Journalisten erledigen Pressearbeit für AfD

„AfD will eigenen Newsroom starten“

berichtet der Focus am Freitag. Dort heißt es weiter:

Die Bundestagsfraktion der Alternative für Deutschland will ab April ihre Kommunikation im Wesentlichen über einen eigenen „Newsroom“ steuern.

Der Deutschlandfunk formuliert es so:

Die Bundestagsfraktion der Alternative für Deutschland will ab April ihre Kommunikation im Wesentlichen über ein eigenes Nachrichtenbüro steuern.

Die Welt schreibt:

AfD plant Pressearbeit mit Newsroom und Schichtbetrieb

Das klingt danach, als würde die AfD jetzt tatsächlich in Journalismus machen, zumal sie selbst das auch entsprechend ankündigt, wie die Welt weiter schreibt:

Die Arbeitsweise des Newsrooms werde der in journalistischen Redaktionen ähneln. (…) Laut Bericht sollen die Mitarbeiter im Schichtbetrieb rund um die Uhr tätig sein. Drei von ihnen würden sich auf Recherche spezialisieren und Themen ausfindig machen, die laut Weidel „unter den Teppich gekehrt werden, und sie journalistisch sauber für die Öffentlichkeit aufbereiten“.

Das ist natürlich irgendwie auch lustig. Denn die AfD war in ihrer Öffentlichkeits- und Pressearbeit bisher wenig an dem interessiert, was man als „journalistisch sauber“ bezeichnen könnte.

Interessant ist, dass viele Webseiten hier teilweise eins zu eins die Wortwahl der Partei übernehmen und sich damit ihrem Framing ausliefern. Denn mit Journalismus hat die Ausweitung der Pressearbeit der AfD natürlich nichts zu tun. Eine Partei ist gar nicht in der Lage, journalistisch sauber zu arbeiten, denn dann müsste sie einen neutraleren Standpunkt einnehmen und auch die eigene Partei kritisieren können. Damit ist aber nicht zu rechnen.

Der Kommunikationsberater Johannes Hillje hat das am Montag im Deutschlandfunk so formuliert:

Der Begriff wird hier völlig falsch, aber auch bewusst falsch verwendet von der AfD. Der Begriff kommt aus dem Journalismus, eigentlich aus dem amerikanischen Journalismus, hat aber natürlich Einzug mittlerweile in deutsche Medienorganisationsformen auch gefunden. Das sind Räume, wo die neuesten Meldungen verarbeitet und tagesaktuelle Nachrichten produziert werden. Aber was eine politische Partei wie die AfD macht, das ist Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und kein Journalismus. Und deshalb sollten wir der AfD auch nicht den Gefallen tun und diese Erweiterung ihrer PR-Arbeit mit dem journalistischen Etikett Newsroom versehen. Wir sollten diesen Begriff von der AfD schlichtweg nicht übernehmen.

Leider haben das viele Kollegen getan. Ironie der Geschichte, dass sie damit schon genau die Pressearbeit der AfD erledigen, die sie mit ihrem „Journalismus“ erledigt sehen will.

 

Anmerkung: In Vorbereitung auf die Datenschutzgrundverordnung habe ich Widgets, die sich ursprünglich im Text befanden, entfernt und sie teilweise durch Links ersetzt.

Das Ende der „Großen Koalition“

(Foto: Stefan Fries)
(Foto: Stefan Fries)

Nach der Bundestagswahl 1990 verfügte die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP im Bundestag über 60,1 Prozent der Sitze.

Im Jahr 2018 werden CDU/CSU und SPD mit ihrer möglichen Koalition über 56,3 Prozent der Sitze verfügen.

Die Preisfrage:

Welche dieser Konstellationen nennt man Große Koalition?

Das Beispiel zeigt, dass der Begriff im Jahr 2018 nicht mehr zutreffend ist.

In Deutschland hatte es sich eingebürgt, ein Zusammengehen der damaligen großen Volksparteien CDU/CSU (als Schwesterparteien) und SPD als Große Koalition zu bezeichnen. Auf Bundesebene sind sie bis heute die mandatsstärksten Parteien. So definiert auch Wikipedia den Begriff – und ergänzt:

Für westeuropäische Staaten wird der Begriff in der Regel verwendet, um eine Koalition zwischen den beiden größten in einem von zwei so genannten Volksparteien dominierten Parteiensystem zu beschreiben, bei dem rechnerisch auch kleinere Koalitionen möglich gewesen wären.

Nun sind zunehmend kleinere Koalitionen nicht mal mehr rechnerisch möglich. Eine Koalition aus CDU/CSU, FDP und den Grünen hätte zwar weniger Sitze gehabt als eine aus CDU/CSU und SPD, wäre aber in gewisse Weise wieder größer gewesen, weil mehr Parteien beteiligt gewesen wären.

Der Begriff „Große Koalition“ jedenfalls passt nicht mehr. Wurde schon bei einer Koalition in der Regel davon ausgegangen, dass sie eine Mehrheit im Parlament besitzt, also mehr als 50 Prozent der Sitze, so suggeriert „Große Koalition“, dass es sich um eine besonders große Mehrheit handelt.

Bis 2017 war das auch der Fall. Damals hielten CDU/CSU und SPD rund 80 Prozent der Sitze. Das war so viel, dass die Opposition aus Grünen und Linkspartei nicht mal all die Rechte ausüben konnte, die eine Opposition sonst eigentlich hat. Das machte die Macht der Koalition noch größer, weswegen der Begriff angemessen war.

Keine #GroKo mehr, bitte

Doch das liegt hinter uns, und es ist an der Zeit, den Begriff „Große Koalition“ für das möglicherweise kommende Bündnis nicht mehr zu verwenden, ebenso wie die nach Kindergarten klingende Abkürzung GroKo, die 2013 Wort des Jahres wurde und die die Jury damals animierte, es mit einem kleinen Krokodil zu bebildern.

