Die Süddeutsche Zeitung hat sich mit der AfD im Bundestag beschäftigt. Sie hat Zwischenrufe gezählt und bewertet und hat sich auch das Lachen der Abgeordneten angesehen – nicht nur das der AfD-Abgeordneten, sondern das aller. Wer lacht über wen und warum?
Dieser Frage, die nur einen Teil der Recherche ausmacht, bin ich schon vor zweieinhalb Jahren mal ausführlicher nachgegangen. Für SWR2 habe ich das Feature „Heiterkeit im Hohen Hause – Das Lachen in der Politik“ produziert.
Mein liebster Gesprächspartner dabei war Roger Willemsen, der sich im Jahr 2013 alle Bundestagssitzungen angeschaut hat und deshalb gut beurteilen konnte, welche Rolle das Lachen im Bundestag spielt. Er hat verschiedene Arten des Lachens erkannt und beurteilt. So sagte er zum Beispiel:
Wenn Volker Kauder am Pult steht und er muss beantworten, was die NSA alles abgehört hat nach den Edward-Snowden-Enthüllungen, und dann möchte ein Linksabgeordneter sagen, dass er hoch empört ist über das, was passiert, und dann antwortet Kauder: weil dem Gregor seins abgehört wird, und alles lacht. So mit den Rechten des Volkes umzugehen, das sich geschützt wissen will vor den Abhörinitiativen der Amerikaner, beweist eigentlich, dass man Schießübungen im Pantheon der Menschenrechte vornimmt, indem man mit solchen Rechten, solchen berechtigten Ansprüchen lachhaft umgeht, sie verlächerlicht, sie dem Lachen preisgibt, und dieses Lachen bliebe mir im Halse stecken.
Ich erkenne also Herrn Kauder in seinem Lachen in dem Augenblick besser als in seiner Rhetorik, und insofern muss ich das, was Sprache ist im Bundestag, weit über das, was gesagt wird, hinaus verlängern, und muss gucken: Welche Fraktionszugehörigkeit hat ein Applaus? Welche Vereinzelung haben bestimmte Applausgebärden? Was bedeutet ein Zwischenruf? Was bedeutet ein höhnisches Gelächter, ein Abwinken usf.
Grundsätzlich hat Willemsen damals beobachtet:
Das Lachen wird eingesetzt, um die Empörung des Gegenübers der Nichtigkeit zu überführen. Um zu sagen: Du beeindruckst mich nicht, deine Empörung bedeutet mir gar nichts. (…)
Es wird Humor im Bundestag auch eingesetzt als Zusatzstoff, sei es, um die Kollegen zu verlächerlichen, sei es, um Unterhalterqualitäten zu beweisen, und es gibt auch Reden, die fast nur noch von Humor zusammengehalten werden, wie zum Beispiel die Rede des Alterspräsidenten zur Eröffnung der neuen Legislaturperiode.
Das Schönste am Feature sind aber die vielen O-Töne aus sechs Jahrzehnten Bundestag, die ich habe finden können. Mit Franz Josef Strauß, Helmut Kohl, Herbert Wehner, Helmut Schmidt, Norbert Lammert, Gregor Gysi und vielen anderen.
Der Intendant von Radio Bremen, Jan Metzger, hat Verlagen vorgeworfen, ihre Zeitungen propagandistisch gegen die öffentlich-rechtlichen Sender zu nutzen. Bei einem Kongress freier Rundfunkmitarbeiter in Bremen sagte er, was auf deren Medienseiten passiere, habe streckenweise nichts mehr mit Journalismus zu tun, sondern sei Verlagspropaganda.
Metzger räumte ein, dass die öffentlich-rechtlichen Sender nicht gut darin seien, offensiv für sich zu werben – vor allem in den eigenen Prorgammen. „Versuchen Sie mal, auch nur eine bedeutende Unternehmensnachricht in der Tagesschau unterzubringen, da scheitern Sie am orthodoxen Verständnis der Kolleginnen und Kollegen, was den Nachrichtenwert von solchen Dingen angeht“, sagte Metzger. So wie die Verlage wolle man aber auch nicht arbeiten. „Wir haben nicht dieselbe propagandistische Power und Skrupellosigkeit, die die Verleger haben.“
Das Zitat im Wortlaut:
„Wir sind in der Selbstdarstellung nicht besonders gut, um es freundlich zu sagen. Wir sind gerade dabei, uns ein bisschen zusammenzuraufen, mal über uns selbst zu reden, aber versuchen Sie mal, auch nur eine bedeutende Unternehmensnachricht in der Tagesschau unterzubringen, da scheitern Sie am orthodoxen Verständnis der Kolleginnen und Kollegen, was den Nachrichtenwert von solchen Dingen angeht, also beschränkt sich die Sache am Ende auf Zapp.
