Journalisten können den Wettbewerb mit Social Media nicht gewinnen

Es erscheint paradox: Ausgerechnet bei dem mutmaßlichen Anschlag von Berlin, dem bisher größten in Deutschland in der aktuellen Terrorlage, bleibt die Diskussion in der Öffentlichkeit weitgehend ruhig. Verglichen mit den Anschlägen von Paris, Brüssel und Nizza hält sich die Aufgeregtheit in Grenzen. Dass „die Medien“ diesmal zu spät oder gar nicht reagiert hätten, habe ich als Vorwurf selten gelesen und gehört. Vielleicht, weil viele Redaktionen diesmal tatsächlich schnell auf Sendung und online waren – ganz gleich, was es zu berichten gab.

Genau das ist aber das Problem solch einer Berichterstattung, wie sich in diesem Fall wieder einmal daran gezeigt hat, dass sie sich zu stark auf eine Person konzentriert hat.

Hilfreich ist das nicht.

Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat die Berichterstattung im Deutschlandfunk analysiert. Er sagte, sie besitze eine offene Flanke – Ungewissheit verbunden mit Geschwindigkeitsrausch im digitalen Zeitalter sei eine fatale Kombination. Klassischer Journalismus stehe vor einem Dilemma. Das Publikum treibe ihn in den sozialen Medien, schneller und früher zu berichten – gleichzeitig gehöre es zum Markenkern von Journalismus, Fakten zu vermitteln. „Diesen Geschwindigkeitswettbewerb mit den sozialen Medien kann man gar nicht gewinnen“, sagte Pörksen.

Deswegen sollte man ihn am besten gar nicht erst beginnen. Getrieben dazu fühlen sich Journalisten aber nicht nur von Nutzern in sozialen Netzwerken, sondern auch von den Anbietern selbst.

Patrick Beuth schreibt bei Golem, in Gefahrenlagen wie denen in Berlin aktiviere etwa Facebook einen sogenannten Safety Check. Damit können Nutzer leicht und schnell bekanntgeben, dass sie sich nicht oder nicht mehr in Gefahr befinden.

Anfangs waren nur wenige Facebook-Mitarbeiter in der Lage, den Safety Check auszulösen. Mittlerweile tun das die Nutzer selbst. Stojanow sagt, sobald bestimmte Begriffe wie Feuer, Erdbeben oder auch Anschlag in einer Region so häufig von Facebook-Nutzern gepostet werden, dass sie einen Schwellenwert überschreiten und die entsprechende Nachricht auch von externen Dritten verbreitet wird, denen Facebook vertraut, löse die Funktion automatisch aus.

Damit konstruiert Facebook allerdings eine eigene Realität. So wurde der Safety Check zunächst „Der Anschlag von Berlin“ genannt, lange bevor die Polizei diesen Verdacht bestätigte. Später hieß es „Gewalttat“, dann „Der Vorfall am Weihnachtsmarkt in Berlin“. Safety Check ohne Faktencheck: Die Titel vergeben Facebook-Mitarbeiter und produzieren so Fake-News. Denn Nutzer gehen davon aus, zu den entsprechenden Schlagworten auch Informationen zu finden, was bei seriösen Medien in dieser Schnelligkeit nicht geht. So werfen sie ihnen vor, zu langsam zu sein.

Da hilft es auch nicht, wenn Journalisten mehr und mehr darauf setzen, nicht nur zu sagen, was sie wissen (was lange dauert), sondern auch, was sie nicht wissen (was recht schnell geht). Stefan Niggemeier hat bei Übermedien.de allerdings festgestellt, dass viele unter „Wissen“ jetzt nicht auflisten, was sie nicht wissen, sondern welche Gerüchte sie kennen – was so ziemlich das Gegenteil von Wissen sei. Allerdings sei es in so einer unübersichtlichen Situation wichtig, sich auf Fakten zurückzuziehen:

Hinter der Frage nach dem Umgang mit diesem Format steht ja eine sehr viel größere: In welchem Umfang Medien sich überhaupt auf Spekulationen einlassen sollen. Der Druck aus den digitalen Netzwerken, sofort das zu melden, was vermeintlich auf der Hand liegt, ist riesengroß. Die Lügenpresse-Rufer sahen schon in jeder korrekten Zurückhaltung, im Abwarten von Bestätigungen, einen Beweis, dass die etablierten Medien am liebsten die Wahrheit gar nicht melden wollten („die Wahrheit“, die sie selbst natürlich längst kannten).

Der freie Journalist Michael Hirschler hat bei Twitter gefordert:

Das finde ich problematisch. Denn dieser Wettbewerb läuft unter ungleichen Voraussetzungen. Oft haben sich Gerüchte schon auf ihren Weg durch die sozialen Netzwerke gemacht, während Journalisten immer noch nicht loslaufen können, weil sie erst Informationen recherchieren müssen. Und das braucht Zeit, wie man nicht müde werden kann zu betonen. Insofern ist Lisa Hegemann bei t3n zuzustimmen:

Die Medien sollten nur das berichten, was schon valide ist (…). Der Journalismus kann schnell sein, er muss dann aber auch richtig liegen. Er muss all das, was ungefiltert in unseren Feeds aufschlägt, einordnen und bewerten. Sonst unterscheidet er sich nicht von Facebook oder Twitter.