Der Begriff verschleiert, wie klein die Koalition tatsächlich ist, obwohl sie aus den ehemals so genannten Volksparteien gebildet wird (die zwischen 1966 und 1969 sogar über knapp 91 Prozent der Sitze im Bundestag verfügte). Auch wenn der Begriff deutlich macht, dass die Koalition eine Mehrheit hat, unterschlägt er, wie groß die Opposition (310 Sitze) im Vergleich zur Koalition (399 Sitze) inzwischen ist.

Es gibt ja durchaus andere Begriffe, die das Bündnis beschreiben: die schwarz-rote Koalition oder die Koalition aus CDU/CSU und SPD etwa. Im Bemühen, die Realität richtig abzubilden, sollten Journalisten wertende Adjektive wie „groß“ nur verwenden, wenn die Sachlage eindeutig dafür spricht. Bei der „Großen Koalition“ tut sie das nicht.

Leser gewinnen mit Kampagnenjournalismus?

Es ist wieder etwas ruhiger geworden in der Auseinandersetzung um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Kein Wunder, sind doch die entscheidenden Wochen erst mal vorbei. ARD, ZDF und das Deutschlandradio haben ihre Vorschläge für eine Strukturreform vorgelegt, die Ministerpräsidenten darüber beraten und sich erst mal auf März 2018 vertagt. Es gibt nicht mehr so viel tagesaktuell zu berichten, und die Öffentlich-Rechtlichen sind nicht mehr so stark im Fokus.

Der Vorwurf einer Medienkampagne ist ja in der Regel schlecht zu belegen. Dass bei einem großen Skandal alle Journalisten mit ähnlichen Argumenten hantieren ist nicht unbedingt ein Beweis, dass eine solche Kampagne läuft. Zumal Journalisten in solchen Fällen in der Regel kein Eigeninteresse inhaltlicher Art verfolgen, sondern höchstens den Interessen der Aufmerksamkeitsökonomie folgen.

In diesem Fall ist das aber anders. Denn hier sind fast alle Berichterstatter auch Partei. Wer bei den öfffentlich-rechtlichen Sendern arbeitet, kann sich nicht ganz davon freimachen, auch Gutes in diesem System zu sehen. Wer bei privaten Sendern und in der Printbranche arbeitet, wird dessen Produktionslogik auch prinzipiell unterstützen. Diese tendenzielle Voreingenommenheit macht die Auseinandersetzung so erbittert. Und teilweise dann doch so durchschaubar.

2017-10-09-14-08-24-kopieSo war etwa an der Titelstory des „Spiegel“ vor ein paar Wochen in vielerlei Hinsicht wenig auszusetzen. Vor allem deshalb, weil die Autoren sattsam Bekanntes zusammengetragen hatten. Und auch wenn ein paar Hasskommentare aus dem Netz nicht gerade große Beweiskraft hatten. Der Titel „Die unheimliche Macht“ allerdings wurde im Artikel nicht eingelöst. Und „Wie ARD und ZDF Politik betreiben“ leider auch nicht verraten. So wirkte der Text dann auf mich doch eher wie eine Art Auftragsarbeit so kurz vor den entscheidenden Sitzungen in Sendern und Politik.

Stefan Niggemeier hat seine Kritik an dem Artikel bei „Übermedien“ auf die schöne Formel gebracht:

Man muss nur ungenau genug hinsehen, dann erscheinen ARD und ZDF nicht mehr als reformbedürftig, sondern als unreformierbar.

Auch Dietrich Leder hat in der Medienkorrespondenz so einige Einwände gegen den Artikel:

Die „Spiegel“-Titelgeschichte kann das „Unheimliche“ denn auch nicht im geringsten belegen. Die Kritik an ARD und ZDF, die dort geübt wird, bedient sich beispielweise vieler öffentlicher Erklärungen, Daten und Materialien, die die beiden öffentlich-rechtlichen Institutionen zu Recht veröffentlichen müssen.

Dass die Verlage und mitunter auch ihre Redaktionen mit bestimmten Entwicklungen bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht zufrieden sind, ist die eine Sache. Die andere ist, wie sie damit in ihrer journalistischen Arbeit umgehen.

Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung und ihre Sonntagszeitung glänzen durchaus nicht nur mit Argumenten, sondern versuchen es mit Framing. Den Rundfunkbeitrag nennen sie gerne mal Zwangsgebühr oder inzwischen zumindest Zwangsbeitrag – auch wenn ihnen das nicht bewusst ist.

Dass FAZ-Medienredakteur Michael Hanfeld (vom Altpapier auch „Frankfurts Iron Mike“ genannt) keine solche Gelegenheit auslässt, wissen wir schon. Dass die FAZ aber nicht nur bei den möglichen, sondern auch bei den unmöglichen Gelegenheiten zuschlägt, war mir bis zu dieser Woche neu.

Auf der Titelseite des Feuilleton-Buchs heißt es in der von Stefan Niggemeier geposteten Bildunterschrift:

Um zu begreifen, dass Berlin viele ziemlich komische Vögel beheimatet, braucht der öffentlich-rechtliche Fernsehzuschauer nicht auf die Ausstrahlung einer von seinen Zwangsgebühren finanzierten, aber zunächst nur medialen Privatpatienten zugänglichen Fernsehserie über die röhrenden Zwanziger zu warten.

Zusammenhang zum Thema? Keiner.

Statt den Rundfunk außerdem öffentlich-rechtlich zu nennen, wie er verfasst ist, fällt in den Zeitungen öfter mal der Begriff Staatsrundfunk oder Staatsfunk. Nachdem meine @mediasres-Kollegin Brigitte Baetz die FAZ in einem oft missverstandenen offenen Brief dazu aufrief, den Begriff nicht zu verwenden, weil er falsch sei, holten einige FAZ-Journalisten zum großen Gegenschlag aus, um zu erklären, warum sie doch irgendwie Recht haben. (Ich habe hier was zur Vorgeschichte und hier was zu Reaktionen geschrieben.)