Wir haben nicht dieselben Plattformen wie die Zeitungsverleger, die diese in der Tat propagandistisch nutzen. Das ist eine meiner größten Auseinandersetzungen auch mit befreundeten Kollegen in Zeitungsverlagen, dass ich der Ansicht bin, dass, was auf den Medienseiten passiert, streckenweise mit Journalismus nichts mehr zu tun hat, sondern das ist Verlagspropaganda. Da kann man sich toll drüber fetzen. Aber erstens wollen wir so nicht arbeiten, und zweitens können wir so nicht arbeiten.
Das, was wir gerade noch hinkriegen, das ist das, was Herr Wilhelm (Intendant des Bayerischen Rundfunks und ARD-Vorsitzender, SF) im Moment macht, zu sagen: Leute, die Teuerung ist so, und unsere Mehreinnahmen sind anders, und deswegen: Wir schrumpfen schon die ganze Zeit. Ich meine, wir in Bremen können seit 15 Jahren da ein Lied von singen, andere haben das Sparen gerade erst kürzlich entdeckt und jammern umso mehr. Das hört man schon, aber wir haben nicht dieselbe propagandistische Power und Skrupellosigkeit, die die Verleger haben. Das geht uns ab.
Wir werden jetzt im Sommer ne Public-Value-Kampagne machen, das kommt bei uns immer so vornehm daher, und ist der Versuch, dem was entgegenzusetzen. Ich würde mir auch manchmal wünschen, dass das anders wäre, aber Holzen im eigenen Interesse gehört nicht zu unseren großen Fähigkeiten.“
In der vergangenen Woche sind mir zwei Schlagzeilen ins Auge gefallen, die aus dem Rahmen fallen – beide bei Zeitungen der Welt-Gruppe, also bei „Welt“ und „Welt am Sonntag“.
Die „Welt“ titelte am Montag nach der Amokfahrt von Münster:
Die Mordfahrt von Münster war kein islamistischer Terror
Und gestern hieß es in der „Welt am Sonntag“:
Das ist nicht der dritte Weltkrieg
Beide Schlagzeilen folgen einem interessanten Muster: Sie sagen nicht, was ist, sondern sie sagen, was nicht ist. Sie reagieren offenkundig auf unterstellte Erwartungen ihrer Leser: In Münster wurde über einen islamistischen Anschlag spekuliert, bei den Angriffen der USA, Großbritanniens und Frankreichs womöglich der Beginn einer militärischen Eskalation befürchtet, die zu einem Weltkrieg führen kann.
Dieses Muster kennen wir nicht von klassischen journalistischen Angeboten, sondern von Faktencheckern gegen Fake News, etwa den ARD-Faktenfindern bei tagesschau.de, dem Faktenfuchs beim Bayerischen Rundfunk und Echt Jetzt bei Correctiv. Auch dort finden sich Überschriften nach diesem Muster, zum Beispiel:
Gehen die Journalisten in diesen Fällen in der Regel davon aus, dass es sich um Fehlinformationen handelt, die richtiggestellt werden sollen, so folgen „Welt“ und „Welt am Sonntag“ mit ihren Überschriften auch in ihren Printausgaben abseits der Faktenchecks diesem Prinzip.
Ich halte das für gefährlich. Diese Haltung nimmt vorauseilend die Position derjenigen ein, die eine Fehlinformation und Lüge streuen, ein Gerücht ungeprüft weiterverbreiten, eine Angst artikulieren. Sie mag damit denjenigen entgegenkommen, die diese Haltung von sich aus oder verstärkt durch andere bereits selbst eingenommen haben. Sie trägt diese Haltung aber auch an diejenigen weiter, die von selbst nicht darauf gekommen wären.
Diese Haltung hilft den Urhebern beim Framing. Es werden Aspekte aktiviert, die tatsächlich nichts mit dem Thema zu tun haben. Wer „kein islamistischer Terror“ schreibt, aktiviert den Begriff „islamistischer Terror“. Wer schreibt „nicht der Dritte Weltkrieg“, der aktiviert den Begriff „Weltkrieg“. Mit Verneinungen kann unser Gehirn leider nicht gut umgehen. (Sie kennen ja das Beispiel „Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten.“ Denken Sie wirklich nicht dran?)
Anstatt also zu berichten, was ist (positiv), wird damit begonnen, zu berichten, was nicht ist (negativ). Anstatt von Fakten auszugehen, wird von Gerüchten ausgegangen. Damit löscht man diese Falschinformationen nicht aus, sondern streut sie größtmöglich breiter. Und man trainiert seine Leser darin, mit dieser Haltung an jede weitere Berichterstattung heranzugehen: Dann müssten Journalisten künftig erst mal alle Spekulationen zerstreuen, bevor sie über die eigentlichen Fakten berichten. Das kann nicht unsere Aufgabe sein.
Man denkt ja, dass Journalisten lernen, wenn es um die Berichterstattung über plötzliche Großereignisse geht heute vor einer Woche bei der Amokfahrt in Münster. Dass sie nicht sofort von einem Anschlag reden – wie beim Amoklauf in München. Dass sie nicht sofort von Islamisten reden – wie beim rechtextremen Anschlag in Oslo und Ütöya. Dass sie einfach mal abwarten, was die Polizei ermittelt. Denkste.