Den Wettbewerb mit sozialen Netzwerken können Redaktionen nicht gewinnen. Sie sollten sich gar nicht erst darauf einlassen.

Wie Korrespondenten arbeiten – der DLF mit einem Blick nach Washington

Der Deutschlandfunk beschäftigt sich schon seit Wochen intensiv mit der wahrscheinlich wichtigsten Wahl der Welt, die am Dienstag ansteht. Vor allem in der Nacht selbst geht es zehn Stunden lang nonstop live um Erkenntnisse und Ergebnisse aus den USA.

Um 23.10 Uhr fassen die Kollegen von „Das war der Tag“ noch mal den vorhergehenden Tag zusammen und berichten dabei auch aus den USA. Um 0.05 Uhr übernehmen dann Moderatorin Stephanie Gebert, der frühere USA-Korrespondent Klaus Remme als Experte und Online-Redakteur Tobias Jobke das Studio. Sie schauen noch mal zurück auf den Wahlkampf und berichten über erste Ergebnisse aus einzelnen Bundesstaaten. Die „Informationen am Morgen“ beginnen am Mittwoch eine Stunde früher als sonst und beschäftigen sich fast monothematisch mit den Wahlen. Voraussichtlich in den frühen Morgenstunden wird mit einem Ergebnis der Präsidentschaftswahl gerechnet.

Die wichtigste Leitung in dieser Nacht wird die von Köln nach Washington sein. Dort sitzen die Korrespondenten Thilo Kößler, Marcus Pindur und Bettina Klein. Ihre Arbeit lässt sich nicht nur on air verfolgen. Der Deutschlandfunk ermöglicht auch einen Blick hinter die Kulissen. Für den sorgt Online-Redakteur Boris Bittner, der die Kollegen seit der vergangenen Woche begleitet und im Washington-Blog berichtet.

Dort erzählt etwa Thilo Kößler von seiner täglichen Arbeitsroutine:

Der Tag des Washington-Korrespondenten beginnt heute mit dem Blick aufs Smart-Phone: Eilmeldungen checken, die hier news alert heißen. Mails auswerten. Newsletter aufklicken. Blogs lesen. Tweetdeck: Was kam in der Nacht aus dem Trump-Lager? Was aus dem Clinton-Lager? Erst dann der Blick in die Agenturen. Da läuft schon der längst der Fernseher.

Außerdem geht es auch um die Technik, die in Washington zum Einsatz kommt.

Wer wissen will, wie Korrespondenten arbeiten, sollte in den nächsten Tagen auch einen Blick in dieses Blog werfen.

Offenlegung: Ich arbeite als ständiger freier Mitarbeiter für den Deutschlandfunk.

Zweite Quelle? Braucht keiner mehr.

Manfred Krug 001

Der Tod des Schauspielers Manfred Krug ist ein gutes Beispiel dafür, wie schnell Informationen heute in der Welt sind, ohne dass sie bestätigt wären. Allein die BILD-Zeitung berichtete zunächst davon. Auf Nachfrage der Nachrichtenagentur EPD weiß selbst das Management von Manfred Krug erst mal nichts dazu zu sagen. Sie schreibt:

Krugs Management konnte die Meldung auf epd-Anfrage zunächst nicht bestätigen.

Trotzdem ist die Nachricht nicht aufzuhalten. In den deutschen Twitter-Trends steigt sie in kürzester Zeit auf Rang 2. Bei Google News finden sich schnell ein Dutzend Berichte, die sich alle auf die Bild-Zeitung berufen. Eigene Recherche? Fehlanzeige.

Gegen 14 Uhr kommen dann erste Bestätigungen. Die Tagesschau beruft sich auf das Management, das zwischenzeitlich offenbar eine Bestätigung einholen konnte. Auch der Mitteldeutsche Rundfunk berichtet unter Berufung auf das Management.

Es bleibt festzuhalten, wie schnell sich so eine Meldung inzwischen verbreitet, ohne dass es eine zweite Quelle gibt – eigentlich ein grundsätzliches Prinzip von Journalisten. Und die tragen zur Verbreitung in gleicher Weise bei wie Nutzer. Das zeigt, wie sehr das Zwei-Quellen-Prinzip mittlerweile geschliffen ist. Journalisten des einen Mediums berufen sich auf die des anderen – und für den Nutzer erscheint allein die Fülle der Meldungen wie eine Bestätigung, auch wenn sich alle auf dieselbe Quelle berufen.

