2024 war kein gutes Jahr für die Pressefreiheit

Im laufenden Jahr 2024 sind laut der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ 54 Journalistinnen und Journalisten getötet worden – bei oder wegen ihrer Arbeit. Mehr als 550 saßen oder sitzen im Gefängnis.

Die Geschäftsführerin der deutschen Sektion, Anja Osterhaus, hat mir im Interview bei @mediasres im Deutschlandfunk erzählt, warum die meisten von ihnen in den palästinensischen Gebieten getötet wurden und welche Länder noch gefährlich waren.

Den Bericht kann man hier finden. Ein ausführlicheres Dossier ist hier abrufbar (PDF).

rbb-Intendantin weist zwölf Programmbeschwerden weitgehend zurück

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg hat elf der zwölf förmlichen Programmbeschwerden zurückgewiesen, die ihn im ersten Halbjahr 2024 erreicht haben. Das steht im ersten Halbjahresbericht der Intendantin (PDF) , den der Sender Mitte November veröffentlicht hat.

Vier der Beschwerden richteten sich demnach gegen die rbb24-Sendung „Abendschau“. In einem Fall sei moniert worden, dass für einen Beitrag über eine Demonstration ein Kind zur AfD befragt worden sei, die Berichterstattung sei unsachlich und nicht unabhängig gewesen. Laut rbb wurde das Kind aber nicht zur AfD, sondern zu seinen Gefühlen zu den Plänen zur Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund befragt worden – mit Zustimmung der Eltern. In einem weiteren Beitrag ging es um die betrügerische Masche durch sogenannte „falsche Väter“ in der Abendschau sowie im rbb-Politmagazin „Kontraste“. Auch hier sah der rbb keinen Grund für die Programmbeschwerde und wies sie ab.

Kritisiert wurde laut dem Bericht auch eine Moderation in der Spätausgabe der Sendung „rbb24 aktuell“ vom März. Dort habe der Moderator gesagt, dass der Frauentag in Berlin ein gesetzlicher Feiertag sei, „in Brandenburg noch nicht“. Diese Formulierung sei eine parteipolitische Stellungnahme und eine indirekte Unterstützung der Position der Partei Bündnis 90/Die Grünen im Brandenburger Landtag. Über deren Forderung war in der Spätausgabe aber nicht berichtet worden, so dass der Begriff „noch“ nach einer eigenen Stellungnahme geklungen habe. Im Bericht heißt es:

„Der rbb räumte ein, dass es an dieser Stelle besser gewesen wäre, die Position der Grünen erneut zu erwähnen oder das Wort ‚noch‘ zu streichen. Dennoch stellt dies keine Verletzung der journalistischen Grundsätze dar, da die Berichterstattung insgesamt ausgewogen und neutral war.“

In einem Fall erkannte die Intendantin zwar einen Fehler, weil im rbb-Videotext fälschlich von der „Landtagsverwaltung“ die Rede war, obwohl es um die „Landkreisverwaltung“ ging. Sie wies die Beschwerde aber dennoch zurück – unter Berufung darauf, dass Medien Meldungen von Nachrichtenagenturen ungeprüft übernehmen dürften.

Teilweise anerkannt wurde dagegen eine Beschwerde über eine Falschaussage eines Reporters. Er hatte gesagt, dass die Technische Universität in einem bestimmten Fall bis 17 Uhr kein öffentliches Statement abgegeben habe, dabei sei dieses um 16.58 Uhr gekommen. Der rbb sprach von einer missverständlichen Äußerung.

Wenig Transparenz über Programmbeschwerden

Im Detail nachzuprüfen sind die Vorwürfe von Nutzerinnen und Nutzern gegenüber dem Sender nicht, denn dieser veröffentlicht sie nicht im Wortlaut, sondern paraphrasiert sie nur. Ob sich die Beschwerdeführer also korrekt wiedergegeben fühlen, können wir nicht wissen. Allerdings steht ihnen die Möglichkeit offen, gegen einen Bescheid der Intendantin Beschwerde einzulegen, so dass sich der Rundfunkrat mit der Beschwerde befassen muss.

Der rbb hatte den Bericht wochenlang zurückgehalten, obwohl er dem neuen Staatsvertrag zufolge zur Veröffentlichung verpflichtet ist. Der nennt zwar keine genaue Frist, allerdings soll der Bericht veröffentlicht werden, nachdem er dem Rundfunkrat zugeleitet und dort von der Intendantin vorgestellt worden ist. Ulrike Demmer hatte den Bericht bereits am 10. Oktober vorgestellt, wenn auch nur in groben Zügen, die Veröffentlichung ließ aber auf sich warten, während es zwischenzeitlich eine weitere Sitzung des Rundfunkrats gegeben hatte.

Dass solch ein Bericht veröffentlicht wird, ist ein Fortschritt. Denn viele öffentlich-rechtliche Sender in Deutschland verschweigen, über welche Sendungen sich Nutzer bei ihnen beschwert haben. Nicht alle sind per Gesetz oder Staatsvertrag zur Transparenz verpflichtet – wie auch erst seit Anfang des Jahres der rbb.

