Die Kunst des guten Interviews (9): Wie ein Befragter einfach schwieg

Wie das immer so ist: Bei der Recherche zu einem Thema muss man vieles, was man gefunden hat, beiseite lassen muss, obwohl es spannend ist. Denn auch 47 Minuten Sendezeit sind schnell voll, und man will und kann so eine Sendung nur begrenzt mit Geschichten am Rande füllen, weil sie zwar interessant sind, aber nicht zum Kern des Themas beitragen und dafür dann doch zu viel Zeit brauchen.

Deswegen will ich ab heute noch auf ein paar interessante Gespräche hinweisen, die ich nicht mehr habe unterbringen können. Interessante Fragestellungen, interessante Antworten von Interviewgästen.

Zum Anfang mal ein paar Nicht-Antworten.

1969 war der Boxer Norbert Grupe zu Gast im ZDF-Sportstudio. Wikipedia schreibt dazu:

Als legendär gilt sein Auftritt am 21. Juni 1969 im Aktuellen Sportstudio des ZDF nach seiner Niederlage in der dritten Runde gegen Óscar Bonavena, als Grupe im Laufe des Interviews auf Fragen des Moderators Rainer Günzler nicht mehr antwortete. Hintergrund war ein vorangegangener Beitrag Günzlers für die ZDF-Sendung Der Sport-Spiegel, in dem sich Günzler kritisch mit den sportlichen Leistungen Grupes auseinandersetzte und sich eher abfällig zu Grupes manchmal skurrilen Auftritten in der Öffentlichkeit ausließ. Daraufhin soll Grupe vor Freunden geschworen haben: „Das kriegt der zurück!“ Wegen dieses Verhaltens wurde er vom Bund Deutscher Berufsboxer mit einer lebenslangen Sperre belegt, gegen die er erfolgreich juristisch vorging.

Tatsächlich antwortet Grupe nur auf die ersten beiden Fragen und schweigt dann konsequent.

Transkription:

Moderator: „Wie fühlen Sie sich nach den fünf Niederschlägen von gestern Abend?“

Grupe: „… gestern Abend, ne?

Moderator: „Ja, gestern Abend. – Wie geht’s Ihnen denn, gut?“

Grupe: „Heute geht’s mir gut.“

Moderator: „Gut. Sie haben sich bei irgendeinem Niederschlag den Knöchel verletzt. Sind Sie umgekippt?“

Grupe schweigt

Moderator: „Er ist umgekippt. Ich weiß es, er hat’s mir vorher erzählt. Sagen Sie mir: Hatten Sie schon vor dem Kampf den Eindruck, dass Sie hier einem stärkeren Gegner gegenüberstehen? Kann man das als Mut bezeichnen, dass Sie gegen Oskar Bonavena gekämpft haben oder war das die Vorstufe, das, was man über Sie las, dass Sie jetzt die Handschuhe an den Nagel hängen wollen?“

Grupe schweigt

Moderator: „Ich fand Sie in der zweiten Runde besser, muss ich Ihnen sagen, als jetzt im Augenblick. Ich fand Sie echt besser, denn da taten Sie was, und jetzt schweigen Sie. Warum schweigen Sie?“

Grupe schweigt

Moderator: „Ihr Lächeln ist ja auch ganz hübsch. Also machen wir eine andere Frage, wenn Sie auf die nicht antworten wollen. War vielleicht der Gewichtsunterschied zu groß, 18 Pfund?“

Grupe schweigt

Moderator: „Auch nicht. Gewichtsunterschied war also auch nicht zu groß. Dann gestatten Sie mir vielleicht noch eine weitere Frage, ich hoffe auf eine Antwort. Was machen Sie demnächst, boxen Sie weiter, gehen Sie nach Amerika, werden Sie wieder Schauspieler oder wie sieht’s aus?“

Grupe schweigt

Moderator: „Auch nicht. Ich bedanke mich für dieses Gespräch. Es war reizend.“

Grupe: „Ich mich auch, es war sehr aufschlussreich und es freut mich, dass Sie nach wie vor den Boxsport mit freundlichen Augen und Worten gegenüberstehen.“

Moderator: „Bitteschön, deswegen haben wir ja ja heute Abend auch einen großen Teil unserer Sendezeit dem Boxsport gewidmet, das war der Grund.“

Das muss man auch erst mal durchhalten – als Interviewgast, aber auch als Interviewer, der m.E. das Beste aus der Situation gemacht hat.