Auch nach der Amokfahrt in Münster, bei der ein Mann zwei Menschen und dann sich selbst tötete, wurde wieder spekuliert – zu viel und zu sehr in eine Richtung, wie etwa mein Kollege Christoph Sterz für @mediasres im Deutschlandfunk kommentiert hat:
Wie über die Tat in Münster berichtet wurde, ist Teil eines grundsätzlichen Problems. Aus Angst, etwas falsch zu machen, sich durch das Verschweigen von Gerüchten angreifbar zu machen, werden journalistische Grundsätze missachtet.
Und weil die Tat von Münster traurigerweise sicher nicht die letzte ihrer Art war, sollten sich Journalisten jetzt dringend hinsetzen und ihre Berichte intern kritisch aufarbeiten – damit sie sich beim nächsten Mal nicht wieder von Hetzern, von Extremisten treiben lassen.
Boris Rosenkranz hat für Übermedien zusammengestellt, wie unseriös die Fernseh-Nachrichtensender n-tv und Welt (früher N24) berichtet haben, und schreibt:
Fährt derzeit irgendwo ein Auto in eine Menschenmenge, liegt natürlich der Verdacht nahe, dass es sich um einen Terroranschlag handelt. Weil das schon so oft passiert ist. Aber gerade Taten wie die in Münster zeigen, dass nicht alles ist, wie es scheint, und dass es angebracht wäre, mit allergrößter Vorsicht zu berichten. Es hat auch immer wieder Fälle gegeben, in denen zwar Autos in Menschenmengen gesteuert wurden, aber nicht aus terroristischen Motiven.
Eine Woche danach
Wir sind jetzt eine Woche weiter – welche Erkenntnisse ziehen wir aus der Berichterstattung vorige Woche? Heute gibt es kaum noch Berichte über die Tat und ihre Hintergründe. Was prinzipiell in Ordnung ist; solange sich nichts tut und während ermittelt wird, gibt es eben nichts zu berichten. Aber war im Hinblick darauf die Aufregung damals gerechtfertigt?
Auf den ersten Blick fällt es leicht, darauf die Antwort zu geben: Nein. Auf den zweiten Blick würden aber womöglich viele Journalisten, die vor einer Woche in den Rausch der Berichterstattung verfallen sind, darauf sagen: Natürlich war die Aufregung gerechtfertigt, wussten wir doch nicht, worum es sich handelt. Für mich wird aber umgekehrt ein Schuh draus: Gerade weil wir noch nicht wussten, was dahinter steckt, ist jede übertriebene Aufregung fehl am Platz – und zwar aus journalistischen Gründen.
Unsere Aufgabe ist es, zu berichten, was passiert ist – und nicht mehr. Natürlich gehört es auch dazu, Hintergründe zu liefern. Das Problem besteht aber in der unzulässigen Verknüpfung beider Aspekte. Es ist die eine Sache, zu berichten: „In Münster ist ein Auto in eine Menschenmenge gefahren. Dabei kamen zwei Menschen ums Leben.“ Oder zu schreiben: „In Münster hat es (offenbar) einen Anschlag gegeben. Dort ist ein Auto in eine Menschenmenge gefahren.“ Das eine ist bereits eine Interpretation, während das erste bei der reinen Beschreibung der Wirklichkeit bleibt. Darauf sollten sich Journalisten gerade dann immer zurückziehen, wenn sie nicht mehr wissen.
Gegen das Triggern
Freilich denkt womöglich jeder, der von dem Ereignis an sich hört, daran, dass bereits vorher Fahrzeuge in Menschenmengen gefahren sind, etwa in Nizza und London. In diesen Fällen handelte es sich um islamistischen Terror. Aber dieser automatischen Verknüpfung im Gehirn sollten Journalisten nicht folgen. Sie können in diese Richtung recherchieren, aber sie müssen auch Belege dafür liefern. Solange sie diese nicht finden, verbietet es sich, darüber öffentlich zu spekulieren.
Ich habe die Berichterstattung selbst am Samstag nicht verfolgt. Ich habe bei einem sonnigen Nachmittag mit Freunden nur kurz gehört, als eine Freundin eine erste Eilmeldung vorlas, nach der das Auto in die Menschenmenge gefahren war.
Ich habe mich an dem Nachmittag und Abend bewusst ferngehalten von Nachrichten. Ich wusste, dass mich das Thema ansonsten stundenlang nicht loslassen würde. Im Hunger nach immer mehr Informationen, nach immer mehr Details, nach Erklärungen, Analysen und Hintergründen würde ich nicht nur bei redaktionellen Medien nachschlagen, sondern auch bei Twitter suchen.
Und ich wusste, ich würde nicht nur bei den einschlägigen Twitter-Accounts schnelle Erklärungen, einfach Deutungen und klare Schuldzuweisungen finden. Ich wusste, dass auch eigentlich seriöse Medien, dass Kollegen sich nicht würden zurückhalten können, sich in ihrer Berichterstattung nicht nur auf Fakten zurückziehen, sondern auch spekulieren würden. All das hätte genau zu der Art Halbwissen oder sogar Nichtwissen geführt, die ich selbst als Journalist nicht vermitteln möchte. Eine Blase, die nicht nur aus Fakten, sondern auch aus Vermutungen und Befürchtungen besteht, und in der am Ende das eine nicht mehr vom anderen zu unterscheiden ist.