#Muenchen und die Verantwortung jedes Einzelnen

Seitdem jeder, der mit Smartphone und Internetverbindung unterwegs ist, jederzeit öffentlich machen kann, was er sieht und erlebt, trägt er und sie auch die Verantwortung dafür. Es ist eine Verantwortung, wie sie lange Zeit lediglich Journalisten hatten, weil sie auch aus technischen Gründen das Monopol auf eine breite Öffentlichkeit hatten. Die Zeiten sind vorbei.

In der Nacht von Freitag auf Samstag habe ich leider nicht viel von dieser Verantwortung gesehen – und die Polizei München auch nicht.

Es ist erst 19.37 Uhr an jenem Abend, als die Pressestelle diesen Tweet absetzt. Etwa zwei Stunden vorher hat das begonnen, was die Polizei mittlerweile einen Amoklauf nennt, auch wenn es zwischenzeitlich nach einem Terrorangriff aussah. Dass dieser Tweet nötig war, hatte man schon die Stunden vorher sehen können. Immer wieder tauchten in meiner Timeline bei Twitter Fotos und Videos vom Tatort auf – und auch vom Polizeieinsatz. Getwittert wurden sie auch von Journalisten.

So veröffentlichte etwa Richard Gutjahr mehrmals im Laufe des Abends Bilder. Eins davon zeigte eine Gruppe von Polizisten, die offenbar vor einem Eingang des Olympia-Einkaufszentrums in München standen. Ein unverantwortliches Bild, hätte es dem Täter doch einen Hinweis geben können, wo die Polizei das Gebäude bereits gesichert hat, und seine Flucht begünstigen können.

Natürlich gibt es ein Interesse der Öffentlichkeit an Berichterstattung. Aber es gibt auch ein Interesse der Öffentlichkeit an Sicherheit – und die sollte vorgehen. Deswegen sollten wir Journalisten uns nicht in Polizeieinsätze einmischen. Das sollte spätestens seit der Geiselnahme von Gladbeck klar sein.

Dass Gutjahr später twitterte, die Bilder seien 30 Minuten zeitversetzt getwittert worden, macht meiner Meinung nach keinen großen Unterschied. Allerdings löschte er später reumütig die Fotos.

Ich halte ihm zugute, dass er innerhalb von wenigen Tagen gleich dreimal in außergewöhnlichen Situationen war, in der sofort journalistische Reflexe anspringen. Die kenne ich auch von mir, auch wenn ich nicht am Tatort bin und aufgrund meiner Jobs in Nachrichten- und Onlineredaktionen von Radiosendern immerhin noch die Möglichkeit für ein wenig mehr Reflexion habe, die am Tatort tatsächlich schwierig zu bekommen ist. Die technischen Möglichkeiten verleiten außerdem dazu, diese auch zu nutzen.

Man muss sich nicht in die sogenannte gute alte Zeit zurückwünschen, in der wir von solchen Einsätzen nicht live, sondern mit vielen Stunden Verzögerung erfahren haben, nicht mit der Ungewissheit, wie die Sache enden würde, sondern mit ihrem Ende. Aber abgesehen von Warnungen der Polizei, zu Hause zu bleiben, sich in Gebäude zu begeben und die Innenstadt zu meiden, sehe ich wenig Nutzen darin, ständig über jeden einzelnen Schritt des Einsatzes haarklein informiert zu werden.

Auch jeden anderen Augenzeugen, auch wenn er nicht Journalist ist, trifft allerdings eine große Verantwortung. Denn die Polizei München bezog sich auch auf die viele hundert anderen Smartphone-Nutzer rund um das Olympia-Einkaufszentrum, die immer wieder möglicherweise auch einsatzrelevante Informationen veröffentlichten. Auch sie tragen eine Verantwortung, sind sich dessen aber offenbar nicht bewusst. Und eine Verantwortung tragen auch diejenigen, die solche Informationen weiterverbreiten. Hinzu kamen falsche Beobachtungen etwa über angebliche Schüsse an anderen Stellen in der Stadt, bewusst veröffentlichte Fakes, die die Tat noch schlimmer erscheinen ließen und deren Ziel wohl ebenfalls das Verbreiten von Angst war, sowie das Schüren von Hass und Vorurteilen etwa durch AfD-Politiker, die noch vor dem Vorliegen von vorläufigen Erkenntnissen über Tat und Täter ihren politischen Nutzen ziehen wollten.

Ich habe mir vorige Woche schon Gedanken dazu gemacht, ob die Flut von Bildern der Öffentlichkeit alles in allem überhaupt noch nutzt. Denn nicht nur behindern sie möglicherweise einen Polizeieinsatz, sondern sie dienen im Falle von Terrorangriffen auch den Interessen der Terroristen, durch die Veröffentlichung Angst und Schrecken zu verbreiten. Daniel Fiene hat deshalb ganz recht, wenn er fordert:

In den letzten Monaten habe ich mich viel mit Periscope, Facebook Live und anderen Diensten beschäftigt. Es sind wunderbare Werkzeuge. In den letzten Tagen sind mir viele Szenarios bewusst geworden, in denen ich sie nicht im Einsatz sehen möchte. Das nehme ich zum Anlass, nicht nur über Live-Video, sondern auch um über normale Fotos und Videos zu reden. Mein Wunsch, an uns Social-Media-Intensivnutzer: Lasst uns in extremen Situationen zurück in den Textmodus wechseln.

