Wie kann man ausgewogen aus Israel und Gaza berichten?

Die Berichterstattung über das Hamas-Massaker und den Gaza-Krieg stellt Korrespondenten und Korrespondentinnen und Medien seit Monaten vor enorme Herausforderungen. Wann spricht man von Terroristen, wann von einem Krieg? Wo verläuft die Grenze zwischen klarer Sprache und einer über die Sachlichkeit hinausgehenden Bewertung?

Darüber haben bei der Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche diskutiert: Holger Stark, stellvertretender Chefredakteur der ZEIT, die Kommunikationswissenschaftlerin Nadia Zaboura und die Filmemacherin und Korrespondentin Hanna Resch (ARD). Es moderiert Pinar Atalay.

„Potsdamer Geheimtreffen“: Verdient die Correctiv-Recherche Preise oder Kritik?

Seit einigen Tagen wird in der Medienbranche noch mal über die Correctiv-Berichterstattung über das sogenannte Potsdamer Geheimtreffen diskutiert. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier, der Rechtsjournalist Felix Zimmermann und der Journalistenausbilder Christoph Kucklick werfen dem Artikel erhebliche Mängel vor. Correctiv weist das im Kern zurück.

Bisher haben sich beide Seiten nur getrennt geäußert – in Artikeln und Interviews. Für den Dlf-Medienpodcast „Nach Redaktionsschluss“ haben wir sie zusammengebracht. In der neuen Folge, die wir schon heute veröffentlichen, diskutiert Felix Zimmermann mit Correctiv-Chefredakteur Justus von Daniels. Der Medienjournalist Steffen Grimberg kommentiert die Debatte, die von Sascha Wandhöfer geleitet wird. Ich war als Producer für die fertige Form verantwortlich.

Wer sich für unsere Debatte noch mal in alles einlesen will, dazu die wichtigsten Links:

Den Text, um den es geht, nämlich den Correctiv-Artikel „Geheimplan gegen Deutschland“, findet man hier. (10. Januar 2024)

Einen Überblick darüber gibt, mit Stand 06. August 2024, meine Kollegin Brigitte Baetz in den „Informationen am Morgen“ im Deutschlandfunk.

Auslöser der aktuellen Debatte ist dieser Artikel, veröffentlicht bei Übermedien: „Der Correctiv-Bericht verdient nicht Preise, sondern Kritik – und endlich eine echte Debatte“ von Christoph Kucklick, Stefan Niggemeier und Felix W. Zimmermann. (30. Juli 2024)

Ebenfalls bei Übermedien erschienen ist eine Replik von Andrej Reisin: „Die Kritik an Correctiv ignoriert, was wir über Rechtsextremismus wissen“. (02. August 2024)

Correctiv-Chefredakteur Justus von Daniels hat darauf unter anderem in einem Post bei LinkedIn reagiert: „Die drei Autoren finden unseren Text doof. Das ist ihr gutes Recht. Aber statt fundierter Kritik ist es eine Vermischung aus Stilkritik, Auseinandersetzung mit den juristischen Folgen und wie andere Medien die Recherche aufgenommen haben.“ (02. August 2024)

Ausführlich hat sich Correctiv als Redaktion am selben Tag auf der eigenen Seite in einer Erklärung geäußert: „Die Kritik der drei Autoren von Übermedien, die unseren Text als unzureichend empfinden, beruht überwiegend auf stilistischen Anmerkungen und der Wahrnehmung anderer Medienberichte über unsere Recherche.“

In Interviews geäußert haben sich Christoph Kucklick und Justus von Daniels (allerdings getrennt) im Medienmagazin von Radio Eins. Der Podcast ist hier zu finden (ggf. muss man etwas herunterscrollen). (03. August 2024)

Die Debatte ist von mehreren Kollegen öffentlich kommentiert worden:

Der Investigativjournalist Daniel Drepper, als Vorsitzender der Journalistenvereinigung „Netzwerk Recherche“ mitverantwortlich für den Leuchtturm-Preis für Correctiv, hat den o.g. Post von Justus von Daniels ebenfalls bei LinkedIn kommentiert.

Carolina Schwarz hält die Debatte in der taz für ein „peinliches Penisfechten“. (02. August 2024)

Hans-Jürgen Jakobs schreibt in der Süddeutschen Zeitung von einer „Recherche mit Peng“. (02. August 2024)

Politik ist kein Spiel von Sieg und Niederlage

Ich habe neulich bei Übermedien über mein „Hasswort“ geschrieben – wenngleich ich den Begriff „Hass“ etwas zu stark finde für das Wort „Streit“, um das es ging (aber so heißt nun mal die Rubrik). Unter dem Artikel gibt es auch eine kleine Diskussion darüber.