Genau das ist eben nicht die Aufgabe von Journalisten. Sie sollen über Fakten berichten und sich nicht an unbegründeten Spekulationen beteiligen. Es ist deprimierend zu sehen, wenn Kollegen gegen solche Grundregeln ihres Handwerks verstoßen. Und es hilft mir auch als Konsument solcher Halbnachrichten nicht weiter, zu verstehen, was wirklich passiert ist.
Keine Stadt im Schock
Zumal Maren Urner von Perspective Daily, die in Münster wohnt und arbeitet, dort einen ganz anderen Blick auf die Ereignisse hatte als sie medial vermittelt wurden. Sie schreibt:
Die Welt hängt an den Bildschirmen und lernt: »An diesem Frühlingsabend ist Münster eine Stadt im Schock.«
Falsch! Es scheint eher umgekehrt: Die Welt, die auf Münster schaut, ist im Schock, während für die meisten Menschen in Münster der Alltag in Parks, Cafés und Straßen (einmal abgesehen vom direkten Umkreis des Unglücksorts) weitergeht.
Wird die Aufregung also tatsächlich umso größer, je weiter man vom Ort des Geschehens weg ist? Nach dem Motto: Die größte Angst habe ich vor etwas, das ich nicht kenne? Bilden Journalisten die Lage vor Ort also wirklich so ab, wie sie ist?
Tatsächlich habe ich mich ablenken können und mich erst am Sonntagmorgen über den Stand der Dinge informiert. Ich konnte Fakten lesen, musste mich nicht an Gerüchten und Wahrscheinlichkeiten entlanghangeln. Ich erfuhr etwas über den Tathergang und das wenige, was man an Hintergründen wusste. Das aber waren greifbare Informationen, die ich einordnen konnte, die keine unnötige Sorge ausgelöst oder unnötige Angst verbreitet haben.
Ich habe den Kollegen Zeit gegeben, ihre Arbeit zu machen. Das klingt pathetischer als es ist. Was ich damit meine: Ich habe als Nutzer nicht sofort nach Informationen gefragt und gesucht, die keiner liefern konnte und sich stattdessen in Spekulationen ergoss. Ich habe den Journalisten Zeit gegeben, zutreffende Informationen zu besorgen, die mir helfen, die Situation zu verstehen. Anstatt nach etwas zu fragen, das man mir so schnell nicht liefern kann und stattdessen etwas anderes zu bekommen. (Das merkt natürlich kein Kollege direkt. Aber es soll ein Signal sein, sich die nötige Zeit zu geben.)
Dass ich allein das so halte, hilft nicht dabei, die Situation zu verändern. Ich fürchte, dass man das Rad in gewisser Weise nicht zurückdrehen kann. Es ist unrealistisch, dass Medien nicht über einen solchen Vorfall berichten. Sie sollten aber zu jedem Zeitpunkt nur das erzählen, was sie wissen. Das ist gar nicht so schwer: Sie können zum Beispiel einfach schildern, was sie sehen und was ihnen berichtet wurde, sollten aber nicht Vermutungen darüber anstehen, was sie nicht sehen. Das ist der Unterschied zwischen „Auto in Menschenmenge gefahren“ und „offenbar Anschlag“.
Es ist wichtig, dass die Kollegen nicht ständig auf Sendung gehen müssen, sondern Zeit bekommen, zu recherchieren. Wer alle paar Minuten immer und immer wieder über den Stand der Dinge berichten muss, kommt gar nicht dazu, sich auf denselben zu bringen – und wiederholt sich damit.
Relevanz statt Erregungspotenzial
Zudem sollte Relevanz entscheiden, nicht Erregungspotenzial. Bei der Auswahl der Meinungsäußerungen sollte man das bedenken. Eine Stellungnahme des Münsteraner Bürgermeisters ist berichtenswert, weil er die Bürger der betroffenen Stadt vertritt. Ein Statement des nordrhein-westfälischen Innenministers ist es, weil er die Arbeit der Polizei verantwortet. Die Tweets einer uninformierten AfD-Politikerin, die weder eine Verantwortung trägt noch selbst am Ort ist, ist es nicht. Arno Frank schreibt bei Spiegel online unter Berufung darauf:
Solange wir soziale Netzwerke für legitime Foren diskursiver Auseinandersetzung halten, werden wir ihrer suggestiven Illusion erliegen und noch das galligste gedankliche Bäuerchen als Beitrag zur Debatte wahrnehmen, vielleicht sogar fürchten – wo es doch in Wahrheit nur erfreulich erhellende Rückschlüsse auf Gemüt und Intellekt der Absender zulässt.