Wir werden nicht verhindern können, dass Augenzeugen ihre Beobachtungen in Bildern weitergeben. Aber wir Journalisten können durchaus steuern, wie wir mit diesen Bildern umgehen.

Wer „Zensur“ brüllt, darf woanders weiterschreien

In Deutschland gilt das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das ist nicht umfassend, wie ich an anderer Stelle schon mal gezeigt habe. Aber es gilt und ist sehr weitreichend. Was ist nicht gilt, ist das Recht darauf, dass sich jemand meine Meinung anhören muss.

Wenn vor meinem Fenster herumgebrüllt wird, darf ich das Fenster schließen. Und wenn jemand in meinem Haus brüllt, darf ich ihn rauswerfen. Nichts anderes ist es, wenn jemand unter dem Facebook-Post eines Mediums kommentiert. Die Redaktion muss nicht alles dulden, und es liegt in ihrem Ermessen, was sie löscht. Wenn sie Interesse an einer Diskussion hat, wird das möglichst wenig sein. Und wenn sie Interesse an einer Diskussion hat, wird sie löschen, was diese Diskussion unangenehm macht.

Aber nur, weil ein Kommentar hier beiseitegefegt wird, ist das keine Zensur. Denn der Kommentator behält sein Recht, seine Meinung zu sagen. Er kann das auf seiner eigenen Facebook-Seite tun, er kann ein Blog eröffnen, er kann auf die Straße gehen. Dann darf er sein Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben. Aber er hat kein Recht darauf, dass ihm jemand zuhört.

„Wo kann man noch diskutieren? Wo ist man noch bereit zur Debatte?“

Wie können wir in Zukunft im Netz noch debattieren, wenn viele Diskussionen von Reichsbürgern, Trollen, Hatern, ewig Unzufrieden, Whataboutism-Nutzern und anderen zerschossen werden? Gibt es Ideen, diese Leute wieder für ernsthafte inhaltliche Diskussionen zu gewinnen oder – wenn nicht – sie zumindest von bestimmten Diskussionen fernzuhalten?

Auf der Republica und der Media Convention in Berlin ist Anfang Mai viel darüber diskutiert worden. Dabei wurden auch Perspektiven aufgezeigt für eine bessere Debattenkultur im Netz. Denn ein Netz ganz ohne Debatten – das geht nicht, findet Carline Mohr, die bis April das Social-Media-Team bei bild.de geleitet hat und ab Juni bei Spiegel online arbeitet.

Drei Punkte, denen in Berlin viele Social-Media-Redakteure zugestimmt haben.

1. Klar Kante zeigen

Klar Kante zeigen heißt: Beleidigungen, Rassismus, Sexismus, Homophobie, Aufruf zu Gewalttaten und andere strafbare Inhalte konsequent ausblenden und gegebenenfalls auch juristisch verfolgen. Keine neue Idee, aber immer noch notwendig. Denn es gibt Nutzer, die sind auf anderem Wege nicht mehr für eine Debatte zurückzugewinnen, findet auch Carline Mohr.

Auch Jörg Heidrich, Justitiar beim Onlineportal Heise in Hannover, entdeckt in den Foren von heise.de immer wieder Einträge von Nutzern, die den Rahmen dessen überschreiten, was noch als erlaubte Meinung durchgehen kann. Diese Beiträge würden schnell gelöscht.

Volksverhetzung, Aufruf zu strafbaren Handlungen, Beleidigungen sollte man auch weiter nicht hinnehmen, sagt Heidrich.

2. Mit den Lesern sprechen

Viele Nutzer vertreten allerdings durchaus Meinungen, die zwar noch von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, aber die Diskussion vergiften können. Ihre Beteiligung beschränkt sich darauf, auf ihrer Meinung zu beharren, ohne sie argumentativ zu stützen. Ich habe dazu hier schon mal geschrieben:

…oft vermisse ich schon die Bereitschaft, überhaupt nur über die Meinung zu diskutieren. (…) Meistens (…) fehlt den Nutzern die kognitive Fähigkeit, sich über ein Thema auseinanderzusetzen. Selten wird ein sachliches Argument genannt, oft mit modernen Whataboutisms abgelenkt, wird mit Gefühlen, Klischees und Vorurteilen argumentiert, die sich niemand durch Fakten widerlegen lassen möchte.

Heike Gallery, bei ZEIT online zuständig für Social Media, sagte auf der Media Convention in Berlin, man müsse sich mit den Lesern und Nutzern austauschen. ZEIT online versuche, einen öffentlichen Raum herzustellen mit der Community, in dem Austausch möglichst sei, sachlich und konstruktiv.

