter-Timeline, die stark von Journalisten geprägt ist, tauchen seine Tweets immer wieder auf. Offenbar springen noch genug. Und auch ich staune gelegentlich noch über seine Dünnhäutigkeit, was Kritik angeht, über seine Unverfrorenheit bei politischen Äußerungen und über seinen undiplomatischen Auftritt; da rutscht auch mir mal ein Retweet heraus.

Die Tatsache, dass er bisher noch keine Pressekonferenz zu der Frage gegeben hat, wie seine politischen Pläne im Detail aussehen, verführen Journalisten dazu, sich an alles zu halten, was er sonst so von sich gibt – vor allem auf Twitter. Dort muss er kein umfangreiches Programm präsentieren mit aufeinander abgestimmten Maßnahmen, er muss kurz und knapp formulieren und sich vor allem keinen kritischen Nachfragen stellen. Umso wichtiger, wie stark sich Journalisten von dieser Art der Öffentlichkeitsarbeit abhängig machen, sich damit beschäftigen und seinen Provokationen nachgehen. Ein paar Gedanken dazu.

Ist es wichtig, was ein US-Präsident sagt?

Definitiv. Auch bisher schon haben Äußerungen von US-Präsident Barack Obama weltweit eine andere mediale Aufmerksamkeit als solche seiner Minister oder, sagen wir mal, des Bürgermeisters von Dallas. Insofern kommt auch Trumps Worten Bedeutung zu. Schließlich gilt der US-Präsident per se als mächtigster Mann der Welt und ist in der Lage, angekündigte Pläne mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit auch in die Tat umzusetzen oder zumindest ihre Umsetzung einzuleiten.

Ist es wichtig, auf welchem Weg sich der Präsident äußert?

Eher nicht. Es wird zwar in der Regel einordnend hinzugesagt, ob es eine Rede an die Nation war, eine Pressekonferenz, ein Statement oder eine Äußerung seines Sprechers. Und inzwischen ist es gang und gäbe, dass Journalisten auch Äußerungen von Politikern via Twitter zitieren. Da muss Trump keine Ausnahme machen.

Zu welchen Themen äußert sich Trump via Twitter?

Die Publizistin Liane Bednarz hat sich bei „Carta“ seine 112 Tweets zwischen seiner Wahl am 9. November und dem 4. Dezember angeschaut. Demnach beschäftigte er sich allein in 24 Tweets mit der Berichterstattung von Medien. In anderen verteidigte er erste politische Handlungen im Zusammenhang mit seiner Wahl, etwa sein umstrittenes Telefonat mit der Präsidentin von Taiwan.

Immer wieder scheint bei Trump verletzte Eitelkeit durch, und seine Tweets zeugen von einer extremen Dünnhäutigkeit, die mich an einem Politiker (auch einem werdenden) immer noch erstaunen, auch wenn wir Trump schon öfter so erlebt haben. Als das Ensemble des Musicals „Hamilton“ bei einem Besuch des designierten Vizepräsidenten Mike Pence diesen dazu aufrief, die Werte der USA hochzuhalten, reagierte Trump ungehalten und forderte eine Entschuldigung. Bei der Verleihung der Golden Globes 2017 ging die Schauspielerin Meryl Streep indirekt auf Trumps Wahl und seine Politik ein.

Auch das passte Trump nicht.

Außerdem thematisierte er immer wieder, dass er nicht die Mehrheit der Wählerstimmen bekommen habe, wenn auch die Mehrheit der Wahlmännerstimmen. Das tat Trump auch nach dem von Bednarz untersuchten Zeitraum immer wieder, auch im Umgang mit Vorwürfen der US-Geheimdienste, russische Hacker hätten im Auftrag von Präsident Wladimir Putin die Wahl beeinflusst oder das zumindest versucht.

Es zeigt sich, dass Trump vor allem allergisch reagiert auf alle Vermutungen, er könne unter anderen Umständen nicht gewählt worden sein. In anderen Tweets äußert sich Trump zudem zu im engeren Sinne politischen und wirtschaftlichen Fragen – und das hatte augenscheinlich bereits erste Auswirkungen.

Welche Folgen haben Trumps Tweets?

Trump kritisierte beispielsweise, dass die Kosten für die neue Präsidentenmaschine „Air Force One“, die gerade von Boeing gebaut wird, angeblich bereits auf mehr als vier Milliarden Dollar gestiegen seien und fügte hinzu: „Auftrag stornieren!“

Daraufhin traf sich Boeing-Chef Denis Muilenburg mit Trump und versprach, es auch für weniger zu schaffen.

Ford und Fiat wollten angeblich Werke außerhalb der USA bauen bzw. ausbauen und tun das nach Kritik von Trump seinen Worten zufolge jetzt doch nicht.

Hier gibt es also einen zumindest vermuteten Zusammenhang zwischen seinen Tweets und tatsächlichen Handlungen im politischen und wirtschaftlichen Raum.

Welche seiner Tweets sind relevant?

Das sollte die eigentliche Frage sein, der sich Journalisten zumindest in Deutschland stellen sollten (in den USA greifen sicherlich andere Maßstäbe): Welche Relevanz haben einzelne Äußerungen?