Wer nichts dazu beiträgt, die Ereignisse zu verstehen, hat in Berichten erst mal nichts verloren. Schnellschüsse unbeteiligter und machtloser Politiker (aus der Distanz, aus der Opposition) in Form von Forderungen, die nicht auf Fakten basieren, weil die noch gar nicht geklärt sind, sollten Journalisten erst mal zurückstellen – ob sie per Tweet kommen oder als Pressemitteilung.
Solche Nachrichten sind irrelevant – und sollten von Medien auch so behandelt werden. Später kann man darauf immer noch einsteigen, wenn die politische Diskussion beginnt. Die kann aber erst anfangen, wenn wir wissen, was passiert ist. Das ist kurz nach der Tat selten der Fall.
Diese Erregungsmaschine erregt mich zunehmend. Wenn ich selbst im Dienst und für solche Ereignisse zuständig bin, versuche ich auf die Bremse zu treten und die Regeln zu befolgen, die ich gerade skizziert habe. Ich versuche, mich nicht mitreißen zu lassen von der Wucht des Ereignisses selbst und der daraufhin losrollenden medialen Lawine. Nur so kann ich meine Arbeit vor mir selbst verantworten und auch vor dem Nutzer, für den ich berichte. Das schließt nicht aus, dass es auch mir mal so gehen kann, wie ich es jetzt Kollegen vorwerfe. Dann hoffe ich, dass es jemanden gibt, der mich darauf hinweist. Das geht aber nur, wenn wir uns alle zusammen bewusst sind, worauf es gerade in solchen Krisensituationen im Journalismus ankommt – gerade in Zeiten „großer Gereiztheit“.
Nachtrag (16. April, 21.45 Uhr): Uwe Schulz hat sich in seiner Medienschelte im WDR5-Medienmagazin „Töne, Texte, Bilder“ auch noch mal der Berichterstattung über Münster angenommen.
Ich bin mit dem Teil des Journalismus unzufrieden, der Zitate verkürzt und den Zusammenhang ausblendet.
Ach so, ja. Zusammenhang: Spahn antwortet auf die Frage, ob er mit „den Medien“ unzufrieden sei. Und als Beispiel für ein verkürztes Zitat… nee, das lest Ihr besser selber nach, damit ich da nichts aus dem Zusammenhang reiße.
Die interessantere Antwort, auf die viele angesprungen ist, ist aber die auf eine Frage, die gar nicht gestellt wurde. Da fragt die NZZ nämlich unter Bezugnahme auf die Zitatverkürzung:
Ist der öffentlichrechtliche Rundfunk besser?
Und Spahn antwortet u.a.:
Ein Beispiel: Es gibt Tweets von Redakteuren des öffentlichrechtlichen Rundfunks, die sind einfach nur politisch eindeutige Kommentare und sehr subjektiv. Da steht zur Absicherung drüber: privater Account. Soll ich jetzt auch immer sagen: «Das war Spahn privat»? Ich bin Mitglied der Regierung. Entsprechend werden Sie meine Zitate einsortieren. Die gleichen Massstäbe sollten für Journalisten gelten.
Das hat unter anderem unter Kollegen eine Reihe von Spekulationen ausgelöst, was Spahn eigentlich meint. Oder meinen könnte. Oder gesagt hat. Oder zwischen den Zeilen gesagt hat. Die FAZ formuliert trotzdem sehr deutlich:
Auch forderte er von Journalisten der Öffentlich-Rechtlichen Zurückhaltung auf Twitter.
„Er fordert Zurückhaltung von Journalisten öffentlich-rechtlicher Medien bei privaten Meinungsäußerungen in Sozialen Netzwerken.“ (FAZ) Für uns ist das eine Aufforderung zur Selbstzensur. Für Sie nicht?
Mal davon abgesehen, dass Spahns Antwort auf die ihm gestellte Frage keinerlei Sinn ergibt: Ich lese aus seinen Äußerungen weder, dass er direkt, noch, dass er indirekt fordert, dass Journalisten sich auf Twitter zurückhalten sollten oder dass sie dort gar ihre Meinungsfreiheit einschränken sollten. Er möchte lediglich, dass die Regeln, die für ihn gelten, auch für Journalisten gelten – nämlich dass all ihre Äußerungen, wo auch immer, ob bei Twitter oder in Berichten, auch ihnen als Journalisten zugerechnet werden. Es solle keine unterschiedlichen Maßstäbe geben, ob sie sich hier oder da geäußert haben.
Zugegeben, ganz eindeutig kann ich das auch nicht sagen. Denn alle drei Fragen und Antworten zum Thema Medien in diesem Interview sind etwas wirr, weil sie sich nicht logisch aufeinander beziehen. Das macht es so leicht, hineinzulesen, was man hineinlesen möchte. Von einer Forderung, die verurteilenswert wäre, lese ich da aber nichts.
Insofern sind viele von uns Journalisten mal wieder auf ihn reingefallen. Jens Spahn weiß halt, wie er uns triggern kann. Er ist uns voraus. Und führt die Journalisten von FAZ und Meedia vor, die fast genau das gemacht haben, was er im NZZ-Interview bemängelt hat:
Ich bin mit dem Teil des Journalismus unzufrieden, der Zitate verkürzt und den Zusammenhang ausblendet.