Es sind teils in sich widersprüchliche Äußerungen, wie Stefan Niggemeier im erwähnten Beitrag bei Übermedien herausgearbeitet hat. Er bezieht sich hier auf den Begriff „Staatsfunk“:

Ihre eigene Aussage aus der Vorwoche, dass es sich um einen schmähenden Kampfbegriff handele, dementierten sie ((die Autoren, SF)) nun plötzlich: Er beschreibe nur “völlig unideologisch die Realität”.

2017-08-27-12-54-32-kopie
(Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)

Die erwähnten Autoren sind Rainer Hank und Georg Meck, deren Artikel in der FAS Auslöser für die damalige Vorläuferdebatte war. Ich will so viele Wochen danach nicht detailliert auf den Artikel eingehen, aber zumindest kurz erwähnen, dass sich sich die Autoren darin gegen Behauptungen wehren, die nie aufgestellt wurden, etwa diese hier:

Als die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vor einer Woche über die finanziellen Begehrlichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks berichtete, ließt der Protest der Betroffenen nicht lange auf sich warten. Besonders in Rage bringt sie die von der F.A.S. benutzte Begrifflichkeit: Wer wie die F.A.S. von „Staatsfunk“ schreibt, der sich aus „Zwangsbeiträgen“ finanziert, gilt als schlimmer Ideologe, mutmaßlich rechtsradikal – zumindest von der AfD gesteuert.

Das ist vage genug formuliert, um den Vorwurf, rechtsradikal oder AfD-gesteuert zu sein, nicht dem Deutschlandfunk anzulasten. Ich habe diesen Vorwurf nirgendwo gehört. Und die AfD hatten übrigens vorher nur Hank und Meck selbst ins Spiel gebracht. Dass für die FAZ dann in diesem Kommentar von Herausgeber Jürgen Kaube zudem bestritt, den Begriff überhaupt zu benutzen, hat mich doch verwundert. Kaube schrieb:

Tatsächlich hat diese Zeitung das Wort „Staatsrundfunk“ in den vergangenen zwei Jahren für ARD und ZDF überhaupt nicht verwendet, nur einmal – als einen Spruch der AfD – zitiert.

Kann er nicht mal die Suchfunktion auf der Homepage seiner eigenen Zeitung benutzen?

Die zunehmende Verwendung der Begriffe Staatsrundfunk, Staatsfunk, Staatssender und Co. beobachtet WDR-Kollege Udo Stiehl mit Sorge:

Schritt für Schritt werden die Begriffe als Synonym für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eingeführt. Das ist von interessierter Seite durchaus geschickt gemacht. Die „Lügenpresse“-Rufer klingen plötzlich nicht mehr ganz so radikal und ziehen dabei die Argumentation heran, ARD, ZDF und Deutschlandradio seien doch „staatlich“ finanziert. Natürlich verschweigen sie dabei, dass das Geld nicht aus dem Haushalt der Bundesregierung kommt, sondern von den Bürgern. Diese Assoziation ist gewollt und fällt durchaus auf fruchtbaren Boden. Aus diesem Bild heraus folgt dann die Forderung, die öffentlich-rechtlichen Sender abzuschaffen, denn sie handelten doch nur auf Anweisung der Regierung. Das ist nichts anderes als eine unverhohlene Forderung nach Abschaffung der Pressefreiheit.

Es sind weder sachgerechte noch für die Diskussion hilfreiche Begriffe, die dennoch – bei gleichzeitiger Abstreitung jeder Kampagnenführung – immer öfter von Print-Journalisten in der Debatte benutzt werden. Nicht nur in den Medien selbst, auch in persönlichen Äußerungen zum Beispiel bei Twitter.

Und damit ähnlich ähnlich zusammenhangslos wie in der oben bereits zitierten Bildunterschrift in der FAZ. Dass eine Debatte, die die FAZ mit der subtilen Verwendung solcher Begriffe angefangen hat, dann aus dem eigenen Haus kritisiert wird, spricht zumindest für die Binnenpluralität der Redaktion.

Es bleibt jedenfalls ein merkwürdiger Eindruck zurück, der eine (wenn wohl nicht durchorchestrierte, aber auch nicht rein aus journalistischen Gründen geführten) Kampagne durchaus für möglich hält. Sicher haben einige Argumente der Gegner von öffentlich-rechtlichen Sendern ihre Berechtigung. Und dass sich private Rundfunksender und Zeitungen durch die bereits von den Beitragszahlern finanzierten Inhalte unter Konkurrenzdruck sehen, ist auch verständlich.

Wie man aber mit einem solchen Kampagnenjournalismus unter teilweiser Missachtung journalistischer Standards Leser gewinnen will, die dafür künftig dann Geld bezahlen, ist mir ein Rätsel.

 

Offenlegung: Ich arbeite als freier Journalist unter anderem für die beiden öffentlich-rechtlichen Sender WDR und Deutschlandfunk und schreibe in diesem Blog privat.

So deutet „Die Welt“ eine Mehrheit für eine ARD-ZDF-Fusion herbei

Die Mehrheit der Deutschen ist für eine Fusion von ARD und ZDF zu einem nationalen, öffentlich-rechtlichen Sender.

Das schreibt die Springer-Tageszeitung „Die Welt“ auf ihrer gemeinsamen Webseite mit dem Springer-Fernsehsender „N24“. Ich bezweifle, dass das tatsächlich so ist. Denn die Umfrage, die das Umfrageunternehmen Civey für die beiden Medien online durchgeführt hat, ist so vage, dass die Antworten nur falsch sein können.

Das lässt sich schon an der Fragestellung ablesen, die die Welt glücklicherweise mit veröffentlicht hat:

Bei diesem WELT-Trend lautete die Frage: „Sollten die Fernsehsender von ARD und ZDF zu einem einzigen bundesweiten, öffentlich-rechtlichen Sender fusioniert werden?“

Im Artikel, in dem diese Umfrage eingebettet war, wurde vorher sogar noch eine etwas längere Frage gestellt:

Wir wollen von Ihnen wissen: Wie sehen Sie die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland? Soll alles so bleiben, wie es ist, und beide weiterhin gemeinsam nebeneinander bestehen? Oder plädieren Sie dafür, dass die Fernsehsender von ARD und ZDF zu einem einzigen bundesweiten öffentlich-rechtlichen Sender fusioniert werden?