  • Scheinen sie persönlichen oder politischen Rivalitäten zu entspringen, die sich im Rahmen dessen bewegen, was in politischen Diskussionen üblich ist oder was wir bereits von ihm gewohnt sind? Oder überschreitet Trump mit ihnen (erneut) Grenzen?
  • Antwortet Trump auf Kritik an ihm mit neuen oder den immer gleichen Argumenten bzw. Vorwürfen? Belegt er diese mit Fakten oder verweist er auf entsprechende Quellen?
  • Wiederholt Trump immer wieder Äußerungen oder Anschuldigungen, mit denen sich Journalisten bereits auseinandergesetzt haben?
  • Haben Tweets unmittelbare Folgen, etwa in Form von verbalen oder sogar handfesten Reaktionen von Personen, Organisationen oder Unternehmen, die mit dem Thema des Tweets in Verbindung stehen?
  • Verbreitet Trump Unwahrheiten oder Halbwahrheiten?

Seine Tweets werden in dieser Hinsicht bereits von einem Account der Washington Post aufgegriffen und einem Faktencheck unterzogen – eine gute Methode, sich mit ihm auf der von ihm gewählten Plattform auseinanderzusetzen.

Es wird wohl schwierig sein, feste Regeln aufzustellen, wie mit Trumps Tweets umzugehen ist. Sicherlich verdienen Äußerungen mit konkreten Auswirkungen eine nähere Beschäftigung als lediglich anklagende oder beleidigende Tweets, sofern sie keine neue Dimension der politischen Kultur eröffnen. Sicherlich eignet sich auch nicht jeder Tweet zur nachrichtlichen Auseinandersetzung, sondern sind einzelne lediglich für eine Hintergrundberichterstattung interessant oder – wie im Fall von Meryl Streep – eher für die Panorama-Seiten.

Es wird interessant sein zu sehen, ob und wie Trump seine Twitter-Politik mit Amtsantritt ändern wird. Klar ist schon, dass er den offiziellen Account des US-Präsidenten @POTUS übernehmen wird – mit leerer Timeline. Fragt sich, ob dort der Präsident oder der Privatmann Trump twittern wird – und inwiefern man das überhaupt noch trennen kann. Fraglich auch, was dann aus seinem privaten Account @realDonaldTrump wird. Der hat 19,3 Millionen Follower, @POTUS dagegen nur 13,1 Millionen (Stand heute). Wird er wirklich auf Millionen Follower verzichten, die bisher nur ihm folgen? Oder nimmt er sie auf den neuen Account mit?

Am Ende bleibt für mich die offen, in welchem Umfang deutsche Journalisten auf den Twitter-Trump eingehen sollten. Ich freue mich auf Anregungen.

Weiterführend:

Wie Korrespondenten arbeiten – der DLF mit einem Blick nach Washington

Der Deutschlandfunk beschäftigt sich schon seit Wochen intensiv mit der wahrscheinlich wichtigsten Wahl der Welt, die am Dienstag ansteht. Vor allem in der Nacht selbst geht es zehn Stunden lang nonstop live um Erkenntnisse und Ergebnisse aus den USA.

Um 23.10 Uhr fassen die Kollegen von „Das war der Tag“ noch mal den vorhergehenden Tag zusammen und berichten dabei auch aus den USA. Um 0.05 Uhr übernehmen dann Moderatorin Stephanie Gebert, der frühere USA-Korrespondent Klaus Remme als Experte und Online-Redakteur Tobias Jobke das Studio. Sie schauen noch mal zurück auf den Wahlkampf und berichten über erste Ergebnisse aus einzelnen Bundesstaaten. Die „Informationen am Morgen“ beginnen am Mittwoch eine Stunde früher als sonst und beschäftigen sich fast monothematisch mit den Wahlen. Voraussichtlich in den frühen Morgenstunden wird mit einem Ergebnis der Präsidentschaftswahl gerechnet.

Die wichtigste Leitung in dieser Nacht wird die von Köln nach Washington sein. Dort sitzen die Korrespondenten Thilo Kößler, Marcus Pindur und Bettina Klein. Ihre Arbeit lässt sich nicht nur on air verfolgen. Der Deutschlandfunk ermöglicht auch einen Blick hinter die Kulissen. Für den sorgt Online-Redakteur Boris Bittner, der die Kollegen seit der vergangenen Woche begleitet und im Washington-Blog berichtet.

Dort erzählt etwa Thilo Kößler von seiner täglichen Arbeitsroutine:

Der Tag des Washington-Korrespondenten beginnt heute mit dem Blick aufs Smart-Phone: Eilmeldungen checken, die hier news alert heißen. Mails auswerten. Newsletter aufklicken. Blogs lesen. Tweetdeck: Was kam in der Nacht aus dem Trump-Lager? Was aus dem Clinton-Lager? Erst dann der Blick in die Agenturen. Da läuft schon der längst der Fernseher.

Außerdem geht es auch um die Technik, die in Washington zum Einsatz kommt.

Wer wissen will, wie Korrespondenten arbeiten, sollte in den nächsten Tagen auch einen Blick in dieses Blog werfen.

Offenlegung: Ich arbeite als ständiger freier Mitarbeiter für den Deutschlandfunk.