Spahns Aussage interpretiert Autor Alexander Becker so:
Fasst man den Absatz zusammen, steht da: Jens Spahn stört sich am Twitter-Verhalten öffentlich-rechtlicher Journalisten. Für einen Minister eine erstaunliche Aussage.
Ich finde die Auslegung – wie gesagt – nicht so eindeutig (s.o.). Auf der Grundlage dieser Interpretation hat Becker Reaktionen von prominenten Journalisten eingeholt: von Georg Restle, Anja Reschke und Dunja Hayali. Deren Aufregung verstehe ich nicht wirklich, denn Spahn hat nur Selbstverständlichkeiten ausgesprochen. Er hat weder die Meinungsfreiheit in Frage gestellt (nur genutzt) noch die Pressefreiheit. Die ganze Aufmerksamkeit haben seine Aussagen nicht verdient.
2. Nachtrag (6. April, 23.15 Uhr): Ach ja, Meedia. Da hat sich Alexander Becker festgebissen an Spahns Aussage. Sie ist aber auch zu schön, um sie einfach fallen zu lassen. Jetzt hat Becker auch noch den ARD-Chefredakteur Rainald Becker zur Spahn-Aussage befragt. Und das Interview lässt durchblicken, dass R. Becker die Original-Aussage Spahns auch nicht gelesen hat, sondern sich nur auf die Meedia-Interpretation bezieht, wenn er sagt:
Ich habe grundsätzlich ein Problem damit, wenn Politiker, insbesondere in Ministerrang, öffentlich Journalistenschelte betreiben.
A. Beckers zweite Frage:
Darf Jens Spahn öffentlich-rechtlichen Journalisten sagen, was sie wie wann zu twittern haben?
Kann man natürlich fragen. Hat aber nichts mit Spahns Interview zu tun, weil er da gar nicht vorschreiben wollte, wie getwittert wird. Naja, ich wiederhole mich. Lassen wir das. Ich freue mich auf den nächsten Weiterdreh dieser Nicht-Geschichte.
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Brainpool ist einer der erfolgreichsten deutschen Fernsehproduzenten. Große Teile des Angebots gingen auf Ideen von Stefan Raab zurück. Er hat sich inzwischen nicht nur vom Bildschirm zurückgezogen, sondern will auch seine Anteile an Brainpool wieder zurücktauschen gegen solche seiner eigenen Produktionsfirma. Damit könnte die französische Firma Banijay die Mehrheit bei Brainpool übernehmen. Doch dagegen gibt es Widerstand. Geschäftsführer Jörg Grabosch, dem mit der Übernahme die Kündigung droht, hat gegen eine schnelle Entscheidung eine Einstweilige Verfügung erwirkt. So konnte die Übernahme nicht schon am Donnerstag über die Bühne gehen. Thorsten Zarges hat für das Branchenportal DWDL die Hintergründe recherchiert; ich habe mit ihm für @mediasres im Deutschlandfunk darüber gesprochen.
Wir brauchen Medienkritik. Warum sollte ausgerechnet die Arbeit von Journalisten der Kritik entzogen sei, wo doch sonst alles und jeder sich der öffentlichen Beurteilung stellen müssen?
Natürlich gibt es keine Pflicht für denjenigen, der kritisiert, dabei auch fundierte Kritik zu liefern, rein sachliche oder auch nur konstruktive Kritik. Jeder darf kritisieren, wie er will.
Wenn er aber etwas erreichen möchte, nutzt es wenig, pauschal zu kritisieren und alle Medien über einen Kamm zu scheren. Wenn er nicht Ross und Reiter nennt, fühlt sich niemand angesprochen und wird seine Berichterstattung dementsprechend nicht ändern.
Daran musste ich denken, als ich heute diesen Tweet gelesen habe:
So eine Kritik an „den Medien“ kann natürlich nur falsch sein. Wer pauschal wird, liegt damit fast immer falsch.
Man muss den Satz nicht haarklein analysieren, um ihn zu widerlegen. Er soll auch nur als Beispiel dafür dienen, dass der Ärger über ein paar Berichte gleich zu einer Generalkritik ausarten kann, die gleich auch all das mitmeint, was man eigentlich gut findet.
Natürlich gab es Berichte über die Outfits der neuen Ministerinnen, aber es gab eben auch mehr: Berichte über die Wahl der Kanzlerin, über die Vereidigung der Minister, über den Arbeitsbeginn der neuen Bundesregierung. Und auch über die Debatte über §219a und das Urteil des Bundesgerichtshof habe ich diese Woche gelesen. Es ist also weder so, als hätten sich „die Medien“ ausschließlich auf das Kleiderthema gestürzt, noch haben sie die anderen Themen vernachlässigt.
Wer so pauschal argumentiert, sieht höchstens die eigene Meinung nicht ausreichend repräsentiert, aber das kann kein Argument für Journalismus sein.