Im Eröffnungspanel hat Frank Richter, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen, diese Gesprächsbereitschaft noch weiter gefasst. Zum Thema „Gesellschaft – it´s broken, let´s fix it!“ sagte er, vielen Menschen, die sich bei AfD und Pegida darüber beklagen würden, dass ihre Stimme nicht wichtig sei, würden sich wertgeschätzt fühlen, wenn sie endlich einmal öffentlich sagen könnten, was sie meinen, und dafür Zustimmung fänden (im Video ab Min. 8´24).

3. Die eigene Community stärken

Entsprechend versuchen seit einiger Zeit ZEIT online und sueddeutsche.de, ihre Community zu stärken.

Bei der Süddeutschen Zeitung können seit anderthalb Jahren nur noch ausgewählte Beiträge online kommentiert werden. Daniel Wüllner, Teamleiter Social Media und Leserdialog, findet das für eine gezielte und konstruktive Diskussion außerordentlich praktisch, denn gerade zu den am meisten diskutierten Themen eines Tages gebe es oft mehrere Beiträge – zum Beispiel ein aktuelles Stück, einen Hintergrund, Reaktionen und einen Kommentar. Würde man dort jeweils separat diskutieren, gäbe es gleich mehrere Diskussionsstränge zum selben Thema. Stattdessen bündelt sueddeutsche.de diese Beiträge zu einem einzigen Diskussionsstrang. Zieht sich ein Thema über mehrere Tage hin, könnten an jedem Tag verschiedene Aspekte diskutiert werden.

Heike Gallery von ZEIT online empfindet die Verengung der Themen, über die man bei sueddeutsche.de diskutieren kann, als nicht zeitgemäß. Es handle sich um das klassische Gatekeeper-Modell, weil Journalisten bestimmten, worum es gehen soll. Nutzer würden sich dann lieber andere Seiten suchen, um über die Themen zu diskutieren, die sie wichtig fänden, etwa bei Facebook. Gallery will die Leser aber lieber bei zeit.de halten, um die Hoheit über die Inhalte zu behalten und sich wie im Fall von Facebook nicht von einem US-Unternehmen abhängig zu machen.

Die ZEIT stärkt ihre Community, indem sie aus Kommentaren ihrer Nutzer kleine Boxen bastelt, die sie zum Beispiel per Twitter verbreitet.

Vorteil dieser Communitys: Jeder Kommentar wird gelesen, bevor er veröffentlicht wird.

4. Sich helfen lassen

Bei Facebook geht das nicht: Die Kommentarfunktion kann nicht abgeschaltet werden, und jeder Post geht direkt online. Je nach Medium, je nach Thema, je nach Mobilisierung der Nutzer ist es für die Redaktionen unmöglich, alle Kommentare zu lesen. Da wäre eine technische Hilfe wünschenswert, die Redakteuren kritische Kommentare zur Begutachtung vorlegt.

Ein Forschungsprojekt an der Universität Münster will da weiterhelfen. Der Wirtschaftsinformatiker Sebastian Köffer entwickelt einen Algorithmus, der Kommentare mit Hatespeech und Propaganda herausfiltern soll. Das ist gar nicht so leicht, denn Sprache ist längst nicht eindeutig, so dass ein Algorithmus direkt versteht, wie brisant ein Kommentar ist.

Schwierig wird es vor allem dadurch, dass Mehrdeutigkeit, Wortschöpfungen, Sarkasmus und Verneinungen schwer zu erkennen seien, sagt Köffer.

In solchen Fällen können auch Metadaten helfen. Die zeigen zum Beispiel, ob Profile gerade erst angelegt und Texte hineinkopiert wurden – und das bei vielen Profilen kurz nacheinander, was auf den Einsatz bezahlter Kommentatoren hindeutet.

Bis das Instrumentarium einsetzbar ist, kann es aber noch einige Zeit dauern. Und Köffer sagt, dass es nicht unbedingt auf allen Plattformen einsetzbar ist. Facebook zum Beispiel hat massenhaft Daten und Metadaten, um sich selbst ein solches Instrumentarium zu schaffen und anzuwenden. Was da passiert, wisse man aber nicht, so Köffer.

5. Mit Journalismuskritik umgehen

Eine besondere Herausforderung bei der Umgang mit Kommentaren stellt sich dann, wenn sich die Kritik von Nutzern gegen die eigene Arbeit richtet, man also in eigener Sache argumentieren muss. Journalisten geraten dann leicht in Erklärungsnot, weil Nutzer oft Dinge bemängeln, die entweder

  • nicht in der Verantwortung der Journalisten liegen (also wenn sie die Meinung maßgeblicher Protagonisten wiedergeben, die von Nutzern als unerwünscht angesehen werden – wenn also der Überbringer der Nachricht dafür geschlagen wird)
  • oder immanenter Bestandteil journalistischer Arbeit sind (schnelle Erstberichterstattung zunächst ohne Einordnung und Reaktionen)
  • oder vage Vorwürfe erheben (tendenzielle Berichterstattung zugunsten bestimmter Gruppen, ohne das zu belegen)