Eigentlich müsste jede Wahl wiederholt werden

Blick auf die Wiener Hofburg
Die Wiener Hofburg, Amtssitz des Bundespräsidenten. Wer auch immer das sein mag. (Foto: Stefan Fries)

Wer selbst einmal ehrenamtlich bei der Durchführung und Auszählung einer Wahl geholfen hat, mag sich über das Urteil des österreichischen Verfassungsgerichts zur Bundespräsidentenwahl wundern. Freilich hat es Pannen und Fehler gegeben – weil es die bei jeder Wahl gibt.

Ich habe bei mehreren Wahlen in Deutschland als Wahlhelfer gearbeitet, mal als Beisitzer, mal als Schriftführer. Es sind fast ausschließlich Ehrenamtliche, die sich um die Durchführung der Wahlen im Wahllokal kümmern, keine Profis. Selbst die Verwaltungsbeamten, die teilweise eingesetzt werden, um Lücken bei den Ehrenamtlichen zu stopfen, sind keine Profis in Sachen Wahl. Das heißt: Dort sitzt eine Gruppe von Bürgern mit wenig Expertise in Wahldurchführung.

Wer einmal in die Vorschriften für die Durchführung von Wahlen geschaut haben, weiß, wie viele Fallstricke es dabei und bei der Auszählung von Stimmen gibt. Was bei der Ausschilderung von Wahllokalen zu beachten ist. Wie Wahlkabinen aufgestellt werden müssen. Wie mit Äußerungen für oder gegen Parteien im Wahllokal umgegangen werden muss. In welchen Fällen die Polizei gerufen werden muss. In welchen Fällen die Wahlleitung.

Wer das mitgemacht hat, weiß auch, dass es bei vielen Fragen Ermessensspielraum gibt – auch bei der Auszählung von Stimmen. Wenn etwa ein Wähler sein Kreuz nicht in einem der vorgesehenen Felder gemacht hat, kann der Wahlvorstand die Stimme dennoch als gültig ansehen, wenn die Wahlentscheidung eindeutig getroffen wurde – etwa wenn der Name der Partei umrandet wurde.

Oft sitzen im Wahlvorstand Mitglieder von Parteien. Weil die sich politisch ohnehin engagieren, gehören sie auch zu denjenigen, die sich bereit erklären, als Wahlhelfer zu arbeiten. Sie könnten bei der Auszählung von Stimmen besonders unter Verdacht stehen, zu manipulieren.

Fehler sind nicht gleich Manipulationen

De facto ist das aber kaum möglich. Denn sie sind im Wahlvorstand nicht in der Mehrheit und haben diese Manipulationsmöglichkeit auch nicht. Mal davon abgesehen, dass eine Manipulation in einem von hunderten bis bundesweit zehntausenden von Wahlbüros wenig Effekt haben würde. Außerdem ist nicht nur die sogenannte Wahlhandlung öffentlich, das heißt jeder Bürger darf sich den ganzen Tag im Wahllokal aufhalten und auch die Auszählung beobachten.

In fast allen Fällen sind es einfach Fehler, die bei der Auszählung von Stimmen passieren. Einfach deswegen, weil sich damit Bürger beschäftigen, Laien. Weil die Regeln für die Auszählung kompliziert sind. Weil etwa bei der Bundestagswahl zwei Stimmen pro Wähler auszuzählen sind, die sich aber auf demselben Wahlzettel befinden, diese Zettel also bei der Auszählung in sehr verschiedene Stapel aufgeteilt werden.

Viele – nicht alle – der Fehler, über die jetzt von der Bundespräsidentenwahl in Österreich berichtet werden, scheinen mir in diese Kategorien zu fallen. Dass teilweise Briefumschläge zu früh geöffnet wurden, stundenweise unbeobachtet waren, ist vielleicht darauf zurückzuführen, dass es zumindest mir wenig sinnvoll erscheint, mit der Auszählung bis zum nächsten Tag zu warten. Wer sich ehrenamtlich engagiert, ist wahrscheinlich froh, wenn er möglichst früh wieder aus dem Wahllokal herauskommt. Ich will sie damit nicht von einem Fehler reinwaschen, aber möglicherweise sind es einfach wenig sinnvolle Vorschriften, die Wahlhelfer nicht gerade motivieren.

In Deutschland werden die Briefwahlstimmen übrigens zur selben Zeit ausgezählt wie die aus den Wahlurnen, so dass sie sofort ins vorläufige endgültige Wahlergebnis einfließen. Und dieses, übrigens, ist v.a. aus einem Grund vorläufig: Wenn die Stimmen in den Wahllokalen ausgezählt sind, gibt der Chef des Wahlvorstands diese Stimmen in einer sogenannten Schnellmeldung telefonisch an die Stadtverwaltung durch. Von dort werden sie durch die Instanzen nach oben gemeldet. Das heißt, das vorläufige amtliche Endergebnis beruht auf diesen Schnellmeldungen. Es gibt also eine ganze Reihe von Fehlerquellen: Auszählungsfehler, Übermittlungsfehler, Verständnisfehler, Tippfehler. Die gesammelten Stimmen werden deshalb zunächst behalten und dann physisch zur Verwaltung gebracht, wo sie erneut ausgezählt werden, bis das amtliche Endergebnis erklärt wird. Das heißt, wenn jemand ernsthaft manipulieren will, reicht es nicht aus, ins Wahlprotokoll einfach falsche Stimmenzahlen zu schreiben; in dem Fall müssten auch entsprechend viele falsche Stimmzettel ausgefüllt und den anderen Mitgliedern des Wahlvorstands untergejubelt werden.

