„Impfpflicht: Ja oder nein?“ Wie Medien die Politik unter Druck setzen

Lassen sich Politiker zu Aussagen hinreißen, weil Medien sie dazu drängen? Deutschlandfunk-Hörer Moritz Ahlers vermutet das. Wenn Politik Möglichkeiten kategorisch ausschließt, dann könne das zu einer Hypothek in Debatten zum Beispiel über die Impfpflicht werden. Ahlers fragt in einer Mail an die Redaktion @mediasres, ob der politische Journalismus diesen voreiligen Ausschlüssen nicht entgegenwirken müsste.

Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) fühlt sich als Politiker oft getrieben. Unwägbarkeiten in einer Pandemie anzusprechen, sei schwierig. Man müsse der Politik auch Meinungswechsel zugestehen. „Verbindlichkeit ist im Journalismus wichtig,“ betont dagegen Deutschlandfunk-Hauptstadtkorrespondentin Katharina Hamberger. Trotzdem dürfe das kein Selbstzweck sein.

Über die Wechselwirkung von Medien und Politik habe ich mit Moritz Ahlers, Klaus Holetschek und Katharina Hamberger diskutiert. Produktion: Mike Herbstreuth.

Den Podcast gibt es in der DLF-Audiothek App, unter www.deutschlandfunk.de/medienpodcast und in den gängigen Podcast-Apps.

Ein Flüchtling als Täter? Journalisten müssen dem Subtext widerstehen

In Berlin ist ein Lastwagen in eine Menschenmenge gefahren. Viel mehr als das wissen wir eigentlich nicht. Zwar gehen sowohl Bundesinnenminister Thomas de Maizière als auch das Bundeskriminalamt von einem Anschlag aus. Allerdings wissen die Behörden viel zu wenig, um sich dabei ganz sicher sein zu können.

Sicherlich spricht vieles dafür, etwa der Modus Operandi, den wir aus Nizza kennen. Aber welche Motive den Fahrer, der offensichtlich auf der Flucht ist, angetrieben haben, bleibt offen. Bis dahin sollten wir vorsichtig sein, wie wir über den Fall reden.

Ich erinnere daran, dass nicht nur Journalisten, sondern auch Politiker und eine große Öffentlichkeit schon bei anderen Fällen daneben gelegen haben. Als im Regierungsviertel in Oslo eine Bombe explodierte, fiel der Verdacht schnell auf Islamisten. Es war aber ein Rechtsextremist. Als ein Flugzeug von Germanwings in den französischen Alpen abstürzte, ging man von einem Terroranschlag aus. Es war aber offensichtlich ein Selbstmörder.

Wer sagt, dass es nicht auch in Berlin andere Optionen gibt – überraschende, unerwartete Erkenntnisse?

Das macht die Ereignisse, die Tat nicht weniger schrecklich. Es ist aber wichtig für die Diskussion, die wir danach führen. Denn Konsequenzen können wir nur ziehen, wenn wir wissen, woraus eigentlich.

Wenn CSU-Chef Horst Seehofer eben wegen der Tat in Berlin eine andere Flüchtlings- und Einwanderungspolitik fordert, scheint er mehr über die Tat zu wissen als alle anderen. Wahrscheinlicher ist, dass er die Tat operationalisiert, um seine ohnehin bekannten Positionen erneut ins Gedächtnis zu rufen und durchzusetzen.

Trotz der Kritik daran hat der bayerische Innenminister Joachim Herrmann heute früh noch mal in dieselbe Kerbe geschlagen. Im Deutschlandfunk sagte er, unabhängig von dem Anschlag in Berlin gebe es ein erhöhtes Risiko von islamistischen Anschlägen. In Paris und Brüssel, aber auch bei den Anschlägen in Würzburg und Ansbach habe es sich jeweils um Personen gehandelt, „die im Rahmen des Flüchtlingsstroms nach Deutschland gekommen sind“, betonte Herrmann.

Ich fasse mal zusammen: In Berlin war es kein Flüchtling. Genau deswegen müssen wir die Flüchtlingspolitik ändern.

Journalisten müssen vorsichtig sein, wie sie mit solchen Äußerungen umgehen. Wenn wir sie ohne Einordnung weitergeben, setzen wir damit ein Narrativ in Kraft, das von der Realität nicht gedeckt ist. Wenn wir die AfD zitieren, Bundeskanzlerin Angela Merkel sei wegen ihrer Flüchtlingspolitik für die Tat verantwortlich, erzählen wir im Subtext, die Tat sei von einem Flüchtling begangen worden. Dabei lässt sich das weder mit Gewissheit sagen noch ausschließen. Es dient aber denjenigen, die diese Lesart durchsetzen wollen.

Klammheimlich ließ Markus Söder seinen Tweet wieder verschwinden

Da lag der bayerische Finanzminister Markus Söder mit einem Tweet etwas daneben. Nach dem Elfmeterschießen beim EM-Spiel Deutschland gegen Italien fordert er, unter anderem Mesut Özil an der Stelle künftig nicht mehr antreten zu lassen.

Originaltweet von Markus Söder
Originaltweet von Markus Söder

Viele Nutzer verstanden den Tweet rassistisch. Vor allem deshalb, weil Söder mit dem Alter ein Argument anführte, das nicht trug. Denn Mesut Özil, der verschossen hat, ist mit 27 ziemlich genau so alt wie die meisten anderen tatsächlich erfolgreichen Elfmeterschützen: Toni Kroos ist 26, Mats Hummels 27, Jerôme Boateng 27, Jonas Hector 26. Nur Joshua Kimmich (21) und Julian Draxler (22) sind „junge Spieler“, um Söders Terminologie zu folgen. Tatsächlich haben mit Thomas Müller (26) und Bastian Schweinsteiger (31) zwei weitere „Ältere“ auch nicht getroffen. Insgesamt aber ergibt die Begründung wenig Sinn.

Söder löschte den Tweet kurz darauf und setzte einen neuen ab, ohne die Korrektur zu thematisieren. Dabei erwähnte er nicht nur Özil, sondern auch Müller und Schweinsteiger.

Korrigierter Tweet von Markus Söder
Korrigierter Tweet von Markus Söder

Der neue Tweet macht die Sache allerdings kaum besser, denn die Statistik spricht weiter gegen Söder. Wer sich wie er immer wieder latent ausländerfeindlich äußert, darf sich über Kritik an einem solchen möglicherweise harmlos gemeinten Tweet nicht wundern.

 

Update, 13.45 Uhr: Später twitterte Söder übrigens noch mal.

Ich stehe vielleicht auf dem Schlauch, aber ich verstehe nicht, worauf er sich bezieht. Wollte er sagen, ausgerechnet die erfahrenen Spieler hätten verschossen? Was ist dann mit Kroos (70 Länderspiele), Hummels (50 Länderspiele), Boateng (64 Länderspiele)? Ab wann fängt Erfahrung an?