Die größere allerdings findet bei LinkedIn statt. Dort schreibt SWR-Intendant und ARD-Vorsitzender Kai Gniffke:

Selten habe ich mich in einem Text so wiedergefunden wie im kurzen Artikel „Streit“ von Stefan Fries in Übermedien. (…) Genauso sehe ich es. Und Achtung: Ich nehme uns (SWR/ARD) dabei überhaupt nicht aus. Auch in unseren Nachrichten ist aus meiner Sicht oft von „Streit“ die Rede – warum nicht Begriffe wie Debatte, Diskussion und Diskurs? (…) Klar, mit griffigen O-Tönen garniert und einer gepfefferten „Streit“-Überschrift lässt sich Politikberichterstattung womöglich erfolgreicher verkaufen – und auch das ist ein Wert in einer Zeit, in der viele Menschen Nachrichten grundsätzlich vermeiden (…)

Gniffke spricht in seinem Post aber noch einen anderen Aspekt an, um den es in der Rubrik nicht geht, den ich aber auch für wichtig halte:

Mir erscheint es aber zu einfach, nur danach zu fragen, wer in einem „Streit“ gewonnen oder verloren hat. Klar, mit griffigen O-Tönen garniert und einer gepfefferten „Streit“-Überschrift lässt sich Politikberichterstattung womöglich erfolgreicher verkaufen…

Den Aspekt finde ich viel wichtiger. Denn oft fokussiert sich die Berichterstattung nicht nur auf den Streit an sich, sondern sie beschreibt Politik auch als Spiel von Sieg und Niederlage. Da geht es dann inhaltlich und auch bei der Wortwahl darum, wer sich durchgesetzt hat, wer eine Niederlage erlitten hat, wer zurückstecken musste.

Medien schauen zu viel auf Akteure und zu wenig auf Inhalte

Der Fokus liegt hier also auf den Akteuren, nicht auf den Inhalten. Medien schauen also nicht darauf, ob sich gute Ideen durchgesetzt haben, ob ein kluger Gesetzentwurf durchgekommen ist, ein schlechtes Konzeptpapier verworfen wurde oder ein toller Plan einem Kompromiss zum Opfer gefallen ist. Oder umgekehrt: ob ein schlechter Gesetzentwurf durchgekommen ist oder ein schlechter Plan verworfen wurde.

Sondern sie projizieren die Auseinandersetzung auf die dahinterstehenden Personen. Es geht also um die Frage, ob sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in der Verhandlung über den Bundeshaushalt 2025 durchgesetzt hat, ob die Bundesregierung vor Gericht eine Niederlage erlitten hat oder Bundeskanzler Olaf Scholz in der Auseinandersetzung siegen konnte.

Diese Personalisierung in der Politik ist natürlich nicht neu. Sie ist deshalb aber auch nicht per se so gut, dass wir sie beibehalten sollten. Denn es ärgert mich jedes Mal, wenn ich Nachrichten so formuliert sehe. Wenn die Süddeutsche Zeitung zum Beispiel darüber schreibt, dass Boris Pistorius für sein Bundesverteidigungsministerium nicht so viele Mittel im Haushalt bekommt wie erwünscht, heißt es: „Seine erste Niederlage“. Dabei bekommt (gerade jetzt) fast kein Minister so viel wie er wünscht, weil natürlich alle Ministerien immer mehr anmelden, um das zu bekommen, was sie aus ihrer Sicht brauchen. Inwiefern das eine Niederlage ist, erschließt sich mir nicht. Hätte er besser nichts fordern sollen, um so eine „Niederlage“ zu vermeiden?

Die Debatte um den Haushalt ist dafür überhaupt ein gutes Beispiel, weil es damals viele Schlagzeilen gab, die die Sache in den Kategorien von Sieg und Niederlage dargestellt haben – etwa auch in Bezug auf Bundesfamilienministerin Lisa Paus, wie etwa ntv schrieb:

Oder auch der Merkur:

In Bezug auf die Mitgliederbefragung bei der FDP, die Koalition mit SPD und Grünen zu beenden, schrieb die Stuttgarter Zeitung:

Wenn politische Auseinandersetzungen darauf verkürzt werden, wer gewinnt oder verliert, leidet die Debatte. Denn letztlich geht es um die Frage, wessen Meinung (oder Gesetzentwurf oder politischer Plan) in konkretes politisches Handeln umgesetzt wird, aus welchem politischen Plan also reale Politik wird. Mit Sieg oder Niederlage hat das aber nichts zu tun.

Ereignisse lassen sich auch ohne diese Kategorie beschreiben

Ein banales Beispiel zum Vergleich: Wenn ich zu Hause mit meinem Partner darüber diskutiere, welches Bild wir an die Wand hängen, wir dazu aber verschiedene Meinungen haben, wie würden wir dann das Ergebnis beurteilen? Entweder wird das Bild aufgehängt, das er bevorzugt, jenes, das ich bevorzuge, es wird ein weiteres Bild gewählt oder gar kein Bild aufgehängt.