Wahlwiederholung nicht nur bei Manipulation?

Dass durch solche Fehler eine Wahl wiederholt werden muss, findet der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger überflüssig und kontaproduktiv. Im Deutschlandradio Kultur sagte Haslinger, die Tatsache, dass einige Wahlkuverts schon am Sonntagabend, statt erst, wie vorgeschrieben, am Montagmorgen, geöffnet worden seien, habe „überhaupt keinen Einfluss auf ein Wahlergebnis. Es ist aber ein Formfehler, der nicht dem Gesetz entspricht. Also müsste man… vermutlich sogar das Gesetz ändern, damit das nicht solch absurde Ausmaße annimmt.“ Weil es keine Hinweise auf Wahlmanipulation gebe, sei ein Neuwahl nicht gerechtfertigt.

Wer ernsthaft von Manipulation spricht, sollte die erst einmal nachweisen statt Verschwörungstheorien zu bemühen. In Österreich haben die Richter solche Manipulationen nicht feststellen können, lediglich Verstöße gegen Vorschriften. Was durchaus nicht dasselbe ist. Wer genauer wissen will, wovon er eigentlich spricht, sollte sich einmal selbst als Wahlhelfer engagieren oder wenigstens einer Wahl und deren Auszählung selbst beiwohnen. Sicher sind Fehler gemacht worden, wie überall, wo Menschen beteiligt sind, vor allem wo Laien beteiligt sind, vor allem bei komplizierten Vorschriften, aber es sind eben das: Fehler, keine absichtlichen Manipulationen.

Eigentlich müsste deshalb jede Wahl wiederholt werden. Aber auch bei einer Wiederholung würde es erneute Fehler geben. Eine fehlerfreie Wahl ist einfach nicht denkbar. Gewisse Unsicherheiten müssen wir einfach hinnehmen.

Dennoch finde ich es richtig, dass die Bundespräsidentenwahl in Österreich wiederholt wird, denn bei einem Unterschied von am Ende nur rund 31.000 Stimmen können sich durch Fehler durchaus relevante Verschiebungen ergeben. Wenn die FPÖ das allerdings ausgerechnet im 2. Wahlgang anmerkt, als ihr Kandidat unterlegen war, nicht aber im 1. Wahlgang, wo ihr Kandidat vorne lag und wo es definitiv ähnliche Fehler gegeben haben wird, ist doch eindeutig, dass es der Partei nicht um Prinzipien der Demokratie geht, sondern darum, ihren Verlierer doch noch ins Amt zu haben. Denn in der Welt von Populisten ist es einfach nicht möglich, dass ihr Kandidat nicht gewinnt. Denn dann würde die Theorie von der schweigenden Mehrheit, die sie angeblich vertreten, in sich zusammenbrechen.

Der Donald-Trump-Blackout

Donald Trump am 19. August 2015 (cropped)Lange haben viele Medien in den USA relativ unkritisch über den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump berichtet. Oft wurden seine Wahlkampfreden und Pressekonferenzen eins zu eins in voller Länge übertragen, vor allem von Sendern wie Fox, CNN und MSNBC.

Ein Problem, dessen sich in den USA zumindest noch im April nur wenige Journalisten bewusst waren. Meine Fragen an sie, als ich dort war, ließen jedenfalls bei vielen Kollegen dort relativ wenig Selbstkritik in dieser Hinsicht erkennen. Es herrschte vielmehr die Auffassung, die mir der OPB-Reporter Jeff Mapes so beschrieb:

Was sollten die Medien tun? Sollten sie seine Statements ignorieren?

Erst jetzt, wo Trump im eigenen Lager keine Konkurrenten mehr hat und kurz vor dem Hauptwahlkampf gegen Hillary Clinton steht, gehen mehr und mehr Journalisten dazu über, seine Aussagen kritisch zu hinterfragen und einem Faktencheck zu unterziehen, in seiner Vergangenheit zu recherchieren – und so alles in allem ihre unkritische Haltung abzulegen.

Und nun schlägt Trump zurück. Er hat mittlerweile insgesamt zwölf Medien die Akkreditierung für seine Veranstaltungen entzogen, unter ihnen Politico und Foreign Policy, die Washington Post, die Huffington Post und Buzzfeed.

Die Redaktion der Washington Post hat jetzt einen „Donald-Trump-Blackout“ vorgeschlagen und andere Medien aufgefordert, nicht mehr direkt von seinen Veranstaltungen zu berichten. Es gehe nicht darum, überhaupt nicht mehr über ihn zu berichten, sondern darum, ihm keine Sendeflächen zur Verfügung zu stellen, in denen er eins zu eins, also ohne journalistische Einordnung, sprechen kann.

● No more live, wall-to-wall coverage of Trump’s rallies and events; this sort of “coverage,” particularly by cable news outlets, has been a huge in-kind contribution to Trump.

● No more Trump call-ins to TV shows; this enables him to plant falsehoods with little risk of follow-up.

● Rigorous use of real-time fact-checking, pointing out Trump’s falsehoods in the stories in which they’re reported. That’s not injecting opinion — it’s stating fact.

Dem hat sich bisher kein Medium ausdrücklich angeschlossen.