Es gibt freilich auch berechtigte Kritik. Die New York Times hat sich dafür vier Jahre lang eine Ombudsfrau geleistet. Margret Sullivan hat Fragen von Nutzern aufgegriffen, die Stichhaltigkeit der Anfragen und Vorwürfe geprüft und Redakteure weitergeleitet, die zur Antwort verpflichtet waren. Auch SZ-Redakteur Daniel Wüllner kann sich ein solches Amt vorstellen. Er sieht aber auch gewisse Probleme, dafür jemanden Vertrauenswürdigen zu finden, der sich sowohl bei Nutzern als auch bei den Journalistenkollegen unbeliebt macht.

An dieser Stelle gilt es noch weiter nachzudenken. Das wird unter anderem beim 2. Kölner Forum für Journalismuskritik am 10. Juni versucht.

„Es ist wichtig, mit den Lesern zu sprechen“

Ein Schwerpunkt der diesjährigen Republica und der Media Convention in Berlin war der Umgang mit Hass im Netz. Das wird seit dem vorigen Jahr breit diskutiert, nachdem die Anzahl der Hasskommentare vor allem gegen die vielen ankommenden Flüchtlinge enorm zugenommen hatte. In Berlin wurden Perspektiven aufgezeigt für eine bessere Debattenkultur im Netz. Welche das sind, darüber habe ich für das Medienmagazin des Deutschlandfunks, „Markt und Medien“, berichtet.

Mit Stimmen von

  • Carline Mohr, bis April Social-Media-Leiterin bei bild.de
  • Jörg Heidrich, Justiziar beim Onlineportal heise.de
  • Daniel Wüllner, Teamleiter Social Media und Leserdialog bei sueddeutsche.de
  • Sebastian Köffer, Wirtschaftsinformatiker von der Universität Münster

Journalisten als Gerüchtberichterstatter

Aus Anlass des erfundenen Falls eines toten Flüchtlings vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin (Lageso) stellt sich die Frage, ob wir uns wieder stärker dem Zwei-Quellen-Prinzip zuwenden sollten. Das besagt, dass eine Information nur dann als gesichert oder überhaupt berichtet werden darf, wenn zwei voneinander unabhängige Quellen die Fakten bestätigen.

Ann-Kathrin Büüsker dröselt den Fall in Berlin noch mal auf und stellt dar, dass es durchaus Anlass gibt, die von einem Flüchtlingshelfer behauptete und von einer Hilfsorganisation gestützte Version für wahrscheinlich zu halten.

Wir kennen die Zustände dort aus den vergangenen Monaten zu Genüge. Die Vorstellung, dass dort ein Mann wegen mangelnder Versorgung erkrankt und an den Folgen stirbt, sie ist nicht völlig aus der Luft gegriffen.

Weil die Meldung zusätzlich intensiv in sozialen Netzwerken diskutiert wird, werden Journalisten darauf aufmerksam. Gesprächswert ist schließlich auch ein Relevanzkriterium, auch wenn fraglich ist, wie repräsentativ solche Themen in den Filterblasen des Netzes wirklich sind.

Die Berichterstattung beginnt, dem Vorwurf des Flüchtlingshelfers und seiner Organisation wird die Mitteilung der Behörden entgegengestellt, dass sie den Todesfall nicht bestätigen können.

Denn ja – alle Beteiligten haben versucht die Geschichte „hart“ zu kriegen, die Verwirrung aufzulösen. Doch es ging nicht. Über Stunden hinweg reine Verwirrung, Spekulation, keine Bestätigung.

So Ann-Kathrin Büüsker. Haben Journalisten hier gegen das Zwei-Quellen-Prinzip verstoßen? Oberflächlich schon, weil sie keine Bestätigung für die Vorwürfe haben finden können. Nach der reinen Lehre hätten sie also nicht über den Fall berichten dürfen.

Streng genommen gab es jedoch eine zweite Quelle, denn die Polizei kam ja zu Wort. Allerdings hatte die abweichende Informationen. Und es ist durchaus auch Aufgabe von Journalisten, über ungeklärte Faktenlagen und widersprüchliche Informationen zu berichten.

Ein zweiter Aspekt kommt hinzu: Wir weichen schon seit Jahren immer wieder vom Zwei-Quellen-Prinzip ab. Und zwar dann, wenn der Journalist Tatsachen selbst beobachtet hat und zweifelsfrei beschreiben kann. Das ist zum Beispiel bei Augenzeugenberichten der Fall, wozu ich beispielsweise auch Bundestagssitzungen zähle, die der Journalist selbst verfolgt hat.

Und drittens: Bei Meinungsäußerungen sind wir nicht so streng. Wenn CSU-Chef Horst Seehofer von „massenhaftem Asylmissbrauch“ spricht, ohne Beweise vorzulegen, geben wir das weiter, ohne die Stichhaltigkeit zu prüfen. Und auch wenn der ehemalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) den Medien vorwirft, ein „Schweigekartell“ zu bilden, wird das ohne konkrete Belege seinerseits berichtet.