Wenn ich aber zum Beispiel nachgebe, weil mir die Frage nicht so wichtig ist oder mein Bild woanders Platz findet, heißt das dann, dass der andere gewonnen hat? Müsste man dann titeln: Niederlage für Stefan? Sieg für Stefans Partner? Würde man Freunden in dieser Art und Weise davon erzählen, wenn sie danach fragen, welches Bild jetzt an der Wand hängt? Geht es nicht oft ohnehin um Kompromisse?

Leider wird Journalismus aber oft so betrieben. Natürlich müssen wir darüber berichten, welches Bild es ist, und wir können auch sagen, wer sich dafür eingesetzt hat und aus welchen Gründen. Aber wir müssen auf den Inhalt schauen und die Situation danach bewerten, welcher Inhalt jetzt dort ist. Also ob das Bild dort sinnvoll hängt, wie es aussieht usw. Und nicht danach, wer es ausgewählt hat und ob das nun ein Sieg oder eine Niederlage für denjenigen ist.

Variante des Horse-Race-Journalismus

Dieser Journalismus, der in Sieg und Niederlage denkt, ist übrigens eine Variante des Horse-Race-Journalismus, über den Michael Borgers und ich zur vergangenen Bundestagswahl 2021 bereits eine längere Sendung im Deutschlandfunk gemacht haben. Im Horse-Race-Journalismus wird Berichterstattung allein an Umfragewerten ausgerichtet und über politische Akteure in Kategorien von Siegern und Verlierern, von Vorsprüngen und Aufholjagden berichtet – analog zu einem Pferderennen.

In diesem Fall dienen externe, scheinbar verlässliche Zahlen als Referenz. Beim Journalismus von Sieg und Niederlage ist der Maßstab, wie viele der politischen Vorstellungen jeder Seite ins Ergebnis eingeflossen sind. Weder im einen noch im anderen Fall wird aber auf die politischen Inhalte geschaut, sondern es werden die politischen Akteure bewertet. Das aber ist kein objektiver inhaltsgetriebener Journalismus, sondern Kommentierung.

Eine Ausnahme möchte ich übrigens machen: Wenn es um Wahlergebnisse geht, kann man natürlich durchaus von Sieg und Niederlage sprechen. Schließlich geht es dabei nicht um einen Wettstreit von Ideen, sondern um eine Verteilung von Macht, die sich eben auch in Prozenten und Mandaten ausdrückt. Wo eine Partei zulegt oder verliert, kann man dann auch aus guten Gründen von Sieg oder Niederlage sprechen.

Berichterstattung nicht an fiktiven Erwartungen ausrichten

Auch wenn Journalisten dabei vorsichtig sein müssen. Denn die Fixierung auf Umfragen führt mittlerweile dazu, dass Parteien nicht nach ihrem Wahlergebnis im Vergleich zur vorherigen Wahl beurteilt werden, sondern danach, wie sie im Vergleich zu den letzten Umfragen abgeschnitten haben. So wurde etwa von einigen Medien der Sieg des Rassemblement National in Frankreich zur Niederlage umgeschrieben, weil die rechtspopulistische Partei zwar zugelegt hatte, aber nicht in dem Maße wie erwartet – oder im zweiten Wahlgang schlechter als im ersten, aber immer noch besser als zuvor. Die ZEIT etwa schrieb von „Niederlage“ und der Spiegel von einem „Sieg gegen die Rechtsextremen“.

Auch bei Gerichtsentscheidungen wird natürlich davon geredet, wer gewonnen und wer verloren hat. Und in mancherlei Hinsicht kann man das sicher auch so berichten. Bei Gerichtsentscheidungen über politische Beschlüsse wird die Sache aber wieder schwieriger, vor allem, wenn es Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind, die ja nicht nur Schwarz und Weiß kennen.

Das Urteil zum Wahlrecht zum Beispiel ist in dieser Hinsicht schon auf den ersten Blick ambivalent, weil eben nicht das gesamte Gesetz verworfen wurde, sondern nur Teile davon. Was andererseits aber auch heißt, dass große Teile des Gesetzes, sogar der eigentliche Kern, vom Gericht ausdrücklich gebilligt worden sind.