Nach dem Anschlag in Orlando ist das Rennen offener denn je

Ist es pietätlos, jetzt schon, nicht mal 24 Stunden nach dem schweren Anschlag auf einen Nachtclub in Orlando, bei dem offenbar mindestens 50 Menschen getötet wurden, über den Wahlkampf zu reden oder zu schreiben?

Möglich.

Aber es ist längst geschehen. Der designierte Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Donald Trump, hat den Anschlag längst für seine Zwecke instrumentalisiert, als er Amtsinhaber Barack Obama zum Rücktritt aufforderte, nur weil der zunächst nicht von einem islamistischen Anschlag sprechen wollte.

Zwar hat sich die Terrormiliz IS zu dem Anschlag bekannt, allerdings sieht die Polizei in den USA für Verbindungen des Täters zum IS bisher keine Beweise. Kein Wunder, dass sich auch Obama mit Schuldzuweisungen zurückhielt, als er sagte:

„Wir wissen noch nicht, warum der Täter dies getan hat. Was klar ist, ist dies: Er war eine von Hass erfüllte Person.“

Seine Konkurrentin Hillary Clinton, die voraussichtlich für die Demokraten ins Rennen um die Präsidentschaft gehen wird, hielt sich ebenso wie Obama zurück.

Auswirkungen auf den Wahlkampf

Als ich im April mit zehn anderen deutschen Journalisten Redaktionen in den USA besucht habe, gaben sich die meisten unserer Kollegen dort davon überzeugt, dass Donald Trump als Präsidentschaftskandidat der Republikaner keine Chance haben würde – nicht im Vorwahlkampf gegen seine innerparteilichen Konkurrenten und erst recht nicht im entscheidenden Rennen gegen die designierte Kandidatin der Demokraten, Hillary Clinton.

Mit der ersten Einschätzung lagen schon viele daneben, wie sich im Mai zeigte. Auch mit der zweiten?

Jeff Mapes, der beim öffentlich-rechtlichen Radiosender OPB in Portland (Oregon) als politischer Reporter arbeitet, sah sich damals schon außerstande, eine verlässliche Prognose zu Trump abzugeben. Auf die Frage, ob er eine Erklärung für dessen Erfolg habe, sagte er:

„Die Erklärungen dafür lagen so oft daneben. Es gab so viele Vorhersagen, dass die Leute eher müde von diesem Zirkusartisten würden und er nicht die ganzen Vorwahlen durchhalten würde. Sein Reiz wurde wirklich verkannt. Es besteht kein Zweifel, dass er die Sorgen eines bestimmten Teils der Amerikaner aufgenommen hat, ähnlich wie die rechten nationalistischen Parteien, die Sie in Europa haben. Sehr besorgt über die Einwanderung.“

Gerade dieser Aspekt wird in Zusammenhang mit dem Anschlag eine Rolle spielen, soll der Täter doch ein in Florida lebenden US-Bürger afghanischer Abstammung sein.

Nur zwei Ereignisse, so sagten viele der Journalisten, mit denen wir im April gesprochen haben, könnten den Wahlausgang zugunsten von Hillary Clinton noch ernsthaft in Gefahr bringen: eine ernste wirtschaftliche Krise und ein schwerer Terroranschlag. Viel wird jetzt davon abhängen, wie Trump und Clinton auf das Ereignis reagieren – und wie die Wähler das goutieren. Mit Rationalität allein war zumindest bei Trumps Anhängern ohnehin wenig zu erreichen. Sowohl er als auch Clinton haben sich in der Vergangenheit nicht gerade dadurch ausgezeichnet, dass sie die Herzen der Wähler erwärmen können – da dürfte der amtierende Präsident Barack Obama einen besseren Job machen.

Das Rennen, das vor allem in Europa viele schon für Hillary Clinton ausgemacht sahen, ist jetzt offener denn je.

Wer Donald Trump noch verdrängen könnte: 18 Tage mit RIAS in den USA

Statue von Präsident Abraham Lincoln im Lincoln Memorial in Washington (Foto: Stefan Fries)
Statue von Präsident Abraham Lincoln im Lincoln Memorial in Washington (Foto: Stefan Fries)

Überraschung in Washington: Nicht nur Hillary Clinton und Bernie Sanders konkurrieren um das Amt des US-Präsidenten, auch der Amtsinhaber will es noch einmal wissen. Ein Kandidat, den deutsche Medien bis dahin nicht auf dem Schirm hatten: Frank Underwood.

Underwood ist überall in Washington zu sehen. In der Stadt zeigen mehr Plakate den fiktiven Präsidenten aus der Serie „House of Cards“ als die tatsächlichen Kandidaten dieses Wahlkampfs. Underwood mischt sich in den realen Wahlkampf ein. In der vierten Staffel der Serie finden sich viele Parallelen zur Wirklichkeit – und die sind kein Zufall. Normalerweise scheuen sich Serienmacher, allzu nah an die Wirklichkeit der Politik heranzugehen – „House of Cards“ macht genau das mit voller Absicht.

Als der Nachrichtenkanal CNN am 16. Dezember 2015 die Debatte der republikanischen Präsidentschaftskandidaten für eine Werbepause unterbrach, zeigte er darin einen Werbespot für den Kandidaten.

Frank Underwood tritt ausdrücklich zur Präsidentschaftswahl 2016 an. Sein Darsteller Kevin Spacey spricht in Interviews über Politik.

