Eigentlich wollte ich mich mal wieder dem Thema Neutralität im Journalismus widmen. Anlass war eine Diskussion, die in der Spiegel-Redaktion geführt und von ihr öffentlich gemacht wurde.
Auslöser dieser Diskussion war wiederum, dass der Chef der Meinungsseiten der New York Times nach einem Streit über eine abgedruckte Meinung gekündigt hatte. Dass sie das problematisch findet, hat ARD-New-York-Korrespondentin Antje Passenheim vorige Woche im Deutschlandfunk kommentiert.
Spiegel-Redakteur Philipp Oehmke kommentierte daraufhin bei spiegel.de: „Die Zeit der Neutralität ist vorbei“. Sein Kollege Florian Gathmann erwiderte darauf: „Wir müssen so neutral sein wie möglich“.
Im @spiegelonline wird gerade über "Neutralität" im Journalismus debattiert. Interessant: @FlorianGathmann schreibt, man solle so neutral wie möglich sein, vertritt dann aber im Text das Gegenteil. https://t.co/BsF62NTOdp
— Stefan Fries (@stfries) June 13, 2020
Interessanterweise schreibt Gathmann dann etwas, das der Überschrift widerspricht:
Aber es gehört zu unserer Arbeit, über die AfD zu berichten. Das kann nicht unvoreingenommen erfolgen, wenn sich ein Teil der Partei außerhalb der Grenzen des Grundgesetzes bewegt.
Das heißt, er sieht doch Anlass für eine gewisse Unvoreingenommenheit gegen Positionen außerhalb des demokratischen Spektrums. Was ich richtig finde. Denn Journalismus findet nicht im luftleeren Raum statt. Pressefreiheit ist nur in Demokratien möglich, und wenn wir die Demokratie schon nicht um ihrer selbst willen verteidigen, dann sollten wir es für die Pressefreiheit tun. Insofern ist eine bestimmte Haltung gegenüber unseren Berichtsgegenständen nicht falsch.
Den besten Text dazu hat aktuell Samira el Ouassil für Übermedien geschrieben. Gleich zu Anfang heißt es dort:
Man kann als Journalist objektiv sein – ohne neutral sein zu müssen.
Beides sind unterschiedliche Werte des Handwerks Journalismus. Und in manchen Fällen darf man gar nicht neutral in Bezug auf das zu Berichtende sein, wenn man seine journalistische Integrität bewahren möchte. Denn Journalisten sollten, um ihrem Beruf gerecht zu werden, natürlich parteiisch sein: Sie müssen immer auf der Seite der Wahrheit sein.
Denken wir beispielsweise an Korruptionsfälle. Nehmen wir mal diesen einen aktuellen um einen jungen CDU-Abgeordneten. JournalistInnen decken diesen auf und sind schon allein durch ihre Haltung „Korruption ist schlecht“ automatisch in dieser Geschichte nicht neutral, dennoch macht das ihre Berichterstattung nicht minder objektiv.
Und später konstatiert sie: „Gleiche Distanz zu allen? Funktioniert nicht.“
Das ist der Text, den ich hätte schreiben wollen, aber nicht konnte. Insofern verweise ich gerne auf Übermedien.de.
Weiterer Lesehinweis: Sonja Zekri bei sueddeutsche.de über die Illusion von Neutralität