Und so entwertet eine solche Verallgemeinerung das beste Argument. Auch wenn sich der Kritiker nur mal Luft verschaffen wollte, hilfreich ist so etwas nicht.
In den letzten Tagen ist die Auseinandersetzung zwischen den USA und der EU über die Besteuerung von Waren offensichtlich außer Kontrolle geraten – in jedem Fall sprachlich. Plötzlich ist auf beiden Seiten von einem Handelskrieg die Rede. Also von einem Krieg.
Angefangen vom US-Präsidenten selbst, aber gerne aufgegriffen von Politikern in der EU und in Deutschland – weitgehend kritiklos weitergetragen von deutschen Medien. Nur ein paar Beispiele:
mit Waffengewalt ausgetragener Konflikt zwischen Staaten, Völkern; größere militärische Auseinandersetzung, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt
Nichts davon trifft auf eine Auseinandersetzung über Zölle zu. In der Wortwahl schwingt eine Bedrohung für Leib und Leben mit, die in Wirklichkeit nicht gegeben ist. Der Begriff ist aufmerksamkeitsheischend und soll eine besondere Dramatik in der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung zwischen beiden Seiten beschreiben. Dabei emotionalisiert er den Konflikt aber und schürt beim Rezipienten möglicherweise Angst.
Selbst wenn man diese Wortwahl aber grundsätzlich akzeptiert, ist sie im Moment auch abseits der Duden-Definition nicht sonderlich klug. Denn was soll jetzt noch kommen? Wir sprechen hier über Zölle auf Stahl und Motorräder. Das ist angesichts des Protektionismus zwischen Staaten noch vor ein paar Jahrzehnten nicht viel. Wird dann demnächst getitelt „Handelskrieg eskaliert“, wenn auch Autos und Whisky mit Zöllen belegt werden? Oder muss man dann von einem „nuklearen Handelskrieg“ sprechen, damit überhaupt noch deutlich wird, von welchen Dimensionen wir sprechen? Wohin soll das alles sprachlich noch führen, wenn man schon am Anfang sprachlich zum Äußersten greift?
Kriegsmetaphern sind grundsätzlich keine gute Wahl, wenn wir nicht über Krieg sprechen. Denn was unterscheidet den Bürgerkrieg sprachlich noch vom Handelskrieg? Warum sollte uns der Krieg in Syrien noch interessieren, wenn wir einen eigenen Krieg mit den USA führen?
Natürlich müssen Journalisten den Begriff transportieren, wenn er von Politikern benutzt wird, denn korrekt zitieren gehört ja dazu. Und deren Wortwahl deutet womöglich darauf hin, auf welcher Eskalationsstufe sie den Konflikt sehen. Aber Journalisten sollten sich einen solch wertenden Begriff nicht zu eigen machen und ihn tunlichst vermeiden.
Ich will den vielen Berichten über das #miomiogate der Bild-Zeitung nichts Großes mehr hinzufügen. Das Bildblog hat die Sache schon gut zusammengefasst. Eine Beobachtung bloß, basierend auf der Verteidigung von Verlag, Zeitung und Chefredakteur Julian Reichelt selbst. Er schreibt in einem Thread, beginnend hier:
Einmal zur Einordnung der @titanic Geschichte: Wir haben nie von einer Kampagne VON @KuehniKev geschrieben, dafür aber von einer Kampagne GEGEN ihn. Berichtet haben wir, NACHDEM die @spdde Strafanzeige geprüft/gestellt hat. Titanic wollte @BILD in mehreren Versuchen…
…in eine klare Festlegung treiben, dass @KuehniKev mit russischen Personen kooperiert. Das haben wir nie getan, sondern immer die Position der @spdde dargelegt und explizit geschrieben, dass diese plausibel ist. Der SPD haben wir stets alle gewünschten Infos…
…zur Verfügung gestellt. Alle Details werde ich gleich auf @BILD dokumentieren. Meine Meinung: Natürlich darf Satire so etwas, aber sie versucht sich hier zu profilieren, indem sie journalistische Arbeit bewusst zu diskreditieren versucht. Unser Kollege @fpiatov …
…hat in der Vergangenheit immer wieder großartige und wichtige Geschichten zum Thema Desinformation recherchiert und war aufgrund seiner Erfahrung von Beginn an skeptisch. Deswegen haben wir uns erst zu Berichterstattung entschieden, als die SPD Anzeige geprüft hat.
Aha. Das heißt also, die Redaktion hielt die Mails für gefälscht und hätte nicht berichtet. Wie schafft man sich also einen Anlass? Man informiert die SPD über die angeblichen Mails, die daraufhin eine Anzeige prüft. Was nicht ganz unverständlich ist. Und jetzt ist er endlich da, der Anlass zu berichten.
Mit dieser Methode lässt sich für jedes Gerücht, jede Verleumdung, jede Fälschung ein Anlass finden. Einfach den Betroffenen informieren und zu einer Anzeige anstiften, dann lässt sich mit diesem Grund über alles und jedes berichten, ohne es journalistisch prüfen zu müssen. Eine perfide Methode.