(Foto: Stefan Fries)

Und CNN schmückt seine Dokumentarreihe über die Geschichte der Präsidentschaftswahlkämpfe mit den Namen der „House of Cards“-Macher: HoC-Produzentin Dana Brunetti zeichnet auch für die Dokumentation verantwortlich, Spacey führt als Erzähler durch die Folgen.

Eine Reise im Zeichen des Wahlkampfs

Tatsächlich stand das ganze Programm der RIAS-Berlin-Kommission im Frühjahr 2016 im Zeichen des Präsidentschaftswahlkampfs. Einen Tag, nachdem wir in Washington eintrafen, lief die Vorwahl im Bundesstaat Wisconsin. Damals hieß es: Wenn Donald Trump hier nicht gewinnt, kann er die Kandidatur für die Republikaner nicht mehr schaffen. Er verlor. Aber das änderte wenig. Wie so oft sollten sich auch hier die Voraussagen von Wahlbeobachtern über Erfolg und Misserfolg des Donald Trump als falsch erweisen.

Trump zog sich wie ein roter Faden durch unseren 18 Tage dauernden Besuch, bei dem wir mehr über das politische System und die Medienlandschaft der USA erfahren sollten. Und das nicht nur, weil man in New York und vielen anderen Städten andauernd Gebäude sieht, die seinen Namen tragen (den man sich gegen Lizenzgebühr mieten kann).

(Foto: Stefan Fries)

Fast alle Journalisten und Analysten, die wir in Washington und New York zum Wahlkampf befragt haben, waren gleichermaßen fasziniert wie schockiert von Trumps Erfolg. Auch wenn sie sich dabei nicht unbedingt bewusst sind, welchen Anteil sie mit ihrer Arbeit an diesem Erfolg haben. Aber die wenigsten waren zugleich davon überzeugt, dass es Trump zum Präsidenten bringen wird – jedenfalls bis zu unserer Abreise Ende April. Inzwischen glauben ausweichlich ihrer Kommentare und Analysen viel mehr Journalisten, dass Trump es schaffen kann – nicht unbedingt aus eigener Kraft, sondern auch wegen der Schwäche seiner vermutlichen Gegnerin Hillary Clinton.

Der Blick hinter die Kulissen

(Foto: Stefan Fries)
(Foto: Stefan Fries)

Die US-Kollegen haben uns ungewöhnliche Einblicke gewährt. Viele haben sehr offenherzig über ihre Arbeit gesprochen, über die Herausforderungen des Präsidentschaftswahlkampfs, über den Druck durch Bi- und Trimedialisierung und damit einhergehenden Veränderungen im Mediensystem, wie sie über die Krise seit 2007 berichtet und teilweise selbst unter ihr gelitten haben.

Längst nicht alles, aber vieles davon kam uns bekannt vor. Wenn man in Deutschland immer hört, dass wir im Vergleich zu den USA noch viel aufzuholen haben, beruhigt es einerseits, dass auch die US-Kollegen längst nicht immer wissen, wohin sie der Weg führen wird. Andererseits wüssten wir sicher alle gerne, wie wir unseren Nutzern in Zukunft begegnen können. Nutzungsgewohnheiten verändern sich schneller als Journalisten dem gerade nachkommen können.

Aber wir haben auch viele gute Ideen gesehen, wie man Lesern, Hörern und Zuschauern künftig gerecht werden kann. So führten uns die Kollegen von CNN Money in New York vor, wie sie ihre Inhalte einerseits plattformgerecht ausspielen – also Fernsehkanal, Webseite, Facebook, Twitter usw. jeweils unterschiedlich bedienen – und andererseits auch Entwicklungen im Netz beobachten, um darauf journalistisch reagieren zu können.

Das nationale Hörfunkprogramm NPR in Washington hat uns Einblick in seinen Newsroom gegeben, in dem alle maßgeblichen Redaktionen nah beieinander sitzen. Während in Deutschland Podcasts aus öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in fast allen Fällen eine reine Zweitverwertung von Fernseh- und Radioinhalten sind, produziert NPR auch exklusive Inhalte für den wachsenden Podcast-Markt. Ein Boom des Audios im visuell getriebenen Netz, mit dem viele auch für Deutschland rechnen.

Auch ABC hat einen Newsroom in seinem Büro in Washington, wenn auch kleiner als der von NPR. Eine Entwicklung, die in einigen Redaktionen in Deutschland schon nachvollzogen wurde, gleichwohl bei vielen Journalisten auf Skepsis stößt – meistens, bis sich die Abläufe eingespielt haben und die Vorteile erkannt wurden. In dieser Hinsicht stießen wir auf offene Ohren.

Go West

Blick auf mehrere Brücken am Williamette River in Portland
Portland, die Stadt der Brücken (Foto: Stefan Fries)

Nach sechs Tagen in Washington mit den zehn anderen Teilnehmern am RIAS-Programm ging es für mich einmal durchs ganze Land: von der Ost- an die Westküste, in den Bundesstaat Oregon. Portland liegt gleich an der Grenze zu Washington, dem nordwestlichsten Bundesstaat der USA. Portland, die Stadt der Brücken. Portland, die Stadt der Donuts. Portland, die Stadt des Biers. Drei Stempel aus den letzten Jahren, die den Einwohnern besser gefallen als der der wohl einstmals weißesten Großstadt Amerikas (dank lang anhaltender rassistischer Gesetze). Für vier Tage gewährten mir die Kollegen vom öffentlich-rechtlichen Radiosender OPB (Oregon Public Broadcasting) Einblick in ihre Arbeit.