Das sind streng genommen zwei verschiedene Fragen. Denn „beide“ gibt es so gar nicht. Gemeint sind wohl ARD und ZDF. Aber die ARD ist nur eine Arbeitsgemeinschaft, die aus neun verschiedenen Landesrundfunkanstalten und der Deutschen Welle besteht. Daneben gibt es noch das Deutschlandradio, somit also elf öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten in Deutschland (die Deutsche Welle wird nicht aus dem Rundfunkbeitrag finanziert, sondern aus Steuermitteln). In der zweiten Frage wird dann nach „Fernsehsendern von ARD und ZDF“ gefragt, womit schon mal alle Radioprogramme ausgenommen werden und beim Fernsehprogramm alles über einen Kamm geschert wird.

Die neun Landesrundfunkanstalten und das ZDF betreiben nämlich im Moment getrennt und gemeinsam insgesamt 21 Fernsehsender. Bei einer Fusion, nach der Civey gefragt hat, müssten also all diese 21 Sender zu einem verschmelzen. Die Zuschauer würden also nicht nur auf Das Erste und das ZDF in ihrer bisherigen Form verzichten müssen, sondern auch auf alle dritten Programme, 3sat, Kika, Phoenix, Arte, ARD alpha, tagesschau24, ARD one, ZDF info und ZDF neo. Programme, die von Millionen Menschen gesehen werden.

Nur als Beispiel: Das Erste hatte im September 2017 nach Zahlen der AGF Videoforschung einen Marktanteil von 11,2 Prozent, das ZDF 12,9 Prozent. Alle anderen genannten öffentlich-rechtlichen Programme kamen zusammen auf 21,7 Prozent. Das ist ein so diversifiziertes Programm und damit auch Publikum, das man auf keinen Fall mit einem einzigen gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Programm zufriedenstellen könnte. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass ein mehr oder weniger großer Teil der bisherigen Zuschauer das zentrale Programm nicht mehr einschalten würde.

Plädieren also tatsächlich 54 Prozent der Teilnehmer an der WELT-Umfrage für nur noch ein einziges Programm? Also mehr Programmeinfalt, um damit mehr Zuschauer gleichzeitig erreichen zu müssen? Warum sollten sie auf etwas verzichten wollen, das sie so intensiv nutzen?

Ich glaube, dass die meisten Teilnehmer der Umfrage die gestellte Frage gar nicht verstanden haben, weil sie viel zu unspezifisch formuliert wurde. Für viele ist ARD immer noch das erste Fernsehprogramm, auch wenn das offiziell „Das Erste“ heißt. Für viele ist ZDF das zweite Fernsehprogramm (wie der Name schon sagt), nicht aber deren Ableger Info und Neo. Und vor allem sind es nicht die gemeinsam veranstalteten Programme wie Arte und 3sat.

Hätten Welt und Civey nur nach den beiden Sendern „Das Erste“ und ZDF fragen wollen, wäre so eine Frage zielgenauer gewesen:

Sollten das erste und zweite Fernsehprogramm zu einem einzigen Sender zusammengelegt werden?

So aber kann WeltN24 das Ergebnis der missverstandenen Frage wieder auf die Anstalten an sich zurückdeuten und dann titeln:

(Screenshot: https://www.welt.de/kultur/medien/article169891258/Mehrheit-der-Deutschen-fuer-Fusion-von-ARD-und-ZDF.html)
(Screenshot: https://www.welt.de/kultur/medien/article169891258/Mehrheit-der-Deutschen-fuer-Fusion-von-ARD-und-ZDF.html)

Eine Frage missverständlich zu stellen und die Ergebnisse dann als scheinbar eindeutig auszugeben ist jedenfalls kein seriöser Umgang mit einer Umfrage.

Dass es der Springer-Vorstandsvorsitzende Matthias Döpfner war, der in seiner Funktion, aber auch als Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger immer wieder gegen die öffentlich-rechtlichen Sender polemisiert, sei nur zum Schluss kurz erwähnt.

Journalisten können nicht erkennen, was Merkel anders machen will

(Screenshot: Phoenix)
(Screenshot: Phoenix)

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist nach der so halb verlorenen Bundestagswahl von vielen Journalisten gescholten worden – für eine Aussage, die seitdem immer wieder zitiert wird:

Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten.

Die FAZ schreibt unter Zuhilfenahme von dpa-Material:

„Trotzdem halte ich die Grundentscheidungen, die getroffen wurden, und für die ich natürlich in ganz besonderer Weise verantwortlich bin (…) für richtig“, betonte die Kanzlerin zu ihrer Entscheidung von 2015, Flüchtlinge und Migranten nach Deutschland zu lassen. Die Bundesregierung habe in der Flüchtlings- und Migrationspolitik eine große Entwicklung gemacht, zugleich aber noch viel Arbeit vor sich, sagte Merkel.

Merkel sagte, sie könne nicht erkennen, „was wir jetzt anders machen müssten“. Sie habe diesen Wahlkampf gut durchdacht.

Berthold Kohler zitiert Merkel später in der FAZ und kommentiert:

Die Unerschütterliche aber sagte: „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssen“. Das kann man, wenn man zu den treuen Fans der Kanzlerin zählt, protestantische Standhaftigkeit nennen. Wenn die Wähler darin aber, was wahrscheinlicher ist, eher Uneinsichtigkeit und Starrköpfigkeit im Spätstadium einer langen Kanzlerschaft erkennen, dann werden die Probleme der CDU noch zunehmen, und die der CSU – mitgegangen, mitgehangen – auch.

Im Teaser ist das sogar noch etwas zugespitzter:

Angela Merkel hätte, nachdem der Union so viele Wähler davongelaufen sind, Grund genug, ihre Politik zu ändern. Doch die Kanzlerin will das nicht erkennen.