Gerichtsurteile sind nicht schwarz und weiß

Die Fokussierung in der anfänglichen Berichterstattung darauf, dass die Entscheidung eine Niederlage für die Ampel-Koalition ist, erweckte dabei teilweise einen irreführenden Eindruck des Tenors des Urteils, wie etwa bei ntv:

So müsste man zumindest vom Sieg einzelner Akteure oder vom Sieg in bestimmten Punkten sprechen, aber so differenziert wird es ja vor allem in Überschriften nicht. Glücklicherweise gab es aber auch Medien wie etwa den Tagesspiegel, die die Sache differenzierter dargestellt haben (vor allem, nachdem sich die Aufregung über das Leak des Urteils gelegt hatte).

Ich plädiere dafür, Politik nicht in den Kategorien von Sieg und Niederlage zu beschreiben und sich weniger auf Akteure zu konzentrieren, sondern mehr auf Inhalte zu schauen.

Sexismus bei Olympia: Problematische Berichterstattung über Schwimmerin Gose

Schwimmerin Isabel Gose wurde bei Olympia auf ihre Rolle als Ex-Freundin des Gold-Gewinners Lukas Märtens reduziert, anstatt ihre deutsche Rekordleistung zu würdigen. Medienforscher Christoph Bertling ordnet diesen journalistischen Fauxpas ein. Ich habe mit ihm für @mediasres gesprochen.

Wenn Politiker fordern: Journalismus in der PR-Falle

Dass Medien Forderungen von Politikern oft ohne Einordnung melden, hält der Journalist Arne Semsrott für ein Einfallstor für Populismus. Was Medien tun könnten, habe ich mit ihm und Bastian Sorge diskutiert, dem Redaktionsleiter Multimediale Nachrichten beim rbb-inforadio. Nachzuhören, wo es Podcasts gibt – und in der Deutschlandfunk-App.

Die Forderung Arne Semsrotts stammt aus seinem gerade erschienenen Buch. Das Kapitel dazu ist bei Übermedien zu lesen.

Regierungsaufträge für Journalisten: „Rundfunk muss strikt auf Distanz zum Staat achten“

Rund 200 Journalistinnen und Journalisten sollen Aufträge von der Bundesregierung und Bundesbehörden angenommen haben. Das könnte beim Publikum Zweifel an der Unabhängigkeit wecken, kritisiert der Medienwissenschaftler Volker Lilienthal. Ich habe mit ihm für @mediasres im Deutschlandfunk gesprochen.

Immer wieder Wagenknecht – Wie Talkshows ihre Gäste auswählen

Unser Hörer ist genervt: Fast alle Medien haben in den letzten Wochen Sahra Wagenknecht interviewt. Dabei hält er sie für politisch zu unbedeutend, ihre Positionen mindestens fragwürdig bis gefährlich. Er fragt sich, womit so viel Medienpräsenz gerechtfertigt ist.

Darüber habe ich mit Rüdiger Naegele, Dlf-Moderator Tobias Armbrüster und Paulina Fröhlich vom Progessiven Zentrum in Berlin gesprochen, die eine Studie zu Talkshowgästen angefertigt hat – im Dlf-Medienpodcast „Nach Redaktionsschluss“.

Weniger Beschwerden, weniger Rügen – Jahresbilanz des Presserats

Der Deutsche Presserat hat seine Jahresbilanz für 2022 vorgelegt. Der Rat überwacht die Einhaltung des Pressekodex, ein ethisches Standardwerk für Zeitungen, Zeitschriften und ihre Online-Ableger.

Im vorigen Jahr hat es mit rund 1.700 Beschwerden weniger davon gegeben als in den Vorjahren – sogar noch weniger als im Corona-Jahr 2020, in dem es mehr als 4.000 gab.

Über die Ergebnisse habe ich in @mediasres im Deutschlandfunk gesprochen.

Angriffe in der Silvesternacht: Sollten Medien die angebliche Herkunft von Verdächtigen nennen?

Kaum hatte es in der Silvesternacht vor allem in Berlin Angriffe auf Polizei und Rettungskräfte gegeben, wussten viele schon, wer dahintersteckte – obwohl das damals niemand wusste und auch heute noch vieles unklar ist. Für Politiker wie CDU-Fraktionsvize Jens Spahn war jedenfalls schon klar, dass es Menschen mit Migrationshintergrund waren. Die Kommunikationswissenschaftlerin Christine Horz-Ishak kritisierte im @mediasres-Interview im Deutschlandfunk, dass Medien die angebliche Herkunft der Tatverdächtigen überhaupt nennen – der Zusammenhang mit den Taten sei nicht ersichtlich.

Warum die aktuellen Jobs von Christian Lindner und Franca Lehfeldt nicht kompatibel sind

Nicht die große Sause auf Sylt ist das Problem der Hochzeit von Bundesfinanzminister Christian Lindner. Sondern, dass seine Ehefrau France Lehfeldt als Chefreporterin Politik beim Fernsehsender „Welt“ voreingenommen über die Ampel-Regierung berichten könnte. Meine Medienkolumne für WDR5 Politikum.