Dabei war weniger die tägliche Routine der Kollegen interessant (Radio ist halt immer noch Radio) als vielmehr das, worüber sie berichten. Als ich einen Reporter für einen Beitrag in eine Grundschule begleitete, war ich überrascht, dass wir vor dem Haupteingang standen und klingeln mussten. Die Sekretärin warf durch eine Überwachungskamera einen Blick auf uns und ließ uns erst dann ein. Damit nicht ehemalige frustrierte Schüler einfach so ins Gebäude marschieren und Kinder erschießen können. Dass man sich auf diese Weise mit einer täglichen Bedrohung arrangiert hat, ließ mich schaudern.

Und ich durfte mir die Arbeit einer Reporterin anschauen, die wiederum einen Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters von Portland begleitet hat. Auch wenn Jules Bailey mittlerweile bei der Wahl nur Zweiter geworden ist, war es spannend zu beobachten, wie nah die Kandidaten ihren potenziellen Wählern kommen. Bailey war zu Besuch bei Leslie, die wiederum einige Freundinnen und Nachbarinnen eingeladen hatte.

Ein wirklich persönlicher Wahlkampf, bei dem die potenziellen Wähler den Kandidaten fragen dürfen, was sie wollen. In diesem wohlhabenden Vorort von Portland wurde an diesem Nachmittag deutlich, dass den Leuten ihre eigenen Probleme wie die Baustelle, die den Verkehr in die Wohngebiete treiben dürfte, näher sind als die großen Fragen der Stadt, etwa die weit verbreitete Obdachlosigkeit. Interessant zu sehen, wie nah der Kandidat auch die Reporterin heranlässt. Sie hielt das aber schon gleich für eine taktische Nähe. Diese würde vorbei sein, sobald er Bürgermeister ist – was er diesmal verfehlte.

Funkhaus, im Vordergrund das Logo von OPB
Das Funkhaus von OPB in Portland im US-Bundesstaat Oregon. (Foto: Stefan Fries)

Und dann hätte beinahe noch die Zensur zugeschlagen. Die Regeln fürs öffentlich-rechtliche Radio in den USA verbieten es, dass bestimmte Wörter über den Sender gehen. Shit und Fuck sind noch die zwei harmlosesten. Wenn man bedenkt, welche menschenverachtenden Äußerungen die Amerikaner im Namen der Meinungsfreiheit noch für zulässig erachten, ist es geradezu grotesk, welche alltäglichen Flüche wiederum nicht ausgestoßen werden dürfen. Dermaßen sensibilisiert kann es leicht sein, dass eine Redakteurin schon beim nicht ganz sauber ausgesprochenen Wort „Bolshevik“ so etwas wie „bullshit“ versteht und es fast überpiepst hätte. Dinge wie dieses als kultureller Unterschied zwischen den USA und Deutschland zu erfahren, ist mehr wert, als nur darüber zu lesen.

Ins echte Leben

Dem diente auch einer der ungewöhnlichsten Besuche des RIAS-Programms. Wer immer nur über die wirtschaftliche Krise der USA rund um Immobilien und Finanzen berichtet, kann aus der Ferne leicht den Blick dafür verlieren, was das für die Menschen dort bedeutet. Viele haben sich offenbar daran gewöhnt, dass in großen Städten Tausende auf der Straße leben. Nicht nur in Washington, auch in Portland und San Francisco habe ich innerhalb von drei Wochen mehr Obdachlose gesehen als in Deutschland in mehreren Jahren. Ohne soziale Sicherung vegetieren viele auch bei Regen und Kälte auf den Straßen dahin. Und nicht überall bekommen sie zumindest das bisschen Unterstützung, das ihnen die St. James Church in der Upper East Side bietet.

Dort haben wir einen Vormittag lang für sie gekocht – nicht nur für Obdachlose aus ärmeren Vierteln, sondern auch für Menschen, die ihre Wohnung dort nur noch behalten können, weil ihre Miete seit Jahrzehnten nicht erhöht werden kann, denen aber das Geld für ordentliche Mahlzeiten fehlt. „Food insecure“ nennen das die US-Behörden, wenn Menschen nicht wissen, woher die nächste Mahlzeit kommt.

(Foto: Stefan Fries)
(Foto: Stefan Fries)

Ich habe in der Gemeindeküche mit zwei Kollegen etwa 200 panierte Hähnchenschnitzel gebraten. Die haben wir alle zusammen den Gästen an Tischen serviert. Es waren nur kurze Gespräche, und es ging längst nicht immer nur um ihre persönliche prekäre Situation, aber sie haben mich berührt.

Neue Perspektiven

Zum ersten Mal im RIAS-Programm dabei war ein Besuch beim Internetportal Buzzfeed. Das ist mit seiner deutschen Webseite, die in Berlin produziert wird, vor allem als Unterhaltungsmedium bekannt; in den USA hat das Team allerdings schon damit begonnen, auch politischen Journalismus zu betreiben. Schon allein, weil dort die meisten Mitarbeiter zwischen 20 und 30 Jahren alt sind, eröffnen sie damit neue Perspektiven. Nachdem sich die anfängliche Angst deutscher Journalisten vor Buzzfeed gelegt hat, könnte sie durch diesen neuen Ansatz auf Dauer durchaus zur Konkurrenz werden.