Anja Günther kommentiert im NDR:

Schade nur, dass Merkel aus dem Wahlergebnis scheinbar keine inhaltlichen Konsequenzen für die Union ziehen will. „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten“, hat Merkel gesagt. Das ist das Gegenteil von „wir haben verstanden“.

Auf ntv.de schreibt Hubertus Volmer:

Auf die Frage, was sie falsch gemacht habe, sagt Merkel, dieses Mal ironiefrei: „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten.“ Das gilt ausdrücklich auch für ihre Flüchtlingspolitik.

Jan Fleischhauer kommentiert bei Spiegel online:

Sie könne nicht erkennen, was man hätte anders machen können, hat Angela Merkel nach Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses erklärt. Das hat sie wörtlich so gesagt. „Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten.“ Die Bundeskanzlerin mag mir meine Anmaßung verzeihen, aber mir fiele einiges ein.

Er suggiert damit ebenso wie es in den anderen zitierten Artikel gemacht wird, Merkel zeige sich vom Wahlergebnis einigermaßen unbeeindruckt und würde daraus keine Konsequenzen für ihre Politik ziehen wollen. Nach dem Motto: Hier stehe ich, ich kann nicht anders.

Das Problem ist: Merkel hat das so nicht gemeint. Aber wenn man den Kontext entfernt, klingt es so. Dann kann man aber, mit Verlaub, diese Aussage auf alles mögliche anwenden, was man ihr vorwirft.

Merkel antwortete tatsächlich auf eine Frage der ARD-aktuell-Reporterin Marie von Mallinckrodt. Diese fragte Merkel bei der offiziellen CDU-Pressekonferenz am Tag nach der Wahl:

von Mallinckrodt: Frau Bundeskanzlerin, ich möchte Sie noch mal bitten, einen Blick zurückzuwerfen auf den Wahlkampf. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse und der Wählerwanderung zur AfD: Ganz konkret, was haben Sie als Kanzlerkandidatin und die CDU vielleicht auch falsch gemacht, was hätte man anders machen müssen?

Merkel: Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten. Ich habe diesen Wahlkampf gut durchdacht, ich habe ihn so gemacht, wie ich ihn gemacht habe, und bin jetzt auch am Tag danach nicht der Meinung, dass das… dass ich das anders sehe als ich das gestern oder vorgestern oder vor zwei Wochen gesehen habe.

Wer sich die Pressekonferenz angesehen hat, sollte das mitbekommen haben. Hier der entsprechende Ausschnitt:

Merkel bezieht sich mit dieser Aussage also ausdrücklich auf den Wahlkampf und nicht auf den Inhalt ihrer Politik, die ihr in den Artikeln vorgeworfen wird. Das ist ein Unterschied. Selbst wenn Merkel der Meinung sein sollte, dass sie für ihre Politik nicht erkennen könne, was sie anders machen solle (wenngleich sie ja zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik, auf die n-tv dieses Zitat sogar ausdrücklich, aber falsch bezieht, längst eine Kehrtwende gemacht hat): Dieses Zitat gibt das nicht her.

Aber wie das so oft ist: Leider macht auch dieses Zitat wie schon andere zuvor eine eigene Karriere – gänzlich losgelöst von seinem Kontext.

Was können Umfragen im Wahlkampf-Endspurt noch aussagen?

Schulz-SPD rutscht ab auf 20 Prozent

titelt tagesschau.de gestern Abend.

Zehn Tage vor der Bundestagswahl geht es für die SPD weiter bergab. Im ARD-DeutschlandTrend erreicht die Partei von Martin Schulz noch 20 Prozent. Die AfD bleibt auf Platz drei. Knapp die Hälfte der Wähler ist noch unentschlossen.

Sogar als Eilmeldung hat die Tagesschau das Ergebnis der jüngsten Sonntagsfrage von Infratest Dimap verschickt.

Es ist übrigens die letzte Umfrage, die Infratest vor der Bundestagswahl veröffentlicht; das Unternehmen hält sich vorbildlich zurück, noch in den letzten Tagen vor der Wahl neue Umfrageergebnisse zu veröffentlichen, die die Wahl noch mehr beeinflussen könnten als diese es vermutlich ohnehin schon tun.

Es ist ein zwiespältiger Artikel von Ellen Ehni. Denn sie schreibt einerseits sehr ausführlich darüber, wie aussagekräftig die Umfragedaten sind, etwa so:

Bei dieser Umfrage handelt es sich ausdrücklich um keine Prognose, sondern um die politische Stimmung in der laufenden Woche.

(Außerdem wird unter dem Artikel ausführlich das Untersuchungsdesign abgedruckt, wie es auch vom Pressekodex gefordert wird.)

Der Alarmismus der Überschrift und die Eilbedürftigkeit der Meldung wird damit jedoch ein wenig konterkariert. Angesichts der Tatsache, dass die jüngste Veränderung bei der SPD innerhalb der Fehlertoleranz liegt und damit lediglich ein Messfehler sein kann, finde ich diese Zuspitzung nicht sonderlich hilfreich.

(Screenshot: http://www.tagesschau.de/multimedia/bilder/crbilderstrecke-423.html)
(Screenshot: http://www.tagesschau.de/multimedia/bilder/crbilderstrecke-423.html)

Zumal die Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF zu anderen Daten kommt, die sie nur einen Tag später, nämlich heute, veröffentlich hat. Demnach hat die SPD bei ihr sogar um einen Prozentpunkt zugelegt und kommt auf 23 Prozent – deutlich höher als bei Infratest Dimap mit 20 Prozent. Aber auch dieser Anstieg ist freilich innerhalb der Fehlertoleranz.

(Screenshot: http://www.heute.de/politbarometer-cducsu-verlieren-weiter-an-zustimmung-vorsprung-merkels-vor-schulz-bleibt-unveraendert-gross-47952050.html)
(Screenshot: http://www.heute.de/politbarometer-cducsu-verlieren-weiter-an-zustimmung-vorsprung-merkels-vor-schulz-bleibt-unveraendert-gross-47952050.html)

Außerdem hat in dieser Umfrage die Union leicht verloren, was fast zur gegenläufigen Überschrift bei heute.de führt:

Union verliert weiter an Zustimmung

Aber auch dabei liegt die Veränderung innerhalb der Fehlertoleranz.