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Eigentlich sollte die Masche von AfD-Politikern ja schon bekannt sein. Doch ich gebe zu, dass auch ich mich immer wieder triggern lasse von Äußerungen wie der von Alice Weidel.
Da fordert Weidel indirekt die Ausbürgerung Deniz Yücels, weil er ihr nicht deutsch genug ist, und bemüht mal wieder zwei seiner Texte, die angeblich deutschenfeindlich sind und Thilo Sarrazin beleidigen. Ich finde die Texte selbst nicht gelungen, aber sie sind Satire und vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Beides Dinge, die besonders die AfD für sich selbst in Anspruch nimmt, wie gerade wieder André Poggenburg, der die pauschale Beleidigung von Türken als Politsatire bezeichnet hat. Für Yücel wollen sie sie aber nicht gelten lassen.
Als Verteidiger des Grundgesetzes sollte Weidel eigentlich auch wissen, dass das Grundrecht auf Pressefreiheit jeder in Anspruch nehmen kann. Die AfD probiert es ja gerade selber mit ihrem angeblichen Newsroom. Yücel seinen Status als Journalist abzusprechen ist zudem genau das, was auch der türkische Präsident Erdogan macht.
Weidel weiß das natürlich. Aber sie triggert mit ihrer Stellungnahme die AfD-Mitglieder, ihre Wähler und Anhänger mit solchen Begriffen, die gerne gegen den Deutsch-Türken Deniz Yücel austeilen und Thilo Sarrazin gegen Kritik in Schutz nehmen, weil sie sich sicher sein kann, dass sie von den entsprechenden Leuten dafür Zuspruch erhält.
Wie sollten diejenigen damit umgehen, die dem nicht zustimmen? Sollten sie ihr Statement teilen und weiterverbreiten und damit laut drauf hinweisen: Schaut mal, die Weidel – pfui! Tragen sie damit nicht genau zu der Verbreitung bei, die sie sich wünscht? Schließlich kann man nicht davon ausgehen, dass diese Weiterverbreitung genau bei denen ankommt, die diese Haltung ebenfalls ablehnen. Es werden auch immer welche darunter sein, die ihr zustimmen – die das Statement aber nicht gesehen hätte, hätte sie nicht ein Gegner darauf hingewiesen. So geben ausgerechnet ihre Gegner Weidel mehr Öffentlichkeit.
Dieses Problem hat sich diese Woche auch bei den Äußerungen von André Poggenburg gezeigt. Ich habe mir die Rede nicht angesehen, ich habe keinen längeren Artikel darüber gelesen, ich kann aber sofort mindestens einen Begriff nennen, den er dort gesagt hat. Weil der nämlich immer und immer wieder in Artikeln, Beiträgen und Filmen erwähnt wird.
Aber selbst wenn er im Kontext der Empörung, des Dementis, der Abscheu, der Verurteilung daherkommt, wird er immer wieder genannt. Und zahlt damit auf Poggenburgs Absicht ein, seine Haltung weit zu verbreiten.
Ich weiß, dass man sich dem als Journalist kaum entziehen kann, weil ein Beitrag darüber, dass die AfD-Spitze Poggenburg für seine Äußerungen verurteilt hat, auch erwähnen muss, welches die Äußerungen eigentlich waren. Und dass Nutzer, wenn man diese Äußerungen nicht ausdrücklich nennt, erst recht wissen wollen, welches sie waren – und im Netz auch schnell fündig werden. Aber wir spielen damit das Spiel der AfD mit.
Das sieht auch der Politikwissenschaftler Robert Feustel so, der im Interview bei faz.net sagte:
Mit der Aufregung über die Aussagen wird das Thema plaziert – man spricht dann trotzdem, wie jetzt im Fall Poggenburg, über die „Kameltreiber“. Die Begriffe werden weitergetragen, bekommen eine große Reichweite, auch wenn viele, die sie aufgreifen, das tun, um Kritik zu üben. (…) Solche Skandalisierungen bewirken, dass alles, was davor gesagt wurde und nicht ganz so krass war, schnell zum normalen Ausdruck gehört. Indem die Grenzen ständig erweitert werden, werden andere Ausgrenzungen so ein stückweit normalisiert.
Und er plädiert dafür:
Es wäre sicher zielführender, nicht über jedes Stöckchen zu springen, das die AfD einem hinhält. Denn in dem Moment, wo ich eine bestimmte provokante, ausgrenzende Aussage wiederhole, kann ich mich zwar kritisch davon distanzieren, bediene aber trotzdem das Thema und setze es auf die Agenda.
Das ist kein neues Plädoyer. So was schreiben Journalisten auch gerne immer wieder mal, fallen dann aber doch erneut darauf herein, wenn die AfD die Grenzen ein weiteres mal stückweise verschiebt. Undwirhelfendabei.
P.S.: Ich weiß natürlich, dass auch ich Weidel vielleicht zu mehr Öffentlichkeit verhelfe. Aber das auf einer Meta-Ebene zu kritisieren geht nicht ohne.
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