(Foto: Stefan Fries)
(Foto: Stefan Fries)

Die Medienwelt ist im Wandel, und sie wird es bleiben. Impulse kommen dabei vor allem aus den USA – nicht nur von den Journalisten dort, sondern vor allem, weil hier die Technologien entwickelt werden, die künftig zwischen uns Journalisten und unseren Nutzern stehen werden. Dass die RIAS-Berlin-Kommission jedes Jahr etwa 20 Journalisten die Möglichkeit eröffnet, sich einen Teil dieses Wandels direkt vor Ort und durch Gespräche mit Kollegen anzuschauen, ist ein großes Glück auch für die Entwicklung des Journalismus in Deutschland.

Ein letzter Trumpf gegen Trump

Zurück zum US-Präsidentschaftswahlkampf. Wenn Donald Trump und Hillary Clinton als offizielle Kandidaten ihrer Parteien nominiert sein sollten, wird sich auch ihre Präsenz auf Werbetafeln erhöhen. Wahrscheinlich wird Frank Underwood dann auch im Straßenbild von Washington eine geringere Rolle spielen – schon allein, weil die aktuelle Staffel längst vollständig veröffentlicht und die Spannung raus ist. Es sind schon Parallelen zwischen Donald Trump und Frank Underwood gezogen worden. Auf die Unterstützung des sozusagen amtierenden Präsidenten FU könnte sich DT wohl nicht verlassen, mutmaßte Kevin Spacey bei CNN.

Dennoch wird der Wahlkampf wahrscheinlich ungewöhnlich bleiben. Aber das Ende der USA, wie wir sie kennen, ist diese Wahl wohl nicht – auch nicht mit einem Präsidenten Donald Trump. Davon gaben sich jedenfalls die meisten unserer Gesprächspartner in den USA überzeugt, unter ihnen Molly Reynolds, die bei einem der größten Think Tanks in den USA arbeitet, der eher liberalen Brookings Institution. RIAS-Fellow Korbinian Frenzel hat sie dazu bei unserem Besuch befragt.

Dass das politische System der USA einen Präsidenten Trump überlebt, ist die eine Sache – ob auch die Welt einen Präsidenten Trump überlebt, allerdings eine andere.

Dieser Beitrag ist mein Abschlussbericht für die der RIAS-Berlin-Kommission.

Update, 8. Juni 2016: Die Berichte meiner Mitreisenden sind jetzt hier abrufbar.

Die USA kennenlernen: 18 Tage zwischen Washington, Portland und New York

Im April war ich mit dem großartigen Programm der RIAS-Berlin-Kommission beim deutsch-amerikanischen Journalistenaustausch. Während und nach dieser Zeit sind diese Beiträge entstanden:

„House of Cards“ und die Wirklichkeit

Der Nachrichtensender CNN vermischt Fiktion und Wirklichkeit, wenn er so für seine Sendungen zur Präsidentschaftswahl wirbt.

Wahlkampf im Wohnzimmer: Wie Kandidaten in den USA dem Wähler ganz nah kommen

Wer Bürgermeister von Portland werden will, lässt sich auch gerne mal ins heimische Wohnzimmer einladen.

Die amerikanische heute-show mit dem rassistischen Panda

Das Vorbild der ZDF-Sendung. Das Bemerkenswerte an der Show ist de Moderator Trevor Noah – ein Multitalent.

Macht die Lügenpresse Donald Trump groß?

Wie die großen Kabelsender in den USA dem Präsidentschaftskandidaten Donald Trump bereitwillig lange Sendestrecken gewidmet haben.

Donald Trumps Erfolg: “Was sollten die Medien tun? Sollten sie seine Statements ignorieren?”

Interview mit dem Politikjournalisten Jeff Mapes über die Frage, ob man Donald Trump in der Medienberichterstattung ignorieren kann.

Haben US-Journalisten Wahlkampfhilfe für Donald Trump geleistet?

Donald Trump ist laut und unverschämt. Er ist immer für einen flotten Spruch zu haben, das ist gut für die Quote. Jetzt wird der umstrittene Milliardär wohl der republikanische Präsidentschaftskandidat. Viele Journalisten in den USA fragen sich nun, ob sie Wahlkampfhilfe geleistet haben – ohne es zu merken. In meinem  für das WDR5-Medienmagazin „Töne, Texte, Bilder“ habe ich diesen Aspekt mit den Stimmen mehrerer Journalisten beobachtet.

Zensur: Warum es selbst in den USA keine ganz freie Rede gibt

Wer im öffentlich-rechtlichen Radio in den USA arbeitet, ist auch hin und wieder als Zensor tätig. Denn böse Schimpfwörter on air – das geht gar nicht.

Wer Donald Trump noch verdrängen könnte: 18 Tage mit RIAS in den USA

Mein abschließender Bericht für die RIAS-Berlin-Kommission mit einem Überblick über Besuche, Gespräche und Eindrücke.

Dieser Beitrag ist ursprünglich am 26. Mai 2016 erschienen. Ich habe ihn am 28. Mai aktualisiert und durch den Verweis auf einen neuen Beitrag ergänzt.