Problematisch finde ich solche Zahlen vor allem, weil sie möglicherweise demobilisierende Wirkung haben können. Das findet sich auch immer wieder in der journalistischen Behandlung der Umfragen, indem Journalisten sinngemäß behaupten, die Wahl sei bereits entschieden. Das blendet zum einen ganz offensichtlich aus, dass die Wahl erst am 24. September ist und jeder Wähler seine Stimme erst noch abgeben muss – vor allem aber verlässt es sich auf die Daten der Sonntagsfrage, die jedoch längst nicht so zuverlässig sind wie es Überschriften und Artikel oft behaupten. Schließlich werden darin auch die relativ vielen unentschlossenen Wähler jeweils Parteien zugeschlagen, wenngleich man über deren Wahlentscheidung oder auch Wahlenthaltung in der Zeit zunehmend volatilerer Parteienbindungen immer weniger sagen kann.

In einem kleinen Rant habe ich mich dazu am Mittwoch bei Twitter ausgelassen:

Dabei habe ich folgendes geschrieben – redaktionell heute nicht mehr verändert:

Ich werde zunehmend sauer, je mehr Politik nur noch als Wettrennen betrachtet wird.

Es geht nur noch um Gewinnen und Verlieren, nicht mehr um den demokratischen Austausch von Argumenten und Positionen.

Jetzt wird Martin Schulz dafür geschmäht, er wolle auch mal ein TV-Duell gewinnen. Dabei kann niemand so ein Duell gewinnen.

Es gibt nämlich keine Zielmarke, die ein Teilnehmer zuerst erreichen kann. Und keinen Schiedsrichter.

Politik ist kein Rennen. Deswegen nutzen auch die angeblichen Zwischenstände in Form von Umfragen nichts. Sie sagen nämlich nichts aus.

Die Fixierung darauf suggerieren, die eigentliche Wahl sei nur eine weitere Sonntagsfrage in der Abfolge hunderter Umfragen.

Und wer zufällig am Wahlsonntag vorne liegt, darf die nächsten vier Jahre regieren. Die eigentliche Wahl wird damit heruntergespielt.

Und von vielen Journalisten und Politikern als bereits entschieden abgestempelt: Zeigen ja angeblich die Umfragen. Wozu also noch wählen?

Daraus spricht eine Verachtung der Wahl und auch der Wähler, die davon abgehalten werden, überhaupt noch wählen zu gehen.

Wieso sollte ein CDU-Wähler hingehen, wenn die CDU doch angeblich vorne liegt? Wie kann ein SPD-Wähler der Partei noch helfen?

Warum Grüne wählen, wenn die Stimme „verschwendet“ sein könnte? Warum die FDP helfen, wenn sie mit der CDU eh keine Mehrheit hat?

All das verhindert, dass die Wähler sich nach ihrer Überzeugung richten und wählen, wen sie für richtig halten.

Stattdessen werden sie verleitet, taktisch zu denken, weil ihre Stimme verfallen könnte oder angeblich ohnehin nicht hilft.

Das verzerrt den eigentlichen Wählerwillen. Das Wahlergebnis ist das Abbild taktischer Überlegungen und nicht innerer Überzeugungen.

Es gibt genug Beispiele, in denen Demoskopen falsch lagen, zuletzt bei der LTW Saarland, ganz enorm bei der BTW 2005.

Aber auch Beispiel Brexit: Demoskopen legten sich auf Remain fest, viele gingen nicht wählen – und standen am Ende dumm da.

Wir haben die Wahl. Wir sollten sie uns nicht von Politikern, Journalisten, Demoskopen nehmen lassen.

Die begrenzte Aussagekraft von Blitzumfragen

Ziemlich schnell nach dem TV-Duell zwischen CDU-Chefin Angela Merkel und SPD-Chef Martin Schulz gab es schon neue Umfragewerte.

Die ARD hat Infratest Dimap, das ZDF die Forschungsgruppe Wahlen gebeten, möglichst schnell Wähler anzurufen, die hoffentlich auch Zuschauer waren, und nach ihrer Einschätzung des Duells zu befragen. Außerdem hat Civey Nutzer online befragt.

Wie wertvoll diese Daten sind, zeigen die Ergebnisse. Bei Infratest Dimap:

(Screenshot: tagesschau.de)
(Screenshot: tagesschau.de)

Bei der Forschungsgruppe Wahlen:

(Screenshot: zdf.de)
(Screenshot: zdf.de)

 

Beide Fragen ähneln sich zwar, sind aber nicht gleich. Dennoch werden sie vom jeweiligen Sender als das Gesamtergebnis ausgegeben.

Schon der Unterschied in der Fragestellung kann für die verschiedenen Ergebnisse ausschlaggebend sein, aber auch die zusätzliche Möglichkeit des ZDF, mit „kein Unterschied“ zu antworten, während die Befragten bei Infratest wohl gezwungen war, eine klarere Entscheidung zu treffen oder aktiv „weiß nicht“ zu antworten (die fehlenden 10 Prozent).

Ich hoffe, Infratest bzw. ARD liefern die fehlenden Metadaten dazu noch nach.

Schon solche kleinen Unterschiede bei Frage und Antwortmöglichkeiten scheinen größere Unterschiede bei den Ergebnissen auszumachen. Noch deutlicher aber wird es, wenn man die zwei Umfragen mit fast derselben Fragestellung, aber verschiedenen Erhebungsmethoden nebeneinanderlegt. Dazu vergleiche man die Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen mit denen von Civey (Ergebnisse gibt es nach Teilnahme).