Nichts anderes ist im Berliner Fall passiert, nur dass der Urheber des Gerüchts weniger prominent ist. Journalisten haben berichtet, gestern Abend kam dann nach polizeilichen Ermittlungen heraus, dass an den Vorwürfen nichts dran ist.

Eines lässt sich unter anderem daran jedoch ablesen: In Zukunft wird es verstärkt Aufgabe von Journalisten sein, Gerüchten nachzugehen. Diese in die Welt zu setzen ist über soziale Medien sehr leicht geworden; sie finden schnelle Verbreitung, besonders, wenn sie plausibel erscheinen (wie im Lageso-Fall) oder Vorurteile bedienen (wie in vielen Fällen, in denen es um Vorwürfe gegen Flüchtlinge geht).

Journalisten kommen zunehmend schwieriger an solchen Vorwürfen vorbei, zumal schnell die Rede von Vertuschung ist. Einige Lokalmedien haben bereits damit begonnen, in regelmäßig erscheinenden Rubriken konkrete Gerüchte zu recherchieren. Auch die Tagesschau als überregionales Medium hat Gerüchte aufgegriffen. In einigen Fällen stimmten sie, in mehr Fällen stimmten nur einige Details, in vielen weiteren gab es keinerlei Belege für die behaupteten Fakten.

Verantwortung dafür tragen nicht nur diejenigen, die die Gerüchte in die Welt setzen, sondern auch die, die sie ungeprüft weiterverbreiten. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kommentierte das so:

Manche Fehler macht man, weil man etwas nicht weiß. Und andere, weil man etwas nicht wissen will. Von Letzterem ist hier die Rede, weil die Polizei in Deutschland derzeit viel zusätzliche Arbeit damit hat.

 Und eben zunehmend auch Journalisten. Das NDR-Medienmagazin „Zapp“ zitiert den Kommunikationswissenschaftler Matthias Kohring von der Universität Mannheim:

„Für diese Menschen bietet der klassische Journalismus keine einfachen Rezepte an. Die Welt ist halt komplex, es gibt keine einzig mögliche Deutung, man muss auch Widersprüche aushalten, es gibt nicht schwarz oder weiß, es gibt grau, und ich glaube, dass sehr viele Menschen damit nicht zurechtkommen.“

Erreicht man also diejenigen gar nicht, die Gerüchte in die Welt setzen, sie weiterverbreiten oder sie zumindest lesen? Zapp-Autor Bastian Berbner findet: Teilweise wohl schon.

Da das Publikum aber nicht nur aus Gerüchteverbreitern besteht, ist es journalistisch natürlich trotzdem sinnvoll, unwahre Behauptungen anhand von Fakten zu widerlegen, auch wenn man den harten Kern so nicht erreicht.

Vor allem für überregionale Medien bleibt die Frage, wann sie solche Gerüchte aufgreifen. Hier greifen neben den klassischen journalistischen Kriterien wie der Frage nach der Relevanz auch solche, die auf die Logik der sozialen Netzwerke eingehen: Wie stark sind die Gerüchte verbreitet und wo, welche überregionale Bedeutung haben sie, wie massiv sind die Vorwürfe oder wie absurd – vielleicht zu absurd, um ihnen nachzugehen. Wahrscheinlich werden es Einzelfallabwägungen sein – wie immer im Journalismus.

 

Nachtrag, 14.35 Uhr: Dennis Horn hat sich bei WDR Digitalistan damit beschäftigt, wie solchen Fakes im Netz wirksam begegnet werden kann. Er schlägt unter anderem eine Art Anti-Fake-Behörde vor.

Twitter-Hysterie um die #ParisAttacks: Warum Nutzer stärker wie Journalisten denken sollten

Jedem Großereignis mit exzeptioneller Medienberichterstattung folgt eine Phase der Medienschelte. Das war nach dem Amoklauf in Winnenden so, nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen, auch nach der Affäre um den schließlich zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff. Teils überlagert die Schelte bereits das Ereignis. Selten geht sie ihr voraus.So war es aber bei den Anschlägen von Paris.Über die Kritik ist vor allem kurz danach viel geschrieben worden (das Bildblog hat dazu eine ausführliche Linkliste veröffentlicht). Bemerkenswert an der Kritik finde ich vor allem zweierlei:1. Die Berichterstattung der klassischen, etablierten Medien wird nicht etwa von vorneherein für verzichtbar erklärt, sondern aktiv und vehement eingefordert.2. Entspricht diese allerdings nicht den Erwartungen (in Schnelligkeit, Umfang, Detailgenauigkeit, Erklärungsmustern, Hintergründen) wird auf alternative Quellen ausgewichen. Dabei offenbart sich aber eine verbreitete Unfähigkeit von Nutzern, diese Quellen adäquat einzuschätzen.Letzteres zeigte sich vor allen Dingen darin, welche angeblichen Informationen von Nutzern selbst in die Welt gesetzt und welche davon weitergetragen wurden. „The Independent“ hat einige davon zusammengetragen. Sie lassen sich grob drei Typen zurechnen: Typ 1 waren definitive Fehlinformationen wie die über Vereen Jubbal, der zu einem Terroristen erklärt wurde.

Eine Lüge. Typ 2 waren offensichtliche Fehldeutungen. So wurde ein Tweet, in dem die Anschläge angeblich zwei Tage zuvor vorausgesagt wurden, mehr als 9.500 mal retweetet und fast 6.000 mal geliked.

Dabei handelt es sich bei „PZbooks“ um einen automatisierten Twitter-Account, der wahllos und zufällig Sätze wie den obigen zusammensetzt.

Typ 3 sind Tweets, in denen keine Aktualität behauptet, aber suggeriert wird, wie etwa in diesem hier:

Ian Bremmer twitterte dieses Foto in der Nacht der Terroranschläge um 1.12 Uhr, ohne einen Hinweis darauf, dass das Foto nicht aus dieser Nacht stammt. Es wurde 30.000 mal retweetet und geliked.

Sebastian Horsch schreibt bei „OVB online“ über solche Hoaxes:

Einmal in der Welt, werden diese Lügen in den Sozialen Netzwerken rasend schnell weiterverbreitet – sie wieder einzufangen ist quasi unmöglich. Auch der Urheber – ob er die Fälschung nun absichtlich oder unabsichtlich veröffentlicht hat – hat keine Kontrolle mehr darüber.

Nutzer, die solche Tweets ungeprüft weiterverbreiten, sollten sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Wer auf der einen Seite begrüßt, dass er selbst in der Lage ist, an den früheren Gatekeepern vorbei selbst Informationen verbreiten zu können, sollte auf der anderen Seite seine Verantwortung wahrnehmen, keine Lügen zu streuen. Daniel Fiene schreibt dazu bei „RP online“:

Der gereizten Kommentarkultur im Netz wäre sehr geholfen, wenn jeder beim Weiterverbreiten einer Information kurz in sich ginge und fragte: Was ist die Quelle? Ist das wirklich bestätigt? Was bringt es, wenn ich eine Spekulation poste? Diese Fragen müssen sich heute nicht mehr nur Journalisten stellen, sondern die gesamte Netzgemeinde.

Wie ich fordert er auch implizit, deutlicher zu machen, woher die Informationen stammen, wie zuverlässig sie sind und welche Informationen noch fehlen.

Meine Hoffnung liegt in einer Gegenbewegung: Immer mehr Leser orientieren sich am transparenten Umgang mit Informationen. Wenn offen zwischen dem unterschieden wird, was wir wissen und was wir nicht wissen. Übersicht statt Echtzeitrausch – dadurch wird so mancher näher dran sein, als er glaubt.

Journalisten kommt in dieser Zeit, in der Nutzer ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, eine noch wichtigere Rolle zu: Ihre Aufgabe ist es, Gerüchte zu prüfen, bestätigte Informationen zu veröffentlichen, unbestätigte gar nicht erst zu melden oder zumindest als solche zu kennzeichnen – und leider heutzutage auch, in die Welt gesetzte Gerüchte offensiv zu dementieren, wie es inzwischen mehrere Medien teils sogar regelmäßig machen, etwa der ORF oder die Neue Württembergische Zeitung.

Ich habe schon mal darauf hingewiesen, dass der entscheidende Unterschied zwischen Journalisten und Nutzern meines Erachtens heute nicht mehr im Zugang zu Quellen liegt, sondern darin, diese zu interpretieren. Offenbar kommt ihnen noch stärker, als ich gedacht habe, die Aufgabe zu, der Verbreitung von Nicht-Informationen entgegenzuwirken:

Für viele Bürger stehen diese zwei Arten von Quellen heute gleichberechtigt nebeneinander: Informationen und Nicht-Informationen. Wenn letztere in sich einigermaßen schlüssig sind, wenn sie eigene Meinungen stützen und ins Weltbild passen, sprechen Nutzer ihnen dieselbe Plausibilität zu wie den Quellen, die Journalisten als seriös erachten. Sie haben den Eindruck, sie könnten eine Situation genauso gut einschätzen wie ein Journalist, und zweifeln daran, wenn sie ihre Einschätzung nicht wiederfinden. Konsequenz: der Vorwurf „Lügenpresse“.

Dass in der Nacht der Pariser Anschläge die Berichterstattung etablierter Medien eingefordert wurde, halte ich grundsätzlich für ein gutes Zeichen. Ob Journalisten aber in der Lage sind, ihrer Arbeit nachzugehen und sich gleichzeitig darum zu kümmern, gleichzeitig herumschwirrende Nicht-Informationen zu dementieren, möchte ich bezweifeln.