Nur wenige Beschwerden landen im Rundfunkrat

Auch die Rundfunkräte der meisten Sender sind nicht transparenter. Sie sind der offizielle Adressat für offizielle Programmbeschwerden, die sie aber zunächst in allen Fällen an die Intendanz weiterleiten müssen. Erst wenn die Beschwerdeführer mit deren Antwort nicht zufrieden sind, entscheiden auch die Rundfunkräte inhaltlich über die Beschwerden. Das System führt dazu, dass im Jahr 2023 von den insgesamt 708 gezählten Programmbeschwerden nur 98 von den Mitgliedern der Rundfunkräte geprüft wurden; lediglich fünf wurde stattgegeben, die sich auf zwei Sendungen bezogen. Im rbb-Rundfunkrat wurde im vorigen Jahr nur eine einzige Beschwerde behandelt, die abgewiesen wurde.

Meine vollständige Recherche dazu ist hier zu finden.

„Spiegel“ verwechselt Opfer und Täter bei Fahrradunfall

Der Rennradfahrer Remco Evenepoel ist von einem Autofahrer verletzt worden. Evenepoel war im Training, als der Fahrer eines Postautos die Tür öffnete, gegen die er dann krachte.

Damit ist zumindest den vorliegenden Berichten zufolge klar, wer Täter und wer Opfer war. Der Spiegel beschreibt den Sachverhalt allerdings anders. Dort steht im Teaser des Beitrags:

Er konnte wohl der Schwingtür eines Postautos nicht mehr ausweichen und kam zu Fall: Rad-Superstar Remco Evenepoel liegt nach einem Trainingsunfall im Krankenhaus.

Er konnte wohl der Schwingtür eines Postautos nicht mehr ausweichen und kam zu Fall: Rad-Superstar Remco Evenepoel liegt nach einem Trainingsunfall im Krankenhaus. Sein Teamchef beschwert sich über rücksichtslose Autofahrer.

DER SPIEGEL (@spiegel.de) 2024-12-03T15:51:08Z

Das aber kehrt Täter und Opfer um. Evenepoel ist nicht gefallen, weil er nicht in der Lage, unfähig  oder zu doof war, der Tür auszuweichen, sondern weil der Autofahrer diese erst geöffnet hat, als Ausweichen (oder Bremsen) unmöglich war.

Leider beschreiben Medien ebenso wie Polizeidienststellen, von denen sie die Informationen oft auch im Wortlaut übernehmen, Unfälle mit Radfahrern – gleich ob Profis oder Pendlern – oft in dieser Art und Weise. Weil sie den Verkehr aus der Perspektive des Autofahrers betrachten. Man sieht das auch an weiteren Formulierungen wie etwa der Überschrift im Spiegel:

Doppelolympiasieger Evenepoel kollidiert auf Rennrad mit Postauto

Dort kollidiert ein Mensch mit einem Gegenstand – nicht das Fahrrad mit dem Auto, nicht der Radfahrer mit dem Autofahrer, sondern der Radfahrer mit dem Auto. Im gesamten Artikel wird der Autofahrer kein einziges Mal erwähnt – namentlich natürlich ohnehin nicht, aber nicht mal als Verursacher. Stattdessen findet man eine Formulierung wie

Der Radprofi habe der Schwingtür des Fahrzeugs nicht mehr ausweichen können…

Als habe die Schwingtür einen eigenen Willen und sich einfach so geöffnet.

Das hat leider Methode. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) kritisiert schon seit Jahren, dass nicht nur Medien, sondern auch die Polizei die Unfallverursacher unsichtbar mache.

ADFC-Pressesprecherin Stephanie Krone sagte:

„Unfallberichte der Polizei lesen sich häufig so, als ob auf den Straßen lauter unbemannte Kraftfahrzeuge unterwegs seien, die schicksalhaft Menschen auf Rädern gefährden. In Blaulicht-Meldungen heißt es dann, ein Auto habe eine Radfahrerin ‚erfasst‘. Ein Junge ‚geriet‘ unter einen Lkw. Oder: Ein Radfahrer wurde von einem Auto ‚aufgeladen‘ und zu Boden geschleudert. Dabei sitzt am Steuer eine Person, die laut Straßenverkehrsordnung ihr Fahrzeug so führen muss, dass niemand anderes gefährdet wird. Wer so schreibt, als wäre das Kraftfahrzeug das handelnde Subjekt, verschont die Person im Auto vor dem Blick des Lesers – und damit vor der Schuldfrage. Unser Appell: Benennen Sie nicht nur, was die Person auf dem Rad tut oder erleidet, sondern benennen Sie die Autofahrerin oder den Lastwagenfahrer – und beschreiben Sie in Aktivsätzen ihr Verhalten vor und während der Kollision!“

Auch das Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres, für das ich arbeite, hat darüber berichtet.

Gerade Medien, die sich einen umstrittenen Slogan wie „Sagen, was ist“ geben, müssen darauf achten, dass sie das dann auch tun. Hier aber wurde verschwiegen, was ist – zulasten des Opfers, zugunsten des Täters.

Diese Formulierung des @spiegel.de sucht die Schuld beim Opfer. Er konnte nicht ausweichen? Er musste auch nicht ausweichen. Der Autofahrer hat verdammt nochmal die Tür nicht zu öffnen. Das Framing zugunsten von Autofahrern ist leider in Medien weit verbreitet.

Stefan Fries (@stefanfries.bsky.social) 2024-12-03T16:24:50.945Z