Stand Montag um 10 Uhr kam Angela Merkel auf 44,9 Prozent, Martin Schulz auf 32,2 Prozent, „Beide gleich gut“ sagten 15,3 Prozent, „Weiß nicht“ 7,6 Prozent der Befragten. Weil die Umfrage noch läuft, ist eine Rückwirkung der anderen Umfragen und des sonstigen Spinning zu vermuten, dass also die Teilnehmer an der Civey-Umfrage nicht nur nach eigener Einschätzung urteilen, sondern auch die anderer einfließt.

Ein gutes Beispiel für die begrenzte Aussagekraft solcher Umfragen.

Danke an Sebastian Pertsch für den Hinweis.

 

Nachtrag, 4. September, 0.25 Uhr: Den Umfragen von ARD und ZDF habe ich noch Civey hinzugefügt.

Nachtrag, 4. September, 10.00 Uhr: Ich habe einen Zwischenstand bei Civey eingefügt – zum einen, weil sich das Ergebnis noch ändern kann, zum anderen, weil nicht alle Nutzer im eingebundenen Widget sofort das Ergebnis sehen können.

Nachtrag, 4. September, 13.40 Uhr: Die Umfrage bei Civey ist mittlerweile beendet. Die Werte haben sich nicht mehr verändert.

Heute mal kein ‚Lammert fordert‘, ‚Lammert kritisiert‘, ‚Lammert wirft vor‘, ‚Lammert weist zurück‘

Der scheidende Bundestagspräsident Lammert hat sich nicht nur als Politiker und Rhetoriker einen Namen gemacht, sondern auch als Medienkritiker. Zum Ende seiner Amtszeit äußert er sich im Deutschlandfunk-Interview über die sich wandelnde Debattenkultur. Ich habe mit ihm für @mediasres gesprochen. Wichtig: Bitte aus dem Interview keine Agenturmeldung machen! Lammert erklärt, warum.

 

Nachtrag, 31. August: Hat übrigens geklappt. Weder Nachrichtenagentur noch andere Medien haben aus unserem Gespräch eine Meldung gemacht. Entweder haben sie auf Lammert gehört oder wir waren einfach zu unspektakulär…

Was Aydan Özoğuz wirklich geschrieben hat

Journalismus neigt zur Verkürzung. Das ist notwendig und gewisser Weise auch seine Aufgabe. Würde man bei einer Weiterentwicklung eines Themas immer wieder die komplette Vorgeschichte erzählen, würden die Berichte ausufern.

Die Verkürzung sorgt aber auch gelegentlich dafür, dass wichtiger Kontext verloren geht – und die Kernaussage damit verfälscht wird oder falsch wahrgenommen werden kann.

Passiert ist das gerade wieder bei der Diskussion über die Äußerungen von AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland. So beschreibt etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung (online), wie sich Gauland über folgende Äußerung der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoğuz, ereifert. Die FAZ zitiert Özoğuz‘ Äußerung aus dem „Tagesspiegel“ wie folgt:

Eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar.

Und über die Reaktion Gaulands heißt es in der FAZ:

Gauland kommentierte die Äußerung so: „Das sagt eine Deutsch-Türkin. Ladet sie mal ins Eichsfeld ein, und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.“ Es folgten Applaus und vereinzelte Jubelrufe des Publikums.

Es soll hier nicht darum gehen, wie verachtungswürdig Gaulands Aussage über Özoğuz ist oder wie kritikwürdig Özoğuz‘ Text, sondern um den fehlenden Kontext. Denn Özoğuz hat freilich noch mehr als den zitierten Satz geschrieben, und zwar:

Deutschland ist vielfältig und das ist manchen zu kompliziert. Im Wechsel der Jahreszeiten wird deshalb eine Leitkultur eingefordert, die für Ordnung und Orientierung sorgen soll. Sobald diese Leitkultur aber inhaltlich gefüllt wird, gleitet die Debatte ins Lächerliche und Absurde, die Vorschläge verkommen zum Klischee des Deutschsein. Kein Wunder, denn eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar. Schon historisch haben eher regionale Kulturen, haben Einwanderung und Vielfalt unsere Geschichte geprägt. Globalisierung und Pluralisierung von Lebenswelten führen zu einer weiteren Vervielfältigung von Vielfalt.

Özoğuz behauptet also gar nicht, wie die Verkürzung in Medien und durch Gauland nahelegt, dass es in Deutschland keine Kultur gebe, sondern sie sieht eher regionale Traditionen als entscheidend für die deutsche Kultur an.

Über diese Ansicht kann man streiten. Gauland und in Folge leider auch viele Medien verkürzen Özoğuz‘ Aussage allerdings sinnentstellend.

FAZ gegen Öffentlich-Rechtliche: Wie aus einem ironischen Liebesbrief eine erbitterte Diskussion wurde

Darf man die öffentlich-rechtlichen Sender Staatssender nennen oder nicht?

Ich habe hier gestern der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorgeworfen, das Wort als Kampfbegriff für eine Kampagne zu benutzen. Im Medienmagazin @mediasres im Deutschlandfunk hat meine Kollegin Brigitte Baetz noch mit einem Brief an die lieben FAZ-Kollegen nachgelegt.

Beides hat offenbar einen Nerv getroffen, wie Abrufzahlen und Rückmeldungen zeigen. Ein paar Gedanken dazu.

1. Ironie funktioniert nicht

Alte Radioregel, hat sich wieder bestätigt. Brigittes Brief war gar nicht so arrogant gemeint wie er ihr ausgelegt wurde, zum Beispiel vom Branchendienst Meedia, in dem Autor Stefan Winterbauer auch nicht so richtig dazuschreibt, dass er eigentlich kommentiert statt berichtet. Brigitte wollte nur mit einem Augenzwinkern daran erinnern, dass die Auseinandersetzung der FAZ gegen die öffentlich-rechtlichen Sender ja nicht mit solchen Kampfbegriffen geführt werden muss. Wer so austeilt wie die FAZ sollte das wohl einstecken können.

2. Wir haben einen wunden Punkt getroffen

Einige Redakteure, mit denen ich auf Twitter geschrieben habe, fühlten sich tatsächlich beleidigt, von oben abgekanzelt aus angeblich bequemer lebenslanger Festanstellung beim Deutschlandfunk.

Dabei haben den die meisten Mitarbeiter dort überhaupt nicht, auch ich nicht. Der Vorwurf ist deshalb Unsinn. Ich verstehe durchaus, dass man manchmal um den eigenen Job bangen muss, glaube aber nicht, dass für die Strukturveränderungen der letzten und kommende Jahre auch bei Zeitungen der öffentlich-rechtliche Rundfunk verantwortlich ist. Damit würde man es sich zu einfach machen. Wie Brigitte schrieb:

Ginge es uns schlecht, es ginge Euch dadurch nicht besser und ihr hättet vermutlich keinen einzigen Abonnenten mehr.

Das bedeutet aber nicht, dass man die Wortwahl und Methoden der FAZ damit rechtfertigen muss. Gegen eine sachliche Auseinandersetzung spricht ja nichts, aber die polemischen Unterstellungen und sachlich falschen Berichte, um Stimmung zu machen, wie die inzwischen dementierte Behauptung, der Rundfunkbeitrag solle auf 21 Euro steigen, helfen nun auch nicht. Oder glaubt die FAZ, auf diese Weise die Reputation der Sender angreifen zu können?

3. Die Sprache bestimmt das Bewusstsein

In Kommentaren unter meinem Beitrag und in ein paar Konversationen auf Twitter wurde der Begriff Staatsrundfunk insofern als angemessen bezeichnet, als dass die Sender vom Staat eingerichtet wurden und er mittelbar für ihre Finanzierung sorgt. Dort schreibt zum Beispiel ein Tim:

Warum gibt es die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten?
Weil es ein staatliches Gesetz so will.

Was ist ihre Finanzierungsgrundlage?
Ein staatliches Gesetz.

Wer entscheidet über die konkrete Höhe ihrer Finanzierung?
Ein staatliches Gremium.

Was sind die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten also?
Staatsfunk.

Da gibt es doch überhaupt keinen Zweifel. Der Begriff ist korrekt. Er sagt ja nicht aus, dass ARD & ZDF unter der Fuchtel der Regierung stehen. Es gibt schon noch einen Unterschied zwischen Staat und Regierung.

Es gibt aber eben auch einen Unterschied zwischen öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Staatsrundfunk, den gängige Definitionen wie die bei Wikipedia:

Als staatlichen Rundfunk bezeichnet man Hörfunk- oder Fernsehgesellschaften, die sich im Eigentum oder unter der unmittelbaren Kontrolle eines Staates befinden. Neben öffentlich- und privatrechtlichen Sendern ist dies die dritte international verbreitete Organisationsform für Rundfunkanstalten.

Anders als beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sich aus Gebühren finanziert und in Deutschland von einem Rundfunkrat kontrolliert wird, der die Interessen der Allgemeinheit bei der Programmgestaltung gewährleisten soll, unterstehen staatliche Sender unmittelbar einer Behörde.

Ähnlich definieren es auch der Duden und andere Nachschlagewerken, vor allem in der Fachliteratur. Diesen Unterschied wollen manche Kommentatoren aber nicht sehen.

4. Staatsrundfunk ist etwas anderes

Wenn wir uns über Dinge unterhalten, klappt das nur, wenn wir jeweils wissen, wovon wir reden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eben strukturell etwas anderes als Staatsrundfunk. Wer sich in anderen Ländern umschaut, sieht das. René Martens schreibt dazu in der taz:

Nun ist es weiterhin geboten, die Zusammensetzung der öffentlich-rechtlichen Kontrollgremien zu kritisieren. Aber in Zeiten, in denen, etwa in Polen oder Ungarn, demokratisch gewählte Regierungen direkt auf die öffentlich-rechtlichen Sender Einfluss nehmen, ist es mindestens bizarr, ARD und ZDF als Staatssender zu bezeichnen. Für die FAZ scheinen ARD und ZDF in erster Linie Punchingbälle im konservativen Kulturkampf zu sein.

5. Es wird gleich über alles diskutiert

Die Diskussion lässt sich nie so eng führen wie sie anfing. Eigentlich ging es um den Begriff „Staatsrundfunk“ mit all seinen Varianten, schnell wurde daraus aber eine Diskussion über die Finanzierung und ob es nun eine Zwangsgebühr oder ein Zwangsbeitrag ist. In diesem Twitter-Threat kann man das nachlesen, wenn man sich durch die nachfolgenden Tweets klickt:

Am eigentlichen Ausgangspunkt der Diskussion waren wir da schon lange vorbei.

6. Auf neutraler Position steht keiner

Das ist das Problem des Medienjournalismus: Man berichtet über eine Branche, der man selber angehört. Das macht Kritik so angreifbar – es wird geglaubt, man übe sie nur gegenüber der Konkurrenz oder man übe sie nur, um die Konkurrenz zu diskreditieren.

In der Diskussion zeigt sich auch, dass die Fronten weitgehend klar sind: hier die Rundfunkmacher, dort die Zeitungsmacher (inkl. dem Branchendienst Meedia, der zur Verlagsgruppe Holtzbrink gehört). Jeder verteidigt sein Medium, das ist nur verständlich.

Aber nur, weil ich zum Beispiel für den Deutschlandfunk arbeite, dessen Dachmarke Deutschlandradio pro Beitragszahler 48 Cent des monatlichen Rundfunkbeitrags bekommt, heißt das nicht, dass ich für jeden Beitrag, jedes Interview im Haus verantwortlich gemacht werden kann. Erst recht nicht für das, was samstags um 20.15 Uhr im Ersten gesendet wird oder wieviel für Sportrechte ausgegeben wird. Ich finde auch nicht alles gut, was aus unseren Häusern kommt, und verteidige es deswegen auch nicht. Leider helfen solche Zugeständnisse in der Diskussion aber selten.

Ein paar Hörermeinungen zum Thema, durchaus in beide Richtungen, findet man übrigens hier: